Montag, 24. August 2015

Ein vergessener Spionage-„Hotspot“ des Kalten Krieges: Gmunden-Altmünster

Ab 1946/47 begannen die US-Nachrichtendienste in großem Stil osteuropäische Kollaborateure bzw. Veteranen der NS-Geheimdienste und der Waffen SS anzuwerben – so auch im Nachkriegsösterreich. Die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen durch den Kalten Krieg hatten aus früheren Feinden Verbündete gemacht. Ein Zentrum dieser Tätigkeiten waren Gmunden und das nahegelegene Altmünster am Ufer des Traunsees in Oberösterreich – die Aufarbeitung dieses Kapitel Zeitgeschichte steht noch am Anfang.
Am Ufer des Traunsees in Altmünster (Foto: Autor)
Mindestens 1.000 Ex-Nazis als Spione und Informanten
Die Mitarbeiter des 430th Detachments des Counterintellligence Corps (CIC), dem Geheimdienst der US-Army, waren Anfang Mai 1945 in Österreich eingetroffen und hatten sich zunächst in Salzburg und ab August 1945 in Wien eingerichtet (die erst 1947 gegründete CIA übernahm ab 1949 wesentliche, bis dahin vom CIC erfüllte Aufgaben in Österreich). Im Verlaufe der Besatzungszeit war das CIC mit ca. 500 hauptamtlichen Mitarbeitern aktiv. Ihre Hauptaufgabe war zunächst die Entnazifizierung im US-Besatzungsbereich. Doch die Priorität verschob sich schon innerhalb weniger Monate zur Beobachtung der Aktivitäten der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer zentral- und osteuropäischen Verbündeten, das Abschöpfen von „Displaced Persons“ (DPs), d. h. von Flüchtlingen, Vertriebenen aus Osteuropa und Kriegsheimkehrern, sowie das Sammeln von Informationen über die österreichische Innenpolitik. Unter den dafür angeworbenen Informanten und Zuträgern befanden sich osteuropäische NS-Kollaborateure bzw. Veteranen der NS-Geheimdienste und der Waffen-SS. Unter den geänderten Vorzeichen des Kalten Krieges waren aus früheren Feinden Verbündete geworden. 2014 kam eine Studie zum Schluss, dass mindestens 1.000 frühere Nationalsozialisten von US-Diensten als Spione und Informanten beschäftigt worden waren.
In Salzburg war das CIC anfangs im Franziskanerkloster untergebracht (Foto: Autor)
„Intelligence jungle“
Österreich spielte in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle: Zahllose zivile und militärische Deserteure sowie gefährdete Agenten wurden hier über eine eigens installierte „Rattenlinie“ aus dem sowjetisch besetzten Teil und aus Osteuropa herausgeführt. In einem freigegebenen Recherchepapier der CIA von 1999 ist von einem regelrechten „intelligence jungle“ die Rede. Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo, Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und von faschistischen Organisationen aus Zentral- und Südeuropa boten fabrizierte Informationen feil, um die man sich dann gestritten hätte „like so many women in Macy’s basement on the day after Christmas“, so ein pensionierter Offizier.

Zweck heiligte die Mittel
Eine Untersuchung des amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss, dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats anwarb. Offenbar habe die Philosophie gegolten, dass der Zweck die Mittel heilige. Die Mitgliedschaft in der SS oder einer anderen NS-Organisation war damals kein Kriterium, um als Informant abgelehnt zu werden. Dass sich das CIC mit solchen Quellen einließ, hatte mehrere Gründe: Mangelhafte Kontrolle über die massiv ausgeweiteten Aufklärungsvorgänge, interne Rivalität zwischen den verschiedenen geheimdienstlichen Organisationen und Defizite in der Personalstruktur. Infolge der Reduktion der US-Armee in Westeuropa bis Ende 1945 war das CIC mit jungen und ungenügend ausgebildeten Rekruten besetzt, die kaum für die Verbrechen des NS-Regimes sensibilisiert waren. Alle diese Faktoren wirkten sich negativ auf die operative Effektivität aus und führten letztendlich dazu, dass man in großem Maßstab auf „antikommunistische Ressourcen“ zurückgriff, um die eigenen Vorgaben zu erfüllen. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal nützte diese Schwäche jedenfalls weidlich aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich daraus zu ziehen. Für die westlichen Dienste war der Schaden letztlich größer als der Nutzen: Denn ihre braune Vergangenheit hatte manche Agenten erpressbar gemacht – so wurden etwa in der Organisation Gehlen (Vorläufer des 1956 gegründeten Bundesnachrichtendiensts, BND) hochrangige Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und richteten beträchtlichen Schaden an.

„SS verlässlichste Waffe“
Einer der bekanntesten Quellen des CIC in Österreich war Wilhelm Höttl (1915-1999), ehemals SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im Auslands-Sicherheitsdienst (SD). Nach Kriegsende 1945 machte Höttl eine erstaunliche zweite Karriere: Als Autor, Gründer des Privatrealgymnasiums in Bad Aussee und, wegen seines Spezialwissens über Ungarn und den Balkanraum, als Spion verschiedener Geheimdienste. Deswegen entließ die US-Armee Höttl im Dezember 1947 und verweigerte seine Auslieferung an eines der österreichischen Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen. Schon 1948/49 führte Höttl im Auftrag des CIC ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Gemeinsam mit den ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen Erich Kernmayer und Karl Kowarik installierte er für das CIC Field Office Gmunden Anfang Juli 1948 zwei Netzwerke. Höttl erinnerte sich Ende der 1970er Jahre positiv an seine Dienstherrn: „Speziell in Gmunden war eine Zweigstelle des CIC, in der sich tapfere Elemente gefunden haben, die sagten: ‚Ganz egal, wo die Informationen über die Russen herkommen, diese Leute wissen am meisten. Wenn die uns helfen, helfen wir ihnen, wenn sie gefährdet sind.’ […] Die Amerikaner hatten sich überhaupt nicht dafür interessiert, wo der Mann vorher war, ob er bei der Waffen-SS oder bei der Allgemeinen SS gewesen war. Er hätte genauso gut ein Treblinka- oder Auschwitz-Mann sein können, das war denen ganz gleich […]. Nach der ersten Hasswelle von Nürnberg, die 1946 abebbte, begann schon 1947 die Fraternisierung speziell mit der SS, weil sie als verlässlichste Waffe angesehen wurde.“
Blick auf Altmünster (Foto: Autor)
Spionagezentrum Gmunden-Altmünster
Gmunden und Altmünster bildeten zusammen einen wichtigen Knotenpunkt US-amerikanischer Nachrichtendiensttätigkeit. Neben dem CIC Field Office war am ehemaligen Gmundner Flugplatzgelände ein Verhörzentrum, das US Detailed Interrogation Center (USDIC), untergebracht. Dort wurden nicht nur Befragungen durchgeführt, sondern auch gleich die Auswertung in Form spezieller USDIC-Berichte vorgenommen. Abgeschöpft wurden vor allem Insassen des Camps Marcus W. ORR in Glasenbach. In diesem Internierungslager saßen 1947/48 Personen ein, die unter die Kriterien des „automatic arrest“ fielen: Zivile und militärische Repräsentanten der NSDAP, Mitglieder ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände, Jugendorganisationen sowie dekorierte Honoratioren und Träger von NS-Auszeichnungen. Wöchentlich wurden ausgewählte „Glasenbacher“ in Kastenwägen ins USDIC transportiert und dort befragt – unter anderem auch von Österreichern im Auftrag des CIC. Einmal, am 18. Dezember 1945, kamen 15 Gefangene ums Leben, als ihr Transportfahrzeug auf dem Weg nach Gmunden in Eugendorf von einem Eisenbahnzug erfasst wurde.

In Altmünster wiederum residierten zahlreiche „Ehemalige“, die das CIC rekrutiert hatte oder von nachrichtendienstlichen Interesse waren:

·         In Nr. 130 war „nur zum Wochenende“ der ehemalige SS-Hauptsturmführer Otto von Bolschwing anzutreffen. Nach 1945 war er zunächst für die Organisation Gehlen und dann für die US-Dienste tätig. Bolschwing war bereits in den 1930er Jahren als Agent des SD im Nahen Osten aktiv gewesen. Nach dem Anschluss 1938 assistierte er Adolf Eichmann bei der Enteignung und Deportation österreichischer Juden. Zwei Jahre später rückte Bolschwing zum SD-Führer in Rumänien auf, wo er 1941 an einem antijüdischen Pogrom mit mehr als 600 Opfern beteiligt war.

·         In Nr. 106 war der frühere SS-Obersturmführers Anton Fellner ansässig – er leitete eines der Informanten-Netzwerke Bolschwings und war später in der Verkaufssparte der VOEST beschäftigt.

·         Von der Villa Bauer und der Villa Maria Luise aus führten Kowarik und Kernmayer 1948/49 stellvertretend für Höttl die beiden erwähnten Netzwerke „Montgomery“ und „Mount Vernon“. Schon zu dieser Zeit nahmen sie im Rahmen des „Gmunder Kreis“ Einfluss auf die Etablierung des Vereins der Unabhängigen (VdU) als politische Vertretung der „Ehemaligen“.

·         In Nr. 14 wohnte der Waffen SS-Veteran und Publizist Lothar Greil (1925-2007) – auch er gehörte zum „Gmundner Kreis“, war im VdU und in der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) aktiv. Weiters zählte Greil im Frühjahr 1955 zu den sieben Gründungsmitgliedern der "Vereinigung der kommunistisch Geschädigten und Bedrohten" in München. In zahlreichen Publikationen relativierte er Kriegsverbrechen und strickte am Mythos eines deutschen „Präventivkrieges“ gegen die UdSSR mit.

Mittwoch, 12. August 2015

„Vagabundisierender Geheimdienstsöldner“: Josef Adolf Urban und die „Müllaktion“

Ein bislang wenig bekannter Fall eines Nazi-Spions in westlichen Diensten: Josef Adolf Urban. Er wurde nach 1945 abwechselnd vom US-Armeegeheimdienst Counterintelligence Corps (CIC), von der Organisation Gehlen und dem Bundesnachrichtendienst (BND) sowie von britischen und italienischen Nachrichtendiensten beschäftigt. Auch für die österreichische Staatspolizei war Urban ein Informant. Seine Methode war denkbar einfach: Papiermüll sowjetischer Dienststellen in Österreich zusammentragen und daraus „Informationen“ destillieren. Dass Urban viel zu spät als Schwindler und Nachrichtenhändler erkannt wurde, tat seiner Nachkriegskarriere keinen Abbruch. Auf der Strecke bleiben dabei verklärende Mythen über das Spionagegeschäft im Kalten Krieg.

Am 1. September 1948 wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Sicherheitsdienst (SD)-Abschnittsleiter Josef Adolf Urban in einem Linzer Kaffeehaus verhaftet. Für den aus dem böhmischen Zatec stammenden Urban wird wahlweise das Geburtsjahr 1897 oder 1901 angegeben. Wie aus einem undatierten Bericht des BND, der als Teil von Urbans Akte im Rahmen des War Crimes Disclosure Act freigegeben wurde, hervorgeht, kam dieser ca. 1936 zum ersten Mal mit Kreisen des deutschen Nachrichtendiensts in Berührung und wurde bei den Olympischen Spielen in Berlin angeworben: „Von diesem Zeitpunkt an ist Urban, nach eigenen Angaben, ununterbrochen im ND-Geschäft tätig gewesen. Eine besondere Ausbildung erhielt er nicht.“ 1938 trat Urban der SS bei, war wenig später beim SD, Hauptabteilung III, sowie ab 1939 im RSHA, Amt VI/E (Auslandsnachrichtendienst, Mittel- einschließlich Südosteuropa) tätig. Dort bekleidete er die Funktion des „Hauptbeauftragten für Ungarn“ und wurde zuletzt 1944 zum SS-Obersturmbannführer befördert. Nach 1945 wurde Urban – so die Autoren Peter Müller und Michael Mueller – zu einem „vagabundisierenden Geheimdienstsöldner“. Der Bericht des BND listet folgende Stationen von Urbans weiterer Karriere auf: „1946/47 stand Urban mit dem US-Dienst (CIC Braunau und Linz) in Verbindung. 1948/49 arbeitete er geleichzeitig für die österreichische Staatspolizei, von 1948 bis Ende 1950/April 1951 für den britischen ND [Nachrichtendienst] in Österreich. Von Sommer 1951 an stand Urban mit der Organisation Gehlen in Verbindung […]. Am 31.05.56 wurde er stillgelegt und am 15.05.58 endgültig vom BND abgeschaltet. […] Unter dem Decknamen ‚ARTHUR‘ lieferte Urban in den Jahren 1967/68 Informationen über Südtirol an den italienischen Dienst, die er von bestechlichen Beamten der österreichischen Staatspolizei erworben hatte. […] Die Tätigkeit der ‚Nachrichtenwerkstatt‘ Urban endete erst im Frühjahr 1972, als dessen geistige und körperliche Kräfte immer mehr nachließen. Er starb am 15.02.73 in München.“

„Geistige Oberleitung“ über NS-Netzwerke - Deckname "Uhu"
Wie die deutsche Journalistin Gaby Weber betont, hatte Urban seine „meist frei erfundenen Geschichten“ zuerst gegen Straffreiheit und dann gegen Geld verkauft: „Mal wollte Urban dem BND geheime Dokumente aus Ungarn besorgen, ein anderes Mal spiegelte er enge Verbindungen ins Zentralkomitee der österreichischen kommunistischen Partei vor und versprach an Interna heranzukommen. Es erwies sich alles als Bluff, aber Urban beschäftigte die CIA und die europäischen Dienste jahrelang.“ Urban war aber nicht nur Nachrichtenhändler, er blieb auch nach Kriegsende seiner nationalsozialistischen Gesinnung treu und war in zahlreiche rechtsextreme Netzwerke eingebunden – so auch im Fall der „Rößner-Soucek-Verschwörung“. Urban soll unter dem Decknamen „Uhu“ eine Art „geistiger Oberleitung“ über „die österr. NS-Untergrundbewegung und zumindest auch über süddeutsche NS-Untergrundbewegungen“ innegehabt haben: „Er hielt mit Soucek in Graz Besprechungen ab, erteilte bei seinen häufigen Aufenthalten in Linz den Führern der o.ö. [oberösterreichischen] NS-Untergrundbewegung Ratschläge und Weisungen, versprach ihnen im Mai/Juni 1947 20.000 – S. für die Befreiung des damals im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus Linz-Nord in Urfahr in Haft befindlichen ehemaligen SS-Obersturmbannführers Viktor Nageler alias Trenk, beschaffte für einige […] Mitglieder und U-Boote der NS-Untergrundbewegung […] falsche Identitätsausweise und forderte die Mitglieder der o.ö. NS-Untergrundbewegung immer wieder auf, weiterhin aktiv in der illegalen NS-Bewegung zu arbeiten und ihre ganze Kraft dafür einzusetzen.“

"Nachrichtendiensttätigkeit" für den Westen
Laut eigener Aussage war Urban 1946 nach Linz gekommen, um mit der US-Besatzungsmacht in Verbindung zu treten: „Ich tat dies deshalb, weil ich der Meinung bin, dass die amerikanische Politik in Europa die entscheidende ist.“ Urban gelang es, in Braunau am Inn mit dem CIC in Verbindung zu treten: „Die genannte Dienststelle hat nun von mir vorerst nachrichtendienstliche Tätigkeit verlangt, um sich über meine Verwendbarkeit ein Bild machen zu können.“ Von Linz aus bildete Urban daraufhin einen „Stab von Nachrichtenleuten“ als Ausgangspunkt für seine „Nachrichtendiensttätigkeit“ – einige davon stammten aus dem Umfeld seines Kriegskameraden Viktor Nageler („Trenk“). Dieser hatte Urban unter anderem in sein Vorhaben eingeweiht, einen Kreis von jungen Männern um sich zu sammeln: „Er tue dies deshalb, weil nach seiner Ansicht nach der Krieg zwischen Amerika und Russland unausbleiblich sei und es daher nötig wäre, die jungen Männer davon zu überzeugen, dass die gerade in einer solchen Zeit in der Heimat nötig seien und sich nicht verlaufen dürften. Sie hätten die Aufgabe, sich zusammenzuschließen und als Partisanen zu kämpfen. Nageler meinte dazu, dass man auch die Alliierten, er meinte darunter die westlichen überzeugen müsse, dass sie für diesen Zweck auch Waffen und sonstige Unterstützung gewähren müssten.“

Vom CIC aus der Haft befreit
Zwei Tage nach Urbans Verhaftung in Linz, am 3. September 1948, erschien überraschender Weise ein Abgesandter des CIC Oberösterreich, um ihn abzuholen: „Eine sofortige Rückfrage beim Chef von CIC O.Oe. [Oberösterreich] Mr. Lucid, ergab, dass eine Weisung des CIC-Hauptquartiers in Wien vorlag. Doch wurde mitgeteilt, dass diese Überstellung in eine Sonder-Einzelzelle des landesgerichtlichen Gefangenenhauses in Linz (als CIC-Häftling) nur zu Vernehmungszwecken für wenige und zwar etwa 2 bis 3 Tage vorgesehen sei und dass Urban nach dieser Zeit mit Sicherheit den österr. Behörden rücküberstellt würde.“ Wie die Sicherheitsdirektion Oberösterreich am 15. September 1948 nach Wien meldete, war Urban „trotz mehrfacher ho. Anfragen“ bisher immer noch nicht zurückgestellt „und es mussten heute alle übrigen, bei ihm sichergestellten Beweismittel (falscher Id.-Ausweis, Adresszettel und Briefschaften usw., die Valuten – 500 sFr, 240.- US-Dollars und 40 engl. Pfund) an CIC, und zwar, wie angegeben wurde, leihweise zu Vernehmungszwecken übergeben werden“. Das Vorgehen des CIC habe auf die Moral der mit den Ermittlungen betrauten Beamten geschlagen: Man könne hören, „dass es unter diesen Umständen überhaupt keinen Zweck mehr habe, gegen Österreich gerichtete Umsturzbestrebungen zu bekämpfen“. Laut der deutschen Journalistin Bettina Stangneth gab es aber ohnedies kein Interesse an einem „Urbanprozess“, weil darin dessen Informantentätigkeit für die Staatspolizei zur Sprache gekommen wäre.

„Für die Amis eine wichtige Person“
Von diesen Verwicklungen wusste der spätere Kriminaloberst Leo Maier, der an der Verhaftung von Urban persönlich beteiligt gewesen war, nichts. In seinen Erinnerungen wird aber die Irritation über den seltsamen Fall deutlich: „Er ist nur zwei Tage in Haft bei uns, dann kommen die Amerikaner vom CIC und holen ihn ab. Er geht wieder frei. Ein hoher CIC-Beamter erklärt dem Sicherheitsdirektor, dass Urban ein perfektes Agentennetz bis weit in die Sowjetunion befehligt und deshalb für die Amis eine wichtige Person sei.“ Urban hatte, so Maier, eine „Art Müllabfuhr“ organisiert – seine Helfer, darunter zahlreiche ehemalige Mitarbeiter des RSHA, sammelten Papierabfall aus den Mistkübeln von sowjetischen Kasernen und Dienststellen. „In einer Wohnung in Linz wurde dieses Papier dann geprüft und ausgewertet. Wenn also zum Beispiel irgendeine Maruschka ihrem Mann einen Feldpostbrief schrieb und darin erwähnte, dass sie in einer neuerbauten Traktorenfabrik irgendwo in Wischinorschowgrad arbeiten müsse, bekamen die Amis einen Geheimbericht. ‚Unser Mann in Wischinorschowgrad‘ berichtete dann über eine neuerbaute Fabrik zur Panzerherstellung. Die Amis bezahlten dem Urban für dieses gar nicht existierende Geheimdienstnetz horrende Beträge in Dollar. Meine Erkenntnisse berichtete ich dem Sicherheitsdirektor. Er lächelte milde. ‚Wir sagen den Amis nichts davon‘, entschied er.“ Auch in dem bereits erwähnten Bericht der Sicherheitsdirektion von 1948 findet sich eine schonungslose Analyse von Urbans Nachrichtendienstarbeit. So habe man kurz nach der Festnahme einen bei ihm sichergestellten Plan der „Nordwerft Nikolajew“ in Russland sowie ein mehrseitiges Schriftstück in ungarischer Sprache dem CIC übergeben: „Die Legende zu dem Plan der Nordwerft Nikolajew ist nach ho. Auffassung typisch für die Arbeitsweise von Leuten wie Urban. Sie ist eine Beschreibung des Plans nach dem Stand zum Zeitpunkt der Räumung dieses Gebietes durch die deutsche Wehrmacht. Dabei werden aller Wahrscheinlichkeit nach der Phantasie entsprungene Wiederaufbauarbeiten angeführt und so hingestellt, als ob sie erst kürzlich durch einen Informator festgestellt worden wären.“

„notorious peddler and swindler“
Im September 1948 wurde Urban laut dem erwähnten BND-Dokument im Zusammenhang mit den NS-Untergrundbewegungen nochmals verhaftet. „Er gab sein Wissen über diese Organisation Preis und ermöglichte so die Verhaftung vieler seiner alten Kameraden. Er kooperierte mit der österreichischen Exekutive und wurde im Dezember 1948 aus der Haft entlassen, die im Wesentlichen nur darin bestanden hatte, dass er im Gefängnis schlafen musste. Tagsüber ging er in Begleitung eines Polizeibeamten seinen ND-Geschäften nach“, heißt es dazu in dem Dokument. Im Einverständnis mit den US-Stellen lieferte Urban der Staatspolizei Informationen über die KPÖ und die sowjetisch verwalteten USIA-Betriebe – dafür endete im April 1950 die Zusammenarbeit mit den US-Diensten. Diese hatten Urban endgültig als „notorious peddler and swindler“ durchschaut. 

Trotz dieses Rückschlags setzte Urban seine Geheimdienstarbeit noch länger fort. Er verfügte über gute Beziehungen zu ungarischen Emigranten. Auch aus der Tschechoslowakei und Jugoslawien wurden so Informationen über Mittelsmänner in Österreich beschafft. Wichtigster Kanal aber war nach wie vor die „Müllaktion“: „Die Menge des anfallenden Materials erlaubte es Urban, nicht nur bei den Deutschen Geld herauszuschlagen. Gegen entsprechende Bezahlung belieferte er den sogenannten Anders-Nachrichtendienst der Exil-Polen mit Sitz in London und den britischen Dienst.“ Der Abzug der Roten Armee aus Österreich 1955 bedeutete das Ende der „Müllaktion“ – folglich wurde Urban auch vom BND offiziell „abgeschaltet“. In einem Bericht des bayerischen Landeskriminalamts vom 16. März 1961, das sich in der spärlichen Akte Urbans im Staatsarchiv/Archiv der Republik befindet, heißt es dazu: „Aus vertraulich zu behandelnden Unterlagen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz München konnte […] entnommen werden, dass der Beschuldigte nach dem Kriege in der sowjetisch besetzten Zone Österreichs damals versuchte, einen Nachrichtendienst aufzuziehen. Er wurde deshalb im Februar 1954 durch die österreichische Staatspolizei in Wien verhaftet, angeblich um Differenzen mit den Sowjetbehörden aus dem Wege zu gehen. Er soll damals Papiere aus Abfallstätten sowjetischer Behörden und Truppenunterkünften gesammelt, gereinigt und an westliche Nachrichtendienste verkauft haben. Die österreichischen Behörden sollen damals beabsichtigt haben, Urban als unerwünschte Person nach Deutschland abzuschieben.“

HINWEIS: Auszug aus "Die Rößner-Soucek-Verschwörung": NS-Untergrundbewegungen, Geheimdienste und Parteien im Nachkriegsösterreich, in: JIPSS, Nr. 1/2015
http://www.acipss.org/

Montag, 10. August 2015

Die "Soucek-Rößner-Verschwörung": NS-Untergrundbewegungen im Nachkriegsösterreich

1947 wurde in Österreich ein weitverzweigter Schleichhändlerring ausgehoben – weitere Nachforschungen ergaben, dass dahinter nicht nur kriminelle Absichten gestanden hatten. Untergrundbewegungen ehemaliger Nationalsozialisten hatten mit dem Schmuggel ihre Aktivitäten finanziert: Dokumentenfälschung, Fluchthilfe, Aufbau einer bewaffneten Selbstschutzorganisation im Falle einer Konfrontation zwischen West und Ost sowie auf längere Sicht gesehen die Sammlung der „Ehemaligen“ im Rahmen einer „vierten Partei“. Die sogenannte „Soucek-Rößner-Verschwörung“ ist somit eine Fallstudie, in der sich die Ambivalenz der Nachkriegszeit spiegelt: Das besetzte Österreich als „Bazar“ für Informationshandel; ein durch Paranoia, Spannungen und latente Kriegsangst aufgeladenes politisches Klima; Sammlungsbestrebungen „Ehemaliger“ gegen die als Diskriminierung empfundenen Bestimmungen der Entnazifizierung bis hin zu den subversiv-antidemokratischen Bestrebungen von Rößner und Soucek.

Aktion Sacher
1947 kam die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich einem über mehrere Bundesländer ausgedehnten Schleichhändlerring auf die Spur („Aktion Sacher“). Dieser führte vor allem in Oberösterreich und Salzburg Schiebergeschäfte mit Mangelwaren, insbesondere mit Saccharin durch, das vorwiegend aus der Schweiz nach Österreich geschmuggelt wurde. Transportiert wurde es von Frauen sowie von Kriegsversehrten in deren Bund- oder Fußprothesen. Im Zuge der Ermittlungen („Aktion Sacher“) ergab sich, dass die Hauptakteure ehemalige Nationalsozialisten waren, die sich mit Hilfe von gefälschten Personalpapieren. Die Ermittlungen wurden über einen längeren Zeitraum verdeckt durchgeführt, um Beweise für eine politische Betätigung zu sammeln und die vermutete Organisation in ihrer Gesamtheit festzustellen. Ende Oktober 1947 waren diese Ziele erreicht. In Linz hatten Staatspolizisten ein Café überwacht, das von mehr Personen betreten als verlassen wurde – einige Gäste verschwanden offenbar durch Nebenausgänge oder Geheimgänge. Schließlich wurde eine Razzia durchgeführt und man wurde tatsächlich fündig: In den Kellerräumen des Lokals befand sich eine Druckerei für gefälschte Personalpapiere und bereits fertiggestellte Dokumente wurden sichergestellt. Dadurch wurden die Decknamen der „U-Boote“ bekannt, die anhand der vorhandenen Fotos dann identifiziert werden konnten.

Die Schlüsselpersonen waren der 39jährige ehemalige Gauhauptstellen- und Oberbereichsleiter von Wien, Hugo Rössner, der 27jährige vormalige Jungbannführer der Hitlerjugend (HJ), Amon Göth (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Kommandanten des Konzentrationslagers Plaszow), der 30jährige kriegsversehrte und ehemalige militärische Ausbilder einer HJ-Abteilung, Fritz Schiller, und der 27jährige ehemalige HJ-Bannführer Johann Balzer. Rößner, der die Führung innehatte, war im März 1933 der SA und im Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Nach dem Anschluss 1938 verwendete man ihn als SA-Schulungsleiter für den Gau Wien, drei Jahre später stand er bei der Gauleitung Wien als Referent für wehrgeistige Erziehung und als Gau-Schulungsleiter in Verwendung. Nach Kriegsende hielt sich Rößner bei Bauern im Ennstal verborgen, fand anschließend Arbeit in der BRD und ließ sich 1946 unter dem Alias „Kurt Müller“ repatriieren. Er wurde schließlich am 13. November 1947 in Villach verhaftet.

Rößners Organisation, die sich zwecks Tarnung „ASV (Alpensportverein) Edelweiß“ nannte, hatte ihre Knotenpunkte in Linz, Wels, Vöcklabruck und Mondsee. Im September 1946 hielten Rößner, Göth, Balzer und Schiller mit dem Grazer SS-Obersturmbannführer Viktor Nageler auf der Brunnerhütte am Stoderzinken (Steiermark) eine Zusammenkunft ab. Nageler hatte zuvor versucht, unter dem Decknamen „Trenk“ in Linz und Urfahr ehemalige HJ-Angehörige um sich zu scharen (die Mitglieder dieser Gruppe nannten sich gewöhnlich „Panduren“). Man kam überein, sich zusammenzuschließen und dabei klandestine Strukturen mit klaren Zielsetzungen auszubilden. Die Details wurden am 7. und 8. Juni 1947 bei einem Folgetreffen im Salzburger Hotel „Roter Krebs“ geklärt. Vor allem Rößner schwebte die Gründung eines Elite-Ordens vor, der nach dem Vorbild von Geheimgesellschaften wie Jesuiten und Freimaurer organisiert sein sollte. Oberstes Ziel der hierarchisch gestaffelten Untergrundbewegung sei „die Wiederaufrichtung der nationalsozialistischen Herrschaft und eines einigen großdeutschen Reiches“. Aktiv werden wollte man jedoch erst im Falle einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, deren Ausbruch aber bald erwartet wurde.
Das ehemalige Hotel "Roter Krebs" in Salzburg (Foto: Autor)
Die Soucek-Gruppe
Anfang 1947 knüpfte Rößners Untergrundbewegung Kontakte zu einer weiteren Gruppe, die sich schon Ende 1946 in der Steiermark gebildet hatte – rund um den Grazer Kaufmann Theodor Soucek (geboren 1919). Der illegale Nationalsozialist und spätere Leutnant der Wehrmacht wurde im November 1947 gemeinsam mit 19 anderen Personen verhaftet. In der Mehrzahl handelte es sich um ehemalige Wehrmachtsoffiziere sowie HJ-, SA- und SS-Angehörige. Nach Aussage von Soucek bekannte man sich innerhalb dieses Kreises zu „gewissen nationalsozialistischen Auffassungen“, lehnte jedoch „jede Neuorganisation in Anlehnung an die NSDAP, ihr Programm und ihre personelle Führungsschichte eindeutig ab“. Dafür wurde in den Anti-NS-Gesetzen „unter Zugrundelegung einer Kollektivschuld“ eine „große Gefahr für Österreich“ gesehen, weshalb man die „Härten dieses Gesetzes“ beseitigen wollte. Die Sammlung ehemaliger Nationalsozialisten sollte schließlich in die Schaffung einer „vierten Partei“ münden.

Wie Soucek in seinem 2001 erschienenen autobiografischen Bericht Mein Richter, mein Henker herausstreicht, war die primäre Motivation, „politisch verfolgten“ ehemaligen Nationalsozialisten und „Auslieferungsbedrohten“ an die Rote Armee und Tito-Jugoslawien Fluchthilfe zukommen zu lassen. So wurden über „Kriegskameraden“ und Sympathisanten in der steirischen Betreuungsstelle des Heimkehrerverbands Personaldokumente mit falschen Identitäten besorgt. Man habe, so Soucek, „aus den höchsten Stellen der Besatzungsbüros jede erdenkliche Hilfe“ – gestempelte Formulare und Personalpapiere, Suchlisten und vertrauliche Informationen – erhalten. Mit Hilfe dieses Materials erstellte dann ein Dokumentenspezialist die notwendigen Viersprachenausweise zur Durchquerung aller Besatzungszonen, Meldescheine, Lebensmittelkarten, Führerscheine und Versehrtenpapiere. Weiters wurden in Lebensmittelpaketen und in Weißmehlsäcken versteckte Drahtmesser, Schneidezangen und Feilen in die Internierungslager Wolfsberg und Glasenbach eingeschmuggelt. Ausbrecher konnten dann bei benachbarten Bauernhöfen unterkommen, wo die Gewährung von Versteck und Pflege vorab arrangiert worden war; „für den Abtransport und die weitere Flucht übernahmen es wir, das Notwendige zu tun und zu veranlassen“. 

In seinen Memoiren behauptet Soucek, auf diese Weise „weit über 500“ Menschen vor der Auslieferung gerettet zu haben und dafür 1953 von Bundespräsident Adolf Schärf persönlich belobigt worden zu sein. In den Ermittlungsakten dagegen ist lediglich die Rede davon, dass „7-8 Mann“ Soucek die Freiheit verdanken würden. Ein weiteres bestimmendes Handlungsmotiv für Souceks Gruppe war die „Sorge um das nationale Schicksal im Falle eines drohenden Kriegsausbruchs zwischen West und Ost“. Soucek gab Anfang Dezember 1947 im Verhör an, dass man dem „drohenden Kriegsausbruch zwischen West und Ost“ nicht „völlig fatalistisch oder resignierend“ gegenüberstehen wollte, "sondern Vorkehrungen zu treffen, die der Schaffung einer Selbstschutzgemeinschaft entsprochen hätten".

Prozess und Urteile
Bis Ende 1947 wurden etwa 80 Personen verhaftet; bis Ende März 1948 stieg diese Zahl auf über 100 an. Am 6. Januar 1948 informierte Innenminister Oskar Helmer den Ministerrat über die aufgedeckten NS-Untergrundbewegungen: „Es hätte eine Führerschicht gebildet werden sollen, die nach den Regeln des Jesuitenordens auszubilden gewesen wäre. […] Die Organisation ‚Sacher’ hat sich aller möglichen Organe bedient und hat versucht, die Heimkehrer zu erfassen und hat auch Verbindungen mit allen nur möglichen Organisationen gesucht. […] Ich bin der Auffassung, dass in der kürzesten Zeit die Aburteilung der Verhafteten zu erfolgen hat und diese nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Weiters müssen exemplarische Strafen verhängt werden. Die Bevölkerung verlangt dies von uns. Pfadfinder, die sich einen Stempel für falsche Ausweise angeeignet haben, sind mit dieser Affäre nicht in Verbindung zu bringen.“ Öffentlich schlug Helmer im Nationalrat nur acht Tage später einen anderen Ton an: Bei den aufgedeckten NS-Untergrundbewegungen handele es sich um „eine Handvoll unentwegter Narren und Verbrecher“, deren Machenschaften – vom Schleichhandel abgesehen – über das Planungsstadium nicht hinausgekommen waren. 

Am 31. März 1948 begann der Prozess vor dem Grazer Volksgericht und nach 27 Verhandlungstagen wurden harte Urteile gefällt: Über drei Hauptverantwortliche – Soucek, Rößner und Göth – wurde die Todesstrafe und gegen drei weitere Beteiligte – Franz Klinger, Anton Sehnert und Friedrich Schiller – langjährige Kerkerstrafen verhängt. Die Todesurteile wurden 1949 von Bundespräsident Karl Renner in Haftstrafen umgewandelt – nachdem bereits das Gericht festgestellt hatte, dass eine Vollstreckung die Verurteilten „ganz überflüssigerweise als Märtyrer einer längst verfallenen Ideologie erscheinen ließe“. Letztendlich sollte aber keiner länger als vier Jahre in Haft verbringen. 1952 wurden alle vom Bundespräsidenten begnadigt. Lediglich Soucek, der 1953 einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem eine Radfahrerin starb, wurde 1954 noch zu einer fünfmonatigen Kerkerstrafe verurteilt.

Politische Querverbindungen
In Mein Richter, mein Henker streicht Soucek mehrmals einen wichtigen Helfer seiner Fluchthilfeorganisation hervor: Den „hochausgezeichneten Hauptmann Otto Rösch“, der über die „Heimkehrerhilfe“ in Graz „immer rasch“ Personaldokumente zur Hand hatte. Rösch (1917-1995) war zwischen 1945 und 1947 Leiter des Heimkehrerreferats der SPÖ in der Steiermark und in der britischen Zensurstelle beschäftigt. Zusätzlich fungierte er als Referatsleiter der überparteilichen, jedoch ÖVP-dominierten Heimkehrer-Hilfs- und Betreuungsstelle (HBB) unter Ernst Strachwitz. Rösch, der bereits 1935/36 Mitglied der HJ, seit 1936 Mitglied des illegalen NS-Studentenbundes und ab 1937 ein führender HJ-Funktionär in Graz gewesen war, wurde am 8. Dezember 1947 verhaftet. Auch HBB-Leiter Strachwitz wurde zu Silvester verhaftet und ein halbes Jahr später wieder entlassen. Rösch gab zu Protokoll, er habe Soucek erklärt, „er werde Partisan, wenn die Russen bei uns einmarschieren“. Er leugnete, einen Koffer in Verwahrung gehabt zu haben, der Stempel zum Ausstellen von Ausweispapieren enthalten habe. Die Staatspolizei Graz hielt fest: „Otto Rösch, ehemaliger Beamter der Zivilzensur in der britischen Zone Steiermark, […] hat wiederholt an geheimen Besprechungen teilgenommen und auch seine Wohnung zu einer solchen Besprechung zur Verfügung gestellt. Er war als ‚militärischer Berater’ der Gruppe vorgesehen und sollte zu Parteien, Ämtern und einzelnen Vertrauenspersonen, die zur Mitarbeit im Nachrichtendienste geeignet schienen, Verbindungen aufnehmen. Aus schriftlichen Aufzeichnungen, die in seiner Wohnung vorgefunden wurden, geht hervor, dass der Genannte seine Stellung als Beamter der Zivilzensur missbraucht hat.“

Während der Haft, behauptete Soucek, habe Rösch betont, „wenn er nicht freigesprochen würde, werde er mit Tatsachen aufwarten, die das ganze Land Österreich mit dem Skandal unseres Prozesses aufhorchen lassen würde. Er werde nicht ruhen, bis wir uns nicht alle wieder in Freiheit befänden.“ Am 3. Juni 1949 wurde Rösch tatsächlich freigelassen – nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel an Beweisen. 25 Jahre später, im Zuge der Kontroverse zwischen Simon Wiesenthal und Bruno Kreisky, wurde wieder auf diese Ereignisse Bezug genommen. Denn Rösch war mittlerweile 1970 in die Bundesregierung geholt worden – zunächst als Innenminister (1970-1977) und später als Verteidigungsminister (1977-1983). Wiesenthal, der die Berufung von ehemaligen Nationalsozialisten wie Rösch in das Kabinett Kreiskys stets kritisiert hatte, erklärte: „Die Ausweise für die Flucht von Kriegsverbrechern, die sich in Röschs Koffer befanden, waren gar nicht gefälscht. Die kamen direkt aus dem Innenministerium.“ Rösch selbst gab an, dass er im Auftrag von Innenminister Oskar Helmer zur Gruppe Soucek gegangen war. Belege für diese Rechtfertigung sind nicht bekannt. Kreisky konnte wenig zur Aufklärung beitragen, stellte sich aber hinter Rösch: „Als ich aus der schwedischen Emigration nach Österreich zurückkam, war ich entsetzt, dass Leute wie Rösch in der Partei herumsaßen. Ich konnte das einfach nicht verstehen. Da überzeugte mich der damalige steirische Landessekretär [Ernst] Taurer – es war in der Wohnung seiner Schwester in der Dominikanerbastei, ich erinnere mich genau – in einer die ganze Nacht dauernden Aussprache davon, dass Rösch in Ordnung war. Er war da mit Wissen und im Auftrage der Partei hingegangen. Natürlich war das eine Räubersidee. Ob sie der Taurer oder der Rösch selbst ausgedacht hat, weiß ich nicht.“ Für die These, dass Rösch zumindest im Einvernehmen mit der steirischen SPÖ handelte, spreche jedenfalls sein „unmittelbar folgender Senkrecht-Start als Karriere-Politiker“, schloss das Nachrichtenmagazin profil. Laut Harald Irnberger gab es zahlreiche Indizien dafür, dass neben Helmer auch der damalige SPÖ-Vorsitzende Adolf Schärf und Bundeskanzler Leopold Figl über die NS-Untergrundbewegungen informiert waren.

Unzulängliche Entnazifizierung
Die undurchsichtige Rolle Röschs und die Verbindungen der NS-Untergrundbewegungen zu politischen Parteien verdeutlichen die Unzulänglichkeiten und die Ambivalenz des Entnazifizierungsprozesses in Österreich: Ursprünglich hatte bei Kriegsende 1945 bei allen maßgebenden Kräften Übereinstimmung geherrscht, im „antifaschistischen Geist“ eine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus vorzunehmen. Bereits am 8. Mai 1945 wurden die NSDAP und ihre Gliederungen verboten. In diesem Verbotsgesetz und dem am 26. Juni 1945 erlassenen Kriegsverbrechergesetz wurden die Bestrafung der „Illegalen“ (NSDAP-Mitglieder vor 1938) und „schwer Belasteter“, die Registrierung der ehemaligen Nationalsozialisten sowie die Schaffung von Volksgerichten zur Aburteilung der NS-Verbrecher geschaffen. Ein Wirtschaftsäuberungsgesetz kam am 12. September 1945 hinzu. Weiters wurde am 6. Februar 1947 auf Druck der Alliierten eine verschärfte Novelle des Verbotsgesetzes beschlossen: Dieses Nationalsozialistengesetz sah neben der Registrierung der ehemaligen NSDAP-Parteimitglieder unter anderem deren Entfernung aus dem Staatsapparat und der Wirtschaft sowie Berufsverbote, Sühnemaßnahmen und die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts vor.

Die auf Basis dieser Gesetze und nachfolgender Verordnungen vorangetriebene Entnazifizierung kam allerdings bald ins Stocken. Eine erste wichtige Zäsur hatte bereits das Ergebnis der Nationalratswahlen vom November 1945 gebracht. Es schien die Haltung der ÖVP zu bestätigen, die für eine schnelle Reintegration der Registrierungspflichtigen eingetreten war. Innerhalb der SPÖ verloren daraufhin die Vertreter der Parteilinken, die für strenge Maßnahmen eingetreten waren, an Boden, woraufhin man ebenfalls für eine rasche Rehabilitierung eintrat. Fraglich war, wie der beträchtliche gesamtgesellschaftliche Anteil der „Ehemaligen“ – 700.000 NSDAP-Mitgliedern sowie Hunderttausendende SS- und SA-Angehörige (mit deren Familien weit mehr als ein Viertel der Bevölkerung) – dauerhaft von Politik und Wirtschaft ausgeschlossen werden konnte. Von allem Anfang an, so Wilhelm Svoboda, habe daher die „Normalisierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Situation im Nachkriegsösterreich“ Vorrang gehabt – die Verhaftung und Internierung von rund 10.000 Personen im Jahr 1945, von denen ein Teil wieder freigelassen wurde, sei nur eine „kosmetische“ Maßnahme gewesen, die eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Hunderttausenden „Ehemaligen“ verhinderte. Weiters begann sich ab 1947/48 im Zuge des Kalten Krieges das gesellschaftliche Klima in Österreich zu wandeln: der Antifaschismus wurde vom Antikommunismus abgelöst.  

1948 wurden erste Amnestien für jugendliche Personen, „Minderbelastete“ und Spätheimkehrer beschlossen. Da rund 530.000 registrierte Nationalsozialisten nun bei der Nationalratswahl 1949 wieder wahlberechtigt waren, entbrannte ein intensiver Wettstreit um dieses Wählerpotenzial – vor allem, als im März 1949 rund um Viktor Reimann und Herbert Alois Kraus der Verband der Unabhängigen (VdU) als politische Vertretung der „Ehemaligen“ entstand. Deren zunehmendes Aufbegehren im Kampf gegen die empfundene Entrechtung und Schlechterstellung war ein Haupanliegen, wie Kraus Anfang Juni 1949 bei einer VdU-Versammlung hervorstrich: „Ein Viertel oder ein Drittel der Bevölkerung ist in äußerste Not gestoßen und zu verlässlichen Feinden des Staatswesens gemacht worden. In keinem Staat der Welt hat eine so grausame Verfolgung der Mitläufer des NS-Regimes stattgefunden, wie in Österreich.“ Der Aufbau des VdU löste vor allem bei der ÖVP Sorgen vor einer Spaltung des bürgerlichen Lagers aus: Am 28. Mai 1949 setzte sich deshalb in Oberweis eine ÖVP-Delegation unter Führung des späteren Bundeskanzlers Julius Raab mit elf „Ehemaligen“ – darunter Höttl und ein früherer Adjutant Kaltenbrunners, Theo Wührer – zusammen. Man diskutierte Bedingungen für die Einbindung des nationalen Lagers in die ÖVP, eine Einigung kam aber nicht zustande. Schon zuvor, am 8. April 1949, hatte sich Schärf für die SPÖ mit eher sozialdemokratisch ausgerichteten „Ehemaligen“ – dem „Gmundner Kreis“ rund um Kernmayer, Kowarik und Schachermayer – getroffen und die Möglichkeit einer Dreierkoalition von SPÖ, ÖVP und VdU angedeutet. Bei Nachfolgetreffen im August 1949 wurde dem oberösterreichischen VdU zudem materielle Unterstützung beim Wahlkampf zugesagt. Bei den anschließenden Nationalratswahlen am 9. Oktober 1949 gewann der VdU 11,7 Prozent der Stimmen. Sowohl die Versuche, die nationalen Gruppierungen ins ÖVP-Lager zu ziehen, als auch die Hoffnung der SPÖ, dass die „vierte Partei“ vor allem der ÖVP Stimmen wegnehmen werde, hatten nichts gefruchtet. Allerdings führten Verluste bei folgenden Wahlen und interne Machtkämpfe dazu, dass der VdU in der 1955 gegründeten FPÖ aufging.

Der Endpunkt der Entnazifizierung wurde 1957 erreicht: Das Gesetz über die NS-Amnestie vom 14. März 1957 hob die wesentlichen Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes auf. Ab diesem Zeitpunkt fielen NS-Verbrechen unter das österreichische Strafgesetzbuch. Nun waren auch jene, die als belastet eingestuft worden waren, rehabilitiert. Das allmähliche Aufweichen der Entnazifizierung war auch einer der Hauptfaktoren, die zum generellen Verschwinden von NS-Untergrundbewegungen in der BRD und in Österreich beitrugen. Darüber hinaus kamen die ökonomische Erholung, die Duldung neuer rechter politischer Parteien als legaler politischer Betätigungsrahmen und die Verschärfung des Kalten Krieges zum Tragen.

„Wir rufen Europa“
Theodor Soucek blieb auch nach der Haftzeit seiner Gesinnung treu und war bereits in 1950er Jahren eine der Führungsfiguren der rechtsextremen Szene. Laut Wolfgang Purtscheller kam auf Souceks Betreiben hin 1954 rund um den VdU-Rechtsabweichler Fritz Stüber der Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) zusammen, eine „Vorläuferorganisation der FPÖ“. Nach vergeblichen Versuchen, in den VdU aufgenommen zu werden, widmete sich Soucek vor allem dem Ziel, neofaschistische Gruppen auf europäischer Ebene zusammenzuführen. 1956 veröffentliche er die programmatische Schrift Wir rufen Europa, in der er die Notwendigkeit einer „Vereinigung des Abendlands“ beschwor. Im Januar 1957 gründete Soucek in Graz den Verein Sozialorganische Ordnungsbewegung Europas (SORBE). Deren Programm fasste die Staatspolizei in einer Information so zusammen: „Die ‚Sozialorganische Ordnungsbewegung Europas‘ bezweckt laut ihren Statuten die Förderung der Vereinigung Europas in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, die Vertiefung der kulturellen und geistigen Beziehungen der einzelnen Völker untereinander, sowie die Erweckung des Interesses der Jugend für diese Aufgaben. Das Endziel ist die Errichtung einer sozial-organischen Ordnung der europäischen Völkergemeinschaft zur Bewahrung und Steigerung der wirtschaftlichen und biologischen, nicht zu zuletzt damit aber auch der kulturellen Kraft Europas.“

Soucek gelang es, die deutsche Sektion der Europäischen Verbindungsstelle (EVS), die Volkspartei der Schweiz, eine Gruppe der Europäischen Verbindungsstelle (EVS) aus Elsass-Lothringen sowie weitere Gruppen für eine Kooperation zu gewinnen. Am 7. und 8. Dezember 1957 fand im Marmorsaal des Salzburger Hotels Pitter der erste „Europakongress“ der SORBE statt – „ca. 1.000 Personen“ waren gekommen, darunter Erwin Vollenweider, der 1951 die Volkspartei der Schweiz gegründet hatte, und der französische Neofaschist und Holocaust-Leugner Henri Rocques. Als die SORBE am 15./16. November 1958 einen weiteren „Europakongress“ abhalten wollte, wurde der Druck von Opferverbänden und der Israelitischen Kultusgemeinde, etwas dagegen zu unternehmen, immer größer. Daraufhin erklärte das Innenministerium die SORBE am 25. Oktober 1958 für aufgelöst – der Verein habe seinen „statutenmäßigen Wirkungsbereich“ überschritten. Vor allem aber habe die Tätigkeit des Vereins den Eindruck erweckt, „dass eine Sammlung faschistischer Elemente und die Initiierung einer neofaschistischen Bewegung beabsichtigt sei, was in weitesten Kreisen der Bevölkerung Österreichs Unruhe ausgelöst hat und nicht zuletzt die staatlichen Interessen Österreichs gegenüber dem Ausland gefährdet“. Einer daraufhin eingebrachten Beschwerde der SORBE-Mitglieder gab der Verfassungsgerichtshof jedoch Anfang Juni 1958 statt: Die Gründe, die zur Vereinsauflösung geführt hätten, seien „nicht erwiesen“. Hierüber sei „nicht einmal ein ausreichendes Ermittlungsverfahren“ durchgeführt worden. Souceks Wahl zum Obmann des Steirischen Handels- und Gewerbebundes im Dezember 1959 stand nichts im Wege. In den folgenden Jahren konnte SORBE allerdings nicht mehr zur alten Stärke zurückfinden.
Salzburger Hotel Pitter (Foto: Autor)
Nachdem Soucek seit 1962 verzogen war und der Verein über einen Zeitraum von zwei Jahren keine Tätigkeit mehr ausgeübt hatte, wurde SORBE am 16. März 1964 per Bescheid endgültig aufgelöst. Soucek hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ins Ausland abgesetzt – nachdem er die von seinem Vater geerbte Eisenhandlung in Graz so heruntergewirtschaftet hatte, dass die Schulden mehr als vier Millionen Schilling ausmachten. Soucek hielt sich kurzzeitig im südafrikanischen Pretoria auf, wurde aber ausgewiesen. Ebenso scheiterten Versuche, in der BRD und in der Schweiz Fuß zu fassen. Schließlich reiste Soucek nach Südamerika und hielt sich längere Zeit in Argentinien auf. Danach gelangte er nach Spanien und ließ sich in Benalmádena an der Costa del Sol nieder, wo sich auch der österreichische Neonazi und Holocaust-Leugner Gerd Honsik aufhielt. Dort soll Soucek Handbücher zum Untergrundkampf übersetzt haben, wie sie von der SS gegen Ende des Zweiten Weltkriegs für Werwolf-Gruppen bestimmt waren. Die Anleitungen für Sabotageakte, darunter Sprengstoffanschläge, werden heute von den spanischen Ablegern der internationalen Neonazi-Netzwerke „Blood&Honour“ und „Hammerskins“ verwendet. 

HINWEIS: Langversion mit Quellenangaben ist im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Nr. 1/2015 erschienen
http://www.acipss.org/journal
Siehe auch: Petra Stuiber, Uncle Sams braune Spione, in: Der Standard, 30. 6. 2015
http://derstandard.at/2000018127485/Uncle-Sams-braune-Spione