Montag, 1. September 2014

Mord im Staatsauftrag: Vor 50 Jahren wurde Luis Amplatz erschossen

Vor 50 Jahren wurde das Mitglied im „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), Luis Amplatz, in Saltaus bei Meran erschossen. Sein Weggefährte Georg Klotz überlebte das Attentat schwer verletzt und konnte nach Tirol fliehen. Der Schütze, Christian Kerbler, stellte sich zunächst der Polizei, konnte aber unter mysteriösen Umständen fliehen. Seit damals ist der gebürtige Nordtiroler auf der Flucht.

Klotz und Amplatz waren  am 22. August 1964 in einem Leihwagen aus Wien verschwunden, wo sie bis dahin interniert gewesen waren. Ihr  Versuch, in Italien „einzusickern“ endete tragisch: Als Klotz und Amplatz die Nacht vom 6. auf den 7. September 1964 in einer Heuhütte am „Brunner Mahder“ verbrachten, eröffnete ihr Begleiter Kerbler gegen 02.30 Uhr mit einer Beretta-Pistole das Feuer. Kerbler, ein Spitzel des italienischen Militärgeheimdiensts SIFAR, hatte sich zuvor als Journalist ausgegeben – gemeinsam mit seinem Bruder Franz schaffte er es, Amplatz und Klotz wieder nach Südtirol zu locken, wo diese dann in eine Falle der italienischen Sicherheitskräfte stolpern sollten. Nachdem dieser ursprüngliche Plan nicht aufging, erhielt Kerbler, der zwischenzeitlich ins Tal abgestiegen war, bei einer abendlichen Besprechung in der Bozener Quästur den Auftrag, „die zwei Terroristen physisch zu eliminieren“. Als Tatwaffe wurde ihm die Dienstwaffe eines Carabinieri-Hauptmanns ausgehändigt. Hauptorganisatoren der ganzen Tat waren laut einem Zeugen der Bozner Quästor Ferruccio Allito-Bonanno sowie einige Carabinieri- und Polizeioffiziere. Der SIFAR hielt sich heraus, weil er mit der "schmutzigen Aktion" nichts zu tun haben wollte. 

15 Stunden nachdem er die Waffe erhalten hatte und zur Heuhütte zurückkommen war, entschied sich Kerbler schließlich, zu handeln - schaffte es aber nur, Amplatz zu töten. Wäre Klotz nicht verletzt entkommen, hätte man die Mordaktion als Ergebnis eines Schusswechsels zwischen "Terroristen" und Sicherheitskräften darstellen können. 

Luis Amplatz 1959 (Quelle: Wikimedia Commons)
In einem Verschlussakt des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten heißt es, Kerbler habe „durch Abgabe von 3 Schüssen auf den schlafenden Louis Amplatz diesen ermordet und ihn (Klotz) durch Abgabe von 3 Schüssen, von denen einer sein Ziel verfehlt habe, zu ermorden versucht […]. Während der Abgabe der Schüsse habe Christian Kerbler mit einer Taschenlampe den Georg Klotz abgeleuchtet. Georg Klotz wies nach seiner Rückkehr nach Österreich tatsächlich 2 Verwundungen auf, und zwar einen Steckschuss in die Brust und einen Streifschuss an der Oberlippe.“
Meldung der Arbeiter-Zeitung, 9. 9. 1964 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
Kerbler war für 18 Stunden in der Carabinieri-Kaserne in Meran in Haft. Dann soll ihm bei einem Transport nach Bozen die Flucht gelungen sein. 1971 wurde er in Peruggia in Abwesenheit wegen Mordes und Mordversuchs zu 22 Jahren Haft verurteilt. Auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck hatte gegen den Tiroler ein Verfahren eingeleitet und einen internationalen Haftbefehl erlassen. Doch Kerblers Spuren verloren sich - selbst nachdem er 1976 unter dem Aliasnamen Christian Eschenberg in London wegen Ladendiebstahls kurzzeitig festgenommen wurde. Wie der Südtiroler Journalist Christoph Franceschini festgestellt hat, intervenierte die italienische Regierung "direkt", woraufhin Kerbler auf freien Fuß gesetzt wurde und untertauchen konnte. Über seinen weiteren Verbleib gibt es nur Anhaltspunkte: Am 18. Juni 1991 berichtete die Bozner italienische Tageszeitung „Alto Adige“, dass sich Christian Kerbler wahrscheinlich in Durban in Südafrika aufhalte. Am 15. November 1991 meldete die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“, dass ein in Durban lebender 57 Jahre alter Südafrikaner namens Richard Kaplan in Wahrheit der gesuchte Kerbler sein könnte. Dieser dementierte.

Akt Kerbler geschlossen
Der österreichische Haftbefehl war bis 1977 aufrecht, danach wurde dieser in eine Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung umgewandelt. Am 5. September 2013 beantwortete Justizministerin Beatrix Karl eine parlamentarische Anfrage zu den Fahndungsanstrengungen folgendermaßen:

„Die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck hat – weisungsgemäß – ein Rechtshilfeersuchen an die italienischen Justizbehörden zur Beischaffung der dortigen Erhebungsergebnisse in der genannten Sache gerichtet. Dazu hat der Appellationsgerichtshof von Perugia bekannt gegeben, dass am 3. Juni 2008 die Einstellung des Verfahrens gegen C. K. verfügt wurde. Da die verhängte 30-jährige Freiheitsstrafe seit Rechtskraft des Urteils nie verbüßt wurde, sei Vollstreckungsverjährung eingetreten. Da im Hinblick auf diesen Beschluss eine inländische Gerichtsbarkeit gemäß § 65 Abs. 4 Z 3 StGB seit 3. Juni 2008 nicht mehr vorlag, wurde das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Innsbruck nach § 190 Z 1 StPO eingestellt und die Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung widerrufen. […] Es sind keine Veranlassungen zur Beischaffung der italienischen Verfahrensergebnisse beabsichtigt, weil dafür mangels Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit keine Rechtsgrundlage besteht.“

Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck  2013 bestätigte, ist der Akt Kerbler damit geschlossen: „Unser Rechtssystem kennt die Verjährung in Abwesenheit nicht. Aber aufgrund der Vollstreckungsverjährung in Italien mussten wir unsere Ermittlungen einstellen.“ Auch die Aufenthaltsermittlung wurde widerrufen.

Kreisky und das „Amplatz-Testament“
Bevor er von Wien aus nach Südtirol zurückkehrte und dort den Tod fand, ließ Amplatz sein Testament notariell beglaubigen. Darin nahm er in einer eidesstattlichen Erklärung Bezug auf das Treffen zwischen dem damaligen Außenminister Bruno Kreisky und den BAS-Führungsleuten 1960 in Wien (Amplatz selbst hatte aus Krankheitsgründen daran nicht teilnehmen können): „Die drei Männer haben ihren Standpunkt dargelegt und mit offenen Karten gespielt. Sie haben auch gesagt, dass es demnächst in Südtirol ‚schnöllen’ wird. Kreisky hat aufmerksam zugehört und war mit, was die Männer gesagt haben, auch einverstanden.“ Der Außenminister habe sogar ausdrücklich festgehalten: „Es ist gut, wenn es in Südtirol einmal bumst, denn nur so wird die Welt auf dieses Problem aufmerksam.“ 

Als das Testament kurz nach der Ermordung von Amplatz öffentlich wurde, stellte Kreisky fest, dass er dem BAS-Mann niemals begegnet sei: „Ich habe immer und überall in Gesprächen mit Südtirolern und anderen Personen die terroristische Aktivität verurteilt und dabei auch auf ihre Gefährlichkeit und Nutzlosigkeit für die Sache Südtirols hingewiesen, insbesondere habe ich die großen persönlichen Gefahren dargelegt und das Unglück, das die Angehörigen der Beteiligten an solchen Aktionen zwangsläufig treffen muss, vor Augen geführt.“  Im Rahmen einer ORF-Diskussion zur Südtirolproblematik unterstrich Kreisky 1965 nochmals: „Ich habe mit Südtiroler Terroristen nie gesprochen. Als ich mit Südtirolern sprach, wusste ich nicht, dass dies Leute seien, die einmal Terroristen werden würden. Ich habe mich nie geweigert, mit anständigen Leuten zu sprechen.“  Eduard Wildmoser, Obmann des Bergiselbundes und mit dem Nordtiroler BAS verbunden, äußerte die Vermutung, dass die Kreisky betreffende Passage in dem Testament Amplatz in Wirklichkeit von „gewissen Kreisen in der ÖVP in Wien“ diktiert worden sei, um so die SPÖ in die Nähe von „Terroristen“ zu rücken.