Freitag, 28. März 2014

„Man jagt sie und man nascht“ – Terrorsöldner in Tirol

Neue Dokumente geben Einblick in eine vergessene Episode des Südtirolkonflikts: Vor 50 Jahren sollten französische Ex-Terroristen die „Bumser“ ausbilden. Ihr Einsatz endete fast im Desaster.

Die Initialen OAS stehen bis heute für blutigen Terror: Anfang der 1960er Jahre hinterließ die „geheime Armeeorganisation“ in Algerien eine Blutspur, um die Unabhängigkeit von Frankreich zu verhindern. Ihre Mitglieder – abtrünnige Fallschirmjäger, Fremdenlegionäre und Rechtsextremisten – versuchten 1962 sogar mehrmals Präsident Charles de Gaulle zu ermorden. All die Gewalt nützte nichts. Die OAS wurde in den Untergrund gedrängt und lieferte später Fredrick Forsyth den Stoff für seinen Bestseller „Der Schakal“ (1971).

Praktisch vergessen ist dagegen, dass die OAS ihre Fühler auch nach Österreich ausgestreckt hatte. Hier gab es in unmittelbarer Nähe einen Konfliktherd, der Söldnernaturen ein neues Betätigungsfeld versprach: Der Kampf des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) für Autonomie von Italien. 1964 kamen zwei OAS-Männer nach Tirol, um die Gruppe rund um den „Schützenmajor“ Georg Klotz für den Guerillakrieg auszubilden. Einer der beiden, Claude Blaine, der sich im Koreakrieg den Beinamen „Scarface“ verdiente, ging später in einem Enthüllungsbrief mit den Südtirolaktivisten hart ins Gericht. Das Unternehmen sei wegen totaler Desorganisation von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

50 Jahre später ermöglichen bislang geheime Dossiers der Staatspolizei einen frischen Blick auf diese bizarre Episode des Südtirolkonflikts. Eingefädelt hatte die Kooperation mit den OAS-Terroristen ausgerechnet ein Spitzel der italienischen Geheimpolizei, der sich im Umfeld von Klotz eingenistet hatte: Gerhard N. Dieser gehörte zur rechten „Legion Europa“ des Journalisten Fred Borth, der ebenfalls für die Italiener tätig war. Offenbar wollte man den BAS und Klotz bewusst schaden, indem man sie mit der berüchtigten OAS in Zusammenhang brachte.

Über einen Mittelsmann hatte N. mit in der BRD lebenden OAS-Veteranen Kontakt aufgenommen. Für „freie Kost und Station“, zwei Packungen Zigaretten täglich und 1.500 DM pro Monat ließen sich „Scarface“ Blaine und sein Kamerad Francois Hamon anwerben. N. machte ihnen etwas vor: Mehrere Schützenkompanien würden bestens ausgerüstet und bewaffnet auf ihren Einsatz warten. Dabei war Klotz Truppe in einem armseligen Zustand und nicht mehr als ein versprengtes Häuflein. Aber der Spitzel täuschte nicht nur die beiden Söldner, sondern log auch seine Kameraden an: Einem erzählte er, „etwa 1.000“ bewaffnete OAS-Männer befänden sich auf dem Weg nach Tirol.

Die beiden Fremden, die dann tatsächlich Anfang März 1964 bei Klotz in Absam bei Innsbruck auftauchten, fielen dem Bergbauern Karl Oberleitner sofort verdächtig auf. Noch 2008 erinnerte er sich: „Die haben ausgeschaut wie von der SS. Das waren Landsknechte, die hätten auch einen um Geld umgebracht.“ Es war ja auch kein Pfadfindertrip, auf den sich die beiden „Experten“ in Sachen Guerillakrieg und Terrorismus gemacht hatten. Man habe sie für einen Mordanschlag auf einen italienischen Polizisten in Bozen und für Banküberfälle einsetzen wollen, um die leere Kriegskasse aufzufüllen, so Blaine in seinem Brief. Beide Aufträge lehnten sie ab –„wir sind keine gedungenen Mörder!“.

Aus den neuen Dokumenten im Wiener Staatsarchiv geht hervor, dass einer der beiden OAS-Männer zwischen 16. und 21. März 1964 über die Grenze nach Südtirol schlüpfte. Dort kundschaftete er Ziele aus und fotografierte diese mit einer geliehenen Leica. Neuhuber gab später zu Protokoll: „Francois machte meines Wissens insgesamt 72 Aufnahmen und zwar von Kasernen in Meran, von den Feldstellungen in Saltaus und der Kaserne dort selbst. Auch fotografierte er in St. Martin das neuangelegte Feldlager und sonstige militärische Anlagen und Ämter.“ An Operationen selbst sollten Blaine und Hamon nicht teilnehmen, aber anhand der Fotos Angriffs- und Rückzugspläne vorbereiten. Daraus wurde aber nichts, weil die Bilder unscharf waren. So nutzte das Duo die Zeit in den Tiroler Bergen lieber für Wintersport und Training auf der Schießbahn, um in Form zu bleiben. Abends machten sie Gasthäuser rund um Innsbruck unsicher, wie Blaine notierte: „Man wunderte sich nicht, hier Franzosen in guter Laune zu sehen. Die Mädchen sind hübsch, nicht sehr spröde und genau richtig, um mit ihnen die Zeit totzuschlagen. Man macht es hier wie auf der ganzen Welt. Man jagt sie und man nascht.“

Nach drei Wochen des Nichtstuns kam es zu Spannungen: Neuhuber hatte die Franzosen auf eigene Faust rekrutiert, während Klotz angeblich „gar nichts“ davon wusste. Als es dann zu Geldforderungen an den klammen „Major“ kam, konnte dieser nur 600 Schilling auf den Tisch legen – mit dem Nachsatz, dass sei alles, was er besitze. Laut einem Zeugen waren die Franzosen darüber „äußerst unzufrieden“ und erklärten, „wenn ihr uns schon holt, um als Instruktoren für Partisanenkämpfer zu fungieren, dann müsst ihr auch für die nötigen Mittel sorgen“. Klotz hatte damals beim „Österreichischen Creditinstitut“ in Innsbruck unter der Bezeichnung Tiroler Schützenhilfe ein Konto eröffnet und Geldspenden entgegengenommen. Wie aus einem Bericht hervorgeht, wurde eine Überweisung über 10.000 Schilling von Fritz Molden getätigt. Der erst kürzlich verstorbene Verleger mit besten Verbindungen in höchste Regierungskreise hatte den BAS seit den Anfangsjahren unterstützt und gehörte bis 1960 dem politischen Komitee der Organisation an.

Die vorhandenen Mittel reichten jedenfalls bei weitem nicht aus, um das Guerillatheater weiter zu finanzieren. Damit nicht genug, brachen die Franzosen in schallendes Gelächter aus, als man ihnen das Waffenarsenal vorgeführte: Zwei leichte Maschinengewehre aus Wehrmachtsbeständen, ein K.u.K.-Karabiner, zwei Pistolen, ein Bajonett und ein Kavallerie-Krummsäbel. „Als wir wieder ein seriöses Gesicht aufsetzen konnten, war die Atmosphäre eisig geworden“, so Blaine später. Er und sein Kamerad hatten mehr und mehr das Gefühl, „dass wir in einer Komödie spielten, in der die Hauptdarsteller das Thema nicht kannten“.

In der Zwischenzeit wurde Klotz von einem Vertrauten gewarnt, dass die beiden Söldner eine „eminente Gefahr“ darstellten. Wenn etwas über das Engagement publik würde, dann stünde nicht nur der BAS am Pranger, sondern auch Österreich, weil es solche Aktivitäten dulde. Nicht umsonst hatte am 20. März 1964 der italienische Botschafter im Außenministerium vorgesprochen und gewarnt, dass „das Aufflackern einer neuen Terroristentätigkeit in Südtirol zweifellos die derzeit herrschende sachliche Verhandlungsatmosphäre erheblich beeinträchtigen würde“.

Ein hohes Risiko bedeutete die Anwesenheit der OAS-Männer auch vor Ort: Klotz hatte sie zwischenzeitlich mit den Maschinengewehren und je einer Pistole ausgerüstet. Hätten die Behörden eingegriffen, wäre es wahrscheinlich zu einem Feuergefecht mit Toten und Verletzten gekommen. Ende März 1964 hatte die Sicherheitsdirektion Tirol schon „vertraulich“ in Erfahrung gebracht, dass die OAS-Leute „im Zusammenwirken mit Klotz“ über Ostern Terroraktionen in Südtirol durchführen wollten: „Es sei geplant, in zwei Gruppen über das Timmelsjoch (Ötztaler Alpen) nach Südtirol zu wandern und dort Überfälle auf Bauernhöfe zu machen, die von Italienern bewirtschaftet sind.“ Durch einen „Konfidenten“, also einen Spitzel, wurde festgestellt, dass in Absam „tatsächlich fremde Personen aus- und eingehen“.

Bevor allerdings eingeschritten werden konnte, hatten sich die OAS-Leute aus dem Staub gemacht. Jeder hatte noch 1.400 Schilling kassiert, die angeblich ein BAS-Mann privat berappte. Dann ging es am 1. April 1964 in aller Frühe zum Hauptbahnhof Innsbruck. Von dort aus nahmen Blaine und Hamon um 05.10 Uhr den Zug Richtung München. Angeblich waren die beiden längst froh, „aus der ganzen Geschichte so aussteigen zu können“. Nur über den „Major“ ließ Blaine im Nachhinein nichts kommen: Klotz sei ein „aufrichtiger Patriot, der einzige der ganzen Bande“ gewesen. Zum Abschied salutierte der Südtiroler und die OAS-Männer erwiderten die Geste.

Siehe dazu auch: 
Petra Stuiber, Südtiroler Kriegsspiele mit französischen Agenten, in: Der Standard, 27. 3. 2014

Freitag, 21. März 2014

"Das erste Ersuchen dieser Art eines kapitalistischen Landes“

Österreich bemühte 1988 sich um Sicherheitskooperation mit der DDR

Am 21. April 1988 wandte sich der Botschafter der DDR in Österreich, Karl Wolf, brieflich an DDR-Innenminister Friedrich Dickel: „Der Bundesminister für Inneres der Republik Österreich, Karl Blecha, äußerte mir gegenüber den Wunsch, mit Ihnen in Kontakt zu treten und auch mit der DDR eine Zusammenarbeit in seinem und Ihrem Verantwortungsbereich zu entwickeln. In den letzten Jahren hat Minister Blecha mehrere sozialistische Länder besucht bzw. seine dortigen Amtskollegen in Wien empfangen. […] Es gibt eine durch Vereinbarungen geregelte Zusammenarbeit der Innenministerien Österreichs, der CSSR und der UVR [Ungarische Volksrepublik]. […] Ich empfehle deshalb, Minister Blecha zu einem noch zu vereinbarenden Zeitpunkt offiziell für einen Besuch in der DDR einzuladen. Für die Prüfung dieses Vorschlages und eine Mitteilung über Ihre Entscheidung wäre ich sehr dankbar.“

Anschließend informierte ein Vertreter des Innenministeriums das DDR-Außenministerium und bat um „Prüfung und Meinungsäußerung“: „Es ist das erste Ersuchen dieser Art eines kapitalistischen Landes. Eine gründliche und allseitige Prüfung der Zweckmäßigkeit von Kontakten und einer evtl. Zusammenarbeit ist aus genereller Sicht erforderlich, um entsprechende Entscheidungsvorschläge unterbreiten zu können.“

Da keine weiteren Dokumente vorliegen, lässt sich über die weitere Entwicklung nur mutmaßen. Aufgrund des allmählichen Erosionsprozesses der DDR 1988/89 ist es unwahrscheinlich, dass das hier noch zu konkreten Absprachen kam.

Nach dem Anschlag auf dem Flughafen Wien-Schwechat (1985) hatte Österreich zahlreiche bilaterale Sicherheitskooperationen beschlossen - darunter auch mit Algerien, Jugoslawien, Syrien und Saudi-Arabien.

Quellenhinweis: BStU, MfS, Abt. X Nr. 110