Freitag, 26. September 2014

NS-Kriegsverbrecher im Sold von westlichen Diensten: Das Beispiel Otto von Bolschwing und die Spionagestadt Wien

Die Geschichte von Wien als Stadt der Geheimdienste begann nach Kriegsende 1945. Betrachtet man diese Entstehungsphase, dann bleibt von Spionageromantik freilich wenig über. So war es ursprünglich die Hauptaufgabe des in Österreich eingesetzten Counterintelligence Corps (CIC), des Geheimdiensts der US-Armee, gewesen, NS-Verbrecher zu jagen. Doch durch den Kalten Krieg verschob sich die Priorität schon innerhalb weniger Monate hin auf die Beobachtung der sowjetischen Besatzungsmacht. Österreich wurde ab diesem Zeitpunkt zu einem Bazar der Spione: Ein pensionierter CIA-Offizier beschrieb es anschaulich so: Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo, Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und faschistischer Organisationen aus Zentral- und Südeuropa hätten den Nachrichtendiensten fabrizierte Informationen feilgeboten, um die man sich dann gestritten hätte, „wie so viele Frauen in der Schnäppchenabteilung von Macy’s am Tag nach Weihnachten“.

Nachkriegs-Wien als „Bazar“ der Geheimdienste
Ein Bericht für die CIA von 1949 listet insgesamt 17 verschiedene nachrichtendienstliche Gruppen auf, die zu diesem Zeitpunkt in Österreich aktiv waren: Neben dem unter Anleitung von Maximilian Ronge im Aufbau befindlichen Militärgeheimdienst verfügten auch die Großparteien SPÖ und ÖVP über eigene Informations-Dienste ebenso wie die katholische Kirche. Hinzu kamen zwei jeweils für Großbritannien und Frankreich tätige Netzwerke. Fünf weitere dieser selbstständig operierenden und miteinander konkurrierenden Organisationen wurden von ehemaligen SD-Mitarbeitern, SS- und HJ-Angehörigen angeführt.

NS-Kriegsverbrecher als Informationsquellen
Das CIC hatte seit 1946 in diesen Kreisen rekrutiert: Eine Untersuchung des US-amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss, dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats anwarb und man über Tausende von Informanten verfügte. Für das CIC galt sprichwörtlich die Philosophie, wonach das Ziel, die Mittel heiligt. Die Mitgliedschaft in der SS oder einer anderen NS-Organisation war kein Kriterium, um als Informant abgelehnt zu werden. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal nützte jedenfalls diese Schwäche aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich aus der Kooperation mit den westlichen Diensten zu ziehen. Letztere wiederum schnitten sich ins eigene Fleisch: Denn die „braune“ Vergangenheit machte erpressbar. Und auf diese Weise wurden beispielweise im BND hochrangige Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und richteten beträchtlichen Schaden an.

Otto von Bolschwing und seine „Netze“
In Österreich gibt es zahlreiche Beispiele für diese unheilige Allianz. Bislang weniger bekannt sind die nachrichtendienstlichen Netze, die von dem ehemaligen SS-Hauptsturmführer Otto von Bolschwing (1909-1982) zunächst für die Organisation Gehlen (Vorläufer des BND) und dann für die CIA aufgezogen wurden. Bolschwing war bereits in den 1930er Jahren als SD-Agent im Nahen Osten aktiv gewesen. Nach dem Anschluss 1938 assistierte er Adolf Eichmann bei der Enteignung und Deportation österreichischer Juden. Zwei Jahre später rückte Bolschwing zum SD-Führer in Rumänien auf, wo er 1941 an einem antijüdischen Pogrom mit mehr als 600 Opfern beteiligt war.  Eben wegen seiner engen Beziehungen zu Exilanten der „Eisernen Garde“, einer rumänischen Faschistengruppe und guten Kontakten im Balkanraum, wurde Bolschwing 1947 in Österreich von der Organisation Gehlen rekrutiert. Allerdings fiel er rasch in Ungnade, weil er die gewünschten operationellen Informationen nicht lieferte. Dafür wurde er 1950 von der CIA übernommen, die sich ebenso viel von seinen „drei rumänischen Projekten“ erhoffte.  Bolschwing blieb allerdings dabei, schwerpunktmäßig über politische Angelegenheiten, vor allem Interna aus Österreich, zu berichten.

Wie ein CIA-Bericht vermerkte, betrachtete er diese österreichische Berichterstattung als den „aircraft carrier“, von dem aus er am Balkan operiere („[…] insists that he cannot strip this complex with out harmstringing himself“).  Seine Aktivitäten in Wien führte Bolschwing unter Tarnung der US-amerikanisch geförderten Austria Verlag GmbH einer Zweigstelle der österreichischen Liga für die Vereinten Nationen. Bolschwing benützte diese Position, um 1948 – unterstützt von US-Geheimdienststellen – die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen und sich von der Entnazifizierungskommission von NS-Aktivitäten freisprechen zu lassen.  Als gegen die Austria Verlags GmbH wegen Steuervermeidung ermittelt wurden, verweigerte das CIC den österreichischen Behörden  jede Unterstützung, weshalb die Untersuchung Ende 1950 eingestellt werden musste. 

Ehemaliger Sitz der Austria Verlag GmbH in der Wiener Innenstadt

Otto Schulmeister und Wolfgang Pfaundler als Informanten
Ein CIA-Dokument gibt Aufschluss über die insgesamt zehn verschiedene Informantennetzwerke, die Bolschwing in Österreich aufgebaut hatte: So war das „EE net“ für Verbindungen zur katholischen Kirche zuständig – neben drei Geistlichen finden sich auch die Namen des Priesters und Kunstsammlers Otto Mauer sowie des Journalisten Otto Schulmeister. Letzterer war über rund drei Jahrzehnte Chefredakteur und Herausgeber der Tageszeitung „Die Presse“. 1961/62 wurde er unter dem Decknamen GRCAMERA von der CIA angeworben.

Das „HH net“ wiederum stand unter Leitung des früheren SS-Obersturmführers Anton Fellner, eine der „Sub-sources“ war der frühere Gauinspektor in Oberdonau, Stefan Schachermayer. Im „SS net“, das Kontakte in der SPÖ beinhaltete, stechen die Namen des späteren Bundesministers für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft, Otto Probst, sowie des Nationalratsabgeordneten und späteren Tiroler Landesrats, Rupert Zechtl, hervor. Im Stab von Bolschwings Hauptquartier („CC net“) befand sich weiters neben dem früheren SS-Obersturmführer Anton Böhm der Widerstandskämpfer und spätere Südtirolaktivist, Wolfgang Pfaundler, mit dessen Schwester Bolschwing verheiratet war. Weitere Netze galten Verbindungen zur österreichischen Polizei in Salzburg, Wien und Oberösterreich („PP net“) sowie in die Vorarlberger Sicherheitsdirektion („TT net“).

CIA-Dokument listet Bolschwings Informanten auf
(Auszug, Quelle: www.foia.cia.gov/collection/nazi-war-crimes-declassification-act)
Wie schon zuvor die Organisation Gehlen wurde auch die CIA unzufrieden mit ihrem Agenten: Dieser habe in erster Linie veraltete Informationen geliefert (etwa die Identifizierung von Personen und Gruppen, die längst bekannt waren),  weshalb ihm eine Re-Orientierung seiner Aktivitäten auf „satelite operations“ in kommunistisch kontrollierten Nachbarländern, Aufklärung der sowjetischen Truppenstärke und Kontakte zu politischen Parteien sowie dem Sicherheitsapparat in Österreich verordnet wurden. Anfang 1953 schätzte die CIA die jährlichen Kosten für das „Project GROSSBAHN“ (darunter Bolschwing und seine Quellen) auf 20.000 Dollar. Noch im selben Jahr entschieden allerdings die CIA-Führungsoffiziere, dass es Zeit war, Bolschwings Netzwerke stillzulegen. Dafür unterstützte man erfolgreich seine langjährigen Bemühungen, US-Bürger zu werden.

Im Gefolge des Eichmann-Prozesses (1961) wurden dann immer mehr Details über Bolschwings NS-Vergangenheit bekannt und es stellte sich heraus, dass er über seine Mittäterschaft gelogen hatte. Um nicht in Verlegenheit zu geraten, wurde er seitens der CIA weiter protegiert und nicht an das US-Justizministerium oder an westdeutsche Behörden gemeldet. Erst in den früheren 1980er Jahren wurde Bolschwing endgültig als Kriegsverbrecher enttarnt. Man erlaubte dem Schwerkranken aber 1982 in den USA zu sterben.

Donnerstag, 11. September 2014

„Mit Diktaturen lassen sich eben leichter Geschäfte machen“

Der Bürgerkrieg und der Zerfall der staatlichen Ordnung in Libyen ist ein aktueller Anlass, sich ein bemerkenswertes Kapitel österreichischer Außen- und Wirtschaftspolitik in Erinnerung zu rufen. In den 1970er und 1980er Jahren knüpfte Bundeskanzler Bruno Kreisky enge Kontakte zum 2011 gestürzten Machthaber Muammar al-Gaddafi – um dadurch Sicherheit vor Terrorismus zu schaffen und um die Interessen der heimischen Wirtschaft zu bedienen. Neue Einblicke liefern die Tagebuchaufzeichnungen von Handels- und Industrieminister Josef Staribacher, der 2014 verstorben ist.

Der „Pate“ des Terrors
Muammar al-Gaddafi galt seit Anfang der 1970er Jahre als „Pate“ des internationalen Terrorismus: Neben Guerillabewegungen in Niger und Mali und islamischen Aufständischen auf den Philippinen unterstützte er auch die terroristische nordirische IRA, palästinensische Gruppen und die Japanische Rote Armee. Schon 1975 fasste der österreichische Botschafter in Tripolis seinen persönlichen Eindruck vom Revolutionsführer auf pointierte Weise so zusammen: „Gaddafi ist weder ein Operettenoberst noch ein finster brütender Dr. Mabuse. Intelligenz (die nicht im Widerspruch steht zu einer möglichen Geisteskrankheit), mangelndes Wissen, persönliche Ausstrahlung, fanatisches Sendungsbewusstsein, Dollarmilliarden zu seiner nahezu unumschränkten Verfügung und Ambitionen, die viel zu groß sind für Libyen, machen ihn zu einer ernst zu nehmenden Gefahr.“

Der Versuch, Gaddafi zu mäßigen
Als Bruno Kreisky Gaddafi im Rahmen seiner Fact-Finding-Mission für die Sozialistische Internationale (SI) 1975 zum ersten Mal traf, kritisierte dieser die jüdische Emigration aus der Sowjetunion nach Israel – und warnte indirekt auch Länder wie Österreich, die diesen Prozess als Durchgangsstation ermöglichten: „Jeder, der die Immigration zulässt oder Waffen liefert, nimmt am Krieg gegen die Palästinenser teil und ist ein Kriegsverbrecher.“ Kreisky war sich daher der Gefahr, die von Libyen auch für Österreich ausging, nur allzu bewusst. „Das Interesse Kreiskys an Gaddafis Politik bestand darin, dass dieser auf radikale Kreise im arabischen Raum und in Europa einen großen Einfluss hatte“, erinnert sich der langjährige Innenminister Erwin Lanc und fügt hinzu: „Nach unseren Informationen war Libyen zeitweise für diese Leute eine Ausbildungsstätte. Daher war Gaddafi auch ein Hort der Bedrohung.“

Im Falle der Wiener OPEC-Geiselnahme Ende 1975 war der Verdacht, die Täter hätten von Libyen Unterstützung erhalten, von Anfang an stark. Aber Kreisky blieb bei seiner Überzeugung, „weder Gaddafi, noch irgendein ein anderer Libyer hatte bei dem OPEC-Anschlag die Hand im Spiel“. Auch während der 1980er Jahre sollte Kreisky Gaddafi gegen entsprechende Terror-Vorwürfe seitens der USA in Schutz nehmen. Die hartnäckige Weigerung, an eine libysche Beteiligung zu glauben, hing mit dem persönlichen Vertrauensverhältnis zusammen, das sich zwischen den beiden Politikern über viele Jahre hin aufgebaut hatte.

Kreisky versprach sich viel davon, Gaddafi von seinem radikalen politischen Weg abzubringen, zu mäßigen und damit auch präventiv für Österreichs Sicherheit zu sorgen. In einem vertraulichen Schreiben teilte Kreisky seinem westdeutschen Amtskollegen Helmut Schmidt mit: „Ich glaube, dass Gaddafi aus seiner eigenen Situation heraus bemüht ist, seine Beziehungen zum Westen zu verbessern. Die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Libyens dürften diesen Wunsch dringlicher erscheinen lassen, seine Verwirklichung aber auch erschweren. Es wird für Gaddafi sicher nicht leicht sein, sein bisheriges Image im Westen als Schutzpatron so gut wie jeder terroristischen Bewegung zu ändern. Dennoch glaube ich, dass es im wohlverstandenen Interesse des gesamten Westens sein müsste, den Annäherungsversuch Gaddafis nicht von vornherein zurückzuweisen.“

Handelspartner Libyen
Neben der politischen Komponente und Sicherheitsüberlegungen kam  hinzu, dass Libyen für die exportabhängige österreichische Wirtschaft einen interessanten Handelspartner darstellte – für den verstaatlichten Stahlkonzern VOEST, genauso wie für viele andere kleine und mittlere Unternehmen. Gefolgt von Ägypten und Algerien war Libyen 1982 der wichtigste Handelspartner Österreichs in Nordafrika: Sowohl Ausfuhren nach Libyen, als auch die Einfuhren aus Libyen hatten sich zwischen 1977 und 1981 nahezu verdreifacht: Von 851 Millionen (1977) auf mehr als zwei Milliarden Schilling (1981). Allerdings bestand ein beträchtliches Außenhandelsdefizit. Denn während Österreich Maschinen aller Art, Straßenfahrzeuge, Möbel, Schlachtvieh, Schnittholz, Papier, Textilien, medizinische Erzeugnisse und Frischgemüse lieferte, bestand die Einfuhr aus Libyen fast ausschließlich aus Rohöl. Erschwerend hinzukam, dass dieses Produkt zu einem Zeitpunkt als der Erdölpreis allgemein stark zurückging, zu einem erhöhten Preis gekauft werden musste.

Wie diese Wirtschafts-Kooperation eingefädelt wurde und „hinter den Kulissen“ lief, darüber geben Tagebuchaufzeichnungen von Handels- und Industrieminister Josef Staribacher Auskunft. Dieser war federführend beteiligt, als im April 1975 bei einem Besuch von Gaddafis Stellvertreter Abd al-Salam Jalloud die ersten Weichen gestellt wurden. Das war alles anderes als einfach und lieferte einen Vorgeschmack auf spätere Probleme. So vermerkte Staribacher am 20. April 1975: „Jalloud möchte natürlich unter allen Umständen, wenn er von Österreich wegfährt, konkrete Ergebnisse mitbringen. Das einzige, was tatsächlich vorbereitet ist, ist der Kooperationsvertrag resp. Handelsvertrag. Hier kann Kreisky und Jalloud ihn unterzeichnen, obwohl an und für sich die Kompetenz eindeutig beim Handelsministerium und daher bei mir liegen würde. […] Wie aber konkrete Geschäfte in dieser kurzen Zeit abgeschlossen werden konnten, ja sogar konkreter vorbereitet werden könnten, ist mir ein Rätsel. Hier werde ich mich selbst überraschen lassen. Der Außenhandelsstellenleiter, der bei der ganzen Fahrt und überall dabei war, was ich sehr begrüßte, hat mir gesagt, dass in Tripolis eine irrsinnige harte Konkurrenz ist. Die Libyer sind nicht bereit, irgendwelche finanziellen Zusagen zu machen oder gar wirkliche Geschäfte abzuschließen, die sie irgend anderswo billiger und günstiger kriegen können. Natürlich interessiert sich Jalloud für alles Mögliche. Natürlich haben ihn die Panzerfahrzeuge ganz gut gefallen [für Jalloud wurde eigens eine Vorführung von Steyr-Daimler-Puch-Erzeugnissen in der Heereskraftfahrschule in Baden organisiert] und er meinte nur, es müssten stärke Panzer gemacht werden. Wenn es aber zur konkreten Diskussion über die Preise kommen wird, bin ich überzeugt, wird es ungeheuer schwierig sein, wirklich ein konkretes Geschäft zustande zu bringen.“

Tags darauf kam Jalloud bei der offiziellen Sitzung mit Kreisky dann doch auf  konkrete Lieferwünsche zu sprechen: „Außerdem möchte er sehr konkrete Importanträge über die Menge und den Preis von uns haben. Allerdings interessiert er sich nur für Produkte, die am Weltmarkt knapp sind und er sicherlich nicht bereit ist, höhere Preise zu bezahlen. Das Ergebnis ist dann aber letzten Endes doch das in unser Protokoll nur aufgenommen wird, die einzelnen Wünsche. […] Die Methode Kreiskys große Pläne zu entwickeln und sie nur anzudeuten und die konkrete Durchführung aber nicht in Angriff zu nehmen, sondern einem anderen zu übertragen, akzeptiere ich nicht.“

„Wirtschaftlich interessant, ansonsten muss man nicht dort gewesen sein“
Von 22. bis 24. Oktober 1976 war Staribacher in Tripolis, wo die im Jahr zuvor vereinbarte „Gemischte österreichisch-libysch-arabische Kommission“ nach monatelangen Verzögerungen ihre erste Tagung abhielt. In diesem Gremium sollte der gesamte Bereich der Wirtschaftsbeziehungen besprochen werden. Tatsächlich trat es nie in der vollen Besetzung zusammen. Dafür wurde gehörig gefeilscht. Dazu Staribacher: „Ich bin überzeugt, dass es in Libyen große Entwicklungsmöglichkeiten gibt, dass aber manche Bedingungen für unsere Firmen wirklich fast unakzeptabel sind. Der Viehexport, die 26.000 Stück, mussten bis jetzt mit 150 Mio. Schilling plus der Stützung der einzelnen Bundesländer verbilligt werden. Ich versuchte der libyschen Seite klarzumachen, dass wir nicht den Preis noch weiter senken können.“ Von der VOEST wollten die Libyer für einen aus österreichischer Sicht schon „ungünstigen“ Einstandspreis eines Liefervertrags nochmals eine Subvention von 30 Prozent herausholen. Von den Gegebenheiten in Libyen zeigte sich der Handelsminister mäßig begeistert: „Die Verpflegung war für afrikanische Verhältnisse wahrscheinlich gut, für unsere äußerst primitiv.“ Auch das Nachtleben bot keine wirkliche Zerstreuung: Zum Abendessen im Restaurant trat eine irakische Sängerin auf, die „bis oben hin bekleidet“ war und dazu „schreckliche Tanzrhythmen und [eine] noch schrecklichere laute Stimme“ darbot. Staribachers trockenes Fazit über Libyen: „Wirtschaftlich für uns ein interessantes Land, ansonsten aber kann ich nur sagen, muss man wahrlich nicht dort gewesen sein.“

„Mit Diktaturen lassen sich eben leichter Geschäfte machen
In einem Eintrag vom 23. November 1977 beschreibt Staribacher das Beispiel eines Bauunternehmens aus Mistelbach, das in der libyschen Wüste 14 Silos mit einem Bauvolumen von 50 Millionen Schilling hochzog: „Der Wirtschaftsprüfer dieser Firma, H., ehemaliger Rechnungshofbeamter, und K., erzählten mir, wie sie zu diesem Geschäft gekommen sind und wie sie ihre Geschäftsverbindungen da unten pflegen. 8 % Provision auf ein Schweizer Konto zu überweisen, natürlich alles strengst vertraulich, ständige Pflege der Gäste, wenn sie nach Österreich kommen, trotz der Bauverzögerung und Schwierigkeiten bei Abwicklung der bankmäßigen Bezahlung, die Akkreditive werden von der CA [Creditanstalt] nicht als lupenrein bezeichnet, noch immer ein Gewinn von 10 %, also in Wirklichkeit traumhaft für das Baugewerbe. Mit Diktaturen lassen sich eben leichter Geschäfte machen. Allerdings kann es dann aus irgendwelchen Gründen wesentlich schneller wieder aus sein und man kann natürlich auch hängen bleiben.“

„Saßen einander wie zwei Bankroteure gegenüber“
Den größten „Brocken“ heimste aber die VOEST ein: Gemeinsam mit deutsche Großanlagenbauern erhielt es 1981 den Auftrag zur Errichtung eines Hüttenwerkskomplexes in Misurata. 16 Milliarden Schilling entfielen auf den Liefer- und Leistungsanteil der VOEST. Letztendlich hinterließ der Bau des Stahlwerkes aber ein sattes Minus im Geschäftsergebnis. Ähnlich erging es der OMV, die sich 1985 mit 25 Prozent an der staatlichen libyschen Erdölgesellschaft Oxylibya beteiligt hatte. Im Rahmen der 1,7 Milliarden Schilling schweren Beteiligung wurden 600.000 Tonnen Rohöl im Jahr eingefahren, was zum amtlich festgesetzten Preis abgenommen werden musste. Nach dem Absacken des Erdölpreises wurde aus dem Engagement ein finanzielles Debakel. Der mit dem Ölpreisverfall verbundene Devisenmangel bedeutete das Ende für den Investitionsboom in Libyen.

Daran änderte auch der kurzfristig angesetzte Staatsbesuch Gaddafis in Wien vom 10. bis 13. März 1982 nichts mehr. Kreisky, der damals den Zenit seiner Macht bereits überschritten hatte und außerdem unter einem sich verschlechternden Gesundheitszustand litt, konnte durch diesen ersten Besuch Gaddafis in einem westlichen Land noch einmal an die „große Zeit“ von Wien als „Begegnungsort“ anschließen. Eingefädelt hatte die heftig umstrittene Visite VOEST-Generaldirektor Heribert Apfalter. Aber alle Erwartungen hinsichtlich von „Milliardengeschäften“ wurden enttäuscht. „Wir saßen einander wie zwei Bankrotteure gegenüber, von denen jeder den anderen als Multimillionär sieht“, kennzeichnete ein österreichischer Teilnehmer die Wirtschaftsverhandlungen, „die eigentlich gar nicht richtig in Schwung kamen“.

Verwicklung in den Noricum-Skandal
In den Medien war über den möglichen Abschluss eines Waffengeschäfts spekuliert worden. Am 20. November 1984 wurde dann tatsächlich der größte Rüstungsdeal in der Geschichte der VOEST mit Libyen vereinbart. Für geschätzte 10 Milliarden Schilling (ca. 700 Millionen Euro) kaufte die libysche Seite 200 „Noricum“-Haubitzen und eine Million Granaten. Tatsächlich handelte es sich dabei nur um ein Scheingeschäft: Die Lieferungen gingen illegal in den Iran und Libyen stellte dafür falsche Endabnehmerbescheinigungen zur Verfügung. Worin genau Gaddafis Rolle im sogenannten „Noricum“-Skandal bestanden hatte, wurde aber nie wirklich aufgeklärt.

Förderung des Terrors erst spät eingestellt
Ungeachtet der Tatsache, dass Kreisky von Gaddafi in Wien auch gebeten worden war, zwischen Libyen und den USA zu vermitteln, eskalierten die Spannungen in den Jahren 1981-1986 bis hin zu mehreren militärischen Konfrontationen. Allein schon aus diesem Grund stellte Gaddafi seine Förderung von terroristischen Gruppen nicht ein. Ab 1984/85 beherbergte er zudem die Gruppe des PLO-Abweichlers Abu Nidal, die in den 1980er Jahren mehrfach österreichische Ziele angriff. Wenige Wochen vor dem letzten Anschlag auf den Flughafen Schwechat (1985) schickte der damalige Alt-Bundeskanzler einen Emissär zu Gaddafi, um die sich bereits abzeichnende Aktion Abu Nidals quasi im letzten Augenblick noch zu verhindern. Obwohl Gaddafi zusagte, hier entsprechend aktiv zu werden, kam es wenige Tage später zum Überfall auf den El-Al-Terminal, der drei Todesopfer forderte. Angeblich waren die Terroristen nicht mehr erreichbar gewesen. 

An die Wandlungsfähigkeit Gaddafis hatte damals nicht nur Kreisky geglaubt: Beispielsweise besuchten Ende der 1970er Jahre auch zahlreiche westdeutsche Politiker wie Innenminister Baum und Außenminister Hans-Dietrich Genscher Libyen. Einerseits wollte man sich der libyschen Öllieferungen versichern. Andererseits wurde der Kontakt genutzt, um eine „Terrorschonzeit“ zu verabreden. Nachdem Gaddafi nach 2001 im internationalen Antiterrorkampf kooperierte und finanzielle Entschädigungszahlungen für die Opfer der von Libyen gesponserten Terrorakte in den 1980er Jahren leistete, gelang es ihm, die jahrzehntelange internationale Isolation aufzubrechen. Ab 2004 wurde er wieder als Handelspartner von zahlreichen westlichen Staatschefs hofiert – bis sein Regime im Zuge des „arabischen Frühlings“ 2011 unterging.

Mittwoch, 3. September 2014

„Erhöhtes Augenmerk“: Wie Österreich auf den Münchner Olympiaanschlag 1972 reagierte

Es war die "Stunde null" des internationalen Terrorismus: 1972 nahm der „Schwarze September“ israelische Sportler als Geiseln. Binnen Stunden waren alle tot. Welche Folgen hatte diese Tragödie in Österreich?  

Ganz Österreich hoffte am 4. September 1972 auf Olympiagold. Denn mit Leichtathletin Ilona Gusenbauer war eine der besten Hochspringerinnen der Welt im Münchner Olympiastadium am Start. Doch im Finalwettkampf vor 80.000 Zuschauern, darunter auch Bundeskanzler Bruno Kreisky, unterlag die Favoritin völlig überraschend der erst 16jährigen Deutschen Ulrike Meyfarth und belegte schließlich Platz 3. Was damals niemand ahnte – es sollte der letzte Tag der „heiteren Spiele“ von München sein. In den Morgenstunden des 5. September 1972 überfielen palästinensische Terroristen das Quartier der israelischen Mannschaft und nahmen elf Geiseln. Zwei der Sportler wurden gleich ermordet. Alle neun weiteren Israelis starben noch am selben Abend, als ein dilettantischer Befreiungsversuch der bayrischen Polizei scheiterte. Die Konsequenzen des Münchner Dramas sollten in Österreich und weit darüber hinaus spürbar sein.

Denkmal für die Opfer, Olympiapark München (Quelle: Wikimedia Commons)
Noch am Vormittag, als die Geiselnahme voll im Gange war, tagte in Wien zufälligerweise der Ministerrat. Offenbar hatte man zu diesem Zeitpunkt noch keine Informationen über die Ereignisse. Nur eingangs berichtete Kreisky von seiner Kurz-Visite und meinte, dass sich die österreichischen Sportler „recht gut geschlagen haben“. Durch die Olympiade sei München zu einer der modernsten und schönsten Städte der Welt geworden. Wenn die Debatte anstehe, ob sich Österreich um die Durchführung eines ähnlichen Ereignisses bewerben solle, müsse man diese „Folgeerscheinungen“ bedenken.

Nun war es das Terrordrama, das sofortige Reaktion erforderte: Um 8.30 Uhr, am 6. September 1972, fand eine Besprechung beim legendären Wiener Polizeipräsidenten Josef Holaubek statt. Angeordnet wurde die Überwachung israelischer und arabischer Botschaften, von Fluggesellschaften und der Israelitischen Kultusgemeinde. Auch die Schutzmaßnahmen für das Lager jüdischer Auswanderer in Schönau wurden verstärkt. Das „erhöhte Augenmerk“ zahlte sich aus: Am 20. September 1972 wurden fünf Briefbomben, die an die israelische Botschaft adressiert waren, entschärft.

Währenddessen machten in den Medien Gerüchte über vier eingereiste „schwerbewaffnete Araber“ die Runde – Terroranschläge gegen die Pipelines, Raffinieren und Tanklager seien geplant.  Die „Wochenpresse“ beschrieb die nervöse Stimmung, die sich breit machte: „Gegenwärtig sind in Österreich mehr als 500 schwerbewaffnete Polizisten zum Schutz der Adria-Wien-Pipeline abkommandiert. Israelische und arabische Vertretungen stehen unter Bewachung. Mehr als 2.000 Araber, die in Österreich leben, werden von der Staatspolizei überprüft.“  Die Anspannung, die zum Teil durch die emotionale Medienberichterstattung angeheizt worden war, machte sich auch in xenophoben Übergriffen Luft. Die Kronen Zeitung musste ihre Leser daran erinnern, „Menschlichkeit, Moral, Recht und Gesetz“ nicht zu vergessen: „Alle Araber und sogar andere Gäste in unserem Land, die man für Araber halten könnte, wurden beschimpft und bespuckt. Arabische Kolporteure sind hasserfüllt von Autofahrern gerammt worden. […] Von uns Österreichern sagt man, wir seien ein tolerantes, gemütliches und liebenswürdiges Volk. Die Art, wie sich einige von uns jetzt gegen die Araber verhalten, droht diese Beurteilung zu widerlegen.“  Als rund tausend Kurier-Leser brieflich und telefonisch verlangten, die arabischen Kolporteure der Zeitung sollten „gefälligst verschwinden“, stellte Kolumnist Hermann Stöger klar: „Man muss es heute ganz einfach sagen: Auch Araber sind Menschen.“

Neben dem Generalverdacht durch die Öffentlichkeit hatten diese auch unter Fahndungsmaßnahmen zu leiden: Die Staatspolizei überprüfte und beobachtete speziell Treffpunkte und Unterkünfte von „hieramts bekannten Arabern und speziell Palästinensern“. Diese hätten sich generell „sehr ängstlich“ gezeigt – so hätten sich am Folgetag der Geiselnahme „nur sehr wenige“ arabische Zeitungskolporteure auf den Straßen Wiens blicken lassen. „Allgemein gesagt, haben die Araber große Angst, dass jetzt die Israelis zurückschlagen werden oder dass Personen auf Grund eines anderen fremdländischen Auftrages Aktionen gegen die Araber durchführen werden“, heißt es in einem Bericht. Immer wieder würde den Arabern klar gemacht, „dass sie nie ohne Überwachung sind, dass bei eventuellen Vorfällen mit fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu rechnen hätten und dass sie sich an die Österreich geltenden Gesetze und Bestimmungen halten müssen“.

Damals lebten mehr als 2.000 Araber in Österreich, die Hälfte davon Ägypter. Da sich viele als Studenten ausgaben, aber 1971/72 nur 574 ordentliche Hörer aus arabischen Ländern an den Universitäten registriert waren, kamen angesichts der Lücke Sicherheitsbedenken auf. In der BRD kam es infolge des Attentats innerhalb kürzester Zeit zur Ausweisung von tausenden Arabern. In Österreich machte Justizminister Christian Broda seine Ablehnung einer solchen Präventivmaßnahme deutlich. Das „geistige Klima“ und die „innere Sicherheit“ wären wichtiger als konkrete polizeiliche Vorsichtsmaßnahmen, die auch „überdreht“ werden könnten. Es gab allerdings auch Druck in die Gegenrichtung: Am 8. September 1972 sprach der israelische Botschafter Yitzhak Patish vor. Man möge erwägen, ob die derzeitige „liberale“ Haltung gegenüber den hier lebenden arabischen Studenten und deren Aktivitäten „nicht zugunsten einer härteren Vorgangsweise revidiert werden sollte“. Eine Woche später legte Patish nach: Man wäre in Israel doch „überrascht“ gewesen, „dass von österreichischer Seite auf die deutschen Maßnahmen hinauf spontan erklärt worden sei, dass man nicht daran denke, die Visapflicht für die arabischen Studenten wieder einzuführen“. Diese stelle eine „Einladung zur einer Benützung österreichischen Territoriums für die Vorbereitung von Terrorakten dar“. Patish wurde entgegnet, dass ohnehin nur tunesische und marokkanische Studenten visumfrei einreisen dürften. Man unterstütze die Maßnahmen gegen den Terror, aber diese dürften nicht zu einer „anti-arabischen Kampagne“ verwendet werden.

Ähnlich abwägend reagierte Österreich auf einen US-amerikanischen Vorstoß: Am 14. September 1972 wurde ein „Non Paper“, also ein inoffiziellen Arbeitsdokument, übergeben. Dieses zielte darauf ab, „die Unterstützung Österreichs für den amerikanischen Standpunkt hinsichtlich des Terrorismus zu gewinnen“. Außerdem wollte man die Regierung zu einer Verurteilung des palästinensischen Terrors bewegen. Kreisky wies an, in Hinblick auf bevorstehende Gespräche in Washington, von einer Antwort abzusehen.

Nur wenige Monate nach dem Münchner Olympiadrama sollte Österreich selbst mit dem Nahostterror konfrontiert sein: Anfang 1973 hatte der „Schwarze September“ geplant, das Auswandererlager Schönau zu überfallen. Das Vorhaben konnte rechtzeitig durchkreuzt werden. Doch die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus sollte Österreich noch länger begleiten. 

Montag, 1. September 2014

Mord im Staatsauftrag: Vor 50 Jahren wurde Luis Amplatz erschossen

Vor 50 Jahren wurde das Mitglied im „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), Luis Amplatz, in Saltaus bei Meran erschossen. Sein Weggefährte Georg Klotz überlebte das Attentat schwer verletzt und konnte nach Tirol fliehen. Der Schütze, Christian Kerbler, stellte sich zunächst der Polizei, konnte aber unter mysteriösen Umständen fliehen. Seit damals ist der gebürtige Nordtiroler auf der Flucht.

Klotz und Amplatz waren  am 22. August 1964 in einem Leihwagen aus Wien verschwunden, wo sie bis dahin interniert gewesen waren. Ihr  Versuch, in Italien „einzusickern“ endete tragisch: Als Klotz und Amplatz die Nacht vom 6. auf den 7. September 1964 in einer Heuhütte am „Brunner Mahder“ verbrachten, eröffnete ihr Begleiter Kerbler gegen 02.30 Uhr mit einer Beretta-Pistole das Feuer. Kerbler, ein Spitzel des italienischen Militärgeheimdiensts SIFAR, hatte sich zuvor als Journalist ausgegeben – gemeinsam mit seinem Bruder Franz schaffte er es, Amplatz und Klotz wieder nach Südtirol zu locken, wo diese dann in eine Falle der italienischen Sicherheitskräfte stolpern sollten. Nachdem dieser ursprüngliche Plan nicht aufging, erhielt Kerbler, der zwischenzeitlich ins Tal abgestiegen war, bei einer abendlichen Besprechung in der Bozener Quästur den Auftrag, „die zwei Terroristen physisch zu eliminieren“. Als Tatwaffe wurde ihm die Dienstwaffe eines Carabinieri-Hauptmanns ausgehändigt. Hauptorganisatoren der ganzen Tat waren laut einem Zeugen der Bozner Quästor Ferruccio Allito-Bonanno sowie einige Carabinieri- und Polizeioffiziere. Der SIFAR hielt sich heraus, weil er mit der "schmutzigen Aktion" nichts zu tun haben wollte. 

15 Stunden nachdem er die Waffe erhalten hatte und zur Heuhütte zurückkommen war, entschied sich Kerbler schließlich, zu handeln - schaffte es aber nur, Amplatz zu töten. Wäre Klotz nicht verletzt entkommen, hätte man die Mordaktion als Ergebnis eines Schusswechsels zwischen "Terroristen" und Sicherheitskräften darstellen können. 

Luis Amplatz 1959 (Quelle: Wikimedia Commons)
In einem Verschlussakt des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten heißt es, Kerbler habe „durch Abgabe von 3 Schüssen auf den schlafenden Louis Amplatz diesen ermordet und ihn (Klotz) durch Abgabe von 3 Schüssen, von denen einer sein Ziel verfehlt habe, zu ermorden versucht […]. Während der Abgabe der Schüsse habe Christian Kerbler mit einer Taschenlampe den Georg Klotz abgeleuchtet. Georg Klotz wies nach seiner Rückkehr nach Österreich tatsächlich 2 Verwundungen auf, und zwar einen Steckschuss in die Brust und einen Streifschuss an der Oberlippe.“
Meldung der Arbeiter-Zeitung, 9. 9. 1964 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
Kerbler war für 18 Stunden in der Carabinieri-Kaserne in Meran in Haft. Dann soll ihm bei einem Transport nach Bozen die Flucht gelungen sein. 1971 wurde er in Peruggia in Abwesenheit wegen Mordes und Mordversuchs zu 22 Jahren Haft verurteilt. Auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck hatte gegen den Tiroler ein Verfahren eingeleitet und einen internationalen Haftbefehl erlassen. Doch Kerblers Spuren verloren sich - selbst nachdem er 1976 unter dem Aliasnamen Christian Eschenberg in London wegen Ladendiebstahls kurzzeitig festgenommen wurde. Wie der Südtiroler Journalist Christoph Franceschini festgestellt hat, intervenierte die italienische Regierung "direkt", woraufhin Kerbler auf freien Fuß gesetzt wurde und untertauchen konnte. Über seinen weiteren Verbleib gibt es nur Anhaltspunkte: Am 18. Juni 1991 berichtete die Bozner italienische Tageszeitung „Alto Adige“, dass sich Christian Kerbler wahrscheinlich in Durban in Südafrika aufhalte. Am 15. November 1991 meldete die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“, dass ein in Durban lebender 57 Jahre alter Südafrikaner namens Richard Kaplan in Wahrheit der gesuchte Kerbler sein könnte. Dieser dementierte.

Akt Kerbler geschlossen
Der österreichische Haftbefehl war bis 1977 aufrecht, danach wurde dieser in eine Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung umgewandelt. Am 5. September 2013 beantwortete Justizministerin Beatrix Karl eine parlamentarische Anfrage zu den Fahndungsanstrengungen folgendermaßen:

„Die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck hat – weisungsgemäß – ein Rechtshilfeersuchen an die italienischen Justizbehörden zur Beischaffung der dortigen Erhebungsergebnisse in der genannten Sache gerichtet. Dazu hat der Appellationsgerichtshof von Perugia bekannt gegeben, dass am 3. Juni 2008 die Einstellung des Verfahrens gegen C. K. verfügt wurde. Da die verhängte 30-jährige Freiheitsstrafe seit Rechtskraft des Urteils nie verbüßt wurde, sei Vollstreckungsverjährung eingetreten. Da im Hinblick auf diesen Beschluss eine inländische Gerichtsbarkeit gemäß § 65 Abs. 4 Z 3 StGB seit 3. Juni 2008 nicht mehr vorlag, wurde das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Innsbruck nach § 190 Z 1 StPO eingestellt und die Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung widerrufen. […] Es sind keine Veranlassungen zur Beischaffung der italienischen Verfahrensergebnisse beabsichtigt, weil dafür mangels Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit keine Rechtsgrundlage besteht.“

Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck  2013 bestätigte, ist der Akt Kerbler damit geschlossen: „Unser Rechtssystem kennt die Verjährung in Abwesenheit nicht. Aber aufgrund der Vollstreckungsverjährung in Italien mussten wir unsere Ermittlungen einstellen.“ Auch die Aufenthaltsermittlung wurde widerrufen.

Kreisky und das „Amplatz-Testament“
Bevor er von Wien aus nach Südtirol zurückkehrte und dort den Tod fand, ließ Amplatz sein Testament notariell beglaubigen. Darin nahm er in einer eidesstattlichen Erklärung Bezug auf das Treffen zwischen dem damaligen Außenminister Bruno Kreisky und den BAS-Führungsleuten 1960 in Wien (Amplatz selbst hatte aus Krankheitsgründen daran nicht teilnehmen können): „Die drei Männer haben ihren Standpunkt dargelegt und mit offenen Karten gespielt. Sie haben auch gesagt, dass es demnächst in Südtirol ‚schnöllen’ wird. Kreisky hat aufmerksam zugehört und war mit, was die Männer gesagt haben, auch einverstanden.“ Der Außenminister habe sogar ausdrücklich festgehalten: „Es ist gut, wenn es in Südtirol einmal bumst, denn nur so wird die Welt auf dieses Problem aufmerksam.“ 

Als das Testament kurz nach der Ermordung von Amplatz öffentlich wurde, stellte Kreisky fest, dass er dem BAS-Mann niemals begegnet sei: „Ich habe immer und überall in Gesprächen mit Südtirolern und anderen Personen die terroristische Aktivität verurteilt und dabei auch auf ihre Gefährlichkeit und Nutzlosigkeit für die Sache Südtirols hingewiesen, insbesondere habe ich die großen persönlichen Gefahren dargelegt und das Unglück, das die Angehörigen der Beteiligten an solchen Aktionen zwangsläufig treffen muss, vor Augen geführt.“  Im Rahmen einer ORF-Diskussion zur Südtirolproblematik unterstrich Kreisky 1965 nochmals: „Ich habe mit Südtiroler Terroristen nie gesprochen. Als ich mit Südtirolern sprach, wusste ich nicht, dass dies Leute seien, die einmal Terroristen werden würden. Ich habe mich nie geweigert, mit anständigen Leuten zu sprechen.“  Eduard Wildmoser, Obmann des Bergiselbundes und mit dem Nordtiroler BAS verbunden, äußerte die Vermutung, dass die Kreisky betreffende Passage in dem Testament Amplatz in Wirklichkeit von „gewissen Kreisen in der ÖVP in Wien“ diktiert worden sei, um so die SPÖ in die Nähe von „Terroristen“ zu rücken.