Vor
20 Jahren wurde der größte Spionageskandal in der Geschichte Norwegens vor
Gericht abgeschlossen – die „Agentenstadt“ Wien hatte zuvor die passende Kulisse
geliefert.
Wien,
Nussdorferstraße 33 – an dieser unscheinbaren Adresse wurde am 20. August 1983
ein ikonisches Foto des Kalten Krieges gemacht: Es zeigt die hochrangigen
KGB-Offiziere Gennadij Titow und Aleksandr Popatin gemeinsam mit dem damaligen
norwegischen Außenamtssprecher Arne Treholt (http://bit.ly/1dIuWAi). Osloer Staatsschutzbeamte hatte
das Trio heimlich fotografiert, als es sich ins heute geschlossene Restaurant
„Taj Mahal“ begab. Bevor Treholt ein weiteres Mal nach Wien kommen konnte,
wurde er am 20. Jänner 1984 verhaftet. Damit wurde einer der größten Skandale
im Geheimdienstkrieg zwischen West und Ost öffentlich.
Dass der Fall so hohe
Wellen schlug hing vor allem mit der Hauptfigur, dem damals 43jährigen Arne
Treholt, zusammen. Dieser konnte auf einen „kometenhaften“ Aufstieg
zurückblicken: 1973 hatte Handelsminister Jens Evensen den Außenpolitikjournalisten
beim „Arbeiderbladet“ zu seinem persönlichen Mitarbeiter gemacht. Treholt
brachte es bis zum Staatssekretär ehe er 1979 an die norwegische Uno-Vertretung
in New York wechselte. 1983 übernahm er, nach einem Studienjahr an der
norwegischen Verteidigungsakademie, das Presseamt des Außenministeriums. Treholt
war eine schillernde Persönlichkeit, fasste das deutsche Nachrichtenmagazin „Der
Spiegel“ zusammen: „In zweiter Ehe war er mit der Tochter eines norwegischen
Industriekapitäns verheiratet. Er lebte nach der Rückkehr aus New York in einer
Luxuswohnung von 200 Quadratmetern in der Nähe des Osloer Schlosses. Treholt
liebte Jogging und Marathonlauf in aller Welt, er verspielte hohe Summen beim
Pferderennen.“
Der Schauplatz des Agententreffs in Wien-Alsergrund |
„Alles
verraten“
Nach dem
Schnappschuss in Wien war Treholts Laufbahn jäh beendet: Gegen ihn wurde die „umfassendste
Spionageanklage“ in der norwegischen Geschichte erhoben. Es wurde als erwiesen
angesehen, dass Treholt ab 1974 für den KGB und ab 1981 für den irakischen
Nachrichtendienst Informationen beschaffte. Vor 30 Jahren, am 20. Juni 1985,
wurde Treholt zu 20 Jahren Haft verurteilt. Laut „Spiegel“ hatte er „so
ziemlich alles“ verraten, „was es aus und über Norwegen zu verraten gab: die
Inhalte vertraulicher Gespräche norwegischer Regierungsmitglieder, unter
anderem mit Helmut Schmidt, Pierre Trudeau und Henry Kissinger und weiteren
Politikern aus Nato-Staaten wie neutralen Ländern über den Ost-West-Konflikt,
die Nachrüstung, Einsatz- und Nachschubpläne für ihre Nordflanke; schließlich
und am schwierigsten, norwegische ‚Reichssicherheitsgeheimnisse‘ wie
Mobilisierungs- und Truppenverschiebungspläne im Krisen- und Kriegsfall,
Einzelheiten über Organisation und Arbeitsweise von Auslandsaufklärung und
Spionageabwehr.“
Treffgespräch
in „Taj Mahal“
Meldung zum Treholt-Prozess in der AZ (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at) |
Bereits 1977 hatte
ein übergelaufener KGB-Agent Hinweise auf einen hochgestellten „Maulwurf“ in Norwegen
geliefert. Beweise, dass es sich dabei um Treholt handelte, beschaffte die CIA
– nachdem diese von der norwegischen Sicherheitspolizei um die Überwachung des
in Verdacht geratenen Treholt gebeten worden war. Seinen Führungsoffizier Titow
kannte er seit 1971: Dieser war zwischen 1971-1977 Botschaftsrat (und KGB-Chef)
in Oslo. Im Rahmen des letzten Treffens im „Taj Mahal“ soll Titow Treholt einen
aus Stockholm ausgewiesenen Diplomaten, als neuen Kontaktmann präsentiert und
für die Zukunft Lieferungen auf Mikrofilm verlangt haben. Mit dabei war auch Aleksandr
Lopatin, 1974-1976 Erster Sekretär an der sowjetischen Botschaft in Oslo.
Doppelgänger
nach Wien geschickt
Am Tag von Treholts
Verhaftung wartete Titow erneut in Wien. Aus Dokumenten, die 2014 bekannt
wurden, geht hervor, dass die norwegischen Behörden einen „Doppelgänger“
schickten. Titow dachte zunächst wirklich, Treholt vor sich zu haben. Doch dann
kamen zwei weitere Personen hinzu und machten dem KGB-Offizier ein Angebot, das
eigentlich nicht abzulehnen war: „Titow, wir wissen, Sie sind gut und wir sind
bereit, Ihnen 500.000 $ und einen Ort in Australien, Kanada oder den
Vereinigten Staaten zu bieten, in dem Sie bequem und sicher leben können.“
Titow antwortete, dass sei ein „interessanter Vorschlag“ und sagte zu, die
Norweger abends nochmals zu treffen. Allerdings machte er sich in der Zwischenzeit
aus dem Staub.
Alles
ein großer Justizirrtum?
Vor Gericht führte die
Anklage umfassende Beweismittel gegen Treholt ins Feld: Beschlagnahmte
Taschenkalender, Amtspapiere und Aufzeichnungen sowie das Geständnis, das er in
über 200 Stunden Verhör ablegt, aber dann widerrufen hatte. Er habe
„unautorisierten Kontakt“ zu KGB-Agenten gehabt, gestand Treholt ein. Den „Geldbeweis“,
ein Umschlag mit 15.000 Dollar in seinem Reisekoffer, erkannte er nie an und
bezeichnete seine
Verurteilung als Justizirrtum.
1992 vorzeitig aus der Haft entlassen, lebte
Treholt zwischenzeitlich in Russland. Heute ist er Geschäftsmann auf Zypern. 2010
wurden neue Hinweise bekannt, dass das Urteil gegen ihn auf Basis gefälschter
Beweise zustande kam. Um den Fall „wasserdicht“ zu machen, dürfte der
norwegische Geheimdienst PST Treholt das Geldkuvert untergeschoben haben.
Außerdem wurde bekannt, dass die US-Behörden in Norwegen eine eigene Einheit
namens Surveillance Detection Unit (SDU) mit angeheuerten Informanten
unterhielt. Unter diesen befand sich auch jener Geheimdienstmann, der Beweise präpariert
haben soll. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wurde jedoch 2011 abgeschmettert.
Treholt kämpft freilich weiter für seine Rehabilitierung. Ein filmisches
„Denkmal“ wurde ihm schon 2010 gesetzt: In der norwegischen Spionage-Groteske
„Kommandeur Treholt und die Ninja-Truppe“.
Arne Treholt 2010 (Quelle: Wikimedia Commons/Ole-Christian Bjarköy) |