Ab
1946/47 begannen die US-Nachrichtendienste in großem Stil osteuropäische
Kollaborateure bzw. Veteranen der NS-Geheimdienste und der Waffen SS anzuwerben
– so auch im Nachkriegsösterreich. Die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen
durch den Kalten Krieg hatten aus früheren Feinden Verbündete gemacht. Ein
Zentrum dieser Tätigkeiten waren Gmunden und das nahegelegene Altmünster am
Ufer des Traunsees in Oberösterreich – die Aufarbeitung dieses Kapitel Zeitgeschichte steht noch am Anfang.
Am Ufer des Traunsees in Altmünster (Foto: Autor) |
Mindestens
1.000 Ex-Nazis als Spione und Informanten
Die Mitarbeiter des
430th Detachments des Counterintellligence Corps (CIC), dem Geheimdienst der
US-Army, waren Anfang Mai 1945 in Österreich eingetroffen und hatten sich
zunächst in Salzburg und ab August 1945 in Wien eingerichtet (die erst 1947
gegründete CIA übernahm ab 1949 wesentliche, bis dahin vom CIC erfüllte
Aufgaben in Österreich). Im Verlaufe der Besatzungszeit war das CIC mit ca. 500
hauptamtlichen Mitarbeitern aktiv. Ihre Hauptaufgabe war zunächst die
Entnazifizierung im US-Besatzungsbereich. Doch die Priorität verschob sich
schon innerhalb weniger Monate zur Beobachtung der Aktivitäten der sowjetischen
Besatzungsmacht und ihrer zentral- und osteuropäischen Verbündeten, das
Abschöpfen von „Displaced Persons“ (DPs), d. h. von Flüchtlingen, Vertriebenen
aus Osteuropa und Kriegsheimkehrern, sowie das Sammeln von Informationen über
die österreichische Innenpolitik. Unter den dafür angeworbenen Informanten und
Zuträgern befanden sich osteuropäische NS-Kollaborateure bzw. Veteranen der
NS-Geheimdienste und der Waffen-SS. Unter den geänderten Vorzeichen des Kalten
Krieges waren aus früheren Feinden Verbündete geworden. 2014 kam eine Studie
zum Schluss, dass mindestens 1.000 frühere Nationalsozialisten von US-Diensten
als Spione und Informanten beschäftigt worden waren.
In Salzburg war das CIC anfangs im Franziskanerkloster untergebracht (Foto: Autor) |
„Intelligence
jungle“
Österreich spielte in
mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle: Zahllose zivile und militärische
Deserteure sowie gefährdete Agenten wurden hier über eine eigens installierte
„Rattenlinie“ aus dem sowjetisch besetzten Teil und aus Osteuropa
herausgeführt. In einem freigegebenen Recherchepapier der CIA von 1999 ist von
einem regelrechten „intelligence jungle“ die Rede. Alle möglichen ehemaligen
Angehörigen von Abwehr, Gestapo, Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und von
faschistischen Organisationen aus Zentral- und Südeuropa boten fabrizierte
Informationen feil, um die man sich dann gestritten hätte „like so many women
in Macy’s basement on the day after Christmas“, so ein pensionierter Offizier.
Zweck
heiligte die Mittel
Eine
Untersuchung des amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988
zum Schluss, dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des
NS-Sicherheitsapparats anwarb. Offenbar habe die Philosophie
gegolten, dass der Zweck die Mittel heilige. Die Mitgliedschaft in der SS
oder einer anderen NS-Organisation war damals kein Kriterium, um als Informant
abgelehnt zu werden. Dass sich das CIC mit solchen Quellen einließ, hatte
mehrere Gründe: Mangelhafte Kontrolle über die massiv ausgeweiteten
Aufklärungsvorgänge, interne Rivalität zwischen den verschiedenen
geheimdienstlichen Organisationen und Defizite in der Personalstruktur. Infolge
der Reduktion der US-Armee in Westeuropa bis Ende 1945 war das CIC mit jungen
und ungenügend ausgebildeten Rekruten besetzt, die kaum für die Verbrechen des NS-Regimes
sensibilisiert waren. Alle diese Faktoren wirkten sich negativ auf die
operative Effektivität aus und führten letztendlich dazu, dass man in großem
Maßstab auf „antikommunistische Ressourcen“ zurückgriff, um die eigenen
Vorgaben zu erfüllen. Das ehemalige
NS-Sicherheitspersonal nützte diese Schwäche jedenfalls weidlich aus und war
bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich daraus zu ziehen. Für die westlichen
Dienste war der Schaden letztlich größer als der Nutzen: Denn ihre braune
Vergangenheit hatte manche Agenten erpressbar gemacht – so wurden etwa in der
Organisation Gehlen (Vorläufer des 1956 gegründeten Bundesnachrichtendiensts,
BND) hochrangige Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“
angeworben und richteten beträchtlichen Schaden an.
„SS
verlässlichste Waffe“
Einer der
bekanntesten Quellen des CIC in Österreich war Wilhelm Höttl (1915-1999),
ehemals SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im
Auslands-Sicherheitsdienst (SD). Nach Kriegsende 1945 machte Höttl eine erstaunliche
zweite Karriere: Als Autor, Gründer des Privatrealgymnasiums in Bad Aussee und,
wegen seines Spezialwissens über Ungarn und den Balkanraum, als Spion
verschiedener Geheimdienste. Deswegen entließ die US-Armee Höttl im Dezember
1947 und verweigerte seine Auslieferung an eines der österreichischen
Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen. Schon 1948/49 führte Höttl
im Auftrag des CIC ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Gemeinsam mit
den ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen Erich Kernmayer und Karl Kowarik installierte
er für das CIC Field Office Gmunden Anfang Juli 1948 zwei Netzwerke. Höttl
erinnerte sich Ende der 1970er Jahre positiv an seine Dienstherrn: „Speziell in Gmunden war eine Zweigstelle
des CIC, in der sich tapfere Elemente gefunden haben, die sagten: ‚Ganz egal,
wo die Informationen über die Russen herkommen, diese Leute wissen am meisten.
Wenn die uns helfen, helfen wir ihnen, wenn sie gefährdet sind.’ […] Die
Amerikaner hatten sich überhaupt nicht dafür interessiert, wo der Mann vorher
war, ob er bei der Waffen-SS oder bei der Allgemeinen SS gewesen war. Er hätte
genauso gut ein Treblinka- oder Auschwitz-Mann sein können, das war denen ganz
gleich […]. Nach der ersten Hasswelle von Nürnberg, die 1946 abebbte, begann schon
1947 die Fraternisierung speziell mit der SS, weil sie als verlässlichste Waffe
angesehen wurde.“
Blick auf Altmünster (Foto: Autor) |
Spionagezentrum
Gmunden-Altmünster
Gmunden und Altmünster
bildeten zusammen einen wichtigen Knotenpunkt US-amerikanischer
Nachrichtendiensttätigkeit. Neben dem CIC Field Office war am ehemaligen Gmundner
Flugplatzgelände ein Verhörzentrum, das US Detailed Interrogation Center (USDIC),
untergebracht. Dort wurden nicht nur Befragungen durchgeführt, sondern auch gleich
die Auswertung in Form spezieller USDIC-Berichte vorgenommen. Abgeschöpft wurden
vor allem Insassen des Camps Marcus W. ORR in Glasenbach. In diesem Internierungslager
saßen 1947/48 Personen ein, die unter die Kriterien des „automatic arrest“
fielen: Zivile und militärische Repräsentanten der NSDAP, Mitglieder ihrer
Gliederungen und angeschlossenen Verbände, Jugendorganisationen sowie
dekorierte Honoratioren und Träger von NS-Auszeichnungen. Wöchentlich wurden
ausgewählte „Glasenbacher“ in Kastenwägen ins USDIC transportiert und dort befragt – unter anderem auch von Österreichern im Auftrag des CIC. Einmal, am
18. Dezember 1945, kamen 15 Gefangene ums Leben, als ihr Transportfahrzeug auf
dem Weg nach Gmunden in Eugendorf von einem Eisenbahnzug erfasst wurde.
In Altmünster
wiederum residierten zahlreiche „Ehemalige“, die das CIC rekrutiert hatte oder
von nachrichtendienstlichen Interesse waren:
·
In
Nr. 130 war „nur zum Wochenende“ der ehemalige SS-Hauptsturmführer Otto von Bolschwing anzutreffen. Nach
1945 war er zunächst für die Organisation Gehlen und dann für die US-Dienste tätig.
Bolschwing war bereits in den 1930er Jahren als Agent des SD im Nahen Osten
aktiv gewesen. Nach dem Anschluss 1938 assistierte er Adolf Eichmann bei der
Enteignung und Deportation österreichischer Juden. Zwei Jahre später rückte
Bolschwing zum SD-Führer in Rumänien auf, wo er 1941 an einem antijüdischen
Pogrom mit mehr als 600 Opfern beteiligt war.
·
In
Nr. 106 war der frühere SS-Obersturmführers Anton Fellner ansässig – er leitete eines der Informanten-Netzwerke
Bolschwings und war später in der Verkaufssparte der VOEST beschäftigt.
·
Von
der Villa Bauer und der Villa Maria Luise aus führten Kowarik und Kernmayer 1948/49
stellvertretend für Höttl die beiden erwähnten Netzwerke „Montgomery“ und „Mount Vernon“.
Schon zu dieser Zeit nahmen sie im Rahmen des „Gmunder Kreis“ Einfluss auf die Etablierung
des Vereins der Unabhängigen (VdU) als politische Vertretung der „Ehemaligen“.
·
In
Nr. 14 wohnte der Waffen SS-Veteran und Publizist Lothar Greil (1925-2007) – auch er gehörte zum „Gmundner Kreis“,
war im VdU und in der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der
Soldaten der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) aktiv. Weiters zählte Greil im Frühjahr 1955 zu den sieben Gründungsmitgliedern der "Vereinigung der kommunistisch Geschädigten und Bedrohten" in München. In zahlreichen Publikationen
relativierte er Kriegsverbrechen und strickte am Mythos eines deutschen „Präventivkrieges“
gegen die UdSSR mit.