Montag, 19. September 2016

„Eigenständige, offensive und umfangreiche Spionagetätigkeit“ – Was die Stasi über Österreichs Dienste wusste

Viele Klischees verbinden sich mit der 2. Republik – gleich ob „Insel der Seligen“, „Kulturnation“ oder „Begegnungsort“. Hinter so viel Harmlosigkeit tun sich fast zwingend Abgründe auf. Das betrifft gerade sensible Bereiche, die in Österreich traditionell verschwiegener gehandhabt werden, als anderswo. Das Thema Nachrichtendienste ist wohl das beste Beispiel hierfür. Und weil es hier offiziell so wenig zu erfahren gibt, muss man Alternativen suchen – in diesem Fall in den Aktenbeständen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, auch als „Stasi“ bekannt.



Die beiden Nachrichtendienste des Bundesheers – das Heeresnachrichtenamt (HNaA) und das Abwehramt (AbwA) – sowie das im Innenministerium angesiedelte Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sind eine „black box“. So ist etwa das HNaA im Amtskalender nicht zu finden – ebenso wenig wie Telefonnummern und E-Mail-Adressen. „Um die 700 bis 750“ Agenten sollen dem Dienst angehören. Parlamentarische Anfragen zum Budget werden routiniert abgeschmettert – mit dem Hinweis darauf, „dass detaillierte Informationen über nachrichtendienstliche Tätigkeiten zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung wegen ihrer besonderen Sensibilität und Klassifizierung aus Gründen der Amtsverschwiegenheit im Interesse der umfassenden Landesverteidigung (Art. 20 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz) nicht geeignet sind, im Rahmen einer parlamentarischen Anfragebeantwortung öffentlich erörtert zu werden“.

Der einzige offizielle öffentliche Auftritt des HNaA findet auf der Homepage des Verteidigungsministeriums statt: Ein paar Informationsbrocken zur Historie, Funktion und Kontrolle. Letztere wird von einem ständigen Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses wahrgenommen. Obwohl dessen Mitglieder auf strengste Verschwiegenheit vereidigt sind, gibt es für sie wenig zu erfahren. Denn die Auskunftspflicht besteht nicht, wenn nationale Interessen gefährdet sind. Jedenfalls kritisiert der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz, der dem Gremium als Obmannstellvertreter angehört, in regelmäßigen Abständen diese Intransparenz – so etwa als die 2013 von dem Whistleblower Edward Snowden losgetretene Affäre rund um die globale Überwachung durch die National Security Agency (NSA) auch in Österreich Wellen schlug.

Ins Gerede kam konkret die lang vermutete, aber offiziell nie eingeräumte Zusammenarbeit des für strategische Auslandsaufklärung zuständigen HNaA mit „befreundeten Diensten“. Dazu gab es vom damaligen Verteidigungsminister Gerald Klug nur das Eingeständnis, dass man „fallweise und im Rahmen strenger Gesetze“ mit der NSA kooperiere: „Dabei geht es in erster Linie um jene Regionen, in denen österreichische Soldaten gemeinsam mit Kameradinnen und Kameraden aus anderen Staaten im Auslandseinsatz sind.“ Eine Bespitzelung der Bevölkerung durch das HNaA fände nicht statt: „Wir schöpfen nicht massenhaft Daten ab, wir hängen nicht an Glasfaserknotenpunkten und wir bezahlen auch keine Internet-oder Telefonanbieter, um an deren Daten zu kommen.“ Konkreter wurde es nicht.

Die besondere Brisanz ergibt sich dadurch, dass diese diskreten Allianzen gegen das in der Bundesverfassung verankerte Neutralitätsgesetz verstoßen. Außerdem ist laut §319 des Strafgesetzbuchs die Unterstützung eines fremden militärischen Nachrichtendiensts strafbar. Ein Gutachten des Justizministeriums von 1993 offerierte freilich eine Hintertür: „Ein bloß gelegentlicher Austausch von Nachrichten erfüllt die Qualifikation eines Nachrichtendienstes nicht.“ Rechtlich gehe alles in Ordnung, „jedenfalls soweit der Informationsaustausch der Beschaffung von Nachrichten dient.“

Geheimer Verbündeter im Kalten Krieg
Ungeachtet der Bedeutung der 1955 beschlossenen „Neutralität“ für die österreichische Außenpolitik war die Realität im Kalten Krieg eine andere: Angesichts der als Bedrohung wahrgenommenen Ambitionen der Sowjetunion war Österreich schon vor der Wiedererlangung der Souveränität ein „geheimer Verbündeter“ der Westmächte. 1958 wurde auf der Königswarte bei Hainburg in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs eine Abhörstation eingerichtet. Die technischen Einrichtungen wurden von der US-Armee auf den Heeresflughafen Hörsching bei Linz eingeflogen und dann ins östliche Niederösterreich weitertransportiert. Man sorgte auch für die technische Ausbildung des Personals. Denn betrieben wurde die Station von der Gruppe für das Nachrichtenwesen, dem 1956 gegründeten Vorläufer des HNaA (die Umbenennung erfolgte 1972 – 1985 wurde das AbwA abgespalten und ist seitdem für den Eigenschutz des Bundesheeres sowie Spionageabwehr verantwortlich).

Neben der Königswarte wurden infolge weitere, kleinere Stationen in Neulengbach und Großharras (Niederösterreich), Gols (Burgenland), Pirka bei Graz und Stockham bei Wels eingerichtet. Diese waren Teile einer Peilkette, die sich von Norwegen über Deutschland bis nach Italien zog. Allerdings soll das HNaA mit den abgefangenen Daten selbst nicht viel anfangen haben. Die Aufzeichnungen wurden zur Auswertung in eine US-Station nahe Frankfurt am Main transportiert, mitunter sogar mit Linienmaschinen der Austrian Airlines.  Innerhalb der letzten Jahre soll die Königswarte mit Ausgaben von bis zu 150 Millionen Euro für neue Aufgaben aufgerüstet worden sein. Zur Luftraumüberwachung dienen bis heute Radaranlagen auf dem Kolomannsberg (Salzburg), dem Steinmandl (Niederösterreich) und der Koralpe (Kärnten) unter der Sammelbezeichnung „Goldhaube“.

Die Tätigkeit von HNaA- und AbwA wurde erst 2001 mit der Beschlussfassung des Militärbefugnisgesetzes auf eine legistische Basis gestellt: Seitdem ist es den Diensten erlaubt, Lausch- und Videoangriffe durchführen und verdeckt ermitteln. Gebietskörperschaften und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts müssen dem Dienst Auskünfte erteilen. Von Telekomanbietern erhalten HNaA und AbwA bislang lediglich Name, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten Anschlusses.

„Ständige Partnerschaft“ mit der NSA
Die lang zurückreichenden Abhängigkeiten blieben nach 1989 weiter bestehen – auch weil Österreich nach wie vor ein nachrichtendienstlich interessanter Raum ist: Zentrale geografische Lage, Sitz zahlreicher internationaler Organisationen und vor allem laxe Gesetzgebung gegen Spionage. Diese wird praktisch nur unter Strafe gestellt, wenn österreichische Interessen betroffen sind – praktisch ein Freibrief für alle möglichen Aktivitäten.

Aufsehen erregten zuletzt Meldungen über vier Überwachungsstationen in Wien: Ein angeblicher NSA-Horchposten in einer Penzinger Villa sowie über seltsame Dachaufbauten auf der britischen und US-amerikanischen Botschaft und dem IZD-Tower gegenüber der UNO-City. In den von Snowden geleakten Geheimdokumenten wird Österreich jedenfalls als Third-Party-Signals Intelligence (SIGNIT)-Partner bezeichnet, die der NSA bei ihrer Fernmelde- und elektronischen Aufklärung assistieren. Der US-Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald, der die Snowden-Unterlagen für den „Guardian“ aufbereitete, hielt dazu fest: „Es gibt eine Partnerschaft zwischen der NSA und Österreich, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern ständig.“ Festgelegt wurde dies in streng geheimen Verträgen, deren genauer Inhalt bis heute Anlass für Spekulationen bietet.

„Die österreichischen Nachrichtendienste aus Sicht des MfS“
Es gibt noch anderweitig Möglichkeiten „nachzubohren“. Über einen Umweg lassen sich interessante Details über die Vorgeschichte bis 1989 erfahren – und zwar über die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), die das Material Privatpersonen, Institutionen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Ein Antrag des Autors zum Thema „Die österreichischen Nachrichtendienste aus Sicht des MfS“ förderte insgesamt 862 Seiten zutage. Mit Sicherheit gab es noch viel mehr. Aber die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), die Auslandsaufklärung des MfS, hatte ihre Abwicklung bis 1990 selbst betreiben dürfen und viele Dokumente vernichtet. Auch wenn der DDR-Geheimdienst alles andere als ein objektiver Beobachter war, offerieren die vorhandenen Unterlagen einen alternativen Blick auf diesen ansonsten kaum durchdringbaren Komplex.

Am 1. Oktober 1969 präsentierte die für Spionageabwehr zuständige MfS-Hauptabteilung II eine „erste Zusammenfassung von Erkenntnissen über den österreichischen Geheimdienst“. Dieser sei nach 1945 von „Nachrichtenspezialisten aus der Zeit des 2. Weltkrieges“ aufgebaut worden. Nach dem Abzug der Besatzungsmächte 1955 sei die „traditionelle Abhängigkeit dieses Landes von den imperialistischen Großmächten Europas“ nicht nur bestehen geblieben, „sondern wurde noch durch die Bindung an die USA erweitert und verstärkt“.

Der österreichische Geheimdienst – worunter das MfS damals die Gruppe für das Nachrichtenwesen und die Abteilung I (Staatspolizei – 2002 im BVT aufgegangen) subsummierte – würde nunmehr „in wachsenden Maße“ Stellvertreterfunktionen in der Spionage gegen den Ostblock erfüllen: Militärspionage vor allem gegen die Tschechoslowakei (CSSR) und Ungarn sowie verstärkte Abwehrmaßnahmen gegen Einrichtungen und diplomatische Vertretungen der Oststaaten. Dafür gebe es entsprechende „finanzielle und technisch-materielle Stützungsmaßnahmen des US-Geheimdienstes für den österreichischen Geheimdienst“. Mit stark ideologischer Schlagseite strich das MfS überhaupt drei Hauptfunktionen der Dienste hervor:

„1. Spionage gegen die sozialistischen Staaten, vor allem gegen die CSSR, VR [Volksrepublik] Ungarn und die DDR in Koordinierung mit dem US-Geheimdienst und westdeutschen Geheimdienst. 2. Abwehr der Tätigkeit ausländischer Aufklärungsorgane auf dem Territorium Österreichs. 3. Überwachung und Niederhaltung der fortschrittlichen Kräfte in Österreich, vor allem der KPÖ, den Gewerkschaften und anderen Organisationen der Arbeiterklasse oder linksgerichteter Studenten.“

Österreich nehme aufgrund seiner geografischen Lage als Nachbarland der CSSR, Ungarns und Jugoslawiens einen wichtigen Platz in der Konzeption der NATO ein: „Deshalb streben vor allem die imperialistischen Hauptmächte seit langem danach, ihren Einfluss auf den österreichischen Geheimdienst zu sichern und ständig auszubauen. Hauptziel all dieser Einflussnahme ist die verstärkte Ausrichtung des österreichischen Geheimdienstes auf die Spionage und Zersetzungstätigkeit gegen die sozialistischen Staaten. Das österreichische Territorium gilt außerdem für die imperialistischen Staaten selbst als Sprungbrett für subversive Tätigkeit im südosteuropäischen Raum zur Vorbereitung von Aggressionsabsichten der NATO. Bereits seit Anfang der 50er Jahre schufen sich deshalb besonders der US-Geheimdienst und der BND eine Reihe von Ausgangsbasen in Österreich mit Duldung und Unterstützung des österreichischen Geheimdienstes und staatlicher Stellen.“

Wenn das MfS hier Österreich diese insgeheime Kooperation ankreidet, muss eines mitbedacht werden: Die Neutralität wurde auch von den osteuropäischen Diensten missachtet. Nicht umsonst nannte Markus Wolf, zwischen 1952 und 1986 Leiter der HVA, Österreich ein „bequemes Land“ für die Aktivitäten seines Dienstes: „Wir konnten mit Diplomatenpässen einreisen, auch war es auf Grund des großen Fremdenverkehrs leicht.“ Das relativiert die in typischem Stasi-Sprech abgefassten Skandalisierungen etwas.

Aktiver Partner
Es gibt noch eine weitere generelle Analyse aus dem Bereich der MfS-Abteilung X, die die Kooperation mit Sicherheitsdiensten sozialistischer und befreundeter Staaten koordinierte. Das Dokument ist aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt und trägt den Titel: „Über die Tätigkeit des österreichischen militärischen Geheimdienstes und seine Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der BRD und der USA.“ Nachdem sich der Inhalt stark auf Aufklärungsinteressen des HNaA in der Tschechoslowakei bezieht, dürfte es sich um Erkenntnisse der dortigen Staatssicherheit (Státní bezpečnost, StB) handeln. Die umfangreiche Studie ohne genaues Datum dürfte Mitte der 1980er Jahre erstellt worden sein.

Eine Schlüsselpassage lautet: „Aktivitäten der Geheimdienste der NATO-Staaten und anderer kapitalistischer Staaten (z.B. Israels) auf dem Territorium Österreichs und Bestrebungen zum Zusammenwirken gegen die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft sind – sowohl inoffiziellen als auch offiziellen Angaben zufolge – seit Bestätigung einer Vereinbarung dieser Länder mit Österreich festzustellen. Eine intensivere Ausnutzung des österreichischen Geheimdienstes und eine stärkere Zusammenarbeit mit der CIA und der DIA [Defense Intelligence Agency, Dachorganisation der Nachrichtendienste der vier US-Teilstreitkräfte] ist seit Machtübernahme der Reagan-Administration festzustellen. Es ist auch eine Tatsache, dass die Aktivität der Geheimdienste der BRD in Österreich seit dem Wahlsieg der klerikalen Parteien CDU/CSU in der BRD zugenommen hat. Den vorliegenden Angaben zufolge unterhalten die österreichischen Geheimdienste derzeit enge Verbindungen zu einer Reihe von Spionagediensten. Eine Zusammenarbeit sowie Verbindungen auf der Ebene eine Verbindungsoffiziers, der direkt in der entsprechenden diplomatischen Vertretung des jeweiligen kapitalistischen Landes in Wien tätig ist, wurden mit den amerikanischen, westdeutschen, britischen, französischen und weiteren 11 Geheimdiensten (abgesehen von der Zusammenarbeit im Rahmen der INTERPOL) festgestellt. Auf inoffiziellem Weg wurde auch eine indirekte Verbindung des militärischen Nachrichtendienstes HNaA zur Führung der Sozialistischen Internationale [Seit 1951 bestehender weltweiter Zusammenschluss von sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien und Organisationen] aufgeklärt. Es finden geheime Beratungen von Mitarbeitern der CIA und des BND mit führenden Vertretern des HNaA und anderer, polizeilicher Dienststellen statt. Seitens der österreichischen Organe wird den Geheimdiensten der NATO-Staaten die Möglichkeit eingeräumt, auf dem Territorium Österreich Maßnahmen ihrer Organe zu realisieren, und der österreichische Geheimdienst wiederum führt für sie zahlreiche Aufklärungs-, Abwehr- und Polizeimaßnahmen durch."

Die Autoren des Berichts konnten es sich nicht verkneifen, auf den flexiblen Umgang in Sachen Bündnisfreiheit hinzuweisen: „Offiziell – nach den Prinzipien der österreichischen Neutralität – ist es verboten, gegen die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft zu arbeiten. Doch diese offizielle Festlegung wird in der praktischen Tätigkeit nicht eingehalten, sondern systematisch verletzt. Es ist bekannt, dass das HNaA seine Aufträge nicht nur von österreichischen Stellen erhält, sondern auch von der BND-Zentrale in Pullach. Offiziere des HNaA werden häufig zu Beratungen in die BRD eingeladen, wo sie Aufträge gegen die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft erhalten. Zahlreiche Mitarbeiter des HNaA führen ihre Tätigkeit durch, um später eine Pension zu erhalten, und sie dient ihnen als ‚Deckmantel‘ für ihre Tätigkeit zugunsten des BND.“

In einem Appendix zu diesem Dokument („Aktivitäten des österreichischen Geheimdienstes gegen sozialistische Staaten“) ergänzte das MfS seine Sicht der Dinge: Gegen das HNaA wurde der Vorwurf erhoben, „einerseits eine eigenständige, offensive und umfangreiche Spionagetätigkeit gegen die sozialistischen Staaten, insbesondere die CSSR und VR Ungarn, organisiert und andererseits unter Missbrauch des sogenannten Neutralitätsstatus der Republik Österreich eine weitreichende Stellvertreterfunktion für die Geheimdienste der NATO-Staaten, insbesondere der USA und BRD, wahrnimmt.“ Als Beleg hierfür wurden folgende konkrete Aktionen angeführt:

„Das HNaA organisiert nach vorliegenden Informationen eine umfangreiche und intensive Militärspionage gegen die tschechoslowakische Volksarmee sowie die in der CSSR dislozierten [verteilten] sowjetischen Streitkräfte. Die erkannten militärischen Angriffsschwerpunkte und Spionageinteressen, Mittel und Methoden der Militärspionage, Zielgruppen des HNaA unter Bürgern der CSSR und Österreichs entsprechen im Wesentlichen den uns bekannten Angriffsrichtungen und Vorgehensweisen der NATO-Geheimdienste, insbesondere des BND und MI [Military Intelligence Corps der US Army – Nachrichtendienst der US Army], gegen die DDR. […] Es bestätigen sich Erkenntnisse dass österreichische Unternehmen mit kommerziellen Verbindungen in die sozialistischen Länder bzw. deren Mitarbeiter, z. B. österreichische Fernfahrer, nach wie vor im besonderen Interesse des HNaA, BND und US-Geheimdienste bei der Organisierung subversiver Handlungen gegen die sozialistischen Länder stehen.“ So lägen Hinweise darauf vor, dass in LKWs österreichischer Transportfirmen Miniaturkameras zur Fotografie militärischer Objekte und Bewegungen installiert worden seien.

Die Zusammenarbeit zwischen den österreichischen Nachrichtendiensten und jenen der USA und der BRD habe sich seit Anfang der 1980er Jahre „bedeutend verstärkt“:„So finden regelmäßig Zusammenkünfte und Erfahrungsaustausche zwischen leitenden Mitarbeitern dieser Geheimdienste statt, die einer starken Abdeckung und Konspirierung unterliegen. Zwischen den genannten Geheimdiensten wurde ein umfangreicher und intensiver Informationsaustausch vereinbart. Engste Kontakte auf höchster Ebene unterhalten das HNaA und der MAD [Militärische Abschirmdienst] der BRD. Zwischen den beiden Geheimdiensten wurde der Austausch von Informationen über Vorgehensweisen sozialistischer Sicherheitsorgane, über Unterlagen und Technik zur Durchführung von Abhörmaßnahmen und über Erfahrungen zur Sicherung militärischer Großanlagen vereinbart.“

Folgende Erkenntnisse würden besonders deutlich: „USA- und BRD-Geheimdienste erhalten vom HNaA kontinuierlich Erkenntnisse aus der elektronischen Spionage [sic!]. Das HNaA ermöglicht der CIA und dem BND die Bearbeitung von Mitarbeitern diplomatischer Vertretungen sozialistischer Länder in Wien. So konnten gerade in jüngster Zeit Aktivitäten des BND gegen Auslandskader in diplomatischen Vertretungen der DDR in Wien nachgewiesen werden, wie z.B. durch die erfolgte Festnahme eines solchen Kaders im militärischen Bereich der DDR-Vertretung in Wien. Das HNaA übergibt der CIA alle Hinweise auf mögliche Verratsabsichten von Mitarbeitern diplomatischer Vertretungen sozialistischer Länder in Österreich. Das HNaA unterstützt den US-Geheimdienst DIA (zentraler militärischer Geheimdienst der USA) bei der Aufklärung und Kontrolle des Sicherheitssystems der CSSR an der Staatsgrenze zu Österreich.“

Das MfS zog daraus mehrere Schlussfolgerungen: Österreich – „seine Betriebe, Einrichtungen und Bürger – würden insbesondere von der CIA und den BRD-genutzt. Deshalb müsse man folgendes operativ beachten: Aufenthalte von österreichischen Bürgern in der DDR aufgrund von kommerziellen Vereinbarungen, Transitfahrten österreichischer Firmenvertreter durch die DDR, Aktivitäten der Botschaft Österreichs und ganz konkret Handlungen des in der DDR zweitakkreditierten Militärattachés, der schon in der CSSR versucht habe, „Informationen abzuschöpfen“.

Es braucht einen Kulturwandel
Unter dem Strich bleibt das MfS bleibt ein hochproblematischer „Kronzeuge“. Aber es wird deutlich, dass Österreich gerade in der „heißen“ Spätzeit des Kalten Kriegs – als US-Präsident Ronald Reagan auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion ging – ein aktiver Partner westlicher Dienste gewesen sein muss. Die jüngst diskutierte Achse hin zur NSA hat also eine lange Laufzeit. Und es ist das Bild einer keineswegs einseitigen Allianz, das sich hier abzeichnet.

Umso wichtiger wäre es daher, die Behauptungen des MfS in einen Kontext zu setzen. Aber bislang ist sowohl die Aufarbeitung nachrichtendienstlicher Geschichte aufgrund der beschriebenen schwierigen Rahmenbedingungen sporadisch und hat oft selbstreferentiellen Charakter. Wahrscheinlich wird sich wenig ändern, sofern die österreichischen Nachrichtendienste nicht von selbst den Wert größtmöglicher Transparenz erkennen. Nach Vorbild der aktuellen Offenlegungs-Projekte des BND wäre eine Studie zur Gründungsphase des heutigen HNaA wäre ein möglicher Anfang. Diese Entwicklungen anderenorts wurden bislang „verschlafen“ – was langfristig auch zu Lasten der eigenen Daseinsrechtfertigung gehen dürfte – und das mitten in einem generellen Umstrukturierungsprozess bei der inneren Sicherheit.