Mittwoch, 3. Juni 2015

Arne Treholt und ein Schnappschuss in Wien

Vor 20 Jahren wurde der größte Spionageskandal in der Geschichte Norwegens vor Gericht abgeschlossen – die „Agentenstadt“ Wien hatte zuvor die passende Kulisse geliefert.

Wien, Nussdorferstraße 33 – an dieser unscheinbaren Adresse wurde am 20. August 1983 ein ikonisches Foto des Kalten Krieges gemacht: Es zeigt die hochrangigen KGB-Offiziere Gennadij Titow und Aleksandr Popatin gemeinsam mit dem damaligen norwegischen Außenamtssprecher Arne Treholt (http://bit.ly/1dIuWAi). Osloer Staatsschutzbeamte hatte das Trio heimlich fotografiert, als es sich ins heute geschlossene Restaurant „Taj Mahal“ begab. Bevor Treholt ein weiteres Mal nach Wien kommen konnte, wurde er am 20. Jänner 1984 verhaftet. Damit wurde einer der größten Skandale im Geheimdienstkrieg zwischen West und Ost öffentlich.
Der Schauplatz des Agententreffs in Wien-Alsergrund
Dass der Fall so hohe Wellen schlug hing vor allem mit der Hauptfigur, dem damals 43jährigen Arne Treholt, zusammen. Dieser konnte auf einen „kometenhaften“ Aufstieg zurückblicken: 1973 hatte Handelsminister Jens Evensen den Außenpolitikjournalisten beim „Arbeiderbladet“ zu seinem persönlichen Mitarbeiter gemacht. Treholt brachte es bis zum Staatssekretär ehe er 1979 an die norwegische Uno-Vertretung in New York wechselte. 1983 übernahm er, nach einem Studienjahr an der norwegischen Verteidigungsakademie, das Presseamt des Außenministeriums. Treholt war eine schillernde Persönlichkeit, fasste das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zusammen: „In zweiter Ehe war er mit der Tochter eines norwegischen Industriekapitäns verheiratet. Er lebte nach der Rückkehr aus New York in einer Luxuswohnung von 200 Quadratmetern in der Nähe des Osloer Schlosses. Treholt liebte Jogging und Marathonlauf in aller Welt, er verspielte hohe Summen beim Pferderennen.“

„Alles verraten“
Nach dem Schnappschuss in Wien war Treholts Laufbahn jäh beendet: Gegen ihn wurde die „umfassendste Spionageanklage“ in der norwegischen Geschichte erhoben. Es wurde als erwiesen angesehen, dass Treholt ab 1974 für den KGB und ab 1981 für den irakischen Nachrichtendienst Informationen beschaffte. Vor 30 Jahren, am 20. Juni 1985, wurde Treholt zu 20 Jahren Haft verurteilt. Laut „Spiegel“ hatte er „so ziemlich alles“ verraten, „was es aus und über Norwegen zu verraten gab: die Inhalte vertraulicher Gespräche norwegischer Regierungsmitglieder, unter anderem mit Helmut Schmidt, Pierre Trudeau und Henry Kissinger und weiteren Politikern aus Nato-Staaten wie neutralen Ländern über den Ost-West-Konflikt, die Nachrüstung, Einsatz- und Nachschubpläne für ihre Nordflanke; schließlich und am schwierigsten, norwegische ‚Reichssicherheitsgeheimnisse‘ wie Mobilisierungs- und Truppenverschiebungspläne im Krisen- und Kriegsfall, Einzelheiten über Organisation und Arbeitsweise von Auslandsaufklärung und Spionageabwehr.“
Meldung zum Treholt-Prozess in der AZ (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
Treffgespräch in „Taj Mahal“
Bereits 1977 hatte ein übergelaufener KGB-Agent Hinweise auf einen hochgestellten „Maulwurf“ in Norwegen geliefert. Beweise, dass es sich dabei um Treholt handelte, beschaffte die CIA – nachdem diese von der norwegischen Sicherheitspolizei um die Überwachung des in Verdacht geratenen Treholt gebeten worden war. Seinen Führungsoffizier Titow kannte er seit 1971: Dieser war zwischen 1971-1977 Botschaftsrat (und KGB-Chef) in Oslo. Im Rahmen des letzten Treffens im „Taj Mahal“ soll Titow Treholt einen aus Stockholm ausgewiesenen Diplomaten, als neuen Kontaktmann präsentiert und für die Zukunft Lieferungen auf Mikrofilm verlangt haben. Mit dabei war auch Aleksandr Lopatin, 1974-1976 Erster Sekretär an der sowjetischen Botschaft in Oslo.

Doppelgänger nach Wien geschickt
Am Tag von Treholts Verhaftung wartete Titow erneut in Wien. Aus Dokumenten, die 2014 bekannt wurden, geht hervor, dass die norwegischen Behörden einen „Doppelgänger“ schickten. Titow dachte zunächst wirklich, Treholt vor sich zu haben. Doch dann kamen zwei weitere Personen hinzu und machten dem KGB-Offizier ein Angebot, das eigentlich nicht abzulehnen war: „Titow, wir wissen, Sie sind gut und wir sind bereit, Ihnen 500.000 $ und einen Ort in Australien, Kanada oder den Vereinigten Staaten zu bieten, in dem Sie bequem und sicher leben können.“ Titow antwortete, dass sei ein „interessanter Vorschlag“ und sagte zu, die Norweger abends nochmals zu treffen. Allerdings machte er  sich in der Zwischenzeit aus dem Staub.

Alles ein großer Justizirrtum?
Vor Gericht führte die Anklage umfassende Beweismittel gegen Treholt ins Feld: Beschlagnahmte Taschenkalender, Amtspapiere und Aufzeichnungen sowie das Geständnis, das er in über 200 Stunden Verhör ablegt, aber dann widerrufen hatte. Er habe „unautorisierten Kontakt“ zu KGB-Agenten gehabt, gestand Treholt ein. Den „Geldbeweis“, ein Umschlag mit 15.000 Dollar in seinem Reisekoffer, erkannte er nie an und bezeichnete seine Verurteilung als Justizirrtum.
Arne Treholt 2010 (Quelle: Wikimedia Commons/Ole-Christian Bjarköy)
1992 vorzeitig aus der Haft entlassen, lebte Treholt zwischenzeitlich in Russland. Heute ist er Geschäftsmann auf Zypern. 2010 wurden neue Hinweise bekannt, dass das Urteil gegen ihn auf Basis gefälschter Beweise zustande kam. Um den Fall „wasserdicht“ zu machen, dürfte der norwegische Geheimdienst PST Treholt das Geldkuvert untergeschoben haben. Außerdem wurde bekannt, dass die US-Behörden in Norwegen eine eigene Einheit namens Surveillance Detection Unit (SDU) mit angeheuerten Informanten unterhielt. Unter diesen befand sich auch jener Geheimdienstmann, der Beweise präpariert haben soll. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wurde jedoch 2011 abgeschmettert. Treholt kämpft freilich weiter für seine Rehabilitierung. Ein filmisches „Denkmal“ wurde ihm schon 2010 gesetzt: In der norwegischen Spionage-Groteske „Kommandeur Treholt und die Ninja-Truppe“.