1947
wurde in Österreich ein weitverzweigter Schleichhändlerring ausgehoben –
weitere Nachforschungen ergaben, dass dahinter nicht nur kriminelle Absichten
gestanden hatten. Untergrundbewegungen ehemaliger Nationalsozialisten hatten
mit dem Schmuggel ihre Aktivitäten finanziert: Dokumentenfälschung,
Fluchthilfe, Aufbau einer bewaffneten Selbstschutzorganisation im Falle einer Konfrontation
zwischen West und Ost sowie auf längere Sicht gesehen die Sammlung der
„Ehemaligen“ im Rahmen einer „vierten Partei“. Die sogenannte „Soucek-Rößner-Verschwörung“
ist somit eine Fallstudie, in der sich die Ambivalenz der Nachkriegszeit
spiegelt: Das besetzte Österreich als „Bazar“ für Informationshandel; ein durch
Paranoia, Spannungen und latente Kriegsangst aufgeladenes politisches Klima;
Sammlungsbestrebungen „Ehemaliger“ gegen die als Diskriminierung empfundenen
Bestimmungen der Entnazifizierung bis hin zu den subversiv-antidemokratischen
Bestrebungen von Rößner und Soucek.
Aktion
Sacher
1947 kam die
Sicherheitsdirektion für Oberösterreich einem über mehrere Bundesländer
ausgedehnten Schleichhändlerring auf die Spur („Aktion Sacher“). Dieser führte
vor allem in Oberösterreich und Salzburg Schiebergeschäfte mit Mangelwaren,
insbesondere mit Saccharin durch, das vorwiegend aus der Schweiz nach
Österreich geschmuggelt wurde. Transportiert wurde es von Frauen sowie von
Kriegsversehrten in deren Bund- oder Fußprothesen. Im Zuge der Ermittlungen
(„Aktion Sacher“) ergab sich, dass die Hauptakteure ehemalige
Nationalsozialisten waren, die sich mit Hilfe von gefälschten Personalpapieren.
Die Ermittlungen wurden über einen längeren Zeitraum verdeckt durchgeführt, um
Beweise für eine politische Betätigung zu sammeln und die vermutete
Organisation in ihrer Gesamtheit festzustellen. Ende Oktober 1947 waren diese
Ziele erreicht. In Linz hatten
Staatspolizisten ein Café überwacht, das von mehr Personen betreten als
verlassen wurde – einige Gäste verschwanden offenbar durch Nebenausgänge oder
Geheimgänge. Schließlich wurde eine Razzia durchgeführt und man wurde
tatsächlich fündig: In den Kellerräumen des Lokals befand sich eine Druckerei
für gefälschte Personalpapiere und bereits fertiggestellte Dokumente wurden
sichergestellt. Dadurch wurden die Decknamen der „U-Boote“ bekannt, die anhand
der vorhandenen Fotos dann identifiziert werden konnten.
Die Schlüsselpersonen
waren der 39jährige ehemalige Gauhauptstellen- und Oberbereichsleiter von Wien,
Hugo Rössner, der 27jährige vormalige Jungbannführer der Hitlerjugend (HJ),
Amon Göth (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Kommandanten des
Konzentrationslagers Plaszow), der 30jährige kriegsversehrte und ehemalige
militärische Ausbilder einer HJ-Abteilung, Fritz Schiller, und der 27jährige
ehemalige HJ-Bannführer Johann Balzer. Rößner, der die Führung innehatte, war
im März 1933 der SA und im Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Nach dem Anschluss
1938 verwendete man ihn als SA-Schulungsleiter für den Gau Wien, drei Jahre
später stand er bei der Gauleitung Wien als Referent für wehrgeistige Erziehung
und als Gau-Schulungsleiter in Verwendung. Nach Kriegsende hielt sich Rößner
bei Bauern im Ennstal verborgen, fand anschließend Arbeit in der BRD und ließ
sich 1946 unter dem Alias „Kurt Müller“ repatriieren. Er wurde schließlich am
13. November 1947 in Villach verhaftet.
Rößners Organisation,
die sich zwecks Tarnung „ASV (Alpensportverein) Edelweiß“ nannte, hatte ihre
Knotenpunkte in Linz, Wels, Vöcklabruck und Mondsee. Im September 1946 hielten
Rößner, Göth, Balzer und Schiller mit dem Grazer SS-Obersturmbannführer Viktor
Nageler auf der Brunnerhütte am Stoderzinken (Steiermark) eine Zusammenkunft
ab. Nageler hatte zuvor versucht, unter dem Decknamen „Trenk“ in Linz und
Urfahr ehemalige HJ-Angehörige um sich zu scharen (die Mitglieder dieser Gruppe
nannten sich gewöhnlich „Panduren“). Man kam überein, sich zusammenzuschließen
und dabei klandestine Strukturen mit klaren Zielsetzungen auszubilden. Die
Details wurden am 7. und 8. Juni 1947 bei einem Folgetreffen im Salzburger
Hotel „Roter Krebs“ geklärt. Vor allem Rößner schwebte die Gründung eines
Elite-Ordens vor, der nach dem Vorbild von Geheimgesellschaften wie Jesuiten
und Freimaurer organisiert sein sollte. Oberstes Ziel der hierarchisch
gestaffelten Untergrundbewegung sei „die Wiederaufrichtung der
nationalsozialistischen Herrschaft und eines einigen großdeutschen Reiches“.
Aktiv werden wollte man jedoch erst im Falle einer militärischen Auseinandersetzung
zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, deren Ausbruch aber
bald erwartet wurde.
Das ehemalige Hotel "Roter Krebs" in Salzburg (Foto: Autor) |
Die
Soucek-Gruppe
Anfang 1947 knüpfte
Rößners Untergrundbewegung Kontakte zu einer weiteren Gruppe, die sich schon
Ende 1946 in der Steiermark gebildet hatte – rund um den Grazer Kaufmann
Theodor Soucek (geboren 1919). Der illegale Nationalsozialist und spätere
Leutnant der Wehrmacht wurde im November 1947 gemeinsam mit 19 anderen Personen
verhaftet. In der Mehrzahl handelte es sich um ehemalige Wehrmachtsoffiziere
sowie HJ-, SA- und SS-Angehörige. Nach Aussage von Soucek bekannte man sich
innerhalb dieses Kreises zu „gewissen nationalsozialistischen Auffassungen“,
lehnte jedoch „jede Neuorganisation in Anlehnung an die NSDAP, ihr Programm und
ihre personelle Führungsschichte eindeutig ab“. Dafür wurde in den
Anti-NS-Gesetzen „unter Zugrundelegung einer Kollektivschuld“ eine „große
Gefahr für Österreich“ gesehen, weshalb man die „Härten dieses Gesetzes“
beseitigen wollte. Die Sammlung ehemaliger Nationalsozialisten sollte
schließlich in die Schaffung einer „vierten Partei“ münden.
Wie Soucek in seinem
2001 erschienenen autobiografischen Bericht Mein Richter, mein Henker
herausstreicht, war die primäre Motivation, „politisch verfolgten“ ehemaligen
Nationalsozialisten und „Auslieferungsbedrohten“ an die Rote Armee und
Tito-Jugoslawien Fluchthilfe zukommen zu lassen. So wurden über „Kriegskameraden“
und Sympathisanten in der steirischen Betreuungsstelle des Heimkehrerverbands
Personaldokumente mit falschen Identitäten besorgt. Man habe, so Soucek, „aus
den höchsten Stellen der Besatzungsbüros jede erdenkliche Hilfe“ – gestempelte
Formulare und Personalpapiere, Suchlisten und vertrauliche Informationen –
erhalten. Mit Hilfe dieses Materials erstellte dann ein Dokumentenspezialist
die notwendigen Viersprachenausweise zur Durchquerung aller Besatzungszonen,
Meldescheine, Lebensmittelkarten, Führerscheine und Versehrtenpapiere. Weiters
wurden in Lebensmittelpaketen und in Weißmehlsäcken versteckte Drahtmesser,
Schneidezangen und Feilen in die Internierungslager Wolfsberg und Glasenbach eingeschmuggelt.
Ausbrecher konnten dann bei benachbarten Bauernhöfen unterkommen, wo die
Gewährung von Versteck und Pflege vorab arrangiert worden war; „für den
Abtransport und die weitere Flucht übernahmen es wir, das Notwendige zu tun und
zu veranlassen“.
In seinen Memoiren behauptet Soucek, auf diese Weise „weit
über 500“ Menschen vor der Auslieferung gerettet zu haben und dafür 1953 von
Bundespräsident Adolf Schärf persönlich belobigt worden zu sein. In den
Ermittlungsakten dagegen ist lediglich die Rede davon, dass „7-8 Mann“ Soucek
die Freiheit verdanken würden. Ein weiteres
bestimmendes Handlungsmotiv für Souceks Gruppe war die „Sorge um das nationale
Schicksal im Falle eines drohenden Kriegsausbruchs zwischen West und Ost“. Soucek
gab Anfang Dezember 1947 im Verhör an, dass man dem „drohenden Kriegsausbruch
zwischen West und Ost“ nicht „völlig fatalistisch oder resignierend“
gegenüberstehen wollte, "sondern Vorkehrungen zu treffen, die der Schaffung
einer Selbstschutzgemeinschaft entsprochen hätten".
Prozess
und Urteile
Bis Ende 1947 wurden
etwa 80 Personen verhaftet; bis Ende März 1948 stieg diese Zahl auf über 100
an. Am 6. Januar 1948 informierte Innenminister Oskar Helmer den Ministerrat
über die aufgedeckten NS-Untergrundbewegungen: „Es hätte eine Führerschicht
gebildet werden sollen, die nach den Regeln des Jesuitenordens auszubilden
gewesen wäre. […] Die Organisation ‚Sacher’ hat sich aller möglichen Organe
bedient und hat versucht, die Heimkehrer zu erfassen und hat auch Verbindungen
mit allen nur möglichen Organisationen gesucht. […] Ich bin der Auffassung,
dass in der kürzesten Zeit die Aburteilung der Verhafteten zu erfolgen hat und
diese nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Weiters müssen
exemplarische Strafen verhängt werden. Die Bevölkerung verlangt dies von uns.
Pfadfinder, die sich einen Stempel für falsche Ausweise angeeignet haben, sind
mit dieser Affäre nicht in Verbindung zu bringen.“ Öffentlich schlug Helmer im
Nationalrat nur acht Tage später einen anderen Ton an: Bei den aufgedeckten
NS-Untergrundbewegungen handele es sich um „eine Handvoll unentwegter Narren
und Verbrecher“, deren Machenschaften – vom Schleichhandel abgesehen – über das
Planungsstadium nicht hinausgekommen waren.
Am 31. März 1948
begann der Prozess vor dem Grazer Volksgericht und nach 27 Verhandlungstagen
wurden harte Urteile gefällt: Über drei Hauptverantwortliche – Soucek, Rößner
und Göth – wurde die Todesstrafe und gegen drei weitere Beteiligte – Franz
Klinger, Anton Sehnert und Friedrich Schiller – langjährige Kerkerstrafen
verhängt. Die Todesurteile wurden 1949 von Bundespräsident Karl Renner in
Haftstrafen umgewandelt – nachdem bereits das Gericht festgestellt hatte, dass
eine Vollstreckung die Verurteilten „ganz überflüssigerweise als Märtyrer einer
längst verfallenen Ideologie erscheinen ließe“. Letztendlich sollte aber keiner
länger als vier Jahre in Haft verbringen. 1952 wurden alle vom
Bundespräsidenten begnadigt. Lediglich Soucek, der 1953 einen Verkehrsunfall
verursachte, bei dem eine Radfahrerin starb, wurde 1954 noch zu einer
fünfmonatigen Kerkerstrafe verurteilt.
Politische
Querverbindungen
In Mein Richter, mein
Henker streicht Soucek mehrmals einen wichtigen Helfer seiner
Fluchthilfeorganisation hervor: Den „hochausgezeichneten Hauptmann Otto Rösch“,
der über die „Heimkehrerhilfe“ in Graz „immer rasch“ Personaldokumente zur Hand
hatte. Rösch (1917-1995) war zwischen 1945 und 1947 Leiter des
Heimkehrerreferats der SPÖ in der Steiermark und in der britischen Zensurstelle
beschäftigt. Zusätzlich fungierte er als Referatsleiter der überparteilichen,
jedoch ÖVP-dominierten Heimkehrer-Hilfs- und Betreuungsstelle (HBB) unter Ernst
Strachwitz. Rösch, der bereits 1935/36 Mitglied der HJ, seit 1936 Mitglied des
illegalen NS-Studentenbundes und ab 1937 ein führender HJ-Funktionär in Graz
gewesen war, wurde am 8. Dezember 1947 verhaftet. Auch HBB-Leiter Strachwitz
wurde zu Silvester verhaftet und ein halbes Jahr später wieder entlassen. Rösch
gab zu Protokoll, er habe Soucek erklärt, „er werde Partisan, wenn die Russen
bei uns einmarschieren“. Er leugnete, einen Koffer in Verwahrung gehabt zu
haben, der Stempel zum Ausstellen von Ausweispapieren enthalten habe. Die
Staatspolizei Graz hielt fest: „Otto Rösch, ehemaliger Beamter der Zivilzensur
in der britischen Zone Steiermark, […] hat wiederholt an geheimen Besprechungen
teilgenommen und auch seine Wohnung zu einer solchen Besprechung zur Verfügung
gestellt. Er war als ‚militärischer Berater’ der Gruppe vorgesehen und sollte
zu Parteien, Ämtern und einzelnen Vertrauenspersonen, die zur Mitarbeit im
Nachrichtendienste geeignet schienen, Verbindungen aufnehmen. Aus schriftlichen
Aufzeichnungen, die in seiner Wohnung vorgefunden wurden, geht hervor, dass der
Genannte seine Stellung als Beamter der Zivilzensur missbraucht hat.“
Während der Haft,
behauptete Soucek, habe Rösch betont, „wenn er nicht freigesprochen würde,
werde er mit Tatsachen aufwarten, die das ganze Land Österreich mit dem Skandal
unseres Prozesses aufhorchen lassen würde. Er werde nicht ruhen, bis wir uns
nicht alle wieder in Freiheit befänden.“ Am 3. Juni 1949 wurde Rösch
tatsächlich freigelassen – nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel
an Beweisen. 25 Jahre später, im Zuge der Kontroverse zwischen Simon Wiesenthal
und Bruno Kreisky, wurde wieder auf diese Ereignisse Bezug genommen. Denn Rösch
war mittlerweile 1970 in die Bundesregierung geholt worden – zunächst als
Innenminister (1970-1977) und später als Verteidigungsminister (1977-1983).
Wiesenthal, der die Berufung von ehemaligen Nationalsozialisten wie Rösch in
das Kabinett Kreiskys stets kritisiert hatte, erklärte: „Die Ausweise für die
Flucht von Kriegsverbrechern, die sich in Röschs Koffer befanden, waren gar
nicht gefälscht. Die kamen direkt aus dem Innenministerium.“ Rösch selbst gab
an, dass er im Auftrag von Innenminister Oskar Helmer zur Gruppe Soucek
gegangen war. Belege für diese Rechtfertigung sind nicht bekannt. Kreisky
konnte wenig zur Aufklärung beitragen, stellte sich aber hinter Rösch: „Als ich
aus der schwedischen Emigration nach Österreich zurückkam, war ich entsetzt,
dass Leute wie Rösch in der Partei herumsaßen. Ich konnte das einfach nicht
verstehen. Da überzeugte mich der damalige steirische Landessekretär [Ernst]
Taurer – es war in der Wohnung seiner Schwester in der Dominikanerbastei, ich
erinnere mich genau – in einer die ganze Nacht dauernden Aussprache davon, dass
Rösch in Ordnung war. Er war da mit Wissen und im Auftrage der Partei
hingegangen. Natürlich war das eine Räubersidee. Ob sie der Taurer oder der
Rösch selbst ausgedacht hat, weiß ich nicht.“ Für die These, dass Rösch
zumindest im Einvernehmen mit der steirischen SPÖ handelte, spreche jedenfalls
sein „unmittelbar folgender Senkrecht-Start als Karriere-Politiker“, schloss
das Nachrichtenmagazin profil. Laut Harald Irnberger gab es zahlreiche Indizien
dafür, dass neben Helmer auch der damalige SPÖ-Vorsitzende Adolf Schärf und
Bundeskanzler Leopold Figl über die NS-Untergrundbewegungen informiert waren.
Unzulängliche
Entnazifizierung
Die undurchsichtige
Rolle Röschs und die Verbindungen der NS-Untergrundbewegungen zu politischen
Parteien verdeutlichen die Unzulänglichkeiten und die Ambivalenz des
Entnazifizierungsprozesses in Österreich: Ursprünglich hatte bei Kriegsende
1945 bei allen maßgebenden Kräften Übereinstimmung geherrscht, im
„antifaschistischen Geist“ eine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus
vorzunehmen. Bereits am 8. Mai 1945 wurden die NSDAP und ihre Gliederungen
verboten. In diesem Verbotsgesetz und dem am 26. Juni 1945 erlassenen
Kriegsverbrechergesetz wurden die Bestrafung der „Illegalen“ (NSDAP-Mitglieder
vor 1938) und „schwer Belasteter“, die Registrierung der ehemaligen
Nationalsozialisten sowie die Schaffung von Volksgerichten zur Aburteilung der
NS-Verbrecher geschaffen. Ein Wirtschaftsäuberungsgesetz kam am 12. September
1945 hinzu. Weiters wurde am 6. Februar 1947 auf Druck der Alliierten eine
verschärfte Novelle des Verbotsgesetzes beschlossen: Dieses
Nationalsozialistengesetz sah neben der Registrierung der ehemaligen
NSDAP-Parteimitglieder unter anderem deren Entfernung aus dem Staatsapparat und
der Wirtschaft sowie Berufsverbote, Sühnemaßnahmen und die Aberkennung des
aktiven und passiven Wahlrechts vor.
Die auf Basis dieser
Gesetze und nachfolgender Verordnungen vorangetriebene Entnazifizierung kam
allerdings bald ins Stocken. Eine erste wichtige Zäsur hatte bereits das
Ergebnis der Nationalratswahlen vom November 1945 gebracht. Es schien die
Haltung der ÖVP zu bestätigen, die für eine schnelle Reintegration der
Registrierungspflichtigen eingetreten war. Innerhalb der SPÖ verloren daraufhin
die Vertreter der Parteilinken, die für strenge Maßnahmen eingetreten waren, an
Boden, woraufhin man ebenfalls für eine rasche Rehabilitierung eintrat.
Fraglich war, wie der beträchtliche gesamtgesellschaftliche Anteil der
„Ehemaligen“ – 700.000 NSDAP-Mitgliedern sowie Hunderttausendende SS- und
SA-Angehörige (mit deren Familien weit mehr als ein Viertel der Bevölkerung) –
dauerhaft von Politik und Wirtschaft ausgeschlossen werden konnte. Von allem
Anfang an, so Wilhelm Svoboda, habe daher die „Normalisierung der
gesellschaftlichen und ökonomischen Situation im Nachkriegsösterreich“ Vorrang
gehabt – die Verhaftung und Internierung von rund 10.000 Personen im Jahr 1945,
von denen ein Teil wieder freigelassen wurde, sei nur eine „kosmetische“
Maßnahme gewesen, die eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Hunderttausenden
„Ehemaligen“ verhinderte. Weiters begann sich ab 1947/48 im Zuge des Kalten
Krieges das gesellschaftliche Klima in Österreich zu wandeln: der
Antifaschismus wurde vom Antikommunismus abgelöst.
1948 wurden erste
Amnestien für jugendliche Personen, „Minderbelastete“ und Spätheimkehrer
beschlossen. Da rund 530.000 registrierte Nationalsozialisten nun bei der
Nationalratswahl 1949 wieder wahlberechtigt waren, entbrannte ein intensiver
Wettstreit um dieses Wählerpotenzial – vor allem, als im März 1949 rund um
Viktor Reimann und Herbert Alois Kraus der Verband der Unabhängigen (VdU) als
politische Vertretung der „Ehemaligen“ entstand. Deren zunehmendes Aufbegehren
im Kampf gegen die empfundene Entrechtung und Schlechterstellung war ein
Haupanliegen, wie Kraus Anfang Juni 1949 bei einer VdU-Versammlung
hervorstrich: „Ein Viertel oder ein Drittel der Bevölkerung ist in äußerste Not
gestoßen und zu verlässlichen Feinden des Staatswesens gemacht worden. In
keinem Staat der Welt hat eine so grausame Verfolgung der Mitläufer des
NS-Regimes stattgefunden, wie in Österreich.“ Der Aufbau des VdU löste vor
allem bei der ÖVP Sorgen vor einer Spaltung des bürgerlichen Lagers aus: Am 28.
Mai 1949 setzte sich deshalb in Oberweis eine ÖVP-Delegation unter Führung des
späteren Bundeskanzlers Julius Raab mit elf „Ehemaligen“ – darunter Höttl und ein
früherer Adjutant Kaltenbrunners, Theo Wührer – zusammen. Man diskutierte
Bedingungen für die Einbindung des nationalen Lagers in die ÖVP, eine Einigung
kam aber nicht zustande. Schon zuvor, am 8. April 1949, hatte sich Schärf für
die SPÖ mit eher sozialdemokratisch ausgerichteten „Ehemaligen“ – dem „Gmundner
Kreis“ rund um Kernmayer, Kowarik und Schachermayer – getroffen und die
Möglichkeit einer Dreierkoalition von SPÖ, ÖVP und VdU angedeutet. Bei
Nachfolgetreffen im August 1949 wurde dem oberösterreichischen VdU zudem
materielle Unterstützung beim Wahlkampf zugesagt. Bei den anschließenden
Nationalratswahlen am 9. Oktober 1949 gewann der VdU 11,7 Prozent der Stimmen.
Sowohl die Versuche, die nationalen Gruppierungen ins ÖVP-Lager zu ziehen, als
auch die Hoffnung der SPÖ, dass die „vierte Partei“ vor allem der ÖVP Stimmen
wegnehmen werde, hatten nichts gefruchtet. Allerdings führten Verluste bei
folgenden Wahlen und interne Machtkämpfe dazu, dass der VdU in der 1955
gegründeten FPÖ aufging.
Der Endpunkt der
Entnazifizierung wurde 1957 erreicht: Das Gesetz über die NS-Amnestie vom 14.
März 1957 hob die wesentlichen Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes
auf. Ab diesem Zeitpunkt fielen NS-Verbrechen unter das österreichische
Strafgesetzbuch. Nun waren auch jene, die als belastet eingestuft worden waren,
rehabilitiert. Das allmähliche Aufweichen der Entnazifizierung war auch einer
der Hauptfaktoren, die zum generellen Verschwinden von NS-Untergrundbewegungen
in der BRD und in Österreich beitrugen. Darüber hinaus kamen die ökonomische
Erholung, die Duldung neuer rechter politischer Parteien als legaler
politischer Betätigungsrahmen und die Verschärfung des Kalten Krieges zum
Tragen.
„Wir
rufen Europa“
Theodor Soucek blieb
auch nach der Haftzeit seiner Gesinnung treu und war bereits in 1950er Jahren
eine der Führungsfiguren der rechtsextremen Szene. Laut Wolfgang Purtscheller
kam auf Souceks Betreiben hin 1954 rund um den VdU-Rechtsabweichler Fritz
Stüber der Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) zusammen, eine „Vorläuferorganisation
der FPÖ“. Nach vergeblichen Versuchen, in den VdU aufgenommen zu werden,
widmete sich Soucek vor allem dem Ziel, neofaschistische Gruppen auf
europäischer Ebene zusammenzuführen. 1956 veröffentliche er die programmatische
Schrift Wir rufen Europa, in der er die Notwendigkeit einer „Vereinigung des
Abendlands“ beschwor. Im Januar 1957 gründete Soucek in Graz den Verein
Sozialorganische Ordnungsbewegung Europas (SORBE). Deren Programm fasste die
Staatspolizei in einer Information so zusammen: „Die ‚Sozialorganische
Ordnungsbewegung Europas‘ bezweckt laut ihren Statuten die Förderung der
Vereinigung Europas in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, die
Vertiefung der kulturellen und geistigen Beziehungen der einzelnen Völker
untereinander, sowie die Erweckung des Interesses der Jugend für diese
Aufgaben. Das Endziel ist die Errichtung einer sozial-organischen Ordnung der
europäischen Völkergemeinschaft zur Bewahrung und Steigerung der
wirtschaftlichen und biologischen, nicht zu zuletzt damit aber auch der
kulturellen Kraft Europas.“
Soucek gelang es, die
deutsche Sektion der Europäischen Verbindungsstelle (EVS), die Volkspartei der
Schweiz, eine Gruppe der Europäischen Verbindungsstelle (EVS) aus
Elsass-Lothringen sowie weitere Gruppen für eine Kooperation zu gewinnen. Am 7.
und 8. Dezember 1957 fand im Marmorsaal des Salzburger Hotels Pitter der erste
„Europakongress“ der SORBE statt – „ca. 1.000 Personen“ waren gekommen,
darunter Erwin Vollenweider, der 1951 die Volkspartei der Schweiz gegründet hatte,
und der französische Neofaschist und Holocaust-Leugner Henri Rocques. Als die
SORBE am 15./16. November 1958 einen weiteren „Europakongress“ abhalten wollte,
wurde der Druck von Opferverbänden und der Israelitischen Kultusgemeinde, etwas
dagegen zu unternehmen, immer größer. Daraufhin erklärte das Innenministerium
die SORBE am 25. Oktober 1958 für aufgelöst – der Verein habe seinen
„statutenmäßigen Wirkungsbereich“ überschritten. Vor allem aber habe die
Tätigkeit des Vereins den Eindruck erweckt, „dass eine Sammlung faschistischer
Elemente und die Initiierung einer neofaschistischen Bewegung beabsichtigt sei,
was in weitesten Kreisen der Bevölkerung Österreichs Unruhe ausgelöst hat und
nicht zuletzt die staatlichen Interessen Österreichs gegenüber dem Ausland
gefährdet“. Einer daraufhin eingebrachten Beschwerde der SORBE-Mitglieder gab
der Verfassungsgerichtshof jedoch Anfang Juni 1958 statt: Die Gründe, die zur
Vereinsauflösung geführt hätten, seien „nicht erwiesen“. Hierüber sei „nicht
einmal ein ausreichendes Ermittlungsverfahren“ durchgeführt worden. Souceks
Wahl zum Obmann des Steirischen Handels- und Gewerbebundes im Dezember 1959
stand nichts im Wege. In den folgenden Jahren konnte SORBE allerdings nicht
mehr zur alten Stärke zurückfinden.
Salzburger Hotel Pitter (Foto: Autor) |
Nachdem Soucek seit
1962 verzogen war und der Verein über einen Zeitraum von zwei Jahren keine
Tätigkeit mehr ausgeübt hatte, wurde SORBE am 16. März 1964 per Bescheid
endgültig aufgelöst. Soucek hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ins Ausland
abgesetzt – nachdem er die von seinem Vater geerbte Eisenhandlung in Graz so
heruntergewirtschaftet hatte, dass die Schulden mehr als vier Millionen
Schilling ausmachten. Soucek hielt sich kurzzeitig im südafrikanischen Pretoria
auf, wurde aber ausgewiesen. Ebenso scheiterten Versuche, in der BRD und in der
Schweiz Fuß zu fassen. Schließlich reiste Soucek nach Südamerika und hielt sich
längere Zeit in Argentinien auf. Danach gelangte er nach Spanien und ließ sich
in Benalmádena an der Costa del Sol nieder, wo sich auch der österreichische
Neonazi und Holocaust-Leugner Gerd Honsik aufhielt. Dort soll Soucek Handbücher
zum Untergrundkampf übersetzt haben, wie sie von der SS gegen Ende des Zweiten
Weltkriegs für Werwolf-Gruppen bestimmt waren. Die Anleitungen für
Sabotageakte, darunter Sprengstoffanschläge, werden heute von den spanischen
Ablegern der internationalen Neonazi-Netzwerke „Blood&Honour“ und
„Hammerskins“ verwendet.
HINWEIS: Langversion mit Quellenangaben ist im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Nr. 1/2015 erschienen
http://www.acipss.org/journal
Siehe auch: Petra Stuiber, Uncle Sams braune Spione, in: Der Standard, 30. 6. 2015
http://derstandard.at/2000018127485/Uncle-Sams-braune-Spione
Siehe auch: Petra Stuiber, Uncle Sams braune Spione, in: Der Standard, 30. 6. 2015
http://derstandard.at/2000018127485/Uncle-Sams-braune-Spione