Neue Dokumente geben Einblick in eine
vergessene Episode des Südtirolkonflikts: Vor 50 Jahren sollten französische
Ex-Terroristen die „Bumser“ ausbilden. Ihr Einsatz endete fast im Desaster.
Die Initialen OAS stehen bis heute für
blutigen Terror: Anfang der 1960er Jahre hinterließ die „geheime
Armeeorganisation“ in Algerien eine Blutspur, um die Unabhängigkeit von
Frankreich zu verhindern. Ihre Mitglieder – abtrünnige Fallschirmjäger, Fremdenlegionäre
und Rechtsextremisten – versuchten 1962 sogar mehrmals Präsident Charles de
Gaulle zu ermorden. All die Gewalt nützte nichts. Die OAS wurde in den
Untergrund gedrängt und lieferte später Fredrick Forsyth den Stoff für seinen
Bestseller „Der Schakal“ (1971).
Praktisch vergessen ist dagegen, dass die OAS
ihre Fühler auch nach Österreich ausgestreckt hatte. Hier gab es in
unmittelbarer Nähe einen Konfliktherd, der Söldnernaturen ein neues Betätigungsfeld
versprach: Der Kampf des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) für Autonomie von
Italien. 1964 kamen zwei OAS-Männer nach Tirol, um die Gruppe rund um den
„Schützenmajor“ Georg Klotz für den Guerillakrieg auszubilden. Einer der
beiden, Claude Blaine, der sich im Koreakrieg den Beinamen „Scarface“ verdiente,
ging später in einem Enthüllungsbrief mit den Südtirolaktivisten hart ins
Gericht. Das Unternehmen sei wegen totaler Desorganisation von Anfang an zum
Scheitern verurteilt gewesen.
50 Jahre später ermöglichen bislang geheime
Dossiers der Staatspolizei einen frischen Blick auf diese bizarre Episode des
Südtirolkonflikts. Eingefädelt hatte die Kooperation mit den OAS-Terroristen
ausgerechnet ein Spitzel der italienischen Geheimpolizei, der sich im Umfeld
von Klotz eingenistet hatte: Gerhard N. Dieser gehörte zur rechten
„Legion Europa“ des Journalisten Fred Borth, der ebenfalls für die Italiener
tätig war. Offenbar wollte man den BAS und Klotz bewusst schaden, indem man sie
mit der berüchtigten OAS in Zusammenhang brachte.
Über einen Mittelsmann hatte N. mit in
der BRD lebenden OAS-Veteranen Kontakt aufgenommen. Für „freie Kost und Station“,
zwei Packungen Zigaretten täglich und 1.500 DM pro Monat ließen sich „Scarface“
Blaine und sein Kamerad Francois Hamon anwerben. N. machte ihnen etwas vor: Mehrere
Schützenkompanien würden bestens ausgerüstet und bewaffnet auf ihren Einsatz
warten. Dabei war Klotz Truppe in einem armseligen Zustand und nicht mehr als
ein versprengtes Häuflein. Aber der Spitzel täuschte nicht nur die beiden
Söldner, sondern log auch seine Kameraden an: Einem erzählte er, „etwa 1.000“
bewaffnete OAS-Männer befänden sich auf dem Weg nach Tirol.
Die beiden Fremden, die dann tatsächlich Anfang
März 1964 bei Klotz in Absam bei Innsbruck auftauchten, fielen dem Bergbauern
Karl Oberleitner sofort verdächtig auf. Noch 2008 erinnerte er sich: „Die haben
ausgeschaut wie von der SS. Das waren Landsknechte, die hätten auch einen um
Geld umgebracht.“ Es war ja auch kein Pfadfindertrip, auf den sich die beiden
„Experten“ in Sachen Guerillakrieg und Terrorismus gemacht hatten. Man habe sie
für einen Mordanschlag auf einen italienischen Polizisten in Bozen und für
Banküberfälle einsetzen wollen, um die leere Kriegskasse aufzufüllen, so Blaine
in seinem Brief. Beide Aufträge lehnten sie ab –„wir sind keine gedungenen
Mörder!“.
Aus den neuen Dokumenten im Wiener
Staatsarchiv geht hervor, dass einer der beiden OAS-Männer zwischen 16. und 21.
März 1964 über die Grenze nach Südtirol schlüpfte. Dort kundschaftete er Ziele
aus und fotografierte diese mit einer geliehenen Leica. Neuhuber gab später zu
Protokoll: „Francois machte meines Wissens insgesamt 72 Aufnahmen und zwar von
Kasernen in Meran, von den Feldstellungen in Saltaus und der Kaserne dort
selbst. Auch fotografierte er in St. Martin das neuangelegte Feldlager und
sonstige militärische Anlagen und Ämter.“ An Operationen selbst sollten Blaine
und Hamon nicht teilnehmen, aber anhand der Fotos Angriffs- und Rückzugspläne
vorbereiten. Daraus wurde aber nichts, weil die Bilder unscharf waren. So
nutzte das Duo die Zeit in den Tiroler Bergen lieber für Wintersport und
Training auf der Schießbahn, um in Form zu bleiben. Abends machten sie
Gasthäuser rund um Innsbruck unsicher, wie Blaine notierte: „Man wunderte sich
nicht, hier Franzosen in guter Laune zu sehen. Die Mädchen sind hübsch, nicht
sehr spröde und genau richtig, um mit ihnen die Zeit totzuschlagen. Man macht
es hier wie auf der ganzen Welt. Man jagt sie und man nascht.“
Nach drei Wochen des Nichtstuns kam es zu
Spannungen: Neuhuber hatte die Franzosen auf eigene Faust rekrutiert, während
Klotz angeblich „gar nichts“ davon wusste. Als es dann zu Geldforderungen an
den klammen „Major“ kam, konnte dieser nur 600 Schilling auf den Tisch legen –
mit dem Nachsatz, dass sei alles, was er besitze. Laut einem Zeugen waren die
Franzosen darüber „äußerst unzufrieden“ und erklärten, „wenn ihr uns schon
holt, um als Instruktoren für Partisanenkämpfer zu fungieren, dann müsst ihr
auch für die nötigen Mittel sorgen“. Klotz hatte damals beim „Österreichischen
Creditinstitut“ in Innsbruck unter der Bezeichnung Tiroler Schützenhilfe ein
Konto eröffnet und Geldspenden entgegengenommen. Wie aus einem Bericht
hervorgeht, wurde eine Überweisung über 10.000 Schilling von Fritz Molden
getätigt. Der erst kürzlich verstorbene Verleger mit besten Verbindungen in
höchste Regierungskreise hatte den BAS seit den Anfangsjahren unterstützt und
gehörte bis 1960 dem politischen Komitee der Organisation an.
Die vorhandenen Mittel reichten jedenfalls bei
weitem nicht aus, um das Guerillatheater weiter zu finanzieren. Damit nicht
genug, brachen die Franzosen in schallendes Gelächter aus, als man ihnen das
Waffenarsenal vorgeführte: Zwei leichte Maschinengewehre aus
Wehrmachtsbeständen, ein K.u.K.-Karabiner, zwei Pistolen, ein Bajonett und ein Kavallerie-Krummsäbel.
„Als wir wieder ein seriöses Gesicht aufsetzen konnten, war die Atmosphäre
eisig geworden“, so Blaine später. Er und sein Kamerad hatten mehr und mehr das
Gefühl, „dass wir in einer Komödie spielten, in der die Hauptdarsteller das
Thema nicht kannten“.
In der Zwischenzeit wurde Klotz von einem Vertrauten
gewarnt, dass die beiden Söldner eine „eminente Gefahr“ darstellten. Wenn etwas
über das Engagement publik würde, dann stünde nicht nur der BAS am Pranger,
sondern auch Österreich, weil es solche Aktivitäten dulde. Nicht umsonst hatte
am 20. März 1964 der italienische Botschafter im Außenministerium vorgesprochen
und gewarnt, dass „das Aufflackern einer neuen Terroristentätigkeit in Südtirol
zweifellos die derzeit herrschende sachliche Verhandlungsatmosphäre erheblich
beeinträchtigen würde“.
Ein hohes Risiko bedeutete die Anwesenheit der
OAS-Männer auch vor Ort: Klotz hatte sie zwischenzeitlich mit den
Maschinengewehren und je einer Pistole ausgerüstet. Hätten die Behörden eingegriffen,
wäre es wahrscheinlich zu einem Feuergefecht mit Toten und Verletzten gekommen.
Ende März 1964 hatte die Sicherheitsdirektion Tirol schon „vertraulich“ in
Erfahrung gebracht, dass die OAS-Leute „im Zusammenwirken mit Klotz“ über Ostern
Terroraktionen in Südtirol durchführen wollten: „Es sei geplant, in zwei
Gruppen über das Timmelsjoch (Ötztaler Alpen) nach Südtirol zu wandern und dort
Überfälle auf Bauernhöfe zu machen, die von Italienern bewirtschaftet sind.“
Durch einen „Konfidenten“, also einen Spitzel, wurde festgestellt, dass in
Absam „tatsächlich fremde Personen aus- und eingehen“.
Bevor allerdings eingeschritten werden konnte,
hatten sich die OAS-Leute aus dem Staub gemacht. Jeder hatte noch 1.400
Schilling kassiert, die angeblich ein BAS-Mann privat berappte. Dann ging es am
1. April 1964 in aller Frühe zum Hauptbahnhof Innsbruck. Von dort aus nahmen
Blaine und Hamon um 05.10 Uhr den Zug Richtung München. Angeblich waren die
beiden längst froh, „aus der ganzen Geschichte so aussteigen zu können“. Nur
über den „Major“ ließ Blaine im Nachhinein nichts kommen: Klotz sei ein
„aufrichtiger Patriot, der einzige der ganzen Bande“ gewesen. Zum Abschied salutierte
der Südtiroler und die OAS-Männer erwiderten die Geste.
Siehe dazu auch:
Petra Stuiber, Südtiroler Kriegsspiele mit französischen Agenten, in: Der Standard, 27. 3. 2014