Es war die "Stunde
null" des internationalen Terrorismus: 1972 nahm der „Schwarze
September“ israelische Sportler als Geiseln. Binnen Stunden waren alle tot.
Welche Folgen hatte diese Tragödie in Österreich?
Ganz Österreich hoffte am 4. September 1972 auf Olympiagold.
Denn mit Leichtathletin Ilona Gusenbauer war eine der besten Hochspringerinnen
der Welt im Münchner Olympiastadium am Start. Doch im Finalwettkampf vor 80.000
Zuschauern, darunter auch Bundeskanzler Bruno Kreisky, unterlag die Favoritin
völlig überraschend der erst 16jährigen Deutschen Ulrike Meyfarth und belegte
schließlich Platz 3. Was damals niemand ahnte – es sollte der letzte Tag der
„heiteren Spiele“ von München sein. In den Morgenstunden des 5. September 1972
überfielen palästinensische Terroristen das Quartier der israelischen
Mannschaft und nahmen elf Geiseln. Zwei der Sportler wurden gleich ermordet.
Alle neun weiteren Israelis starben noch am selben Abend, als ein
dilettantischer Befreiungsversuch der bayrischen Polizei scheiterte. Die Konsequenzen
des Münchner Dramas sollten in Österreich und weit darüber hinaus spürbar sein.
Denkmal für die Opfer, Olympiapark München (Quelle: Wikimedia Commons) |
Noch am Vormittag, als die Geiselnahme voll im Gange war,
tagte in Wien zufälligerweise der Ministerrat. Offenbar hatte man zu diesem
Zeitpunkt noch keine Informationen über die Ereignisse. Nur eingangs berichtete
Kreisky von seiner Kurz-Visite und meinte, dass sich die österreichischen
Sportler „recht gut geschlagen haben“. Durch die Olympiade sei München zu einer
der modernsten und schönsten Städte der Welt geworden. Wenn die Debatte
anstehe, ob sich Österreich um die Durchführung eines ähnlichen Ereignisses
bewerben solle, müsse man diese „Folgeerscheinungen“ bedenken.
Nun war es das Terrordrama, das sofortige Reaktion
erforderte: Um 8.30 Uhr, am 6. September 1972, fand eine Besprechung beim
legendären Wiener Polizeipräsidenten Josef Holaubek statt. Angeordnet wurde die
Überwachung israelischer und arabischer Botschaften, von Fluggesellschaften und
der Israelitischen Kultusgemeinde. Auch die Schutzmaßnahmen für das Lager
jüdischer Auswanderer in Schönau wurden verstärkt. Das „erhöhte Augenmerk“
zahlte sich aus: Am 20. September 1972 wurden fünf Briefbomben, die an die
israelische Botschaft adressiert waren, entschärft.
Währenddessen machten in den Medien Gerüchte über vier
eingereiste „schwerbewaffnete Araber“ die Runde – Terroranschläge gegen die
Pipelines, Raffinieren und Tanklager seien geplant. Die „Wochenpresse“ beschrieb die nervöse
Stimmung, die sich breit machte: „Gegenwärtig sind in Österreich mehr als 500
schwerbewaffnete Polizisten zum Schutz der Adria-Wien-Pipeline abkommandiert.
Israelische und arabische Vertretungen stehen unter Bewachung. Mehr als 2.000
Araber, die in Österreich leben, werden von der Staatspolizei überprüft.“ Die Anspannung, die zum Teil durch die
emotionale Medienberichterstattung angeheizt worden war, machte sich auch in
xenophoben Übergriffen Luft. Die Kronen Zeitung musste ihre Leser daran
erinnern, „Menschlichkeit, Moral, Recht und Gesetz“ nicht zu vergessen: „Alle
Araber und sogar andere Gäste in unserem Land, die man für Araber halten
könnte, wurden beschimpft und bespuckt. Arabische Kolporteure sind hasserfüllt
von Autofahrern gerammt worden. […] Von uns Österreichern sagt man, wir seien
ein tolerantes, gemütliches und liebenswürdiges Volk. Die Art, wie sich einige
von uns jetzt gegen die Araber verhalten, droht diese Beurteilung zu
widerlegen.“ Als rund tausend
Kurier-Leser brieflich und telefonisch verlangten, die arabischen Kolporteure
der Zeitung sollten „gefälligst verschwinden“, stellte Kolumnist Hermann Stöger
klar: „Man muss es heute ganz einfach sagen: Auch Araber sind Menschen.“
Neben dem Generalverdacht durch die Öffentlichkeit hatten
diese auch unter Fahndungsmaßnahmen zu leiden: Die Staatspolizei überprüfte und
beobachtete speziell Treffpunkte und Unterkünfte von „hieramts bekannten
Arabern und speziell Palästinensern“. Diese hätten sich generell „sehr
ängstlich“ gezeigt – so hätten sich am Folgetag der Geiselnahme „nur sehr
wenige“ arabische Zeitungskolporteure auf den Straßen Wiens blicken lassen.
„Allgemein gesagt, haben die Araber große Angst, dass jetzt die Israelis
zurückschlagen werden oder dass Personen auf Grund eines anderen
fremdländischen Auftrages Aktionen gegen die Araber durchführen werden“, heißt
es in einem Bericht. Immer wieder würde den Arabern klar gemacht, „dass sie nie
ohne Überwachung sind, dass bei eventuellen Vorfällen mit fremdenpolizeilichen
Maßnahmen zu rechnen hätten und dass sie sich an die Österreich geltenden
Gesetze und Bestimmungen halten müssen“.
Damals lebten mehr als 2.000 Araber in Österreich, die
Hälfte davon Ägypter. Da sich viele als Studenten ausgaben, aber 1971/72 nur
574 ordentliche Hörer aus arabischen Ländern an den Universitäten registriert
waren, kamen angesichts der Lücke Sicherheitsbedenken auf. In der BRD kam es
infolge des Attentats innerhalb kürzester Zeit zur Ausweisung von tausenden Arabern.
In Österreich machte Justizminister Christian Broda seine Ablehnung einer solchen
Präventivmaßnahme deutlich. Das „geistige Klima“ und die „innere Sicherheit“
wären wichtiger als konkrete polizeiliche Vorsichtsmaßnahmen, die auch
„überdreht“ werden könnten. Es gab allerdings auch Druck in die Gegenrichtung:
Am 8. September 1972 sprach der israelische Botschafter Yitzhak Patish vor. Man
möge erwägen, ob die derzeitige „liberale“ Haltung gegenüber den hier lebenden
arabischen Studenten und deren Aktivitäten „nicht zugunsten einer härteren
Vorgangsweise revidiert werden sollte“. Eine Woche später legte Patish nach:
Man wäre in Israel doch „überrascht“ gewesen, „dass von österreichischer Seite
auf die deutschen Maßnahmen hinauf spontan erklärt worden sei, dass man nicht
daran denke, die Visapflicht für die arabischen Studenten wieder einzuführen“.
Diese stelle eine „Einladung zur einer Benützung österreichischen Territoriums
für die Vorbereitung von Terrorakten dar“. Patish wurde entgegnet, dass ohnehin
nur tunesische und marokkanische Studenten visumfrei einreisen dürften. Man
unterstütze die Maßnahmen gegen den Terror, aber diese dürften nicht zu einer
„anti-arabischen Kampagne“ verwendet werden.
Ähnlich abwägend reagierte Österreich auf einen US-amerikanischen
Vorstoß: Am 14. September 1972 wurde ein „Non Paper“, also ein inoffiziellen
Arbeitsdokument, übergeben. Dieses zielte darauf ab, „die Unterstützung
Österreichs für den amerikanischen Standpunkt hinsichtlich des Terrorismus zu
gewinnen“. Außerdem wollte man die Regierung zu einer Verurteilung des
palästinensischen Terrors bewegen. Kreisky wies an, in Hinblick auf bevorstehende
Gespräche in Washington, von einer Antwort abzusehen.
Nur wenige Monate nach dem Münchner Olympiadrama sollte Österreich
selbst mit dem Nahostterror konfrontiert sein: Anfang 1973 hatte der „Schwarze
September“ geplant, das Auswandererlager Schönau zu überfallen. Das Vorhaben
konnte rechtzeitig durchkreuzt werden. Doch die Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus sollte Österreich noch länger begleiten.