Die Geschichte von Wien als Stadt der Geheimdienste begann nach Kriegsende 1945. Betrachtet man diese Entstehungsphase,
dann bleibt von Spionageromantik freilich wenig über. So war es ursprünglich die
Hauptaufgabe des in Österreich eingesetzten Counterintelligence Corps (CIC),
des Geheimdiensts der US-Armee, gewesen, NS-Verbrecher zu jagen. Doch durch den
Kalten Krieg verschob sich die Priorität schon innerhalb weniger Monate hin auf
die Beobachtung der sowjetischen Besatzungsmacht. Österreich wurde ab diesem
Zeitpunkt zu einem Bazar der Spione: Ein pensionierter CIA-Offizier beschrieb
es anschaulich so: Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo,
Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und faschistischer Organisationen aus
Zentral- und Südeuropa hätten den Nachrichtendiensten fabrizierte Informationen
feilgeboten, um die man sich dann gestritten hätte, „wie so viele Frauen in der
Schnäppchenabteilung von Macy’s am Tag nach Weihnachten“.
Nachkriegs-Wien als „Bazar“ der
Geheimdienste
Ein
Bericht für die CIA von 1949 listet insgesamt 17 verschiedene
nachrichtendienstliche Gruppen auf, die zu diesem Zeitpunkt in Österreich aktiv
waren: Neben dem unter Anleitung von Maximilian Ronge im Aufbau befindlichen
Militärgeheimdienst verfügten auch die Großparteien SPÖ und ÖVP über eigene
Informations-Dienste ebenso wie die katholische Kirche. Hinzu kamen zwei
jeweils für Großbritannien und Frankreich tätige Netzwerke. Fünf weitere dieser
selbstständig operierenden und miteinander konkurrierenden Organisationen wurden
von ehemaligen SD-Mitarbeitern, SS- und HJ-Angehörigen angeführt.
NS-Kriegsverbrecher als
Informationsquellen
Das CIC
hatte seit 1946 in diesen Kreisen rekrutiert: Eine Untersuchung des
US-amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss,
dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats
anwarb und man über Tausende von Informanten verfügte. Für das CIC galt
sprichwörtlich die Philosophie, wonach das Ziel, die Mittel heiligt. Die
Mitgliedschaft in der SS oder einer anderen NS-Organisation war kein Kriterium,
um als Informant abgelehnt zu werden. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal
nützte jedenfalls diese Schwäche aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie
möglich aus der Kooperation mit den westlichen Diensten zu ziehen. Letztere
wiederum schnitten sich ins eigene Fleisch: Denn die „braune“ Vergangenheit
machte erpressbar. Und auf diese Weise wurden beispielweise im BND hochrangige
Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und
richteten beträchtlichen Schaden an.
Otto von Bolschwing und seine „Netze“
In
Österreich gibt es zahlreiche Beispiele für diese unheilige Allianz. Bislang
weniger bekannt sind die nachrichtendienstlichen Netze, die von dem ehemaligen
SS-Hauptsturmführer Otto von Bolschwing (1909-1982) zunächst für die
Organisation Gehlen (Vorläufer des BND) und dann für die CIA aufgezogen wurden.
Bolschwing war bereits in den 1930er Jahren als SD-Agent im Nahen Osten aktiv
gewesen. Nach dem Anschluss 1938 assistierte er Adolf Eichmann bei der
Enteignung und Deportation österreichischer Juden. Zwei Jahre später rückte
Bolschwing zum SD-Führer in Rumänien auf, wo er 1941 an einem antijüdischen
Pogrom mit mehr als 600 Opfern beteiligt war.
Eben wegen seiner engen Beziehungen zu Exilanten der „Eisernen Garde“,
einer rumänischen Faschistengruppe und guten Kontakten im Balkanraum, wurde
Bolschwing 1947 in Österreich von der Organisation Gehlen rekrutiert. Allerdings
fiel er rasch in Ungnade, weil er die gewünschten operationellen Informationen
nicht lieferte. Dafür wurde er 1950 von der CIA übernommen, die sich ebenso
viel von seinen „drei rumänischen Projekten“ erhoffte. Bolschwing blieb allerdings dabei, schwerpunktmäßig
über politische Angelegenheiten, vor allem Interna aus Österreich, zu
berichten.
Wie ein
CIA-Bericht vermerkte, betrachtete er diese österreichische Berichterstattung
als den „aircraft carrier“, von dem aus er am Balkan operiere („[…] insists
that he cannot strip this complex with out harmstringing himself“). Seine Aktivitäten in Wien führte Bolschwing
unter Tarnung der US-amerikanisch geförderten Austria Verlag GmbH einer
Zweigstelle der österreichischen Liga für die Vereinten Nationen. Bolschwing
benützte diese Position, um 1948 – unterstützt von US-Geheimdienststellen – die
österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen und sich von der
Entnazifizierungskommission von NS-Aktivitäten freisprechen zu lassen. Als gegen die Austria Verlags GmbH wegen
Steuervermeidung ermittelt wurden, verweigerte das CIC den österreichischen
Behörden jede Unterstützung, weshalb die
Untersuchung Ende 1950 eingestellt werden musste.
Ehemaliger Sitz der Austria Verlag GmbH in der Wiener Innenstadt |
Otto Schulmeister und Wolfgang Pfaundler als Informanten
Ein
CIA-Dokument gibt Aufschluss über die insgesamt zehn verschiedene Informantennetzwerke,
die Bolschwing in Österreich aufgebaut hatte: So war das „EE net“ für
Verbindungen zur katholischen Kirche zuständig – neben drei Geistlichen finden
sich auch die Namen des Priesters und Kunstsammlers Otto Mauer sowie des Journalisten
Otto Schulmeister. Letzterer war über rund drei Jahrzehnte Chefredakteur und
Herausgeber der Tageszeitung „Die Presse“. 1961/62 wurde er unter dem Decknamen
GRCAMERA von der CIA angeworben.
Das „HH
net“ wiederum stand unter Leitung des früheren SS-Obersturmführers Anton
Fellner, eine der „Sub-sources“ war der frühere Gauinspektor in Oberdonau,
Stefan Schachermayer. Im „SS net“, das Kontakte in der SPÖ beinhaltete, stechen
die Namen des späteren Bundesministers für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft,
Otto Probst, sowie des Nationalratsabgeordneten und späteren Tiroler
Landesrats, Rupert Zechtl, hervor. Im Stab von Bolschwings Hauptquartier („CC
net“) befand sich weiters neben dem früheren SS-Obersturmführer Anton Böhm der
Widerstandskämpfer und spätere Südtirolaktivist, Wolfgang Pfaundler, mit dessen
Schwester Bolschwing verheiratet war. Weitere Netze galten Verbindungen zur
österreichischen Polizei in Salzburg, Wien und Oberösterreich („PP net“) sowie
in die Vorarlberger Sicherheitsdirektion („TT net“).
CIA-Dokument listet Bolschwings Informanten auf (Auszug, Quelle: www.foia.cia.gov/collection/nazi-war-crimes-declassification-act) |
Wie
schon zuvor die Organisation Gehlen wurde auch die CIA unzufrieden mit ihrem
Agenten: Dieser habe in erster Linie veraltete Informationen geliefert (etwa
die Identifizierung von Personen und Gruppen, die längst bekannt waren), weshalb ihm eine Re-Orientierung seiner
Aktivitäten auf „satelite operations“ in kommunistisch kontrollierten
Nachbarländern, Aufklärung der sowjetischen Truppenstärke und Kontakte zu
politischen Parteien sowie dem Sicherheitsapparat in Österreich verordnet
wurden. Anfang 1953 schätzte die CIA die jährlichen Kosten für das „Project
GROSSBAHN“ (darunter Bolschwing und seine Quellen) auf 20.000 Dollar. Noch im
selben Jahr entschieden allerdings die CIA-Führungsoffiziere, dass es Zeit war,
Bolschwings Netzwerke stillzulegen. Dafür unterstützte man erfolgreich seine
langjährigen Bemühungen, US-Bürger zu werden.
Im Gefolge
des Eichmann-Prozesses (1961) wurden dann immer mehr Details über Bolschwings
NS-Vergangenheit bekannt und es stellte sich heraus, dass er über seine
Mittäterschaft gelogen hatte. Um nicht in Verlegenheit zu geraten, wurde er
seitens der CIA weiter protegiert und nicht an das US-Justizministerium oder an
westdeutsche Behörden gemeldet. Erst in den früheren 1980er Jahren wurde
Bolschwing endgültig als Kriegsverbrecher enttarnt. Man erlaubte dem
Schwerkranken aber 1982 in den USA zu sterben.