Montag, 10. August 2015

Die "Soucek-Rößner-Verschwörung": NS-Untergrundbewegungen im Nachkriegsösterreich

1947 wurde in Österreich ein weitverzweigter Schleichhändlerring ausgehoben – weitere Nachforschungen ergaben, dass dahinter nicht nur kriminelle Absichten gestanden hatten. Untergrundbewegungen ehemaliger Nationalsozialisten hatten mit dem Schmuggel ihre Aktivitäten finanziert: Dokumentenfälschung, Fluchthilfe, Aufbau einer bewaffneten Selbstschutzorganisation im Falle einer Konfrontation zwischen West und Ost sowie auf längere Sicht gesehen die Sammlung der „Ehemaligen“ im Rahmen einer „vierten Partei“. Die sogenannte „Soucek-Rößner-Verschwörung“ ist somit eine Fallstudie, in der sich die Ambivalenz der Nachkriegszeit spiegelt: Das besetzte Österreich als „Bazar“ für Informationshandel; ein durch Paranoia, Spannungen und latente Kriegsangst aufgeladenes politisches Klima; Sammlungsbestrebungen „Ehemaliger“ gegen die als Diskriminierung empfundenen Bestimmungen der Entnazifizierung bis hin zu den subversiv-antidemokratischen Bestrebungen von Rößner und Soucek.

Aktion Sacher
1947 kam die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich einem über mehrere Bundesländer ausgedehnten Schleichhändlerring auf die Spur („Aktion Sacher“). Dieser führte vor allem in Oberösterreich und Salzburg Schiebergeschäfte mit Mangelwaren, insbesondere mit Saccharin durch, das vorwiegend aus der Schweiz nach Österreich geschmuggelt wurde. Transportiert wurde es von Frauen sowie von Kriegsversehrten in deren Bund- oder Fußprothesen. Im Zuge der Ermittlungen („Aktion Sacher“) ergab sich, dass die Hauptakteure ehemalige Nationalsozialisten waren, die sich mit Hilfe von gefälschten Personalpapieren. Die Ermittlungen wurden über einen längeren Zeitraum verdeckt durchgeführt, um Beweise für eine politische Betätigung zu sammeln und die vermutete Organisation in ihrer Gesamtheit festzustellen. Ende Oktober 1947 waren diese Ziele erreicht. In Linz hatten Staatspolizisten ein Café überwacht, das von mehr Personen betreten als verlassen wurde – einige Gäste verschwanden offenbar durch Nebenausgänge oder Geheimgänge. Schließlich wurde eine Razzia durchgeführt und man wurde tatsächlich fündig: In den Kellerräumen des Lokals befand sich eine Druckerei für gefälschte Personalpapiere und bereits fertiggestellte Dokumente wurden sichergestellt. Dadurch wurden die Decknamen der „U-Boote“ bekannt, die anhand der vorhandenen Fotos dann identifiziert werden konnten.

Die Schlüsselpersonen waren der 39jährige ehemalige Gauhauptstellen- und Oberbereichsleiter von Wien, Hugo Rössner, der 27jährige vormalige Jungbannführer der Hitlerjugend (HJ), Amon Göth (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Kommandanten des Konzentrationslagers Plaszow), der 30jährige kriegsversehrte und ehemalige militärische Ausbilder einer HJ-Abteilung, Fritz Schiller, und der 27jährige ehemalige HJ-Bannführer Johann Balzer. Rößner, der die Führung innehatte, war im März 1933 der SA und im Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Nach dem Anschluss 1938 verwendete man ihn als SA-Schulungsleiter für den Gau Wien, drei Jahre später stand er bei der Gauleitung Wien als Referent für wehrgeistige Erziehung und als Gau-Schulungsleiter in Verwendung. Nach Kriegsende hielt sich Rößner bei Bauern im Ennstal verborgen, fand anschließend Arbeit in der BRD und ließ sich 1946 unter dem Alias „Kurt Müller“ repatriieren. Er wurde schließlich am 13. November 1947 in Villach verhaftet.

Rößners Organisation, die sich zwecks Tarnung „ASV (Alpensportverein) Edelweiß“ nannte, hatte ihre Knotenpunkte in Linz, Wels, Vöcklabruck und Mondsee. Im September 1946 hielten Rößner, Göth, Balzer und Schiller mit dem Grazer SS-Obersturmbannführer Viktor Nageler auf der Brunnerhütte am Stoderzinken (Steiermark) eine Zusammenkunft ab. Nageler hatte zuvor versucht, unter dem Decknamen „Trenk“ in Linz und Urfahr ehemalige HJ-Angehörige um sich zu scharen (die Mitglieder dieser Gruppe nannten sich gewöhnlich „Panduren“). Man kam überein, sich zusammenzuschließen und dabei klandestine Strukturen mit klaren Zielsetzungen auszubilden. Die Details wurden am 7. und 8. Juni 1947 bei einem Folgetreffen im Salzburger Hotel „Roter Krebs“ geklärt. Vor allem Rößner schwebte die Gründung eines Elite-Ordens vor, der nach dem Vorbild von Geheimgesellschaften wie Jesuiten und Freimaurer organisiert sein sollte. Oberstes Ziel der hierarchisch gestaffelten Untergrundbewegung sei „die Wiederaufrichtung der nationalsozialistischen Herrschaft und eines einigen großdeutschen Reiches“. Aktiv werden wollte man jedoch erst im Falle einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, deren Ausbruch aber bald erwartet wurde.
Das ehemalige Hotel "Roter Krebs" in Salzburg (Foto: Autor)
Die Soucek-Gruppe
Anfang 1947 knüpfte Rößners Untergrundbewegung Kontakte zu einer weiteren Gruppe, die sich schon Ende 1946 in der Steiermark gebildet hatte – rund um den Grazer Kaufmann Theodor Soucek (geboren 1919). Der illegale Nationalsozialist und spätere Leutnant der Wehrmacht wurde im November 1947 gemeinsam mit 19 anderen Personen verhaftet. In der Mehrzahl handelte es sich um ehemalige Wehrmachtsoffiziere sowie HJ-, SA- und SS-Angehörige. Nach Aussage von Soucek bekannte man sich innerhalb dieses Kreises zu „gewissen nationalsozialistischen Auffassungen“, lehnte jedoch „jede Neuorganisation in Anlehnung an die NSDAP, ihr Programm und ihre personelle Führungsschichte eindeutig ab“. Dafür wurde in den Anti-NS-Gesetzen „unter Zugrundelegung einer Kollektivschuld“ eine „große Gefahr für Österreich“ gesehen, weshalb man die „Härten dieses Gesetzes“ beseitigen wollte. Die Sammlung ehemaliger Nationalsozialisten sollte schließlich in die Schaffung einer „vierten Partei“ münden.

Wie Soucek in seinem 2001 erschienenen autobiografischen Bericht Mein Richter, mein Henker herausstreicht, war die primäre Motivation, „politisch verfolgten“ ehemaligen Nationalsozialisten und „Auslieferungsbedrohten“ an die Rote Armee und Tito-Jugoslawien Fluchthilfe zukommen zu lassen. So wurden über „Kriegskameraden“ und Sympathisanten in der steirischen Betreuungsstelle des Heimkehrerverbands Personaldokumente mit falschen Identitäten besorgt. Man habe, so Soucek, „aus den höchsten Stellen der Besatzungsbüros jede erdenkliche Hilfe“ – gestempelte Formulare und Personalpapiere, Suchlisten und vertrauliche Informationen – erhalten. Mit Hilfe dieses Materials erstellte dann ein Dokumentenspezialist die notwendigen Viersprachenausweise zur Durchquerung aller Besatzungszonen, Meldescheine, Lebensmittelkarten, Führerscheine und Versehrtenpapiere. Weiters wurden in Lebensmittelpaketen und in Weißmehlsäcken versteckte Drahtmesser, Schneidezangen und Feilen in die Internierungslager Wolfsberg und Glasenbach eingeschmuggelt. Ausbrecher konnten dann bei benachbarten Bauernhöfen unterkommen, wo die Gewährung von Versteck und Pflege vorab arrangiert worden war; „für den Abtransport und die weitere Flucht übernahmen es wir, das Notwendige zu tun und zu veranlassen“. 

In seinen Memoiren behauptet Soucek, auf diese Weise „weit über 500“ Menschen vor der Auslieferung gerettet zu haben und dafür 1953 von Bundespräsident Adolf Schärf persönlich belobigt worden zu sein. In den Ermittlungsakten dagegen ist lediglich die Rede davon, dass „7-8 Mann“ Soucek die Freiheit verdanken würden. Ein weiteres bestimmendes Handlungsmotiv für Souceks Gruppe war die „Sorge um das nationale Schicksal im Falle eines drohenden Kriegsausbruchs zwischen West und Ost“. Soucek gab Anfang Dezember 1947 im Verhör an, dass man dem „drohenden Kriegsausbruch zwischen West und Ost“ nicht „völlig fatalistisch oder resignierend“ gegenüberstehen wollte, "sondern Vorkehrungen zu treffen, die der Schaffung einer Selbstschutzgemeinschaft entsprochen hätten".

Prozess und Urteile
Bis Ende 1947 wurden etwa 80 Personen verhaftet; bis Ende März 1948 stieg diese Zahl auf über 100 an. Am 6. Januar 1948 informierte Innenminister Oskar Helmer den Ministerrat über die aufgedeckten NS-Untergrundbewegungen: „Es hätte eine Führerschicht gebildet werden sollen, die nach den Regeln des Jesuitenordens auszubilden gewesen wäre. […] Die Organisation ‚Sacher’ hat sich aller möglichen Organe bedient und hat versucht, die Heimkehrer zu erfassen und hat auch Verbindungen mit allen nur möglichen Organisationen gesucht. […] Ich bin der Auffassung, dass in der kürzesten Zeit die Aburteilung der Verhafteten zu erfolgen hat und diese nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Weiters müssen exemplarische Strafen verhängt werden. Die Bevölkerung verlangt dies von uns. Pfadfinder, die sich einen Stempel für falsche Ausweise angeeignet haben, sind mit dieser Affäre nicht in Verbindung zu bringen.“ Öffentlich schlug Helmer im Nationalrat nur acht Tage später einen anderen Ton an: Bei den aufgedeckten NS-Untergrundbewegungen handele es sich um „eine Handvoll unentwegter Narren und Verbrecher“, deren Machenschaften – vom Schleichhandel abgesehen – über das Planungsstadium nicht hinausgekommen waren. 

Am 31. März 1948 begann der Prozess vor dem Grazer Volksgericht und nach 27 Verhandlungstagen wurden harte Urteile gefällt: Über drei Hauptverantwortliche – Soucek, Rößner und Göth – wurde die Todesstrafe und gegen drei weitere Beteiligte – Franz Klinger, Anton Sehnert und Friedrich Schiller – langjährige Kerkerstrafen verhängt. Die Todesurteile wurden 1949 von Bundespräsident Karl Renner in Haftstrafen umgewandelt – nachdem bereits das Gericht festgestellt hatte, dass eine Vollstreckung die Verurteilten „ganz überflüssigerweise als Märtyrer einer längst verfallenen Ideologie erscheinen ließe“. Letztendlich sollte aber keiner länger als vier Jahre in Haft verbringen. 1952 wurden alle vom Bundespräsidenten begnadigt. Lediglich Soucek, der 1953 einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem eine Radfahrerin starb, wurde 1954 noch zu einer fünfmonatigen Kerkerstrafe verurteilt.

Politische Querverbindungen
In Mein Richter, mein Henker streicht Soucek mehrmals einen wichtigen Helfer seiner Fluchthilfeorganisation hervor: Den „hochausgezeichneten Hauptmann Otto Rösch“, der über die „Heimkehrerhilfe“ in Graz „immer rasch“ Personaldokumente zur Hand hatte. Rösch (1917-1995) war zwischen 1945 und 1947 Leiter des Heimkehrerreferats der SPÖ in der Steiermark und in der britischen Zensurstelle beschäftigt. Zusätzlich fungierte er als Referatsleiter der überparteilichen, jedoch ÖVP-dominierten Heimkehrer-Hilfs- und Betreuungsstelle (HBB) unter Ernst Strachwitz. Rösch, der bereits 1935/36 Mitglied der HJ, seit 1936 Mitglied des illegalen NS-Studentenbundes und ab 1937 ein führender HJ-Funktionär in Graz gewesen war, wurde am 8. Dezember 1947 verhaftet. Auch HBB-Leiter Strachwitz wurde zu Silvester verhaftet und ein halbes Jahr später wieder entlassen. Rösch gab zu Protokoll, er habe Soucek erklärt, „er werde Partisan, wenn die Russen bei uns einmarschieren“. Er leugnete, einen Koffer in Verwahrung gehabt zu haben, der Stempel zum Ausstellen von Ausweispapieren enthalten habe. Die Staatspolizei Graz hielt fest: „Otto Rösch, ehemaliger Beamter der Zivilzensur in der britischen Zone Steiermark, […] hat wiederholt an geheimen Besprechungen teilgenommen und auch seine Wohnung zu einer solchen Besprechung zur Verfügung gestellt. Er war als ‚militärischer Berater’ der Gruppe vorgesehen und sollte zu Parteien, Ämtern und einzelnen Vertrauenspersonen, die zur Mitarbeit im Nachrichtendienste geeignet schienen, Verbindungen aufnehmen. Aus schriftlichen Aufzeichnungen, die in seiner Wohnung vorgefunden wurden, geht hervor, dass der Genannte seine Stellung als Beamter der Zivilzensur missbraucht hat.“

Während der Haft, behauptete Soucek, habe Rösch betont, „wenn er nicht freigesprochen würde, werde er mit Tatsachen aufwarten, die das ganze Land Österreich mit dem Skandal unseres Prozesses aufhorchen lassen würde. Er werde nicht ruhen, bis wir uns nicht alle wieder in Freiheit befänden.“ Am 3. Juni 1949 wurde Rösch tatsächlich freigelassen – nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel an Beweisen. 25 Jahre später, im Zuge der Kontroverse zwischen Simon Wiesenthal und Bruno Kreisky, wurde wieder auf diese Ereignisse Bezug genommen. Denn Rösch war mittlerweile 1970 in die Bundesregierung geholt worden – zunächst als Innenminister (1970-1977) und später als Verteidigungsminister (1977-1983). Wiesenthal, der die Berufung von ehemaligen Nationalsozialisten wie Rösch in das Kabinett Kreiskys stets kritisiert hatte, erklärte: „Die Ausweise für die Flucht von Kriegsverbrechern, die sich in Röschs Koffer befanden, waren gar nicht gefälscht. Die kamen direkt aus dem Innenministerium.“ Rösch selbst gab an, dass er im Auftrag von Innenminister Oskar Helmer zur Gruppe Soucek gegangen war. Belege für diese Rechtfertigung sind nicht bekannt. Kreisky konnte wenig zur Aufklärung beitragen, stellte sich aber hinter Rösch: „Als ich aus der schwedischen Emigration nach Österreich zurückkam, war ich entsetzt, dass Leute wie Rösch in der Partei herumsaßen. Ich konnte das einfach nicht verstehen. Da überzeugte mich der damalige steirische Landessekretär [Ernst] Taurer – es war in der Wohnung seiner Schwester in der Dominikanerbastei, ich erinnere mich genau – in einer die ganze Nacht dauernden Aussprache davon, dass Rösch in Ordnung war. Er war da mit Wissen und im Auftrage der Partei hingegangen. Natürlich war das eine Räubersidee. Ob sie der Taurer oder der Rösch selbst ausgedacht hat, weiß ich nicht.“ Für die These, dass Rösch zumindest im Einvernehmen mit der steirischen SPÖ handelte, spreche jedenfalls sein „unmittelbar folgender Senkrecht-Start als Karriere-Politiker“, schloss das Nachrichtenmagazin profil. Laut Harald Irnberger gab es zahlreiche Indizien dafür, dass neben Helmer auch der damalige SPÖ-Vorsitzende Adolf Schärf und Bundeskanzler Leopold Figl über die NS-Untergrundbewegungen informiert waren.

Unzulängliche Entnazifizierung
Die undurchsichtige Rolle Röschs und die Verbindungen der NS-Untergrundbewegungen zu politischen Parteien verdeutlichen die Unzulänglichkeiten und die Ambivalenz des Entnazifizierungsprozesses in Österreich: Ursprünglich hatte bei Kriegsende 1945 bei allen maßgebenden Kräften Übereinstimmung geherrscht, im „antifaschistischen Geist“ eine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus vorzunehmen. Bereits am 8. Mai 1945 wurden die NSDAP und ihre Gliederungen verboten. In diesem Verbotsgesetz und dem am 26. Juni 1945 erlassenen Kriegsverbrechergesetz wurden die Bestrafung der „Illegalen“ (NSDAP-Mitglieder vor 1938) und „schwer Belasteter“, die Registrierung der ehemaligen Nationalsozialisten sowie die Schaffung von Volksgerichten zur Aburteilung der NS-Verbrecher geschaffen. Ein Wirtschaftsäuberungsgesetz kam am 12. September 1945 hinzu. Weiters wurde am 6. Februar 1947 auf Druck der Alliierten eine verschärfte Novelle des Verbotsgesetzes beschlossen: Dieses Nationalsozialistengesetz sah neben der Registrierung der ehemaligen NSDAP-Parteimitglieder unter anderem deren Entfernung aus dem Staatsapparat und der Wirtschaft sowie Berufsverbote, Sühnemaßnahmen und die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts vor.

Die auf Basis dieser Gesetze und nachfolgender Verordnungen vorangetriebene Entnazifizierung kam allerdings bald ins Stocken. Eine erste wichtige Zäsur hatte bereits das Ergebnis der Nationalratswahlen vom November 1945 gebracht. Es schien die Haltung der ÖVP zu bestätigen, die für eine schnelle Reintegration der Registrierungspflichtigen eingetreten war. Innerhalb der SPÖ verloren daraufhin die Vertreter der Parteilinken, die für strenge Maßnahmen eingetreten waren, an Boden, woraufhin man ebenfalls für eine rasche Rehabilitierung eintrat. Fraglich war, wie der beträchtliche gesamtgesellschaftliche Anteil der „Ehemaligen“ – 700.000 NSDAP-Mitgliedern sowie Hunderttausendende SS- und SA-Angehörige (mit deren Familien weit mehr als ein Viertel der Bevölkerung) – dauerhaft von Politik und Wirtschaft ausgeschlossen werden konnte. Von allem Anfang an, so Wilhelm Svoboda, habe daher die „Normalisierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Situation im Nachkriegsösterreich“ Vorrang gehabt – die Verhaftung und Internierung von rund 10.000 Personen im Jahr 1945, von denen ein Teil wieder freigelassen wurde, sei nur eine „kosmetische“ Maßnahme gewesen, die eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Hunderttausenden „Ehemaligen“ verhinderte. Weiters begann sich ab 1947/48 im Zuge des Kalten Krieges das gesellschaftliche Klima in Österreich zu wandeln: der Antifaschismus wurde vom Antikommunismus abgelöst.  

1948 wurden erste Amnestien für jugendliche Personen, „Minderbelastete“ und Spätheimkehrer beschlossen. Da rund 530.000 registrierte Nationalsozialisten nun bei der Nationalratswahl 1949 wieder wahlberechtigt waren, entbrannte ein intensiver Wettstreit um dieses Wählerpotenzial – vor allem, als im März 1949 rund um Viktor Reimann und Herbert Alois Kraus der Verband der Unabhängigen (VdU) als politische Vertretung der „Ehemaligen“ entstand. Deren zunehmendes Aufbegehren im Kampf gegen die empfundene Entrechtung und Schlechterstellung war ein Haupanliegen, wie Kraus Anfang Juni 1949 bei einer VdU-Versammlung hervorstrich: „Ein Viertel oder ein Drittel der Bevölkerung ist in äußerste Not gestoßen und zu verlässlichen Feinden des Staatswesens gemacht worden. In keinem Staat der Welt hat eine so grausame Verfolgung der Mitläufer des NS-Regimes stattgefunden, wie in Österreich.“ Der Aufbau des VdU löste vor allem bei der ÖVP Sorgen vor einer Spaltung des bürgerlichen Lagers aus: Am 28. Mai 1949 setzte sich deshalb in Oberweis eine ÖVP-Delegation unter Führung des späteren Bundeskanzlers Julius Raab mit elf „Ehemaligen“ – darunter Höttl und ein früherer Adjutant Kaltenbrunners, Theo Wührer – zusammen. Man diskutierte Bedingungen für die Einbindung des nationalen Lagers in die ÖVP, eine Einigung kam aber nicht zustande. Schon zuvor, am 8. April 1949, hatte sich Schärf für die SPÖ mit eher sozialdemokratisch ausgerichteten „Ehemaligen“ – dem „Gmundner Kreis“ rund um Kernmayer, Kowarik und Schachermayer – getroffen und die Möglichkeit einer Dreierkoalition von SPÖ, ÖVP und VdU angedeutet. Bei Nachfolgetreffen im August 1949 wurde dem oberösterreichischen VdU zudem materielle Unterstützung beim Wahlkampf zugesagt. Bei den anschließenden Nationalratswahlen am 9. Oktober 1949 gewann der VdU 11,7 Prozent der Stimmen. Sowohl die Versuche, die nationalen Gruppierungen ins ÖVP-Lager zu ziehen, als auch die Hoffnung der SPÖ, dass die „vierte Partei“ vor allem der ÖVP Stimmen wegnehmen werde, hatten nichts gefruchtet. Allerdings führten Verluste bei folgenden Wahlen und interne Machtkämpfe dazu, dass der VdU in der 1955 gegründeten FPÖ aufging.

Der Endpunkt der Entnazifizierung wurde 1957 erreicht: Das Gesetz über die NS-Amnestie vom 14. März 1957 hob die wesentlichen Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes auf. Ab diesem Zeitpunkt fielen NS-Verbrechen unter das österreichische Strafgesetzbuch. Nun waren auch jene, die als belastet eingestuft worden waren, rehabilitiert. Das allmähliche Aufweichen der Entnazifizierung war auch einer der Hauptfaktoren, die zum generellen Verschwinden von NS-Untergrundbewegungen in der BRD und in Österreich beitrugen. Darüber hinaus kamen die ökonomische Erholung, die Duldung neuer rechter politischer Parteien als legaler politischer Betätigungsrahmen und die Verschärfung des Kalten Krieges zum Tragen.

„Wir rufen Europa“
Theodor Soucek blieb auch nach der Haftzeit seiner Gesinnung treu und war bereits in 1950er Jahren eine der Führungsfiguren der rechtsextremen Szene. Laut Wolfgang Purtscheller kam auf Souceks Betreiben hin 1954 rund um den VdU-Rechtsabweichler Fritz Stüber der Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) zusammen, eine „Vorläuferorganisation der FPÖ“. Nach vergeblichen Versuchen, in den VdU aufgenommen zu werden, widmete sich Soucek vor allem dem Ziel, neofaschistische Gruppen auf europäischer Ebene zusammenzuführen. 1956 veröffentliche er die programmatische Schrift Wir rufen Europa, in der er die Notwendigkeit einer „Vereinigung des Abendlands“ beschwor. Im Januar 1957 gründete Soucek in Graz den Verein Sozialorganische Ordnungsbewegung Europas (SORBE). Deren Programm fasste die Staatspolizei in einer Information so zusammen: „Die ‚Sozialorganische Ordnungsbewegung Europas‘ bezweckt laut ihren Statuten die Förderung der Vereinigung Europas in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, die Vertiefung der kulturellen und geistigen Beziehungen der einzelnen Völker untereinander, sowie die Erweckung des Interesses der Jugend für diese Aufgaben. Das Endziel ist die Errichtung einer sozial-organischen Ordnung der europäischen Völkergemeinschaft zur Bewahrung und Steigerung der wirtschaftlichen und biologischen, nicht zu zuletzt damit aber auch der kulturellen Kraft Europas.“

Soucek gelang es, die deutsche Sektion der Europäischen Verbindungsstelle (EVS), die Volkspartei der Schweiz, eine Gruppe der Europäischen Verbindungsstelle (EVS) aus Elsass-Lothringen sowie weitere Gruppen für eine Kooperation zu gewinnen. Am 7. und 8. Dezember 1957 fand im Marmorsaal des Salzburger Hotels Pitter der erste „Europakongress“ der SORBE statt – „ca. 1.000 Personen“ waren gekommen, darunter Erwin Vollenweider, der 1951 die Volkspartei der Schweiz gegründet hatte, und der französische Neofaschist und Holocaust-Leugner Henri Rocques. Als die SORBE am 15./16. November 1958 einen weiteren „Europakongress“ abhalten wollte, wurde der Druck von Opferverbänden und der Israelitischen Kultusgemeinde, etwas dagegen zu unternehmen, immer größer. Daraufhin erklärte das Innenministerium die SORBE am 25. Oktober 1958 für aufgelöst – der Verein habe seinen „statutenmäßigen Wirkungsbereich“ überschritten. Vor allem aber habe die Tätigkeit des Vereins den Eindruck erweckt, „dass eine Sammlung faschistischer Elemente und die Initiierung einer neofaschistischen Bewegung beabsichtigt sei, was in weitesten Kreisen der Bevölkerung Österreichs Unruhe ausgelöst hat und nicht zuletzt die staatlichen Interessen Österreichs gegenüber dem Ausland gefährdet“. Einer daraufhin eingebrachten Beschwerde der SORBE-Mitglieder gab der Verfassungsgerichtshof jedoch Anfang Juni 1958 statt: Die Gründe, die zur Vereinsauflösung geführt hätten, seien „nicht erwiesen“. Hierüber sei „nicht einmal ein ausreichendes Ermittlungsverfahren“ durchgeführt worden. Souceks Wahl zum Obmann des Steirischen Handels- und Gewerbebundes im Dezember 1959 stand nichts im Wege. In den folgenden Jahren konnte SORBE allerdings nicht mehr zur alten Stärke zurückfinden.
Salzburger Hotel Pitter (Foto: Autor)
Nachdem Soucek seit 1962 verzogen war und der Verein über einen Zeitraum von zwei Jahren keine Tätigkeit mehr ausgeübt hatte, wurde SORBE am 16. März 1964 per Bescheid endgültig aufgelöst. Soucek hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ins Ausland abgesetzt – nachdem er die von seinem Vater geerbte Eisenhandlung in Graz so heruntergewirtschaftet hatte, dass die Schulden mehr als vier Millionen Schilling ausmachten. Soucek hielt sich kurzzeitig im südafrikanischen Pretoria auf, wurde aber ausgewiesen. Ebenso scheiterten Versuche, in der BRD und in der Schweiz Fuß zu fassen. Schließlich reiste Soucek nach Südamerika und hielt sich längere Zeit in Argentinien auf. Danach gelangte er nach Spanien und ließ sich in Benalmádena an der Costa del Sol nieder, wo sich auch der österreichische Neonazi und Holocaust-Leugner Gerd Honsik aufhielt. Dort soll Soucek Handbücher zum Untergrundkampf übersetzt haben, wie sie von der SS gegen Ende des Zweiten Weltkriegs für Werwolf-Gruppen bestimmt waren. Die Anleitungen für Sabotageakte, darunter Sprengstoffanschläge, werden heute von den spanischen Ablegern der internationalen Neonazi-Netzwerke „Blood&Honour“ und „Hammerskins“ verwendet. 

HINWEIS: Langversion mit Quellenangaben ist im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Nr. 1/2015 erschienen
http://www.acipss.org/journal
Siehe auch: Petra Stuiber, Uncle Sams braune Spione, in: Der Standard, 30. 6. 2015
http://derstandard.at/2000018127485/Uncle-Sams-braune-Spione