Mittwoch, 22. Juni 2016

Exkurs: Ein schwarzer Tag für die Nordarmee – 150 Jahre Schlacht von Königgrätz

Es war eine der größten Schlachten der modernen Geschichte: Nahe der nordböhmischen Stadt Hradec Králové (Königgrätz) trafen am 3. Juli 1866 221.000 Preußen mit 702 Geschützen auf 215.000 Österreicher sowie 21.000 Sachsen mit 650 Geschützen. Von der Zahl der beteiligten Kräfte blieb das im gesamten 19. Jahrhundert unübertroffen. Praktisch beendet wurde der insgesamt siebenwöchige „Deutsche Krieg“ – zwischen Österreich, seinen süd- und mitteldeutschen Verbündeten auf der einen Seite sowie Preußen und Italien auf der anderen Seite. Heute, 150 Jahre später, gibt es viele Gründe, sich mit diesem epochalen Ereignis auseinanderzusetzen und es in Erinnerung zu rufen.

Schlacht von Königgrätz, Gemälde von Christian Sell (Quelle: Wikimedia Commons)
Mit der Niederlage von Königgrätz verlor das Habsburgerreich seine hegemoniale Stellung in Zentraleuropa. Geschwächt musste es nicht nur innerlich den „Ausgleich“ mit Ungarn suchen (1867), sondern seine außenpolitischen Ambitionen auf den Balkanraum verlegen – mit weitreichenden Folgen bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs (1914). Der 1815 gegründete „Deutsche Bund“ der „souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands“ wurde aufgelöst. Preußen stieg zur Führungsmacht auf und sollte noch während des Deutsch-Französischen-Kriegs (1870/71) die Gründung des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918) vorantreiben. Österreich blieb von dieser Entwicklung ausgeschlossen – was von den deutschsprachigen Teilen der Monarchie als Trauma empfunden wurde. So rief der Dichter Franz Grillparzer den „Siegern von 1866“ anklagend zu: „Ihr glaubt, ihr habt ein Reich geboren, und habt doch nur ein Volk zerstört!“
Reenactment der Schlacht von Königgrätz 2014 (alle Fotos: Autor)
Der folgende Artikel beschäftigt sich in erster Linie mit dem militärhistorischen Aspekt. Hier war Königgrätz für die Nordarmee der Kulminationspunkt eines Feldzugs, der von demütigenden und vor allem verlustreichen Niederlagen gekennzeichnet war. Nachdem Preußen am 19. Juni 1866 den Krieg erklärt hatte, rechneten Beobachter fast einmütig mit einem Sieg der kriegserfahrenen Kaiserlichen. Doch schon sehr bald wurden sie eines besseren belehrt – der Deutsche Krieg machte Hannover, Hessen, Baden und Bayern zum Schauplatz einiger kleinerer Gefechte zwischen preußischen Truppen und der „Bundesarmee“, die von Truppen der deutschen Verbündeten Österreichs gebildet wurde. Der von Preußen ohne Kriegserklärung überrumpelten sächsischen Armee gelang der Anschluss an die Nordarmee in Böhmen. Hier befand sich auch einer der beiden geografischen Schwerpunkte des Krieges – in Norditalien kämpfte die österreichische Südarmee unter Erzherzog Albrecht gleichzeitig gegen Italien. Trotz des Erfolgs bei Custozza am 24. Juni 1866 und des Seesiegs von Admiral Wilhelm von Tegethoff bei Lissa am 20. Juli 1866 musste Österreich schließlich Venetien abtreten.
Nachstellung 2010
Blutiger Auftakt
Am böhmischen Kriegsschauplatz dagegen hatten die Ereignisse von Anfang an einen katastrophalen Verlauf genommen: Als die preußischen Truppen getrennt in drei Armeen Ende Juni 1866 durch das Riesengebirge einmarschierten, ließ man die Gelegenheit aus, diese einzeln zu schlagen. Nicht nur das, die abkommandierten österreichischen Armeekorps wurden in acht blutigen Gefechten besiegt. Fast jedes Mal war es den mobiler agierenden Preußen gelungen, höhergelegenes Gelände rechtzeitig zu besetzen und die folgenden Gegenangriffe abzuwehren. Lediglich bei Trautenau konnte das VI. Korps unter Ludwig Gablenz am 27. Juni 1866 einen preußischen Verband zum Rückzug zwingen. Schon im ersten Vorpostengefecht von Hühnerwasser (Kuřívody) am 26. Juni 1866 hatte sich eines überdeutlich gezeigt: Die preußische Seite war in Sachen Feuerkraft überlegen. Während gerade einmal 50 Mann fielen, verlor das I. österreichische Korps fünf Mal so viele Männer. Hauptgrund hierfür: Mit dem Zündnadelgewehr verfügten die preußischen Infanteristen über einen modernen Hinterlader mit dem theoretisch zehn bis zwölf Schüsse pro Minute möglich waren. Damit war die Feuergeschwindigkeit drei- bis fünfmal schneller als beim österreichischen Lorenzgewehr – einem Vorderlader, der im Stehen durch den Lauf geladen werden musste. Eine entsprechende waffentechnische Modernisierung war zuletzt 1865 durch die parlamentarische Armeeaufwand-Kontrollkommission verschoben worden – mit dem Hinweis, kein ausgeglichenes Budget zur Verfügung zu haben.

Noch verschlimmert wurde dieser Nachteil durch die „Stoßtaktik“ der österreichischen Infanterie – damit sind Frontalangriffe in massierten Kolonnen gemeint, die den Sinn hatten, das feindliche Feuer so schnell wie möglich zu durchlaufen, um in den Nahkampf mit Bajonett und Gewehrkolben überzutreten. Was im Deutsch-Dänischen Krieg (1864) gegen einen ebenfalls mit Vorderladern bewaffneten Feind noch einigermaßen gut funktioniert hatte, war nun glatter Selbstmord. Das lässt sich an den Verlustzahlen erahnen: Bei Trautenau fielen 3,6-mal so viele Österreicher wie Preußen (4 787 zu 1 338) und bei Náchod fünfmal so viele (5 719 zu 1 122, zahlenmäßig die höchsten Verluste vor Königgrätz). Beim Nachtgefecht von Podol betrug das Verlustverhältnis gar 8 zu 1 (1 048 zu 130), schreibt Peter Aumüller 2004 in „Truppendienst“. Dass die Preußen auch über modernere Geschütze verfügten, fiel dagegen nicht so ins Gewicht, weil die Mannschaften in der Bedienung teilweise noch unsicher waren. Aber darüber hinaus wurde man österreichischerseits noch von ganz spezifischen Problemen geplagt wie der babylonischen Sprachverwirrung innerhalb der multinationalen Armee. Zum Beispiel kämpften die Truppen in Podol so lange geordnet, bis ihnen die Offiziere aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit die Befehle nicht mehr per Handzeichen vermitteln konnten. Insofern ist die Bezeichnung „Österreicher“ natürlich eine unscharfe Verkürzung – unter den kaiserlichen Fahnen kämpften neben Deutschsprachigen weiters Italiener, Kroaten, Slowaken, Slowenen, Polen, Rumänen, Serben, Slowaken, Tschechen, Ukrainer sowie Ungarn. Nicht nur die Ereignisse vor 150 Jahren sollten daher im Kontext gemeinsamer mittel- und osteuropäischer Geschichte begriffen werden.
Schlachtfeldfunde im "Kriegsmuseum 1866" bei Chlum
Entscheidung bei Königgrätz
Nirgendwo sollte das Missverhältnis bei den Opferzahlen so offensichtlich zutage treten wie in Königgrätz: Entlang einer Kampflinie von 10,5 Kilometer betrugen die Verluste an Toten, Verwundeten und Vermissten auf österreichischer Seite pro Meter drei Mann und pro hundert Meter 11 Offiziere. Oder anders ausgedrückt: 5.658 Mann wurden getötet, 7.410 vermisst, 7.574 verwundet und 22.170 gefangen genommen. Die preußischen Verluste dagegen waren leicht: 1.929 Tote, 276 Vermisste und 6.948 Verwundete. Aber es ist nicht so, dass der Ausgang der Schlacht bereits fix festgestanden wäre. Nach dem ersten Schock hatte man auf österreichischer Seite ein paar Lehren gezogen: Man wollte den Feind diesmal von seiner eigenen Medizin „kosten“ lassen – und zwar indem man ihn in konzentriertes Abwehrfeuer zwang. Zu diesem Zweck hatten sich die zehn Korps sowie fünf Kavalleriedivisionen der Nordarmee sowie der sächsische Truppenteil auf hügeligem Gelände zehn Kilometer nordwestlich der Festung Königgrätz aufgestellt. Im Zentrum wurde eine „große Batterie“ von 160 Geschützen und dahinter massive Reserven – zwei Infanteriekorps und Kavallerie – positioniert. Sobald der Feind sturmreif geschossen wäre, würde man zur Gegenoffensive übergehen.

Das war der Plan, den sich der Oberkommandierende, Ludwig Ritter von Benedek, zurechtgelegt hatte. Der damals 62 jährige Feldzeugmeister verdankte seinen Posten der Tatsache, dass er sich 1859 im Krieg gegen Frankreich und Italien als einziger mit Ruhm bedeckt hatte. Mit dem neuen Kommando war Benedek aber von Beginn an überfordert – immer wieder bekannte er, in Böhmen ein „Fremdling“ zu sein und war von Zweifeln gepeinigt. Unter dem Eindruck der vorangegangenen Niederlagen telegrafierte Benedek am 1. Juli 1866 an den kaiserlichen Hof: „Bitte Eure Majestät dringend, um jeden Preis Frieden zu schließen. Katastrophe der Armee unvermeidlich.” Die Antwort lautete: „Einen Frieden zu schließen unmöglich. Ich befehle – wenn unausweichlich – den Rückzug. Hat eine Schlacht stattgefunden?“ 

Diesen letzten Satz soll der verunsicherte Benedek als Befehl aufgefasst haben. Auch seine unmittelbaren Untergebenen – der Leiter der Operationskanzlei Gideon von Krismanic und Stabschef Alfred Henikstein – waren alles andere als gewiefte Strategen. Aber nichts verdeutlicht die Führungsschwäche deutlicher als Benedeks Verhalten beim „Kriegsrat“ am 2. Juli 1866 unmittelbar vor der Schlacht. Alle hohen Ränge waren versammelt, aber der Feldzeugmeister schärfte ihnen lediglich ein, in Sachen Disziplin die Zügel nicht schleifen zu lassen. Man würde die erschöpfte Armee einige Tage rasten lassen. Als dann Leopold von Edelsheim, mit 40 Jahren der jüngste General, anmerkte, dass man wohl spätestens am folgenden Morgen angegriffen würde, kanzelte ihn Benedek ab: „Wo haben Sie denn das Prophezeien gelernt?" und "Junge Leute pflegen immer Ansichten zu haben.“ Somit ist es auch nicht überraschend, dass die einzelnen Korpskommandanten über ihre zugedachte Rolle nicht Bescheid wussten. Das gab dem als Defensivschlacht geplanten Waffengang bald eine neue Richtung.
Ludwig von Benedek (Quelle: Wikimedia Commons)
Von der Defensiv- zur Offensivschlacht
Im Laufe des Vormittags an jenem 3. Juli 1866 hatten sich die Dinge zunächst gut entwickelt: Die frontal angreifende 1. preußische Armee hatte das Flüsschen Bistritz überquert, war dann aber im Feuer der österreichischen Kanonen liegen geblieben. Auch der rechte Flügel – die Elbarmee – kam wegen des übervorsichtigen Kommandanten kaum voran. In dieser Situation glaubten die Generäle Anton Mollinary und Karl Thun-Hohenstein ihre Stunde gekommen. Ihr II. bzw. IV. Armeekorps bildete eigentlich den rechten österreichischen Flügel. Dieser sollte die 2. preußische Armee, die sich noch im Anmarsch auf das Schlachtfeld befand, abwehren. Doch die Krise des Feindes im Zentrum legte es nahe, in die Offensive überzugehen und den zermürbten Feind in der Flanke zu packen. Dazu musste aber erst der Swiepwald erobert werden, den die preußische 7. Division besetzt hatte. In der Folge entspann sich eine der blutigsten Episoden der Schlacht – insgesamt traten 39 österreichische Bataillone an, um 14 preußische zu vertreiben. 
Denkmal beim Swiepwald
Der offizielle Bericht des k. k. Generalstabsbüros von 1868 beschreibt, wie das der Brigade des Oberst Karl Poekh beinahe gelungen wäre: „Da wurden plötzlich auf einer waldbedeckten Anhöhe in der rechten Flanke preußische Massen bemerkbar, welche ein mörderisches Feuer auf die tiefer befindliche Brigade eröffneten. Der Brigadier und alle Stabsoffiziere – bis auf einen – fielen.“ Als es nach Stunden gelungen war, das Gehölz zum Großteil unter Kontrolle zu bringen, traf ein Befehl Benedeks ein: Trotz hartnäckiger Proteste Mollinarys wurden die Korps wieder in die Ausgangsstellung zurückbefohlen. Auch im Zentrum verweigerte der Feldzeugmeister hartnäckig den Offensivbefehl und beließ es beim passiven Zuwarten – bis es Untergebene auch in diesem Abschnitt nicht mehr aushielten. Im Glauben, der allgemeine Vormarsch würde bald beginnen, drangen zwei Regimenter „mit aller Bravour“ auf den gegnerisch besetzten Holawald vor, mussten aber nach schweren Verlusten umkehren.
Denkmal des 8. Jägerbataillons im Swiepwald
„Plauschens net so dumm!“
Die ausgebluteten Truppen am rechten Flügel waren nach dem Hin- und Her jedenfalls zu demoralisiert, um die 2. preußische Armee noch aufhalten zu können. Deren Spitze, die Gardedivision, brachte es zustande, gegen 14.45 Uhr schnell bis ins Herz der österreichischen Aufstellung, dem Dorf Chlum, vorzudringen. Benedek schnaubte einen Stabsoffizier, der ihm die verhängnisvolle Meldung brachte, noch an: „Plauschens net so dumm!“ Aber dann wollte er doch selbst nach dem Rechten sehen. Prompt gerieten er und seine Suite zuerst unter preußischen Beschuss, dann in „friendly fire“. Mehrere Offiziere, darunter der Sohn des Flügeladjutanten des Kaisers und Erzherzog Wilhelm wurden getötet oder verwundet. An einer anderen Stelle nahe Chlum ließ Hauptmann von der Groeben seine acht Geschütze wenden und bis auf 200 Schritte an den Dorfrand heranfahren, um die vordringenden Preußen zu beschießen – „doch das feindliche Schnellfeuer richtete unter der Mannschaft und Bespannung solche Verheerungen an (in diesem Momente fielen Hauptmann v. d. Groeben, 1 Officier, 52 Mann und 68 Pferde), dass die Batterie nur 10 Schüsse machen und nur 1 Geschütz fortgebracht werden konnte; 7 blieben kampfunfähig stehen und gingen verloren“, so der Generalstabsbüro-Bericht. Unter den zahllosen Erinnerungsstätten, die in den darauffolgenden Jahrzehnten auf dem Schlachtfeld errichtet wurde, sticht als größtes jenes für die „Batterie der Toten“ hervor. Aber nicht weit entfernt schoss auch die Fußbatterie Nr. 7/XII unter Hauptmann Josef Kuhn bis zum letzten Augenblick – und geriet in Vergessenheit.
Die Batterie der Toten, Monumentalgemälde von V. Sochor (Ausschnitt, Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
Das Schlachtenglück hatte sich nun endgültig gewendet Um Chlum und das benachbarte Rozběřice zurückzuerobern traten die Reserven – das VI. und I. Korps – an. Dem Wiener Hausregiment Deutschmeister gelang es, Rosberitz (Rozběřice) wieder in Besitz zu nehmen. Auf preußischer Seite mischte sich der damals 19jährige Paul Hindenburg (später Oberbefehlshaber im 1. Weltkrieg und Reichspräsident) ins Handgemenge. In „Aus meinem Leben“ (1920) schilderte er die Erlebnisse so: „Von Kampf in geordneten Verbänden ist keine Rede mehr. Jeder sticht und schießt um sich, so viel er kann. Prinz Anton von Hohenzollern vom 1. Garderegiment bricht schwerverwundet zusammen. […] Dessen goldene Uhr wird mir überbracht, damit diese nicht etwa feindlichen Plünderern in die Hände fällt. Bald laufen wir Gefahr, abgeschnitten zu werden. Aus einer in unseren Rücken führenden Seitengasse tönen österreichische Hornsignale, hört man die dumpfer als die unserigen klingenden Trommeln des Feindes. Wir müssen, auch in der Front hart bedrängt, zurück. Ein brennendes Strohdach, das auf die Straße herabstürzt und sie mit Flammen und dichtem Qualm absperrt, rettet uns.“ 
Deutschmeister-Denkmal in Rosberitz
Nach diesem Anfangserfolg mussten die Österreicher allerdings über eine steile Anhöhe nach Chlum vordringen. Das Ergebnis war ein wahres Massaker: Die preußischen Gardisten feuerten aus der Deckung eines Querhohlwegs und zwei Geschützbatterien schossen Kartätschen in die Flanken der Sturmkolonnen. Innerhalb von weniger als einer Stunde verlor das VI. Korps 125 Offiziere und 6.000 Mann. Das I. Korps büßte innerhalb von 20 Minuten sowie auf dem Rückweg von 20.00 Mann gar 279 Offiziere, 10.000 Mann und 23 Geschütze ein.
Denkmal für das I. Korps auf der Höhe von Chlum
„Die Hölle tut sich auf“
In der Novelle „Eine Sommerschlacht“ (1887) beschrieb der Veteran und Schriftsteller Detlev von Liliencron diese apokalyptischen Kämpfe: "Und die Hölle tut sich bei uns auf. Mit wundervollem Mut, mit prächtigem Vorwärts, weit die Offiziere voran, und wenn sie fallen, springen andere vor, so dringt's her gegen uns. Aber der Feind kann nichts machen gegen unser Blitzfeuer. Er muß zurück. Verwundete schwanken auf uns zu. Da kommt der Hauptmann wieder. Er drückt mir die Hand. Und ein Funkelfeuer wirft sein Auge in mein Herz. Ich weiß, was er will: ‚Auf!' schreit er, und vorwärts, glühend er voran, mit Marsch, Marsch auf den Feind. Wir sind an der Mauer. Hinaus! Hinab! Mann gegen Mann. Ein langer österreichischer Jäger hebt mich am Kragen hoch und will mich wie einen Hasen abfangen. Aber: 'Ha!' faucht es neben mir durch die Nase, und Cziczan 'flutscht' ihm das aufgepflanzte Seitengewehr durch die Rippen. Einen Augenblick schau' ich mich um: der alte Sergeant steht neben mir. 'Ha!' schnaubt er durch die Nase. Seine Augen rollen. Er ist der einzige, der auch in diesem Augenblick nicht einen Knopf, nicht den Kragen geöffnet hat."

„Marsch! Marsch! Hurra!“
Benedek war währenddessen nicht greifbar, sondern irrte auf dem Schachtfeld umher. Gegen 16 Uhr passierte er ein Kürassierregiment und rief es zur Ordnung: „Um Gottes Willen, meine Herren! Dort ist der Feind! Dorthin die Front!“ In diesem Moment sauste eine Granate herbei und tötete den kommandierenden Oberst – dessen Leichnam blieb aber mit dem Stiefel im Steigbügel hängen und wurde vom Pferd mitgeschleift. Entsetzt schrie Benedek, man solle das Tier aufhalten, aber weitere Granattreffer ließen die Kürassiere auseinanderstoben. Der Feldzeugmeister sah darin Ungehorsam und schloss sich kurz darauf tief deprimiert dem allgemeinen Rückzug an. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Elbarmee auch Benedeks linken Flügel eingedrückt und damit die Niederlage vervollständigt. Es gelang nur mehr, die Verfolgung durch die preußische Kavallerie mit einem Gegenangriff zu stoppen. In der Ebene zwischen Stresetitz (Střezetice) und Langenhof (Dlouhé Dvory) prallten jeweils 5.000 Mann in einem der letzten großen Reitergefechte aufeinander. Mittendrin war der Kürassierleutnant Ernst Graf Wurmbrand: „Es war der schönste Tag meines Lebens, selbst wenn es der letzte gewesen wäre. […] In der Nähe der preußischen Ulanen kommandiere ich: ‚Marsch! Marsch! Hurra!‘ und so ritt ich direkt auf die feindliche Mitte zu, ein Wald von Lanzen starrte mir entgegen. Ich durchritt ein paar Offiziere, die vor der Front ritten, und sprang dann gleich in die Mitte des feindlichen Ulanenregiments hinein. Einem Ulanen rechts von mir spaltete ich den Schädel, er sank vom Pferd, mein Pallasch war aber zu stark in seinen Schädel eingedrungen, ich konnte ihn nicht gleich wieder herausziehen, und das war mein Verhängnis. Denn alle Ulanen stachen nach mir, zum Glück daneben, aber einer, […], erwischte mich und stach mir in die rechte Halsseite. Der Stich war gut und heftig, mir wurde sofort schwarz vor Augen, und ich fiel vom Pferd herunter.“ 
Wurmbrands Helm mit deutlichen Kampfspuren im Heeresgeschichtlichen Museum, Wien
Gefecht zwischen österreichischen Ulanen und preußischen Kürassieren (Gemälde 1883, Quelle: Wikimedia Commons)
Hätten die Preußen an diesem Punkt nicht Halt gemacht, hätten sie die Nordarmee wohl völlig vernichtet – denn mit dem Fluss Elbe befand sich ein großes Hindernis im Rücken von Benedeks Stellung. Das Gerücht, die Preußen wären ihnen tatsächlich auf den Fersen, verbreitete aber so viel Panik unter den Fliehenden, dass es beim Übergang noch zahlreiche weitere Opfer gab.

Das „Aufräumen“ nach der Schlacht
Der Horror des Schlachtfelds wird aus Erlebnisberichten der örtlichen bäuerlichen Bevölkerung deutlich. Einer, den man zum „Aufräumen“ zwang, berichtete, wie die Toten im Swiepwald beiseite schaffte: „Im Wald wurde gewöhnlich eine Grube nur einen ‚Stich‘ tief, 30 bis 50 cm, ausgehoben und hier wurden die Leichen eingebettet und mit der aufgeschütteten Erde etwas zugedeckt. Wo es der Boden erlaubte, zum Beispiel an breiteren Wegen im Wald oder an kahlen Stellen ohne Bestand, dann in den Feldern wurden die Gruben einen Meter oder tiefer gegraben, und es wurden stets mehrere Leichen in ein Grab gebettet, ab und zu bis 100. Die Leichen lagen überwiegend mit Mänteln bekleidet, nur die beraubten Leichen waren entkleidet. Es geschah so, dass der beim Beerdigen Wache haltende Preuße anordnete, die Leute sollten den Leichen die Mäntel ausziehen, da sie diese gut gebrauchen können.“ Ein anderer Bauer wurde mit seinen Knechten hinzugezogen, um zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere Tage vergangen und die Körper in „ziemliche Zersetzung“ geraten: „So ließ er von zu Hause ein Pferd und eine Kette holen, und als das Pferd gebracht wurde, umschlang dem toten Schützen die Kette um beide Beine und zog ihn auf diese Weise aus dem Wald in einen tiefen Graben am unteren (nördlichen) und östlichen Waldteil. In diesen mehr als 200 m langen Graben wurden [je] zwei Tote unten und einer oben gebettet.“
"Ein Ruhmesblatt der österreichischen Artillerie" - Gemälde v. 1897 im Heeresgeschichtlichen Museum, Wien)
„Die Piefkes kommen!“
Der Deutsche Krieg zog sich nach Königgrätz noch mehrere Wochen bis zum Vorfrieden von Nikolsburg am 26. Juli 1866 hin. Größere Kampfhandlungen gab es abgesehen von einigen Kleingefechten nicht mehr. Für die preußische Armee war diese Phase allerdings die verlustreichste: 4.529 Soldaten starben auf dem weiteren Vormarsch an der Cholera – mehr als durch österreichische Kugeln (insgesamt 4.070). 
Die Cholera war tödlicher - Denkmal für preußische Opfer der Krankheit in Poysdorf (NÖ).
Ein demütigender Einmarsch in der Residenzstadt Wien blieb Kaiser Franz Josef II. erspart – die Preußen hielten ihre Parade dafür am 31. Juli 1866 in Gänserndorf ab. Dabei soll der Kapellmeister Johann Gottfried Piefke mit imposantem Schnurr- und Backenbart so großen Eindruck auf die Zuschauer gemacht haben, dass diese riefen: „Die Piefkes kommen!“ Weniger amüsant war die Aufarbeitung der Verantwortung für die vollständige Niederlage. Vor allem Benedek wurde hier zum bequemen Sündenbock: Der oberste Militärjustizsenat verhängte gegen ihn und einige Offiziere eine kriegsgerichtliche Untersuchung, die jedoch auf Befehl des Kaisers eingestellt wurde. Es wurde Benedek jedoch das Versprechen abverlangt, über die Umstände der Niederlage für immer zu schweigen. Als gebrochener Mann starb er 1881 in seiner Grazer Villa.
Das "Piefke-Denkmal" erinnert seit 2009 an die Begebenheit in Gänserndorf (Quelle: Wikimedia Commons)
„Fliegendes Korps“
In vielerlei Hinsicht war der Deutsche Krieg einer der ersten modernen Konflikte: Zum ersten Mal spielten Eisenbahnen beim Truppentransport eine wesentliche Rolle. Die aufwändige logistische Planung dahinter hätte sich freilich für die preußische Seite fast ins Gegenteil verkehrt, weil die Nachschubzüge zum Teil erst eintrafen, als die Schlacht von Königgrätz schon gewonnen war. Auch ersetzte der Telegraf zum Teil die vorindustrielle Kommunikation über Meldereiter. Die Leitungen wurden aber auch bereits von Spionen zur Nachrichtengewinnung „angezapft“. Und es gab sogar Überlegungen, eine Guerilla im Rücken der preußischen Front aufzubauen. Hauptmann von Vivenot schlug Benedek vor, aus dem gesamten Forstpersonal Böhmen und Mährens ein „Fliegendes Korps“ aufzustellen. Mit Gewehren, Säbeln, Sensen und Dreschflegeln ausgestattet sollte es kleinere preußische Abteilungen aus dem Hinterhalt angreifen, Verkehrswege sabotieren und Kuriere abgefangen. Der am 22. Juli 1866 vereinbarte Waffenstillstand sollte der Umsetzung dieses Plans in die Quere kommen. 

Es bleibt beim "Gradaus"
In einem Punkt erwies man sich auch später lernresistent: Als 1914 der 1. Weltkrieg ausbrach, zeigten die österreichischen Militärs immer noch dieselbe Fixierung auf schlecht unterstützte Frontalangriffe. Wie der US-amerikanische Militärhistoriker Geoffrey Wawro in „A mad Catastrophe“ (2014) schreibt, war die österreichische Tradition des „Gradaus“ seit dem Musketenzeitalter praktisch unverändert geblieben – ungeachtet moderner Erfindungen wie Maschinengewehr und schnellfeuernder Artillerie. Das war der Hauptgrund dafür, warum man in den ersten Herbstschlachten in Galizien enorme Verluste von rund 500.000 Gefallenen, Vermissten und Gefangenen erlitt – wovon sich die Armee nie mehr erholen sollte. Letztendlich war es die Niederlage von Königgrätz, die wesentlich dazu beitrug, dass sich die europäische Geschichte so verhängnisvoll entwickelte – auch wenn dies nicht linear geschah, ist man geneigt, dem Historiker Wilhelm Schüssler zuzustimmen: Ohne Königgrätz „dürfte eine Erscheinung wie Hitler kaum zu erklären sein.“
Denkmal für die "Batterie der Toten"bei Chlum