Ein
bislang wenig bekannter Fall eines Nazi-Spions in westlichen Diensten: Josef
Adolf Urban. Er wurde nach 1945 abwechselnd vom US-Armeegeheimdienst Counterintelligence
Corps (CIC), von der Organisation Gehlen und dem Bundesnachrichtendienst (BND) sowie von britischen und italienischen Nachrichtendiensten
beschäftigt. Auch für die österreichische Staatspolizei war Urban ein
Informant. Seine Methode war denkbar einfach: Papiermüll sowjetischer Dienststellen in Österreich zusammentragen und daraus „Informationen“ destillieren. Dass Urban viel zu
spät als Schwindler und Nachrichtenhändler erkannt wurde, tat seiner
Nachkriegskarriere keinen Abbruch. Auf der Strecke bleiben dabei verklärende Mythen
über das Spionagegeschäft im Kalten Krieg.
Am 1. September 1948
wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Sicherheitsdienst (SD)-Abschnittsleiter
Josef Adolf Urban in einem Linzer Kaffeehaus verhaftet. Für den aus dem
böhmischen Zatec stammenden Urban wird wahlweise das Geburtsjahr 1897 oder 1901
angegeben. Wie aus einem undatierten Bericht des BND, der als Teil von Urbans
Akte im Rahmen des War Crimes Disclosure Act freigegeben wurde, hervorgeht, kam
dieser ca. 1936 zum ersten Mal mit Kreisen des deutschen Nachrichtendiensts in
Berührung und wurde bei den Olympischen Spielen in Berlin angeworben: „Von
diesem Zeitpunkt an ist Urban, nach eigenen Angaben, ununterbrochen im
ND-Geschäft tätig gewesen. Eine besondere Ausbildung erhielt er nicht.“ 1938
trat Urban der SS bei, war wenig später beim SD, Hauptabteilung III, sowie ab
1939 im RSHA, Amt VI/E (Auslandsnachrichtendienst, Mittel- einschließlich
Südosteuropa) tätig. Dort bekleidete er die Funktion des „Hauptbeauftragten für
Ungarn“ und wurde zuletzt 1944 zum SS-Obersturmbannführer befördert. Nach 1945
wurde Urban – so die Autoren Peter Müller und Michael Mueller – zu einem
„vagabundisierenden Geheimdienstsöldner“. Der Bericht des BND listet folgende
Stationen von Urbans weiterer Karriere auf: „1946/47 stand Urban mit dem
US-Dienst (CIC Braunau und Linz) in Verbindung. 1948/49 arbeitete er
geleichzeitig für die österreichische Staatspolizei, von 1948 bis Ende
1950/April 1951 für den britischen ND [Nachrichtendienst] in Österreich. Von
Sommer 1951 an stand Urban mit der Organisation Gehlen in Verbindung […]. Am
31.05.56 wurde er stillgelegt und am 15.05.58 endgültig vom BND abgeschaltet.
[…] Unter dem Decknamen ‚ARTHUR‘ lieferte Urban in den Jahren 1967/68
Informationen über Südtirol an den italienischen Dienst, die er von
bestechlichen Beamten der österreichischen Staatspolizei erworben hatte. […]
Die Tätigkeit der ‚Nachrichtenwerkstatt‘ Urban endete erst im Frühjahr 1972,
als dessen geistige und körperliche Kräfte immer mehr nachließen. Er starb am
15.02.73 in München.“
„Geistige
Oberleitung“ über NS-Netzwerke - Deckname "Uhu"
Wie die deutsche
Journalistin Gaby Weber betont, hatte Urban seine „meist frei erfundenen
Geschichten“ zuerst gegen Straffreiheit und dann gegen Geld verkauft: „Mal
wollte Urban dem BND geheime Dokumente aus Ungarn besorgen, ein anderes Mal
spiegelte er enge Verbindungen ins Zentralkomitee der österreichischen
kommunistischen Partei vor und versprach an Interna heranzukommen. Es erwies
sich alles als Bluff, aber Urban beschäftigte die CIA und die europäischen
Dienste jahrelang.“ Urban war aber nicht nur Nachrichtenhändler, er blieb auch
nach Kriegsende seiner nationalsozialistischen Gesinnung treu und war in
zahlreiche rechtsextreme Netzwerke eingebunden – so auch im Fall der
„Rößner-Soucek-Verschwörung“. Urban soll unter dem Decknamen „Uhu“ eine Art
„geistiger Oberleitung“ über „die österr. NS-Untergrundbewegung und zumindest
auch über süddeutsche NS-Untergrundbewegungen“ innegehabt haben: „Er hielt mit
Soucek in Graz Besprechungen ab, erteilte bei seinen häufigen Aufenthalten in
Linz den Führern der o.ö. [oberösterreichischen] NS-Untergrundbewegung
Ratschläge und Weisungen, versprach ihnen im Mai/Juni 1947 20.000 – S. für die
Befreiung des damals im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus Linz-Nord in Urfahr
in Haft befindlichen ehemaligen SS-Obersturmbannführers Viktor Nageler alias Trenk,
beschaffte für einige […] Mitglieder und U-Boote der NS-Untergrundbewegung […]
falsche Identitätsausweise und forderte die Mitglieder der o.ö.
NS-Untergrundbewegung immer wieder auf, weiterhin aktiv in der illegalen
NS-Bewegung zu arbeiten und ihre ganze Kraft dafür einzusetzen.“
"Nachrichtendiensttätigkeit" für den Westen
Laut eigener Aussage
war Urban 1946 nach Linz gekommen, um mit der US-Besatzungsmacht in Verbindung
zu treten: „Ich tat dies deshalb, weil ich der Meinung bin, dass die
amerikanische Politik in Europa die entscheidende ist.“ Urban gelang es, in
Braunau am Inn mit dem CIC in Verbindung zu treten: „Die genannte Dienststelle
hat nun von mir vorerst nachrichtendienstliche Tätigkeit verlangt, um sich über
meine Verwendbarkeit ein Bild machen zu können.“ Von Linz aus bildete Urban daraufhin
einen „Stab von Nachrichtenleuten“ als Ausgangspunkt für seine
„Nachrichtendiensttätigkeit“ – einige davon stammten aus dem Umfeld seines
Kriegskameraden Viktor Nageler („Trenk“). Dieser hatte Urban unter anderem in
sein Vorhaben eingeweiht, einen Kreis von jungen Männern um sich zu sammeln:
„Er tue dies deshalb, weil nach seiner Ansicht nach der Krieg zwischen Amerika
und Russland unausbleiblich sei und es daher nötig wäre, die jungen Männer
davon zu überzeugen, dass die gerade in einer solchen Zeit in der Heimat nötig
seien und sich nicht verlaufen dürften. Sie hätten die Aufgabe, sich
zusammenzuschließen und als Partisanen zu kämpfen. Nageler meinte dazu, dass
man auch die Alliierten, er meinte darunter die westlichen überzeugen müsse,
dass sie für diesen Zweck auch Waffen und sonstige Unterstützung gewähren
müssten.“
Vom
CIC aus der Haft befreit
Zwei Tage nach Urbans
Verhaftung in Linz, am 3. September 1948, erschien überraschender Weise ein
Abgesandter des CIC Oberösterreich, um ihn abzuholen: „Eine sofortige Rückfrage
beim Chef von CIC O.Oe. [Oberösterreich] Mr. Lucid, ergab, dass eine Weisung
des CIC-Hauptquartiers in Wien vorlag. Doch wurde mitgeteilt, dass diese
Überstellung in eine Sonder-Einzelzelle des landesgerichtlichen
Gefangenenhauses in Linz (als CIC-Häftling) nur zu Vernehmungszwecken für
wenige und zwar etwa 2 bis 3 Tage vorgesehen sei und dass Urban nach dieser
Zeit mit Sicherheit den österr. Behörden rücküberstellt würde.“ Wie die
Sicherheitsdirektion Oberösterreich am 15. September 1948 nach Wien meldete, war
Urban „trotz mehrfacher ho. Anfragen“ bisher immer noch nicht zurückgestellt
„und es mussten heute alle übrigen, bei ihm sichergestellten Beweismittel
(falscher Id.-Ausweis, Adresszettel und Briefschaften usw., die Valuten – 500
sFr, 240.- US-Dollars und 40 engl. Pfund) an CIC, und zwar, wie angegeben
wurde, leihweise zu Vernehmungszwecken übergeben werden“. Das Vorgehen des CIC
habe auf die Moral der mit den Ermittlungen betrauten Beamten geschlagen: Man
könne hören, „dass es unter diesen Umständen überhaupt keinen Zweck mehr habe,
gegen Österreich gerichtete Umsturzbestrebungen zu bekämpfen“. Laut der
deutschen Journalistin Bettina Stangneth gab es aber ohnedies kein Interesse an
einem „Urbanprozess“, weil darin dessen Informantentätigkeit für die Staatspolizei
zur Sprache gekommen wäre.
„Für
die Amis eine wichtige Person“
Von diesen
Verwicklungen wusste der spätere Kriminaloberst Leo Maier, der an der
Verhaftung von Urban persönlich beteiligt gewesen war, nichts. In seinen
Erinnerungen wird aber die Irritation über den seltsamen Fall deutlich: „Er ist
nur zwei Tage in Haft bei uns, dann kommen die Amerikaner vom CIC und holen ihn
ab. Er geht wieder frei. Ein hoher CIC-Beamter erklärt dem Sicherheitsdirektor,
dass Urban ein perfektes Agentennetz bis weit in die Sowjetunion befehligt und
deshalb für die Amis eine wichtige Person sei.“ Urban hatte, so Maier, eine
„Art Müllabfuhr“ organisiert – seine Helfer, darunter zahlreiche ehemalige
Mitarbeiter des RSHA, sammelten Papierabfall aus den Mistkübeln von
sowjetischen Kasernen und Dienststellen. „In einer Wohnung in Linz wurde dieses
Papier dann geprüft und ausgewertet. Wenn also zum Beispiel irgendeine
Maruschka ihrem Mann einen Feldpostbrief schrieb und darin erwähnte, dass sie
in einer neuerbauten Traktorenfabrik irgendwo in Wischinorschowgrad arbeiten
müsse, bekamen die Amis einen Geheimbericht. ‚Unser Mann in Wischinorschowgrad‘
berichtete dann über eine neuerbaute Fabrik zur Panzerherstellung. Die Amis
bezahlten dem Urban für dieses gar nicht existierende Geheimdienstnetz horrende
Beträge in Dollar. Meine Erkenntnisse berichtete ich dem Sicherheitsdirektor.
Er lächelte milde. ‚Wir sagen den Amis nichts davon‘, entschied er.“ Auch in
dem bereits erwähnten Bericht der Sicherheitsdirektion von 1948 findet sich
eine schonungslose Analyse von Urbans Nachrichtendienstarbeit. So habe man kurz
nach der Festnahme einen bei ihm sichergestellten Plan der „Nordwerft
Nikolajew“ in Russland sowie ein mehrseitiges Schriftstück in ungarischer
Sprache dem CIC übergeben: „Die Legende zu dem Plan der Nordwerft Nikolajew ist
nach ho. Auffassung typisch für die Arbeitsweise von Leuten wie Urban. Sie ist
eine Beschreibung des Plans nach dem Stand zum Zeitpunkt der Räumung dieses
Gebietes durch die deutsche Wehrmacht. Dabei werden aller Wahrscheinlichkeit
nach der Phantasie entsprungene Wiederaufbauarbeiten angeführt und so
hingestellt, als ob sie erst kürzlich durch einen Informator festgestellt
worden wären.“
„notorious
peddler and swindler“
Im September 1948
wurde Urban laut dem erwähnten BND-Dokument im Zusammenhang mit den
NS-Untergrundbewegungen nochmals verhaftet. „Er gab sein Wissen über diese
Organisation Preis und ermöglichte so die Verhaftung vieler seiner alten
Kameraden. Er kooperierte mit der österreichischen Exekutive und wurde im
Dezember 1948 aus der Haft entlassen, die im Wesentlichen nur darin bestanden
hatte, dass er im Gefängnis schlafen musste. Tagsüber ging er in Begleitung
eines Polizeibeamten seinen ND-Geschäften nach“, heißt es dazu in dem Dokument.
Im Einverständnis mit den US-Stellen lieferte Urban der Staatspolizei Informationen
über die KPÖ und die sowjetisch verwalteten USIA-Betriebe – dafür endete im
April 1950 die Zusammenarbeit mit den US-Diensten. Diese hatten Urban endgültig
als „notorious peddler and swindler“ durchschaut.
Trotz dieses
Rückschlags setzte Urban seine Geheimdienstarbeit noch länger fort. Er verfügte
über gute Beziehungen zu ungarischen Emigranten. Auch aus der Tschechoslowakei
und Jugoslawien wurden so Informationen über Mittelsmänner in Österreich
beschafft. Wichtigster Kanal aber war nach wie vor die „Müllaktion“: „Die Menge
des anfallenden Materials erlaubte es Urban, nicht nur bei den Deutschen Geld
herauszuschlagen. Gegen entsprechende Bezahlung belieferte er den sogenannten
Anders-Nachrichtendienst der Exil-Polen mit Sitz in London und den britischen
Dienst.“ Der Abzug der Roten Armee aus Österreich 1955 bedeutete das Ende der
„Müllaktion“ – folglich wurde Urban auch vom BND offiziell „abgeschaltet“. In
einem Bericht des bayerischen Landeskriminalamts vom 16. März 1961, das sich in
der spärlichen Akte Urbans im Staatsarchiv/Archiv der Republik befindet, heißt
es dazu: „Aus vertraulich zu behandelnden Unterlagen des Bayerischen
Landesamtes für Verfassungsschutz München konnte […] entnommen werden, dass der
Beschuldigte nach dem Kriege in der sowjetisch besetzten Zone Österreichs
damals versuchte, einen Nachrichtendienst aufzuziehen. Er wurde deshalb im
Februar 1954 durch die österreichische Staatspolizei in Wien verhaftet,
angeblich um Differenzen mit den Sowjetbehörden aus dem Wege zu gehen. Er soll
damals Papiere aus Abfallstätten sowjetischer Behörden und Truppenunterkünften
gesammelt, gereinigt und an westliche Nachrichtendienste verkauft haben. Die
österreichischen Behörden sollen damals beabsichtigt haben, Urban als
unerwünschte Person nach Deutschland abzuschieben.“
HINWEIS: Auszug aus "Die Rößner-Soucek-Verschwörung": NS-Untergrundbewegungen, Geheimdienste und Parteien im Nachkriegsösterreich, in: JIPSS, Nr. 1/2015
http://www.acipss.org/
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