Langversion des Artikels "Wie eine Spinne" - erschienen in profil, Nr. 49/2013, S. 42-46.
Neue Details zu einem Schurkenstück des Kalten
Krieges: 1948 heuerte der US-Geheimdienst in Österreich Ex-Nazis und einen
ungarischer Kriegsverbrecher an. Deren Spionageemission scheiterte kläglich. Dafür
trieben sie aktiv die Gründung der Vorgängerorganisation der heutigen FPÖ
voran.
Jochen Rindt, Thomas
Prinzhorn, Andre Heller und der Ex-Landeshauptmannstellvertreter Peter
Schachner-Blazizek haben etwas gemeinsam: Sie besuchten ein Privatgymnasium in
Bad Aussee, das 1964 in den Konkurs schlitterte. Der glücklose Besitzer erhielt
1995 für seinen „Mut zum Risiko“ und „als Historiker und Verfasser zahlreicher
zeitgeschichtlicher Publikationen“ von Landeshauptmann Josef Krainer das
Goldene Verdienstkreuz des Landes Steiermark: Dr. Wilhelm Höttl, ehemals SS-Obersturmbannführer,
„Spionage- und Abwehrchef für den Südosten“ und rechte Hand des Naziverbrechers
Ernst Kaltenbrunner. Während letzterer 1946 nach Verurteilung beim Nürnberger
Prozesses gehenkt wurde, machte Höttl eine erstaunliche zweite Karriere: Als honoriger
„Historiker“ und Schulgründer und insgeheim als Spion verschiedener
Geheimdienste. Denn der Ex-Nazi galt als Spezialist für Ungarn und den
Balkanraum – ausgezeichnete Referenzen im Kalten Krieg, wo nicht umsonst die
Maxime galt: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. So entließ die
US-Armee Höttl im Dezember 1947 und verweigerte dessen Auslieferung an eines
der österreichischen Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen.
Ernst Kaltenbrunner (Quelle: Wikimedia Commons) |
Schon 1948/49 führte Höttl im
Auftrag des US-Militärgeheimdienstes Counterintelligence Corps (CIC) ein
großangelegtes Spionageunternehmen durch – gemeinsam mit den umtriebigen
Ex-Nazis Karl Kowarik und Erich Kernmayer sowie einem ungarischen SS-Mann. profil-Recherchen
in freigegebenen US-Akten und im Wiener Staatsarchiv zeigen: Höttl und sein
Anhang nutzten die US-Ressourcen, um gleichzeitig ein eigenes „nationales
Projekt“ voranzutreiben – die politische Reintegration der österreichischen Nazis
und den Aufbau des Verbandes der Unabhängigen (VdU), der Vorgängerorganisation
der heutigen FPÖ.
Begonnen hatte alles am 10.
Juli 1948 – nachdem sich zuvor zwischen den Supermächten extreme Spannungen
aufgebaut hatten: Im Februar hatten die Kommunisten in Prag die Macht
übernommen, Stalin, Ende Juni begann die Berlin-Blockade. In Österreich
wiederum gab es Befürchtungen, die KPÖ könnte in der sowjetisch besetzten Zone
einen Putsch vorbereiten. In dieser Situation installierte Höttl für das CIC Field
Office im oberösterreichischen Gmunden zwei Agenten-Netzwerke.
Zunächst einmal sollten unter
dem Codenamen „Montgomery“ jenseits des „Eisernen Vorhangs“, in Ungarn, Informationen
beschafft werden – betreffend militärische und kommunistische Aktivitäten sowie
wirtschaftlich-industrielle Entwicklungen. Verantwortlicher Operationschef war
der ehemalige SS-Hauptsturmführer Karoly Ney. Noch 1944 hatte der Budapester Anwalt
Jagd auf „Juden, Defätisten und Saboteure“ gemacht. Zwei Jahre später verurteilte
ihn ein US-Tribunal zum Tode – während drei Mitangeklagte gehenkt wurden,
begnadigte man Ney rasch. Seine angeblichen Kontakte zu Marschall Franco und
zum Vatikan sollen ihn empfohlen haben. Rund um Ney bildeten mehrere Dutzend Agenten,
vor allem ungarische Kriegsveteranen und Emigranten, die „AMA“. Letztendlich
sollte daraus eine „aktive Oppositionsgruppe“ werden.
Ihr Hauptquartier hatte die
„AMA“ einem Gebäude des CIC in Lambach, 25 km von Gmunden entfernt. Ausbildungsmaßnahmen
wurden rund um eine Hütte des Alpenvereins bei Grünau durchgeführt. Die abgelegene
Gegend im Toten Gebirge eignete sich hervorragend für das Training im
Partisanenkampf. Um die Aktivitäten zu finanzieren, stellte der CIC monatlich 60.000
Schilling bereit. Als „Pressechef“ bei der „AMA“ fungierte Höttls enger
Vertrauter Erich Kernmayer – dieser hatte die Aufgabe, sobald die gelieferten
Informationen aufzubereiten. Für diese Aufgabe empfahl Kernmayer seine
Vergangenheit: „Bis 1934 war Kernmayr glühender Kommunist, von da an
begeisterter Anhänger Hitlers“, heißt es in seiner Stapo-Akte. Das illegale NSDAP-Mitglied
stieg nach dem Anschluss zum Gaupresseamtsleiter in Wien auf und diente danach
in der Waffen SS-Division „Das Reich“.
Parallel zu „Montgomery“ lief
noch ein zweites Unternehmen –„Mount Vernon“: Ziel war hier, eine „österreichische
Nachrichtenorganisation“ aufzubauen, „die im Ernstfall als antibolschewistsche
Untergrundbewegung funktionieren soll.“ Diese Aufgabe übernahm Karl Kowarik, der
1934 Führer der gesamten Hitlerjugend Österreichs gewesen war. 1939 der SS
beigetreten, wurde Kowarik Stadtrat in Wien und Mitglied des Deutschen
Reichstag. Auch er diente anschließend in der Waffen SS. Nun in amerikanischen Diensten
richtete er sein Hauptquartier in einer Villa in Orth bei Gmunden ein. Das CIC
stellte monatlich 40.000 Schilling zur Verfügung. Funk- und Sabotageausbildung sollen
in Bayern stattgefunden haben. Alleine unter den acht „Quellen“ von „Mount
Vernon“ befanden sich zwei frühere SS-Geheimdienstoffiziere und ein
SS-Untersturmführer. Um seine Berichte per Bahn durch die sowjetische Zone zu
schleusen, versteckte eine der „Quellen“ diese kurzerhand im Wassertank der
Herrentoilette.
Höttl, Deckname „Willi“, war der
„control chief“ beider Netzwerke. Zunächst hielt er sich im Hintergrund – aber
alle Fäden liefen bei ihm zusammen, wie aus einem Dokument hervorgeht: „Er
allein und persönlich empfängt alle Gelder und verteilt sie auf die einzelnen Gruppen
und Personen.“ Während Kernmayer, Kowarik und Ney sich an die Arbeit machten,
konzipierte Höttl noch für die US-Armee den Plan, nach Schweizer Vorbild eine
„Alpenfestung“ zu errichten, „die über den ganzen Krieg gehalten werden soll,
womöglich in Verbindung mit Oberitalien und der Schweiz“. Die Wiederwahl von
US-Präsident Harry S. Trumans am 2. November 1948 machte solchen Überlegungen einen
Strich durch die Rechnung: Höttls Schweizer Verbindungsmann, ein Generalstabsoberst,
brach die Unterredungen kurzfristig ab: Ein Krieg sei in den nächsten Jahren
nicht zu erwarten, „da weder Truman noch die Russen militärisch vorgehen
würden“. Höttl dagegen hatte fix mit einem Sieg der republikanischen Hardliner gerechnet
und befürchtete nun eine Beschwichtigungspolitik, die den Ausbruch des „doch
unvermeidlichen Krieges“ hinauszögern würde.
Daraufhin mengte sich Höttl
stärker in die Arbeit seiner beiden Netzwerke ein – das war auch notwendig
geworden, denn es kriselte heftig. Vor allem Ney hatte sich in den Augen der Auftraggeber
diskreditiert: Die Ausbildung in Grünau habe zum größten Teil aus Schulungen,
„vornehmlich ideologischer Art“ gegen den Marxismus bestanden. Und nachdem die
Agenten dort gemeinsam die Schulbank drückten, wurden sie auch untereinander
bekannt – was gegen die Grundregeln des Spionagegeschäfts verstieß. Vor allem
aber soll die Truppe rasch vom gegnerischen Geheimdienst unterwandert worden sein.
Ney, kritisiert ein Bericht scharf, habe einen Feldwebel der ungarischen
Grenztruppen angeworben: „Der Mann hat nicht nur das Hauptquartier in Lambach
erkundet; es ist ihm auch der größere Teil der Agenten durch das Grünauer Lager
bekannt geworden.“ Der Spion soll darüber hinaus Aufschluss über die in Ungarn
platzierten Agenten erhalten haben. Diese konnten dadurch identifiziert und
ausgeschaltet werden. Ney, bei dem sich „immer deutlicher ein ausgesprochener
Führer- und Unfehlbarkeitskomplex“ zeigte, wurde zudem ein allzu lockerer
Umgang mit den Finanzmitteln der Gruppe vorgeworfen. Und schließlich war das
CIC mit der Ausbeute unzufrieden: Es sei zu wenig Material geliefert und
gleichzeitig ein finanzielles Minus angehäuft worden.
Nach dem Ausscheiden Neys
wurde das Lager in Grünau Mitte November 1948 aufgelöst. Die
Geheimdienstaktivitäten in Ungarn wurden von Kernmayer übernommen, dem man auch
Kowarik unterstellte. Der neue Chef arbeitete daran, die bisherige
Erkundungstätigkeit von „Mount Vernon“, die sich auf militärische Belange und
KPÖ-Aktionen beschränkt hatte, „auf die gesamte Innenpolitik und auf die
Wirtschaft auszudehnen“. Kernmayer hatte weitfliegende Pläne: Ihm schwebte die Einrichtung
einer „antikommunistischen Propagandastelle“ in Österreich vor, die vor allem
„Zersetzungspropaganda“ unter den Kommunisten und unter den russischen Truppen
betreiben sollte. Eine eigene Agentur sollte zu diesem Zweck „Material gegen
den Bolschewismus“ zuliefern. Doch konnte er mit dem Vorschlag „nicht durchdringen“.
Bald kam es zu internen Spannungen und das CIC bekrittelte die Qualität der Informationen.
Umso energischer widmeten
sich Höttl und seine Gehilfen ihrer eigentlichen Herzensangelegenheit: Der Wiedereinbindung
und Rehabilitierung österreichischer Nazis. Diese fühlten sich nämlich von der
jungen Republik ungerecht behandelt: Im Zuge der „Entnazifizierung“ wurden NS-Funktionäre,
Angehörige von SS und Gestapo für einige Jahre in Internierungslagern
festgehalten – so auch Kernmayer und Kowarik, die in Glasenbach einsaßen. Dort
sollen sie eine Geheimorganisation mit dem bedrohlichen Namen „Spinne“
gegründet haben. Diese verfolgte angeblich zwei Hauptziele: „Wiedergutmachung
an den ehemaligen Nazis für erlittene Strafen“ und längerfristig ein zweiter
Anschluss an ein wiedervereinigtes Deutschland.
Bitter waren die Ex-Nazis
auch über ihre politische Schlechterstellung: Rund 540.000 Personen, die
zwischen 1933 und 1945 Mitglied der NSDAP oder eines ihrer Verbände waren, hatten
das Wahlrecht verloren. Schon 1948 verabschiedete der Nationalrat eine Amnestie
für die „Minderbelasteten“, die damit wieder stimmberechtigt waren. Um dieses beträchtliche
Wählerpotenzial entbrannte in der Folge ein regelrechter Wettstreit zwischen
den Großparteien SPÖ und ÖVP – vor allem als im März 1949 rund um Viktor
Reimann und Alois Kraus der Verband der Unabhängigen (VdU) als politische Vertretung
der Ex-Nazis zusammenfand. Der Kampf gegen die angebliche Entrechtung und
Schlechterstellung[1] der
„Ehemaligen“ war eines Haupanliegen wie Kraus Anfang Juni 1949 bei einer
VdU-Versammlung hervorstrich: „Ein Viertel oder ein Drittel der Bevölkerung ist
in äußerste Not gestoßen und zu verlässlichen Feinden des Staatswesens gemacht
worden. In keinem Staat der Welt hat eine so grausame Verfolgung der Mitläufer
des NS-Regimes stattgefunden, wie in Österreich.“
Höttl und seine Netzwerke hatten
eine wichtige Rolle im Hintergrund gespielt. In einem Bericht der Organisation
Gehlen, Vorläufer des heutigen Bundesnachrichtendiensts, vom Dezember 1948 wird
vermerkt: „Als sein politisches Ziel bezeichnet Höttl die Herstellung eines
tragbaren Verhältnisses zwischen der Regierung und der nationalen Opposition
sowie zwischen Österreich und dem ‚deutschen Raum’. Man müsse die ehemaligen
Nationalsozialisten, sofern sie aufbauwillig sind, aus der sozialen Misere
herausführen und sie wieder an den österreichischen Staat heranlassen.“ Schon
im Oktober 1948 wurde gemeldet, dass Kernmayer „in ständiger Beziehung zu dem
Leiter des Salzburger Instituts für Wirtschaftsforschung, Dr. Kraus steht und
in dessen ‚Berichte und Informationen‘ auch Material veröffentlicht, dass er
entweder direkt von den Emigranten gesammelt hat oder nur durch Verbindungen zu
den amerikanischen Nachrichtendienst-Stellen (CIC Salzburg und Gmunden)
bekommen haben kann.“
Am 9. Jänner 1949 traf sich
Höttl mit Kraus in Gmunden. Man einigte sich darauf, die VdU-Parteigründung durch
den „Österreich-Apparat (Kowarik-Kernmayer)“ zu unterstützen – so etwa durch
„Flüsterpropaganda“. Oder indem der VdU-Parteizeitung „Neue Front“
Belastungsmaterial gegen ÖVP-Funktionäre in Oberösterreich zugespielt wurde. Kraus
erhielt jedenfalls das Versprechen, dass Höttls Spionagetruppe dem VdU „zur
Verfügung stehen würde“ – was dann passierte, malt ein Dokument von 1953
bildhaft aus: „Die Organisation Dr. Höttl streckte dann wie eine Spinne ihre
Fühler über ganz Österreich aus, um alle ehemaligen führenden Nazis für den VdU
zu erfassen.“ Es sei „sogleich“ Verbindung zu früheren Angehörigen des SS-Sicherheitsdiensts
und SS-Funktionären aufgenommen worden, „um von ihnen Nachrichtenmaterial zu
erhalten“. Ein Vertrauter Kernmayers, der frühere Gauinspektor in Oberdonau Stefan
Schachermeyer klapperte Industrielle ab, „die er im Auftrag des VdU zu
Geldspenden veranlasste“.
Der so vorangetriebene Aufbau
der VdU löste vor allem bei ÖVP Sorgen vor einer Spaltung des bürgerlichen
Lager aus: Am 28. Mai 1949 setzte sich deshalb in Oberweis eine ÖVP-Delegation
unter Führung des späteren Bundeskanzlers Julius Raab mit elf „Ehemaligen“ –
darunter Höttl, ein früherer Adjutant Kaltenbrunners und der spätere
Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz – zusammen. Man diskutierte unter
anderem die Abschlaffung des Verbotsgesetzes, die Wiedereinführung des passiven
Wahlrechts für Ex-Nazis und die Aufstellung eines „nationalen“
Bundespräsidentschaftskandidaten. Eine Einigung kam nicht zustande. Während die
Oberweiser Konferenz große Wellen schlug, traf sich Kernmayer diskret auch mit
SPÖ-Vertretern. Bei den anschließenden Nationalratswahlen am 9. Oktober 1949
gewann der VdU aus dem Stand 11,7 Prozent der Stimmen. Allerdings führten Verluste
bei darauffolgenden Wahlen und interne Machtkämpfe dazu, dass die Partei in der
1955 gegründeten FPÖ aufging.
Höttls Spionagekomplex, der
die Bildung dieses „dritten Lagers“ mit ermöglicht hatte, bestand zu diesem
Zeitpunkt längst nicht mehr. Die Amerikaner hatten schon am 1. September 1949
die Reißleine gezogen. Beim CIC war es zu einer „allgemeinen Neuorientierung“
gekommen. Neun Beamte, die mit Höttl eng zusammengearbeitet hatten, wurden
abgelöst. Das traf neben dem Leiter des Field Office Gmunden, Douglas Morrison,
auch dessen Vorgesetzten in Linz, Thomas Lucid. Letzterer fiel wegen „düsterer
Geldgeschichten“ überhaupt in Ungnade und musste den Dienst quittieren. Höttl
soll von den „neuen Männern“ des CIC-Linz „nicht einmal empfangen“ worden sein.
CIC-Operationschef in
Salzburg, Major James Milano meldete an seine Vorgesetzten, warum man „Mount
Vernon“ und „Montgomery“ fallen gelassen hatte: Höttl sei zunehmend eine
Belastung geworden. Der Agent, so Milano, sei „gefürchtet“ – einer Verurteilung
als Kriegsverbrecher sei Höttl nur deshalb entkommen sei, weil er sich in
Nürnberg als Zeuge für die Anklage zur Verfügung stellte. Das Treffen von
Oberweis, von dem Höttl seine US-Partner vorab nicht informierte, war der Tropfen,
der das Fass zum Überlaufen brachte. Entgegen anderslautender Warnungen hatte
er die Spionagearbeit mit der lokalen Politik vermischt und die eigentliche
Aufgabe vernachlässigt. So seien die gelieferten Berichte seit einem halben
Jahr „extrem schlecht“ gewesen und die monatliche Kosten von 2.600 Dollar nicht
wert. Höttl akzeptierte das zähneknirschend.
In einem persönlichen Schreiben versicherte er Milano, dass seine Einstellung
zur USA nicht geändert habe und er die Anstrengungen zur Mobilisierung gegen
den „bolschewistischen Weltfeind“ fortsetze.
Daraus wurde aber nichts – die
erst kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründete CIA hatte ab 1949 die
Arbeit des CIC übernommen und wusste mit Höttl nichts mehr anzufangen. Laut dem
US-Autor John Richardson, dessen Vater bei der CIA in Wien stationiert war,
wurde Höttl 1953 bewusst „verbrannt“. Man spielte Medien Informationen zu,
wonach Höttl mit einem sowjetischen Spionagering in Verbindung stand. Gerüchte,
wonach dieser tatsächlich mit dem KGB im Bund gewesen sei, rissen in der Folge
nicht ab. 1963 identifizierte ihn ein hochrangiger Überläufer als solchen. Wie
sooft vermischten sich bei Höttl Wahrheit und Legende, bis diese am Ende nicht zu
unterscheiden waren.
Zu dieser Verklärung trug er
selbst am meisten bei – nachdem die Spionagekarriere so unrühmlich zu Ende war,
hatte sich Höttl an die Vermarktung seiner Lebensgeschichte gemacht: Er schrieb
mehrere eigennützige Bücher über seine Agententätigkeit im Dritten Reich und
stand bis zu seinem Lebensende als „Zeitzeuge“ zur Verfügung.
Seine NS-Vergangenheit holte
Höttl immer wieder ein: Aus seiner staatspolizeilichen Akte geht hervor, dass
1961 Ungarn um die Auslieferung Höttls ansuchte. Hauptvorwurf: Er habe den
Putsch der faschistischen „Pfeilkreuzler“ 1944 mit vorbereitet „und sei für die
Verschleppung und den Tod von zehntausenden ungarischen Staatsbürgern sowie für
die Ausraubung Ungarns verantwortlich“. Aufgrund rechtlicher Bestimmung sah
sich die Bundesregierung „keinesfalls“ in der Lage, Höttl auszuliefern.
Allerdings räumte man Ungarn ein, Informationen für ein entsprechendes
Verfahren in Österreich zu übermitteln. Dazu kam es aber nicht. Der als
„belastet“ eingestufte Höttl war schon 1951 vom Bundespräsidenten begnadigt
worden. Er habe „die Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Bewegung niemals
missbraucht“ und sei zur Republik Österreich „positiv eingestellt“, hatte sich
Höttl damals gerechtfertigt.
1952 wurde die eingangs erwähnte
Schule gegründet. Diese hatte nie einen guten Ruf: Es hieß, Höttl habe braune
Kameraden als Lehrer versorgt. Er selbst räumte ein, dass viele der Schüler,
die bei ihm die Matura schafften, anderswo chancenlos gewesen wären. 1963 wurde
ihm deshalb die Berechtigung, die Reifeprüfung abzunehmen, entzogen. Für Andre Heller
war es schlicht ein „Nazi-Reservat“, in das man ihn gesteckt hatte. Als er in
den 1950er Jahren zum ersten Mal das Klassenzimmer in Bad Aussee betrat, sagte
Höttl zu den Mitschülern: „Das ist der Heller, setzt euch nicht neben ihn, der
hat böses Blut.“
Höttl, aufgrund
undurchsichtiger Immobiliengeschäfte schon Mitte der 1960er Jahre bankrott,
verbrachte dennoch einen beschaulichen Lebensabend. 1997 veröffentlichte er
sein letztes Buch „Einsatz für das Reich“ und verstarb schließlich zwei Jahre
später im Alter von 84 Jahren.
Höttls Helfer und was aus ihnen wurde
1950 stellte Kernmayer eine
„Gnadenbitte“ an den Bundespräsidenten: „Schon früher“ habe er bewiesen, dass
er „die Gewaltmethoden des NS-Regimes ablehne und positiv zur unabhängigen
Republik Österreich eingestellt“ sei. Aus der Begnadigung wurde jedoch nichts:
Da Kernmayer „jede Glaubwürdigkeit fehlt“, wie das Justizministerium
bescheinigte. In der Folge verlegte Kernmayr seine publizistischen und politischen
Anstrengungen zunehmend nach Deutschland: Er gab mehrere Zeitungen der
äußersten Rechten heraus, darunter ab 1955 das Verbandsblatt der „Hilfsgemeinschaft
auf Gegenseitigkeit der
ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS“ (HIAG). Auch bei mehreren rechtsextremen
Parteien war Kernmayer aktiv. Einige seiner literarischen Werke, die er unter
dem Pseudonym Erich Kern herausgab, bilden bis heute einen Bezugspunkt für
Rechtsextremisten. Er verstarb 1991 in Kammer am Attersee.
Erich Kowarik blieb zeitlebens eine Zentralfigur der österreichischen Rechten: Als Mitbegründer des VdU und von 1957 bis 1960 als Generalsekretär der FPÖ. 1975 wollte er eine „Österreichisch-Rhodesische-Gesellschaft“ gründen, was Innenminister Otto Rösch untersagte. Zusätzlich engagierte sich Kowarik als Mitglied der „World Anti-Communist League“ (WACL), ehe er 1987 verstarb. Sein Sohn Helmut saß als Abgeordneter der FPÖ lange Zeit im Wiener Gemeinderat – Dietbert Kowarik führt diese Tradition seit 2006 fort.
Karoly Ney: Nachdem er 1948
beim CIC in Ungnade gefallen war, setzte sich Ney nach Deutschland ab. Dort
betrieb er unter einem Decknamen eine Firma, die Kunstharze für die
Baustoffindustrie entwickelte. Ney sollte 1972 wieder nach Österreich zurückkehren
und siedelte sich in Wolfsthal, in unmittelbarer Näher zur Abhörstation
Königswarte des Bundesheeres, an – er starb 1989, nur einen Monat vor dem Fall
der Berliner Mauer.
[1] Das Nationalsozialistengesetz
von 1947 stufte die „Sühnefolgen“ ab: Beschränkung der bürgerlichen Rechte, Ausschluss
von bestimmten Berufen, Sühneabgaben in unterschiedlicher Höhe, Kürzungen der
Bezüge, Einweisung in Anhaltelager.