Montag, 30. November 2015

Als der „Prinz von Marbella“ im 1. Bezirk mit Waffen dealte

Wer würde gleich hinter noblen Wiener Ringstraßen-Palais Hansen, unweit von der Börse, ein Zentrum des internationalen Waffenhandels vermuten? Genauso war es, als ab Mai 1983 in der Zelinkagasse Nr. 2 die „Alkastronic Handelsgesellschaft m.b.H“ residierte. Laut Registereintrag war der Firmenzweck: „Handel mit Waren aller Art, insbesondere mit elektronischen Bauelementen.“ Tatsächlich handelte es sich um einen Umschlagplatz für Waffen – betrieben vom damals führenden „Lord of War“, Monzer Al-Kassar. Eng mit dem Assad-Clan verbunden, war der 1945 geborene Syrer eine der schillerndsten Figuren der Waffenhändlerszene. Wegen seiner dortigen millionenteuren Villa war er auch als „Prinz von Marbella“ bekannt.

Vor 30 Jahren, am 10. Dezember 1985, läutete eine Razzia das Ende der Alkastronic ein. Die Staatspolizei fand genug Belege, dass die Firma „hauptsächlich in der Vermittlung von Waffengeschäften tätig ist“. Und diese Deals, die Al-Kassar von Wien aus einfädelte, hatten es in sich: Zu seinem Kundenkreis zählte beispielsweise die portugiesische Firma „Defex“, die zu einem Netzwerk gehörte, das auf dem Höhepunkt des ersten Golfkriegs den Iran mit Waffen belieferte. Die Machenschaften kosteten US-Präsident Ronald Reagan beinahe die zweite Amtszeit. Die illegalen Irangeschäfte hatten einerseits dazu gedient, Geiseln aus Teheran freizubekommen – andererseits wurden Gewinne daraus an die nicaraguanischen „Contras“ weitergeleitet, um so den Kommunismus in Lateinamerika zurückzudrängen. Die Wiener Alkastronic hatte ihren Teil dazu beigetragen: So waren Anfang 1985 1.024 Kisten per Luftfracht von Warschau an die Defex in Lissabon gegangen. Darin befanden sich 1.000 Panzerabwehrraketen und Munition. Ein kurz danach abgeschlossener Vertrag mit einem „Mohammed Merbati“ sah vor, 5.000 TOW-Lenkraketen zum Stückpreis von 9.000 Dollar gleich „bis iranischen Flughafen“ zu liefern. Zum Kundenkreis der Alkastronic zählten weiters die Pariser Firma „Luchaire“ sowie der britische Waffenhändler John Knight, die ebenfalls den Iran aufrüsteten. Resümee der Staatspolizei: „Ein Großteil der Lieferungen ging in den Iran, wobei dies jedoch durch ein anderes Abnehmerland verschleiert wurde. Weitere Abnehmer waren Panama, Honduras, Ägypten und Yemen.“

Aber auch der internationale Terrorismus profitierte: Zwei Rechnungen, vom 9. März und vom 3. April 1984, betrafen Geschäfte mit der Warschauer SAS Trading Company. Ohne dass es die Ermittler wussten, handelte es sich um den kommerziellen „Arm“ der Abu Nidal Organisation (ANO). Diese hatte 1981 zwei blutige Anschläge in Österreich verübt. Am 9. März 1984 wurden der SAS Company 553 Pistolen sowie eine „größere Anzahl Munition“ in Rechnung gestellt. Der Gesamtbetrag machte 228.560 Dollar aus. Eine zweite Rechnung vom 3. April 1984 lautete auf 20.000 Stück 7,65 mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur. In diesem Fall war der Gesamtbetrag 9.980 Dollar.

All diese Waffengeschäfte Al Kassars waren legal – denn die Ware war nicht physisch aus oder durch Österreich gegangen. Herkunftsland war vielmehr das kommunistische Polen. Dort hatte sich die vom militärischen Geheimdienst kontrollierte Firma MSH Czenzin nach neuen Absatzmärkten umgesehen. Ihr wichtigster privater Geschäftspartner war Al Kassar, der gleichzeitig auch als Verkaufsagent fungierte. 1983 begründete man gemeinsam die Alkastronic – das neutrale Österreich mit seinem liberalen Handelsrecht war dafür die perfekte Plattform. In Wien gehörte Al Kassar eine zweistöckige Wohnung in der Döblinger Kaasgrabenstraße. „Sein unübersehbarer Reichtum und seine oft bekundete Absicht, viel Geld in Österreich zu investieren, öffneten ihm die Herzen der Prominenz“, befand damals „profil“. Das ging so weit, dass Vizekanzler und Handelsminister Norbert Steger (FPÖ) mit Verweis auf Empfehlungsschreiben von Steyr und Hirtenberger die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft unterstützte. Daraus wurde aber nichts. „Hände weg von Al-Kassar“, warnte Innenminister Karl Blecha und begründete dies mit „gewissen Indizien“ gegen den Syrer.

Anteilseigener bei der Alkastronic waren neben Al Kassar und seinem Bruder Ghassan die polnischen Militärgeheimdienstler Henryk Majorczyk und Tadeusz Koperwas. Die Recherchen des Historikers Przemysław Gasztold-Seń vom Warschauer Institute of National Rememberance zeigen, dass diese bald dahinter kamen, dass Al Kassar auch in den Drogenhandel verstrickt war. Zumindest zahlte sich das Ganze für sie persönlich aus: Während das Monatsgehalt in Polen Anfang der 1980er Jahre 20-30 US-Dollar betrug, verdienten Majorczyk und Koperwas im selben Zeitraum 1.030 Dollar. Kein Wunder also, dass sie sich mit dem Spionieren in Österreich zurückhielten und lieber Informanten unter den Waffenhändlern rekrutierten. Beide kauften sich teure Autos und nahmen diese später nach Polen mit.

Ende 1985 wurde es für die Alkastronic eng – Al Kassar wurde bei seinen Aufenthalten in Wien auf Schritt und Tritt beschattet. Die Maßnahme war aber nicht wirklich erfolgreich, wie sich ein Zeitzeuge, der langjährige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien Schwechat, Alfred Rupf, erinnert: „Al Kassar war sich der Überwachung bewusst, dies ist so weit gegangen, dass er sich den Spaß gemacht hat und uns angerufen und seine Ankunft mitgeteilt hat, um uns seine Observierung zu erleichtern.“ Einige der zuständigen Beamten kleideten sich nach dem Vorbild des von Al Pacino verkörperten New Yorker Cops in „Serpico“ (1973). Was für Ermittlungen im Drogenmilieu passte, war nicht zwangsläufig die beste Wahl für das Beschatten eines Mannes, der in Luxushotels abstieg. Nach einem Monat Telefonüberwachung kam es am 10. Dezember 1985 schließlich zu der eingangs erwähnten Hausdurchsuchung. Der Verdacht bestand, Al Kassar und seine Geschäftspartner würden unter Deckmantel der Alkastronic einer palästinensischen Terrorgruppe „Waffen beschaffen und diese Waffengeschäfte durch Suchtgifthandel finanzieren“. Die zuständige Untersuchungsrichterin meinte jedoch im Nachhinein: „Die ganze Sache hat viel gekostet wegen der Übersetzungen. Einen Beweis für eine strafbare Handlung haben wir nicht gefunden.“ Die Alkastronic wurde trotzdem geschlossen. Konsequenzen für die Beteiligten gab es keine. Allerdings hatten die beiden Polen Probleme zurück in der Heimat. Laut den Recherchen von Gasztold-Seń wurde Majorczyk zur Last gelegt, dass er zu wenige Informationen geliefert hatte und der Geheimdienst brach seine Beziehung zu ihm ab. Koperwas wiederum wurde unter Beobachtung gestellt – wegen des Verdachts, die österreichische Seite könnte ihn als „Quelle“ rekrutiert haben. Später nahm er seine Tätigkeit für Czenzin wieder auf.

Trotz des Aus für die Alkastronic war Al-Kassar gleich wieder im Geschäft – diesmal mit der verstaatlichten Industrie. Die VOEST-Alpine war 1979 umfassend in die Waffenproduktion eingestiegen. Auf der Suche nach Absatzmärkten für das Vorzeigeprodukt, die Noricum-Haubitze (GHN-45), hatte man sich im Konfliktherd Nahost verstrickt. An Jordanien verkauften Haubitzen waren in den kriegsführenden Irak gelangt. 1984 erzwang auch der Iran, beliefert zu werden. Da diese Exporte nach geltender Rechtslage illegal waren, musste zunächst Libyen als Scheinabnehmer herhalten. Als es auch hier einen Lieferstopp gab, suchte man nach Alternativen. Und in dieser Situation wurden die Verstaatlichten-Manager bei dem ausgezeichnet vernetzten Al Kassar vorstellig, um falsche Endverbraucher-Papiere zu besorgen. „Gebeten ist untertrieben. Sie haben mich angefleht – bei Ihnen sagt man: Auf den Knien sind sie gekommen mit der Bitte, zu helfen, ihre marode Industrie wieder in Schwung zu bringen. Von Tausenden Arbeitslosen war die Rede“, erzählte Al Kassar 1990 der Illustrierten „Basta“. Gegen Bezahlung einer fünf prozentigen Provision vermittelte Al-Kassars in Warschau angesiedelte „Overseas Company“ Anfang 1986 das „Argentiniengeschäft“ über 18.000 Granaten, die in Wirklichkeit in den Iran gingen. Weitere 41,7 Millionen Schilling kassierte die Firma für ein argentinisches Endverbraucherzertifkat, das eine Kanonenlieferung an den Iran verschleierte. Und schließlich schob Al Kassar 1986/87 Czenzin als Abnehmer für 50.000 Sprenggranaten, Treibladungssätze und Treibpatronen vor.

Als der Noricum-Skandal publik wurde, blieb Al-Kassar unbehelligt. Die für ihn zuständige Einsatzgruppe für die Bekämpfung des Terrorismus (EBT) berichtete 1988: „Von Seiten des Gerichtes sind trotz ausführlicher Information keine Schritte gegen Al Kassar Monzer beabsichtigt.“ Sein Verhalten sei das eines „Ausländers im Ausland und fällt aus diesem Grund nicht unter die österr. Strafgerichtsbarkeit“. Obwohl seit Anfang 1988 ein Aufenthaltsverbot gegen ihn bestand, war der Syrer ab und zu nach Wien gekommen. Dort feierte er Feste im legendären „Club 45“ von Udo Proksch, den er als „lustigen Kautz“ schätzte. In dessen Schlepptau schaffte es Al-Kassar sogar an das Spitalsbett von Außenminister Leopold Gratz. Zu holen war in Österreich freilich nichts mehr. Al-Kassar musste sich anderweitig umsehen. Anfang der 1990er Jahren schmuggelte er trotz UN-Embargo Waffen in die Bürgerkriegsstaaten am Balkan. Danach wurde es längere Zeit still um ihn. Doch 2007 ging Al-Kassar in eine gut vorbereitete Falle: Jene kolumbianischen Guerilleros, denen er in Madrid Boden-Luft-Raketen und Granatwerfer verkaufen wollte, stellten sich als verdeckte US-Fahnder heraus. Ein New Yorker Gericht verurteilte ihn anschließend zu 30 Jahren Haft. Die so erfolgreiche „Operation Legacy“ war ein Warnsignal an all die Waffenhändler vom Schlag Al-Kassars: Ihr seid nicht länger unantastbar!

Hinweis: Eine gekürzte Version ist am 29. November 2015 in "Die Presse" erschienen

Montag, 23. November 2015

Terror bekämpft man, „indem man seine Ursachen beseitigt“: Bruno Kreiskys präventive Antiterror-Politik

Nach den Anschlägen von Paris im November 2015 wurde dem Terrorismus von neuem der Krieg erklärt – obgleich sich der 2001 proklamierte US-amerikanische „Global War on Terror“ in einer Sackgasse verfahren hat. Umso wichtiger erscheint daher die Diskussion alternativer Strategien – ein bemerkenswertes Beispiel stellt die präventive Antiterrorpolitik von Bruno Kreisky (österreichischer Bundeskanzler 1970-1983) dar, wenn gleich sich diese nur beschränkt auf die aktuelle Situation umlegen lässt. Auf den Punkt gebracht, ging es Kreisky darum, Terror zu bekämpfen, indem man der Gewalt die politischen und sozialen Wurzeln entzieht.

Das Übel an der „Wurzel“ packen
Kreisky hat Terrorismus stets in Hinblick auf diese Ursachen analysiert. Er folgte einer wertfreien Definition durch den kenianischen Autor Ali Mazrui (1933-2014) aus dem Jahr 1985, wonach Terrorismus eine Form der Kriegsführung sei, die entweder durch Individuen oder durch Regierende ausgeübt wird, um politische Ziele zu erreichen. Kreisky hielt diese Definition für richtig – Terrorismus diene dem Ziel „sich Gehör zu verschaffen, wenn man anderswo ungehört bleibt; er leistet einen gewissen Beitrag dazu, eine Sache zu fördern. Die unmittelbare Absicht des Terrors ist es, in Verbindung mit der Öffentlichkeit, Angst zu verbreiten.“

Für Kreisky gab es zwei Arten solcher Gewalt: Den „Terrorismus um seiner selbst willen“ –
bezogen beispielsweise auf den westdeutschen oder italienischen Linksextremismus – lehnte er ab: „Mit dem Terror provoziert man in der Demokratie nur den Terror von der anderen Seite. Wenn man das will, dann muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dass man die Demokratie beseitigen und eine Diktatur haben will.“ Auf der anderen Seite gab es für Kreisky eine Form von Terrorismus, die er zwar auch nicht billigte, aber mit einem gewissen Maß an Verständnis begegnete. „Terror ist eine der politischen Waffen des Untergrunds, der Illegalität. Sie sind grausam, ich lehne sie ohne Einschränkungen ab. […] Es gibt aber Diktaturen, in denen Untergrundbewegungen um die Freiheit und die Demokratie kämpfen, und das auch gelegentlich mit dem Mittel des Terrorismus.“ Diese Gewalt, so Kreisky, stehe oft „am Anfang“ einer späteren politischen Bewegung oder einer danach respektablen staatsmännischen Karriere. An dieser Stelle erinnerte Kreisky immer wieder gerne an den Friedennobelpreisträger Menachem Begin und dessen Zeit als jüdischer Untergrundkämpfer.

Vergeltungsstrategie hat Eskalation gebracht
In der Frage, wie man der terroristischen Bedrohung am effektivsten begegnen solle, vertrat Kreisky konsequent den Standpunkt, dass man diese eben präventiv an der „Wurzel“ anpacken müsse. Dies hätte sich vor allem in Bezug auf den nationalistisch-separatistisch Terrorismus gezeigt. Eine rein auf polizeiliche/militärische Gegengewalt hin ausgerichtete Antiterrorstrategie lehnte er dagegen ab. Die Rettung von Menschenleben bei Geiselnahmen hatte für Kreisky absoluten Vorrang - auch gerade nach der Erfahrung jenes Blutbads, das die Befreiungsaktion für die israelischen Sportler bei der Olympiade in München 1972 gefordert hatte. Ein Jahr später, als Österreich zum ersten Mal direkt mit dem Nahostterrorismus konfrontiert wurde, erlaubte Kreisky den Abflug von zwei palästinensischen Attentätern, um das Leben von drei russischen Juden zu retten. Auch 1975 stellte Kreisky dem Terrorkommando von Carlos Ramirez Sanchez, genannt „der Schakal“, eine AUA-Maschine zur Verfügung, um die Sicherheit der der als Geiseln genommenen Erdölminister und OPEC-Angestellten nicht zu gefährden. Vor dem Nationalrat hielt Kreisky danach fest: „Die Bekämpfung des Terrors durch absolute Verweigerung der Forderungen der Terroristen hat in den seltensten Fällen zur Kapitulation der Terroristen geführt, vielmehr oft zu schweren und furchtbaren zusätzlichen Opfern. Im Übrigen hat die Vergeltungsstrategie gegen den Terrorismus sogar seine Eskalation gebracht.“

Konträr zu Kreisky steht beispielsweise das Handeln von Helmut Schmidt im Falle der Konfrontation mit der RAF. 1977 blieb Schmidt hart, als die Gruppe den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführte. Und er ließ eine entführte Lufthansa-Boeing im somalischen Mogadischu gewaltsam befreien. Kreisky billigte letzteres Vorgehen nicht – wegen des Risikos für die Geiseln. Überhaupt stellte er zur Diskussion, ob eine Regierung das Recht habe, „das Leben von Geiseln zu gefährden, indem sie gegenüber Forderungen von Terroristen hart bleibt beziehungsweise gegen die Terroristen mit Gewalt vorgeht“. Kreisky hielt in diesem Zusammenhang fest: „Meiner Überzeugung nach hat keine Regierung dieses Recht.“

Gibt es Grundursachen für Terrorismus oder nicht?
Mit seiner Ablehnung von Gegengewalt/Kompromisslosigkeit zugunsten von Prävention hat Kreisky in einem „verminten“ Diskurs Stellung bezogen. Im Wesentlichen prallen hier, damals wie heute, zwei Schulen aufeinander: Auf der einen Seite jene, die wie Kreisky ökonomische, politische und soziale Grundursachen für Terrorismus betonen – und auf der anderen Seite jene Debattenteilnehmer, für die Terror quasi losgelöst von objektiven Ursachen existiert und die sich primär mit der Bekämpfung des Phänomens beschäftigen. Letztere Schule hat in den vergangenen drei Jahrzehnten stetig an Überhand gewonnen.

Im Widerspruch dazu sucht eine zweite Denkrichtung die Debatte über das Verhältnis von Grundursachen und Terrorismus. Die britische Forscherin Louise Richardson etwa betonte 2007: „Die häufigsten Erklärungen für Terrorismus lauten, er sei entweder das Werk von verrückten Einzelgängern oder von kriegslüsternen Staaten, aber die besten Erklärungen liegen nicht auf diesen Ebenen, sondern auf der der Gesellschaften, die Terrorismus hervorbringen.“ Terroristische Handlungen können demnach am Besten in ihrem spezifischen Kontext erklärt werden - jenen politischen, sozialen und ökonomischen Umständen, die als „Nährboden“ die Anwendung von Gewalt im Namen von Nationalismus, Revolution oder Religion legitimieren bzw. ein radikalisierendes Gesamt-Klima schaffen.

Kreiskys Herangehensweise ist in diesem Zusammenhang ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, Terrorismus primär als Ausdruck politischer und sozialer Missstände aufzufassen. Anstatt jede Wechselbeziehung von vornherein in Abrede zu stellen, begriff Kreisky terroristische Gewalt und Politik als voneinander abhängig. Für ihn waren die Vertreibung der Palästinenser, die Zustände in den Flüchtlingslagern, die militärischen Vorstöße Israels in das Nachbarland Libanon und das Fehlen einer international anerkannten Vertretung der Palästinenser verantwortlich für die Entstehung, Eskalation und Fortdauer des Nahostterrorismus. Als der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi 1982 Österreich als erstes westliches Land besuchte, hielt Kreisky beim Empfang im Bundeskanzleramt am 11. März 1982 eine Tischrede: „Es ist ohne Zweifel richtig, dass wir in einer Zeit leben, in der politisch motivierte Terroraktionen immer wieder stattfinden. Wir verabscheuen diese Aktionen zutiefst und bekämpfen sie mit allen Mitteln. Ein Mittel, sie zu verhindern, besteht darin, dass man die Ursachen, die zum Terror führen, beseitigt. Man bekämpft also das Phänomen des Terrors am wirksamsten mit politischen Mitteln, indem man seine Ursachen beseitigt. Wir verstehen darunter, dass die legitimen Rechte von Völkern und Minderheiten, so auch die der Palästinenser, Anerkennung finden müssen.“

Legitime Sicherheitsinteressen Israels mag Kreisky vergleichsweise vernachlässigt haben. Auch konnte er mit seiner Initiative keine De-Radikalisierung erreichen, da beim Nahostterrorismus weitere Faktoren ins Spiel kamen, die er nicht in der Hand hatte: Die Machtinteressen lokaler Akteure wie Irak, Libyen und Syrien sowie der übergeordnete Konflikt zwischen West und Ost im Kalten Krieg. An diesem Punkt zeigt sich, wie schwierig ein solches Eingehen auf Grundursachen tatsächlich ist – weil dadurch immer auch größere Machtzusammenhänge und Interessen berührt werden, die jeder Veränderung des Status Quo feindlich gegenüberstehen. Dies mag auch der Hauptgrund sein, warum eine solche Vorgangsweise kaum gewählt, sondern Terrorismus mit dem traditionellen Arsenal der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beantwortet wird.

Kreisky, Arafat und die PLO
Kreiskys präventives Vorgehen war keineswegs erfolglos: Als Leiter der Fact Finding Mission der Sozialistischen Internationale hatte Kreisky als erster westlicher Staatsmann festgehalten, dass eine Friedenlösung im Nahen Osten ohne Einbeziehung der Palästinensischen Befreiungsorganisation unmöglich sei. Er erkannte der PLO eine politische Dimension zu und öffnete wichtigen Raum und Möglichkeiten zur Entfaltung der moderaten Kräfte innerhalb der Organisation. Auf lange Sicht gesehen, schwächte das den Einfluss der Radikalen und trug wesentlich dazu bei, dass Jassir Arafat nach seinem Auftritt vor der UNO 1974 weiter politisch anerkannt wurde. Kreisky ging noch einen Schritt weiter: 1979 sollte Österreich als erster Staat die PLO diplomatisch legitimierten. Im selben Jahr empfing Kreisky Arafat in Wien und es kam zum legendären gemeinsamen Treffen mit Willy Brandt.

Der überwiegende Teil von Kreiskys Vermittlungsbemühungen spielte sich diskret hinter den Kulissen ab. So fungierte der Bundeskanzler ab 1976 als Schirmherr von zunächst geheimen Gesprächen zwischen israelischen Friedensaktivisten und dem PLO-Sondergesandten Issam Sartawi. Im Jahr darauf war Kreisky Gastgeber für ein Geheimtreffen: Sartawi und der berüchtigte „rote Prinz“, Ali Hassan Salameh, diskutierten mit einem westdeutschen Behördenvertreter u. a. eine mögliche palästinensische Hilfeleistung bei der Fahnung nach RAF-Mitgliedern, die sich in den Nahen Osten zurückgezogen hatten. Im Mai 1979 gelang es Kreisky weiters, einen geheimen Kanal zwischen der PLO und der amerikanischen Regierung herzustellen, indem er Sartawi mit dem US-Botschafter in Österreich, Milton A. Wolf, zusammenbrachte. Ein weiteres Zeichen setzte Kreisky, indem Österreich als erster westlicher Staat die PLO 1980 offiziell anerkannte.

Kreisky ließ auch keine Gelegenheit aus, vor allem Arafat vor den negativen Auswirkungen des Terrorismus zu warnen: Die Gewalt würde den Palästinenser die mühsam aufgebaute Sympathie rauben. So ermahnte Kreisky den PLO-Führer 1979: „Ich finde diesen plötzlichen Anstieg in palästinensischer Terroraktivität äußerst schädlich für die palästinensische Sache. Es macht es schwieriger für mich, den Kreis der palästinensischen Unterstützer zu erweitern und meine vorangegangenen Anstrengungen schon jetzt zunichte.“ Das Vertrauensverhältnis zu Arafat wurde immer wieder auch schweren Belastungsproben unterzogen: 1981 flog ein illegaler Waffenschmuggel der PLO auf. Zwei Jahre später wurde Issam Sartawi von der gegnerischen Abu Nidal-Gruppe ermordet – was nach Kreiskys Empfinden nur möglich war, weil Arafat seine schützende Hand zurückgezogen hatte.

International hatte Kreiskys Nahostpolitik Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre einen schweren Stand. Im Kontext des Kalten Krieg sperrten sich etwa die USA gegen Verhandlungen, selbst innerhalb der Sozialistischen Internationale war die Unterstützung bestenfalls verhalten. Allerdings gelang es, die Europäische Gemeinschaft mit der Erklärung von Venedig (1980) als Akteur im Nahostkonflikt einzubringen. Der israelische Präsident Shimon Peres, der Kreisky zeitlebens hart kritisierte, lobte diesen rückblickend im Jahr 2010: Der Bundeskanzler habe dazu beigetragen, dass sich Arafat konzilianter verhalten habe.

Sicherheit für Österreich
Das wichtigste Motiv der präventiven Anti-Terrorpolitik war jedoch, Sicherheit für Österreich zu schaffen. 1981 argumentierte Kreisky, dass das Land eben wegen der guten Kontakte zur PLO lange vom Terror verschont geblieben sei – obwohl Österreich wegen seiner Transitfunktion für die jüdische Emigration aus Osteuropa immer besonders gefährdet war. Über Österreich emigrierte mehr als eine Viertelmillion sowjetischer Juden und der Großteil begab sich nach Israel, was wiederum in der arabischen Welt als demographische Stärkung der israelischen Position angesehen wurde - und extremistischen Gruppen ein Motiv lieferte, Anschläge in Österreich zu begehen (so etwa im Falle der Geiselnahme von Marchegg/Schönau 1973). Kreisky ließ damals zwar das Transitlager Schönau schließen, aber die Emigration ging weiter.

Österreich sollte vom Nahostterrorismus nicht verschont bleiben, wenn gleich die Intensität im Vergleich zu anderen Ländern niedriger blieb. Der Mord an Stadtrat Heinz Nittel und die Anschläge gegen die Wiener Synagoge im Jahr 1981 sowie gegen El-Al-Passagiere auf dem Flughafen Schwechat im Jahr 1985 zielten nicht mehr direkt gegen die Emigration. Vielmehr handelte es sich um einen innerpalästinensischen Konflikt, der auch auf österreichischem Boden ausgetragen wurde. Die für die Terrorakte verantwortliche Gruppe Al Assifa („Der Sturm“) unter Führung von Sabri al-Bana, genannt „Abu Nidal“ („Vater des Kampfes“), bekämpfte nämlich die aus ihrer Sicht zu kompromissbereite Führung der PLO. Eben weil Österreich Arafats Linie unterstützte, wurde es wie andere PLO-freundliche Länder vom Terror der Al Assifa heimgesucht. Letztere bediente damit auch die Interessen ihrer staatlichen Sponsoren – Irak, Syrien und Libyen – die die westliche „Einmischung“ in den Nahostkonflikt aus den unterschiedlichsten Motiven zurückdrängen wollten.

Es ist nicht so, dass Kreisky mit seiner Nahostpolitik Österreich eine Welle von Attentaten bescherte, wie etwa die ÖVP damals behauptete – stattdessen trifft es zu, von einem Fall von „Blowback“ zu sprechen. Dieser Terminus, aus der Fachsprache von Geheimdiensten, bezeichnet negative, unbeabsichtigte und unvorhergesehene Konsequenzen, die sich aus einer bestimmten politischen Vorgangsweise ergeben können. Im österreichischen Fall bestand der Blowback darin, dass das Land von einer Terrorkampagne der extremistischen Hardliner getroffen wurde – denen zudem die enge Sicherheits-Kooperation zwischen der PLO und den österreichischen Behörden ein Dorn im Auge war. Darüber hinaus mag Kreiskys jüdische Identität und die Tatsache, dass er für das Existenzrecht Israels eintrat, die vehemente Gegnerschaft Abu Nidals hervorgerufen haben.

„Der Terror denkt nicht so wie in den Wirtshäusern“
Als der „Kurier“ einige Wochen nach dem Schwechater Anschlag etwas provokant fragte, ob seine „Befassung mit dem Nahost-Problem“ erst die „Flügelkämpfer der Palästinenser“ nach Österreich „gezogen“ habe, antwortete dieser: „Unsinn. Der Terror kennt andere Gesetze, der denkt nicht so wie in den Wirtshäusern.“ Der Beweis für die Richtigkeit seiner Politik sei, dass 15 Jahre lang 300.000 russische Juden über Österreich nach Israel ausgewandert seien – „ohne, dass jeden Monat in Schwechat eine Bombe explodiert ist“. Überhaupt helfe Gewalt gegen diese Gruppe nichts, „man muss eine Gesprächssituation herbeiführen“. Auf den ungläubigen Einwand des Journalisten, dass mit „manchen Leuten“ offenbar nicht vernünftig geredet werden könne, entgegnete Kreisky: „Ich rede mit dem Teufel, wenn ich dadurch etwas Positives erreiche."

Auch wenn die Bilanz letztlich gemischt bleibt, so verdient die präventive Ausrichtung der österreichischen Antiterrorpolitik Beachtung: Bruno Kreisky hat das Eingehen auf die politischen und sozialen Ursachen von terroristischer Gewalt betont und ist dieser Devise mit seiner Nahostpolitik gefolgt. Eine Rückbesinnung auf diese Form der Terrorbekämpfung – nämlich der Gewalt den Nährboden und damit auch die Legitimation zu entziehen – ist angesichts der Krise militärisch dominierter Antiterrorpolitik aktueller denn je. Konkret wäre es in Europa notwendig, nicht nur bloße Symptombekämpfung vorzunehmen, sondern Maßnahmen für mehr Chancengleichheit und für bessere Bildung marginalisierter Bevölkerungsgruppen zu setzen. Genauso geht es um mehr Fokus auf verdeckte Ermittlungen, Infiltration, Aussteiger-Programme und Deradikalisierung statt auf Massenüberwachung und Militarisierung der öffentlichen Sicherheit.

Mittwoch, 11. November 2015

Die „Netze“ des Dr. Höttl

Vor dem Hintergrund des spannungsgeladenen frühen Kalten Krieges hatten sowohl die westlichen Alliierten, und hier vor allem die USA, als auch österreichische Entscheidungsträger Maßnahmen gegen eine befürchtete Invasion des Warschauer Paktes bzw. gegen einen kommunistischen Putsch ergriffen. Ein Kernelement dieser Strategien war die Aufstellung und Ausstattung von geheimen Widerstandnetzen für den Ernstfall. Ab 1946/47 begonnen die US-Nachrichtendienste dafür osteuropäische Kollaborateure bzw. Veteranen der NS-Geheimdienste und der Waffen SS wegen deren ausgewiesenem Antikommunismus anzuwerben. Einer der bekanntesten Fälle in Österreich war Wilhelm Höttl (1915-1999), ehemals SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im Ausland-Sicherheitsdienst (SD).

Nach Kriegsende 1945 machte Höttl eine erstaunliche zweite Karriere als Autor, Schulgründer und, wegen seines Spezialwissens über Ungarn und den Balkanraum, als Spion verschiedener Geheimdienste. Deswegen entließ die US-Armee Höttl im Dezember 1947 und verweigerte seine Auslieferung an eines der österreichischen Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen. Schon 1948/49 führte Höttl im Auftrag des US-Militärgeheimdienstes Counterintelligence Corps (CIC) ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Er installierte für das CIC Field Office Gmunden Anfang Juli 1948 zwei Agenten-Netzwerke. Unter dem Codenamen „Montgomery“ sollten in Ungarn Informationen beschafft werden – betreffend militärische und kommunistische Aktivitäten sowie wirtschaftlich-industrielle Entwicklungen. Verantwortlicher Operationschef war der ehemalige SS-Hauptsturmführer Karoly Ney. Noch 1944 hatte der Budapester Anwalt Jagd auf „Juden, Defätisten und Saboteure“ gemacht. Zwei Jahre später verurteilte ihn ein US-Tribunal zum Tode – während drei Mitangeklagte gehenkt wurden, begnadigte man Ney rasch. Rund um Ney bildeten mehrere Dutzend Agenten, vor allem ungarische Kriegsveteranen und Emigranten, die Antibolschewistische Magyarische Hauptkampflinie (AMA).

Guerillatraining im Toten Gebirge
Ihr Hauptquartier hatte die Truppe in einem Gebäude des CIC in Lambach, 25 km von Gmunden entfernt. Ausbildungsmaßnahmen wurden rund um eine Hütte des Alpenvereins bei Grünau durchgeführt. Die abgelegene Gegend im Toten Gebirge eignete sich für das Training im Partisanenkampf. Um die Aktivitäten zu finanzieren, stellte der CIC monatlich 60.000 Schilling bereit. Als „Pressechef“ und Leiter der „aktiven Erkundung bei der „AMA“ fungierte Höttls enger Vertrauter Erich Kernmayer – dieser hatte die Aufgabe, sobald die gelieferten Informationen aufzubereiten. Für diese Aufgabe empfahl Kernmayer seine Vergangenheit: „Bis 1934 war Kernmayr glühender Kommunist, von da an begeisterter Anhänger Hitlers“, heißt es in seiner staatspolizeilichen Akte. Das illegale NSDAP-Mitglied stieg nach dem Anschluss 1938 zum Gaupresseamtsleiter in Wien auf und diente danach in der Waffen SS-Division „Das Reich“.


Almhütte im Toten Gebirge, die für Ausbildungszwecke genutzt wurde (Standbild aus ORF-Inlandsreport "Easeful", 1991)

"Anitbolschewistische Nachrichtenorganisation"
Parallel zu „Montgomery“ lief noch ein zweites Unternehmen: „Mount Vernon“. Ziel war hier, eine „österreichische Nachrichtenorganisation“ aufzubauen, „die im Ernstfall als antibolschewistische Untergrundbewegung funktionieren soll.“ Vor allem aber ging es um Informationsbeschaffung – so war als Mission definiert: “Penetration of the Central KPOe Comitee, the KPOe itself, the Cominform and all other Communist organizations, espionage of all Soviet activities to include industrial, scientific and military information.” Die anfänglichen Kosten betrugen 25.000 Schilling im Jahr (es sollten schließlich mehr als 30.000 Schilling sein). Die Leitung lag bei Karl Kowarik, der 1934 Führer der gesamten Hitlerjugend Österreichs gewesen war. 1939 der SS beigetreten, wurde Kowarik Stadtrat in Wien und Mitglied des Deutschen Reichstag. Nun in US-Diensten richtete er sein Hauptquartier in der Villa Bauer in Orth bei Gmunden ein. Das CIC stellte für seine Truppe, „vorwiegend Leute aus der früheren Hitler-Jugend“, „reichlich“ Finanzmittel zur Verfügung: „Die Organisation ist zugleich Untergrund-Kader für den Kriegsfall und Nachrichtennetz.“ Kowarik reiste auch nach Bayern, um eine Funk- und Sabotageausbildung zu organisieren. Was die nachrichtendienstliche Ebene betraf, so befanden sich unter den acht „Quellen“ von „Mount Vernon“ zwei frühere SS-Geheimdienstoffiziere und ein SS-Untersturmführer. Um seine Berichte per Bahn durch die sowjetische Zone zu schleusen, versteckte eine der „Quellen“ diese kurzerhand im Wassertank der Herrentoilette. 

Österreichische Staatspolizei - "ausgesprochene Nepochanten"
1996 erinnerte sich Höttl im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" an die Anbahnung des Unternehmens: „Da ist ein Herr Ringer von CIC Salzburg gekommen. Ich weiß natürlich nicht, ob das sein richtiger Name war. Der hat mich gebeten, meine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen und aktiv mitzuarbeiten. Er hat mich angewiesen, mit dem CIC Gmunden Kontakt aufzunehmen. Das habe ich dann auch getan, und habe dann von Gmunden aus ein regelrechtes Nachrichtennetz aufgezogen. Dort habe ich Mitstreiter gefunden. Dort sind aber nicht nur ehemalige Nazis, sondern auch Neonazis, wie man sie heute nennt, aufgeschienen. Erich Kernmayr, der unter dem Pseudonym Kern als Schriftsteller bekannt geworden ist und in der heute sogenannten rechtsradikalen Szene in Deutschland aktiv wurde, als Chefredakteur der Deutschen Wochenzeitung und bei der Nationalzeitung, die jetzt ja auch noch existieren und von Dr. Frey geführt werden.“ Die österreichische Staatspolizei war über die Vorgänge im Bild, konnte aber nichts machen: "Diese Kriminalbeamten, die da von der Staatspolizei da eingesetzt worden sind, waren Nieten, ausgesprochene Nepochanten. Was aber entscheidend war: Wenn sie einen Vorstoß unternommen haben und Kontakt aufnehmen wollten, haben ihnen Amerikaner auf den Schädel geklopft. Wir waren tabu für österreichische Behörden. Die haben nichts machen können."

Aus der Zeitung abgeschrieben
Die Geheimdienstaktivitäten in Ungarn wurden von Kernmayer übernommen, dem man auch Kowarik unterstellte. Der neue Chef arbeitete daran, die bisherige Erkundungstätigkeit von „Mount Vernon“, die sich auf militärische Belange und KPÖ-Aktionen beschränkt hatte, „auf die gesamte Innenpolitik und auf die Wirtschaft auszudehnen“. Kernmayer hatte weitfliegende Pläne: Ihm schwebte die Einrichtung einer „amerikanischen antikommunistischen Propagandastelle“ in Österreich vor, die vor allem „Zersetzungspropaganda“ unter den Kommunisten und unter den russischen Truppen betreiben sollte. Eine eigene Agentur sollte zu diesem Zweck „Material gegen den Bolschewismus“ zuliefern. Doch habe er seinen Vorschlag „nicht durchbringen“ können. Bald kam es zu internen Spannungen und das CIC war mit der Qualität der Informationen unzufrieden. „Mount Vernon“ habe Kennzeichen-Beobachtungen aus der sowjetischen Zone übermittelt, die sich immer als falsch herausgestellt hätten. Über Monate seien keine Information übermittelt worden, die sich nicht als unrichtig, als Gerücht oder als aus Zeitungen abgeschrieben erwiesen. Dementsprechend wurden Höttls Netzwerke am 1. September 1949 aufgelöst. Beim CIC war es zu einer „allgemeinen Neuorientierung“ gekommen. Neun Beamte, die mit Höttl eng zusammengearbeitet hatten, wurden abgelöst. Höttl soll von den „neuen Männern“ des CIC-Linz „nicht einmal empfangen“ worden sein.

Höttl: "Extremely dangerous"
CIC-Operationschef in Salzburg, Major James Milano, meldete, warum man „Mount Vernon“ und „Montgomery“ fallen gelassen hatte: Höttl sei ein „exzellenter“ Nachrichtendienstler, aber auch „extrem gefährlich“ („extremely dangerous“). Einer Verurteilung als Kriegsverbrecher sei Höttl nur deshalb entkommen, weil er sich im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als Zeuge für die Anklage zur Verfügung stellte. Entgegen anderslautender Warnungen hatte er dann die Spionagearbeit mit der lokalen Politik vermischt und die eigentliche Aufgabe vernachlässigt. Und zwar förderten Höttl, Kernmayer und Kowarik nach Kräften die Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU), der Vorgängerorganisation der heutigen FPÖ. Die an das CIC gelieferten Berichte seien dagegen „extrem schlecht“ („extremely poor“) und die monatliche Kosten von 2.600 Dollar nicht wert gewesen. In einem persönlichen Schreiben versicherte Höttl Milano, dass sich seine Einstellung zur USA trotz der Abfuhr nicht geändert habe und er die Anstrengungen zur Mobilisierung gegen den „bolschewistischen Weltfeind“ („Bolshevist world-enemy“) fortsetze. Doch die erst kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründete CIA, die ab 1949 die Arbeit des CIC übernahm, wusste mit Höttl nichts mehr anzufangen. 

Spion im "kanari-gelben Ledermantel"
Laut John Richardson wurde dieser 1953 bewusst „verbrannt“, indem man Medien Informationen zuspielte. So wurde Höttl in einem wenig schmeichlerischen Artikel des „Spiegel“ vom 22. April 1953 als einer der „raffiniertesten Nachrichten-Händler in Europa“ enthüllt: „Es gibt zur Zeit in Europa kaum eine geheime Nachrichten-Organisation, zu der dieser Mann nicht auf geraden oder ungeraden Wegen Kontakte hätte und von der er direkt oder indirekt nicht auch Tantiemen in verschiedener Höhe bezöge.“ In diesem Bericht wird auch auf die Rolle von Höttls Geheimstrukturen eingegangen: „Aufgabe dieser Gruppe: im Falle von Feindseligkeiten zwischen den Russen und Amerikanern die im Alpen-Massiv stationierten US-Truppen nachrichtendienstlich abzuschirmen, vor kommunistischen Sabotage-Akten zu schützen und selbst mit Sabotage-Aktionen beim Gegner aktiv zu werden. Und schon vor dem Tage X: nachrichtendienstliche Erkundung der kommunistischen Bewegung in Österreich. Mehrere tausend Dollar monatlich erhielt Höttl für diese Tätigkeit vom US-Geheimdienst in Salzburg. Aus einem ranken SS-Musterjüngling wurde dabei eine Figur im kanari-gelben Ledermantel und mit Palmen-Krawatte um den Hals.“ Nach dieser Veröffentlichung war es mit Höttls Agentenkarriere endgültig vorbei - er gründete ein Privatgymnasium in Bad Aussee, erhielt 1995 das Goldene Ehrenkreuz des Landes Steiermark und verstarb 1999. 

Weitere Infos: „Strukturen für den geheimen Krieg: Die CIA-Waffenlager, die Netzwerke des Dr. Höttl und das „Sonderprojekt““, erschienen in: Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert, Wien 2015.