Samstag, 28. Juni 2014

Terror: Die Farce von Wien (Langfassung)

Hinweis: Erschienen am 28. Juni 2014 im "Presse"-Spectrum: 

Vor 30 Jahren wollen Schwerbewaffnete im Nobelhotel „Imperial“ Geiseln nehmen und können diese schlicht nicht finden. Wenige Tage später werden die neun Männer durch Zufall verhaftet. Über die Hintergründe geben nun erstmals Zeitzeugen Auskunft.

Sonntag, 1. Juli 1984: Es hätte genauso gut ein blutiger, schwarzer Tag sein können – vergleichbar mit Ereignissen wie der OEPC-Geiselnahme 1975 oder der Anschlag auf den Flughafen Schwechat 1985. Nur durch Zufall passierte nichts dergleichen – stattdessen wurde ein geplanter Terroranschlag zur Farce, die rasch in Vergessenheit geriet. Zu Unrecht: Denn was sich vor 30 Jahren zutrug, hat viel vom heutigen internationalen Terrorismus vorweggenommen.
Meldung der Arbeiterzeitung, 9. Juli 1984 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
An jenem Sonntag wollten neun pakistanische Terroristen im Wiener Hotel Imperial zuschlagen und Geiseln nehmen: Bei einem Empfang der kanadischen Botschaft für verdiente Händler des Automobilkonzerns Ford, insgesamt 58 Personen. Bevor die Aktion startete, hatten sie sich nacheinander im Zimmer 218 des Hotels versammelt – wo seit zwei Tagen der Anführer des Kommandos logierte. Dort bewaffneten sie sich und legten rote Stirnbänder an – um sich im zu erwartenden Chaos nicht gegenseitig zu erschießen. Dann stieg der Trupp die Treppen hinunter. Doch schon ab diesem Zweitpunkt verlief das Unternehmen nicht mehr plangemäß: Die Terroristen stießen auf einen Wegweiser mit der Aufschrift „Reception“ und lasen diesen falsch. Anstatt im Parterre gerade aus weiterzugehen, ging die Gruppe nach oben in den ersten Stock. Als sie dort nur verschlossene Empfangsräume vorfanden, brachte sie das so aus der Fassung, dass ihr Vorhaben abbrach. All das spielte sich unbemerkt vom Hotelpersonal ab.

Das Zimmer im Imperial wurde quittiert und die Pakistanis teilten sich wieder auf ihre Unterkünfte – drei kleine Hotels im 6., 7. und 15. Bezirk – auf. Hier wollten sie weitere Instruktionen abwarten. Aber dazu kam es nicht mehr. Am 6. Juli 1984 war einer der führenden Terrorismus-Ermittler der Abteilung I (Staatspolizei) gerade in Oberösterreich unterwegs, als er zu Mittag einen Anruf erhielt: „In der Nähe des Westbahnhofs sind drei, vier so schwarze Wuzln, genauso hat er es gesagt, abgestiegen. Und einer kommt täglich, bezahlt und geht wieder. Die anderen blieben im Zimmer.’ Das ist natürlich auffällig gewesen, woraufhin ich die Anweisung gegeben habe, fünf Mann hinzuschicken und nachzusehen. Es hat nicht lange gedauert und man hat mich verständigt: ‚Es ist besser, du kommst nach Wien.’“

Was war gesehen? In der besagten Unterkunft hatte man endgültig Verdacht geschöpft, als eine kleine Zeitungsmitteilung besagte, Terroristen seien in Österreich eingereist. Einmal wurden in Abwesenheit der seltsamen Gäste die sonst immer verschlossenen Kastentüren geöffnet und Waffen gefunden. Davon verständigte Staatspolizisten führten anschließend einen überfallsartigen Zugriff durch, wie sich der ehemalige Terrorfahnder erinnert: „Meine Leute sind dort reingegangen, die wollten noch aufspringen, hatten aber Chance mehr zu entkommen. In einem der Kästen waren zwei Reisetaschen, die waren so schwer, dass man sie mit einer Hand nicht aufheben konnte. Da waren die Waffen drin.“ Das Arsenal bestand aus drei Beretta-Maschinenpistolen, sieben belgischen FN-Pistolen, fünf Handgranaten, mehreren Hundert Schuss Munition sowie zwei Päckchen mit jeweils einem halben Kilogramm Nitropenta-Sprengstoff. Ebenfalls gefunden Schuhpaste zum Schwärzen der Gesichter und Stricke in verschiedener Länger – zum Fesseln der Geiseln.

Über ihre Komplizen schwiegen sich die vier an Ort und Stelle festgenommen Männer aus. Aber die Staatspolizisten hatten einen Trumpf in der Hand: Ein Fotoapparat war sichergestellt worden und die Bilder wurden umgehend entwickelt – zu sehen bekamen die Ermittler Schnappschüsse wie von einer Urlaubsreise: „Die haben sich zusammen in Rom fotografiert, in Mailand, so glaube ich, und in Wien. Auf den Fotos waren jedenfalls neun Personen zu sehen und wir haben zum Suchen angefangen.“ Einen weiteren Hinweis lieferte ein Zettel mit zwei Telefonnummern von benachbarten Pensionen: „Dort sind wir hin und haben weitere Mitglieder des Kommandos festgenommen. Um Mitternacht habe ich dann dem letzten in einer Stehbar in der Mariahilferstraße die Waffe angesetzt: Dem ist das Glas aus der Hand und auf die Theke gefallen, als ich gesagt habe: ‚Polizei’. Die Kellnerin hat sich geärgert: ‚He, was macht ihr da für eine Sauerei.’ Da habe ich geantwortet: ‚Dirndl, wir haben nicht so viel Zeit’ und mich zu erkennen gegeben. ‚Uuhh’ war ihr einziger Kommentar.“

In dieser an haarsträubenden Zufällen nicht gerade armen Geschichte gab es noch eine weiteres Highlight: Dem Ehemann der Besitzerin eben jenes Hotels, wo man die ersten Pakistanis verhaftet hatte, war elf Jahre zuvor Ähnliches passiert: 1973, als Portier im Hotel Westbahn, waren ihm die israelischen Reisepässe von drei Arabern verdächtig vorgekommen. Darüber informierte Staatspolizisten legten sich auf die Lauer: „Die waren undercover, so richtig ‚wilde Hunde’, wie das damals in den 1970er gewesen ist.“ Sie nahmen die Männer fest, als diese vom Zimmer herunterkamen. Und tatsächlich: Es handelte sich um Mitglieder der berüchtigten Terrororganisation „Schwarzer September“, die einen Überfall auf jüdische Emigranten vornehmen wollten. Weil es Verständigungsschwierigkeiten gab, wurde der Portier kurzfristig als Dolmetsch beigezogen: „Es hat geheißen: Kommen Sie, wir können kein Englisch, und ich musste den Arabern dann erklären, dass sie verhaftet sind, wegen der falschen Reisedokumente usw.“ So richtig absurd sei jedoch, „dass das in unserer Familie zweimal passiert ist“.

Die Verhöre gestalteten sich auch im Falle der Pakistanis langwierig und zäh – aber nach und nach konnte die Staatspolizei den Fall aufklären. Die neun Männer, zwischen 22 und 38 Jahre alt, waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen: Bauern, Handwerker und Studenten. Wirkliche Erfahrung hatte nur einer von ihnen, der 23jährige Anführer Barry John Cann (der eigentlich Javed Malik hieß). „Die meisten Mitglieder des Kommandos stammten aus einfachen Milieus, sie waren im Grunde Schafhirten. Die hatten keine fundierte Ausbildung erhalten und konnten auch nicht mit den Waffen umgehen“, erinnert sich der Ermittler. So hatte die Mehrzahl erst in den Hotels die Handhabung der Maschinenpistolen und der Handgranaten geübt. „Diese Burschen sind Terroramateure“, lautete damals auch das Fazit gegenüber der Presse. Und später vor Gericht meinte der Anwalt treffend über seine Mandanten: „Hätte die Polizei sie nicht verhaftet, sie wären heute noch in der Welt unterwegs, von einem Misserfolg zum anderen.“
Meldung der Arbeiterzeitung, 10. Juli 1984 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
Vom politischen Hintergrund waren alle Anhänger der Pakistan Peoples Party (PPP): Deren Führer Zulfikar Ali Bhutto war zwischen 1973 und 1977 Premierminister gewesen, ehe er von General Zia-ul-Haq gestürzt wurde. Zwei Jahre später richtete man ihn trotz internationaler Proteste hin. Bhuttos Söhne – Shahnawaz und Murtaza – organisierten daraufhin vom Exil aus mit Unterstützung seitens Syriens, Libyens und der PLO den Untergrundkampf gegen das Militärregime. Shahnawaz wurde 1985 im französischen Nizza tot aufgefunden, angeblich war er vergiftet worden. Sein Bruder Murtaza war die eigentliche Triebkraft des Widerstands – Biograf Raja Anwar hat ihn wenig schmeichelhaft als „terrorist prince“ charakterisiert, als jemanden, der ständig Aktionen plante, deren Ausführung aber anderen überließ und sich lieber rechtzeitig in Sicherheit brachte.

So war es dann auch im Falle der geplanten Geiselnahme in Wien. Diese sollte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Situation in Pakistan lenken: „Wir hatten vor der Welt zu demonstrieren, was für eine Regierung in Pakistan herrscht“, stellte Kommandoführer Cann vor Gericht klar und klagte den Machthaber Zia bei dieser Gelegenheit als „Diktator“ an. In die Wege geleitet worden war das Unternehmen Ende Mai 1984: Die Mitglieder des Kommandos – allesamt Angehörige von Murtazas Untergrundorganisation „Al-Zulfikar“ – versammelten sich in Damaskus, wo sich auch das Hauptquartier für die Aktivitäten gegen Zias Regime befand. Anschließend reiste man über verschiedene Wege nach Rom. Dort sollte am 12. Juni eigentlich die pakistanische Botschaft überfallen werden – aber die Sicherheitsmaßnahmen waren zu engmaschig und die PLO zog ein schon gegebenes Unterstützungsangebot zurück. Also rückte nach einer entsprechenden Order Murtazas Wien ins Visier – nicht viel anders als heute galt die Stadt damals als „Spielwiese“ für geheime Machenschaften. Und es gab noch einen weiteren Grund, wie Cann vor Gericht angab: „Wir dachten die Sicherheitsvorkehrungen sind hier nicht so gut.“ Das wurde bei westeuropäischen Behörden damals übrigens ähnlich gesehen, vor allem was den Schutz von Botschaften anging. „Trotz aller Anstrengungen der Polizei gelten die Überwachungsmaßnahmen im Gegensatz zu anderen Ländern als mangelhaft“, hieß es im „Kurier“ süffisant. Der damalige Innenminister Karl Blecha versuchte solcher Kritik den Wind gleich aus den Segeln zu nehmen: „Der Terrorismus ist eine Erscheinung unserer Zeit, die in freien, demokratischen Staaten nicht so bekämpft werden kann, wie in Diktaturen.“

In Wien waren die Pakistans Ende Juni per Bahn angekommen. Erst hier erhielten sie auch von einem Kontaktmann die Waffen – was der Ex-Staatspolizist zu diesem Unbekannten anmerkt, ist brisant: „Eine Personenbeschreibung durch die Terroristen passte zu einem libyschen Diplomaten.“ Offenbar war die Botschaft Libyens in die Vorbereitungen der Geiselnahme involviert – so wie angeblich auch sechs Jahre zuvor, als Carlos der „Schakal“ die Tagung der OPEC-Minister überfiel. Obgleich längst nicht so professionell und skrupellos wie die der „Schakal“, waren die Pakistanis zumindest genau instruiert: Murtaza flog nach Wien, um seine Männer, einen nach dem anderen, zu treffen. In einem Nordsee-Fischlokal händigte er jeweils 2.000 Schilling aus. Dann sagte er: „Wir treffen uns wieder in Kuba“ – weil man dorthin mit den Geiseln ausfliegen wollte. Weitere Anweisungen wurden von der Staatspolizei später auf Mikrofilmen gefunden, die in den Schuhen der Pakistanis versteckt waren: „Sie sollten 1.) den pakistanischen Botschafter, den sie unter den Anwesenden vermutet haben, sofort erschießen. Und 2.) die Österreicher – das waren, so glaube ich, zwei Personen – sofort freilassen.“

Später vor Gericht war Cann bemüht, die Gewalt herunterzuspielen: „Wir wollten nur die Diplomaten als Geiseln nehmen.“ Dann war geplant, vor dem Hotel eine Ansprache zu halten und schließlich die Bereitstellung eines Flugzeugs zu erzwingen, um mit den Geiseln nach Havanna auszufliegen. Insgesamt sollten 200 Gefangene in Pakistan freigepresst werden: „Hätten wir keinen Erfolg gehabt, so hätten wir alle wieder freigelassen.“ Letztere Aussage rief bei den Mitangeklagten so viel Schmunzeln hervor, dass der vorsitzende Richter ermahnte: „Das letzte Wort hat das Gericht, und das wird vielleicht nicht so lustig sein.“ Am 28. März 1985 wurden die Angeklagten wegen versuchter erpresserischer Entführung und Ansammlung von Kampfmitteln schuldig gesprochen. Cann erhielt 13 Jahre und der ebenfalls in führender Position tätige Lias Khan eine 11jährige Freiheitsstrafe. Die übrigen sieben wurden zu je sieben Jahren verurteilt. 1989 – nach einem Machtwechsel in Pakistan – wurden acht der Männer vorzeitig entlassen. Zwei von ihnen, Zubair Minhas und Akhtar Beg, blieben im Land. Lediglich Cann war noch bis 1993 in Haft – zurück in Pakistan musste er wegen eines anderen Falls noch zwei weitere Jahre absitzen.

Einige Ermittlungsergebnisse hatte die Staatspolizei dem Gericht gar nicht erst übermittelt. Diese gingen dafür exklusiv an einen sehr interessierten ausländischen Dienst wie der Zeitzeuge nach 30 Jahren nun erstmals enthüllt: „Mitten in den Ermittlungen hat sich der MI6 eingeschaltet: Cann, sei möglicherweise einer der Topterroristen in Pakistan und habe einige Leute am Gewissen. Zum Beispiel habe er gemeinsam mit einem anderen Täter von einem Motorrad aus eine Handgranate in eine pakistanische Kaserne geschleudert und wie die Offiziere aus dem Kasino kamen, auf diese das Feuer eröffnet. Dabei sei er einmal an der Schulter angeschossen worden – und tatsächlich, Cann hatte Spuren einer solchen Verletzung. Daraufhin habe ich ihm gesagt: Wir reden über diese ganz ‚alten Geschichten’ oder wir reden nicht darüber und liefern dich aus – und zwar gleich binnen einer Woche. Dann haben wir über 35 Seiten Niederschrift darüber gemacht, was er alles gemacht hat. Der MI6 hat das über das Bundesministerium für Inneres übermittelt bekommen und war hoch begeistert. Das hat außer mir und meinem Vorgesetzten niemand gewusst. Die Briten waren an allem und jedem interessiert, was sich international getan hat. Alles, was zum Thema Terrorismus da war, haben die aufgesogen und weiter berichtet. Das war aber keine Einbahnstraße.“

Noch eine weitere Entscheidung wurde im Hinterzimmer gefällt: Im Unterschied zu den „kleinen Fischen“ musste der eigentliche Mastermind nichts befürchten: Eine schon eingeleitete Fahndung nach Murtazar Bhutto wurde unterbunden. Seine Verfolgung dürfte politisch nicht opportun gewesen sein. Erst 1993 – nachdem General Zia bei einem Flugzeugabsturz ums Leben getötet und seine Schwester Benazir Premierministerin geworden war – konnte Murtazar wieder nach Pakistan zurückkehren. Drei Jahre später wurde er gemeinsam mit sechs Anhängern in Karatschi unter ungeklärten Umständen von der Polizei erschossen. Dem Bhutto-Clan sollte eine weitere Tragödie nicht erspart bleiben: 2007 starb auch Benazir bei einem Attentat islamistischer Terroristen. Und Pakistan gilt mittlerweile als „gescheiterter Staat“, in dem Gewalt, Korruption und Menschenrechtsverletzungen epidemische Ausmaße angenommen haben.

Dienstag, 24. Juni 2014

„Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Österreich ungebrochen hoch“

Auszug aus dem Verfassungsschutzbericht 2014: „Nachrichtendienste und Spionageabwehr“

Österreich als Einsatzraum für fremde Nachrichtendienste
Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten fremder Staaten stellen für die Republik Österreich eine Herausforderung hinsichtlich der Souveränität dar. Je nach Ausrichtung des Nachrichtendienstes
können die Aktivitäten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen dienen. Nach dem Ende des Kalten Krieges blieb auch Österreich ein zentrales Land in der Welt der Nachrichtendienste. Maßgebend sind dafür neben der geographischen Lage und der Neutralität, dass in Österreich, insbesondere in Wien, neben den UN-Organisationen zahlreiche weitere internationale Organisationen ansässig sind. Österreich kann aber nicht nur Operationsgebiet, sondern auch selbst Ziel der nachrichtendienstlichen Ausspähung sein. In diesem Zusammenhang würde die Republik vor allem in den Bereichen Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Forschung, Verteidigungspolitik und Energiewirtschaft ein Ausspähungsziel darstellen.

Für manche Staaten ist es kein Widerspruch, einerseits politische und wirtschaftliche Beziehungen anzustreben, andererseits aber illegale Aufklärung und Spionagetätigkeiten auf österreichischem
Bundesgebiet zu betreiben. Beispielsweise unternehmen bestimmte Nachrichtendienste große Anstrengungen, westliche Produkttechnologien, Fertigungstechniken und wissenschaftliche
Forschungsergebnisse zu erlangen, um so zu den technologisch hoch entwickelten Staaten aufschließen zu können. Ein weiteres Aufklärungsziel stellen für fremde Nachrichtendienste
ausländische und u.a. in Österreich aufhältige Oppositionelle oder Oppositionsgruppen dar.

Nachrichtendienstliche Abdeckung
Eine große Zahl ausländischer Nachrichtendienstoffiziere ist in Österreich nach wie vor unter der Tarnung von sogenannten Legalresidenturen (Botschaften, Konsulate, internationale
Organisationen) tätig. Die durch die Vielzahl internationaler Organisationen in Wien legitimierte hohe Anzahl von diplomatischem und sonstigem Vertretungspersonal bietet nachrichtendienstlichen
Organisationen Grundlagen für ihre Spionageaktivitäten. Dazu kommen halboffizielle Einrichtungen, wie Presseagenturen, Vertretungen von Fluggesellschaften, Vereine, Kulturzentren, aber auch Firmenniederlassungen, die der nachrichtendienstlichen Abdeckung dienen können. […]

Wirtschafts- und Industriespionage
Wirtschafts- und Industriespionage bedeutet nicht nur für betroffene Unternehmen enormen Schaden, sondern hat auch negative Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft: Arbeitsplätze gehen verloren, die Wertschöpfungskette wird unterbrochen und der Wirtschaftsstandort Österreich wird geschwächt. Bei Industriespionage versuchen Unbefugte durch Angriffe von außen oder durch ehemalige oder aktive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Besitz von geheimem Know-how zu gelangen. Dadurch sollen die eigene Marktposition gestärkt und die Wettbewerbsvorteile anderer egalisiert werden. Ziel der Wirtschaftsspionage ist, durch die Stärkung der eigenen Wirtschaft die gesamtstaatliche Position nachhaltig zu verbessern. […]

Entwicklungstendenzen
Generell sind die Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Österreich ungebrochen hoch und stellen das BVT durch neue und moderne Möglichkeiten der Ausspähung vor große Herausforderungen. Besonders bei Cyber-/Hack-Attacken tritt die Schwierigkeit auf, die eigentlichen Urheber ausfindig zu machen, da diese auf Grund der angewendeten Vorgehensweise nur schwer identifizierbar sind. Trotz sich ständig weiterentwickelnder technischer Möglichkeiten haben auch herkömmliche nachrichtendienstliche Methoden nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Klassische Spione mit großem Engagement für ihr Heimatland sind nach wie vor in einer überdurchschnittlichen Zahl im Einsatz und können eine Gefahr für die Sicherheit und Souveränität der Republik Österreich darstellen.

Gesamter Bericht online unter: http://www.bmi.gv.at/cms/cs03documentsbmi/1555.pdf


Sonntag, 22. Juni 2014

Der Tod des Attachés: Vor 30 Jahren wurde Gerhard Loitzenbauer in Beirut ermordet

Am 23. Juni 1984 wurde der Verwaltungsattaché der österreichischen Botschaft in Beirut auf offener Straße ermordet: Es handelte sich um den 45jährigen Kriminalgruppeninspekteur Gerhard Loitzenbauer. Zugetragen soll sich folgendes: Als Loitzenbauer seinen roten Alfetta vor dem Wohnhaus im West-Beiruter Stadtteil Manara einparkte, soll er plötzlich von zwei Dieben bedroht worden sein. Loitzenbauer weigerte sich auszusteigen, woraufhin ihn ein Explosivgeschoss (Kaliber 9mm) in die Brust traf. Anschließend flüchteten die Täter mit dem Fahrzeug. Das Projektil hatte das Herz durchbohrt – für Loitzenbauer, den man noch ins amerikanische Spital in Beirut gebracht hatte, kam jede Hilfe zu spät. Die örtliche Polizei stellte den Tod des Attachés von Anfang an als „gewöhnlichen“ Raubmord ohne politischen Hintergrund dar – eine Sichtweise, die von den österreichischen Behörden übernommen wurde. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte damals zum „Kurier“: „Ohne den Untersuchungen vorgreifen zu wollen: Es sieht ganz nach dem tragischen Ausgang eines Autoraubs aus.“ Dabei war Loitzenbauer zwei Jahre zuvor schon einmal fast der Wagen gestohlen worden – weil er sich unkooperativ verhielt, schlugen ihm die Räuber nur ins Gesicht und liefen weg. Wegen dieser Erfahrung hatte er bewusst ein altes und ungewaschenes Privatauto gefahren. Reichte letzteres als Motiv für einen Mord?

„Hinrichtung als Autoraub getarnt“
An der offiziellen Darstellung sind jedenfalls immer wieder Zweifel lautgeworden: „Das waren keine Räuber, das war ein Mord im Auftrag von Waffenschiebern“, erklärte etwa der ehemalige Oberst der Kriminalpolizei und Krimi-Autor Leo Frank, der mit Loitzenbauer eng befreundet war. Frank äußerte sich auch kritisch gegenüber der Reaktion in Österreich: „Unsere Behörden haben dann mitgeholfen, diese Hinrichtung als Autoraub zu tarnen.“ Er verarbeitete den Mord in seinem Roman „Ein Fall für das jüngste Gericht“ (1987). Ähnlich wie Frank vermuteten auch die Journalisten Kurt Tozzer und Günther Kallinger einen Zusammenhang mit illegalen österreichischen Waffengeschäften in den Nahen Osten: „Offenkundig hatte Loitzenbauer zu intensiv über den Waffenhandel recherchiert. Sein Wissen nahm er mit ins Grab.“

Kreisky: „I feel deeply betrayed“
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Loitzenbauers Ermordung eine tragische Konsequenz des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus war: 1981 war ein spektakuläres Komplott des PLO-Geheimdiensts Jihaz-al-Rasd aufgedeckt worden. Offenbar war geplant gewesen, den ägyptischen Präsidenten Sadat bei einem Besuch in Österreich zu ermorden – aus Rache für den von palästinensischer Seite als „Verrat“ empfundenen Friedenschluss mit Israel in Camp David (1978). Das Unternehmen scheiterte, weil ein Waffentransport verraten worden war. Seinen Kontaktleuten bei der ostdeutschen Stasi erzählte der Leiter des Jihaz-al-Rasd, Abu Iyad, einige Jahre später: „1981 war Abu Daud [Leiter der Auslandsoperationen des Jihaz-al-Rasd] beauftragt, einen Anschlag auf den Präsidenten Ägyptens, Sadat, während dessen Besuchs in Wien zu organisieren. […] In Wien konnte er den geplanten Kontakt mit einer anderen Gruppe nicht herstellen. Auch stellte er gewisse Kontrollmaßnahmen fest. Er habe daraufhin beschlossen, sich mit dem ersten Flugzeug in Sicherheit zu bringen.“ Und zwar war am 29. Juli 1981 eine AUA-Maschine aus Beirut kommend in Schwechat gelandet. Unter den Passagieren befanden sich der 35jährige Oberstleutnant Ahmed Khidir Issa, alias „Abu Khaled“, von Arafats Leibwache „Force 17“ und sein 31jähriger Adjutant Ali Mohamed Hamed. Die beiden Palästinenser wurden von PLO-Botschafter Ghazi Hussein erwartet, als es plötzlich zum polizeilichen Zugriff kam. In den drei Koffern der Palästinenser wurden eine Kalaschnikow-Maschinenpistole, vier Sturmgewehre, sechs Handgranaten und 19 Magazine mit 525 Schuss Munition sichergestellt. Die Enttäuschung bei Bundeskanzler Bruno Kreisky, der seit Ende der 1970er Jahre viel unternommen hatte, um die PLO politisch aufzuwerten, war groß: In Bad Wörishofen auf Kur weilend, rief er eine sichere Verbindung im PLO-Hauptquartier an und sagte zu Jassir Arafat: „I feel deeply betrayed.“

Opfer eines gezielten Racheakts
Wie der damalige Innenminsiter Erwin Lanc im Interview mit dem Autor angibt, verdankte man die Warnung vor der Ankunft der Waffenschieber Loitzenbauer. Dieser befand sich seit 1979 an der Botschaft Beirut – damals der wichtigste österreichische Vorposten im Nahen Osten. Dort war Loitzenbauer kein „normaler“ Diplomat, sondern mit „Sonderaufgaben“ betraut. Dafür empfahl ihn nicht nur seine Französischkenntnisse, sondern auch seine Erfahrung: Loitzenbauer, der aus Wels stammte, war früh Beamter bei der dortigen Kriminalpolizei geworden. Er ließ sich später nach Salzburg versetzen. Danach diente er bei der UNO-Truppe auf Zypern, von wo er 1978 zurückkehrte. In Beirut war Loitzenbauer war für die Sicherheit der Botschaft zuständig und überprüfte Visa-Anträge und die Echtheit der eingereichten Pässe. Im Lauf seiner fünfjährigen Dienstzeit im Libanon hatte er sich ein Netz an Kontakten aufgebaut. So beschaffte er nachrichtendienstliche Informationen aus dem Bürgerkriegsgebiet Beirut. Auf die war Österreich dringend angewiesen, denn hierzulande gibt es bis heute keinen Auslandsgeheimdienst und die Terrorgefahr war spätestens 1981 – nach den Attentaten auf Stadtrat Heinz Nittel und die Wiener Synagoge – dramatisch angewachsen. Loitzenbauers Netzwerk, so Lanc, sei „direkt zum Generaldirektor für öffentliche Sicherheit und zu mir gegangen. Und er hat daher auch Vertrauensleute am Flughafen Beirut gehabt, die gehalten waren, ihn zu informieren, wenn da irgendetwas Verdächtiges in Destination Wien von statten geht.“ Auf diese Weise, so Lanc, sei es zur Aufdeckung des Schmuggels gekommen: Loitzenbauers Kontakt am Flughafen habe gemeldet, dass im letzten Moment zwei libanesische Passagiere samt Gepäck aus einem Wien-Flug „hinauskomplimentiert“ wurden und zwei Palästinenser die freigewordenen Plätze einnahmen. Drei Jahre später sei Loitzenbauer dann Opfer eines gezielten Racheakts geworden, wobei unklar sei, von welcher Seite.

Auch Lanc Nachfolger als Innenminister, Karl Blecha, stellte Nachforschungen an und kam zum Schluss: „Es waren libanesische Gruppierungen.“ Er sei nach dem Mord an seinem „besten Mitarbeiter im Nahen Osten“ beim Chef der Amal-Miliz, Nabil Berri, gewesen und habe diesen ohne Umschweife gesagt: „‚Das ward ihr“, was Berri abstritt. Als Blecha nachhakte und erklärte, Beweise, zu haben, „dass das keine der PLO-Gruppierungen war“, bezichtigte sein Gesprächspartner den Islamischen Jihad, einen bewaffneten Arm der proiranischen Hisbollah. Blecha erinnert sich, in Beirut aber „nicht weitergekommen“ zu sein, „aber Nabil Berri hat indirekt bestätigt, dass es nicht Palästinenser waren, also auch nicht Abu Nidals Killer“. Letzterer war für Anschläge in Österreich 1981 und 1985 verantwortlich.

„Dein Freund spielt falsch“
Ein weiterer Zeitzeuge ist Alfred Rupf, langjähriger Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien-Schwechat: „Ich habe Gerhard Loitzenbauer gut gekannt, wir waren ja gemeinsam acht Monate im Chargenkurs. Als er dann nach Beirut gegangen ist, habe ich mit ihm immer noch Verbindung gehabt und teilweise von seinen Hinweisen profitiert. Damals ist über den Libanon viel Haschisch in Umlauf kam und deswegen hatte ich auch gute Kontakte zu den dortigen polizeilichen Stellen. Da kam eines Tages Anruf eines Informanten, der mir zu Loitzenbauer kryptisch mitgeteilt hat: ‚Dein Freund spielt falsch.‘ Anscheinend sind gewisse Versprechungen nicht eingehalten worden – ich weiß nicht genau, wie und was. Einige Wochen, bevor Loitzenbauer ermordet wurde, war er in Wien, und ich habe ihm das mitgeteilt: Der Boden in Beirut ist ‚heiß‘, und ich an deiner Stelle würde schauen, das ich schnell wegkommen. Und er hat mir gesagt, er will noch ein halbes Jahr bleiben, weil er das Geld braucht und weil ihm die Aufgabe auch gefällt. Dann ist Loitzenbauer eben wieder runtergegangen, und ich habe ihn nach diesem Gespräch nicht mehr lebend gesehen.“

Rupf zufolge hat Loitzenbauers Ermordung mit bis heute geheimen sicherheitspolitischen Manövern Österreichs im Nahen Osten zu tun: „Ich glaube, dass man in Terrorismusbereich irgendwem irgendetwas zugesichert und dann nicht eingehalten hat – vom Innenministerium her. Das ist meine Vermutung. Aber eines stimmt ganz sicher nicht: Die Geschichte mit dem Autodiebstahl. Wir haben damals vermutet, dass es eine undichte Stelle gegeben hat – in der Botschaft Beirut oder im Außenamt, von der aus Informationen rausgesickert sind. Es kann ohne weiteres sein, dass so bekannt wurde, dass der Tipp, der zum Auffliegen des Waffenschmuggels führte, von Loitzenbauer gekommen ist.“

Siehe dazu auch: 
Petra Stuiber, Der unaufgeklärte Tod des geheimnisvollen Attaches, in: Der Standard, 21./22. Juni 2014
http://derstandard.at/2000002185296/Der-unaufgeklaerte-Tod-des-geheimnisvollen-Attaches

Freitag, 6. Juni 2014

„Furchtbarer Knall, riesige Stichflamme“

Vor 30 Jahren war Wien Schauplatz einer Terrorwelle, die völlig in Vergessenheit geraten ist. Nachdem die „Armenische Geheimarmee zur Befreiung Armeniens“ (ASALA) schon 1975 den Botschafter der Türkei, Danis Tunaligil, ermordet hatte, verübte die "Armenische Revolutionäre Armee" (ARA) neun Jahre später zwei weitere Attentate gegen türkische Diplomaten: Am 20. Juni 1984 wurde der Attaché Erdogan Özen bei einer Bombenexplosion getötet, wenige Monate darauf – am 19. November 1984 – wurde der UN-Diplomat Evner Ergun in seinem Auto bei der Schottentor-Kreuzung erschossen. Wirklich aufklären konnten die österreichischen Behörden keinen einzigen Fall dieser Terrorserie. Dafür traten immer wieder auf tragische Weise Schwachstellen beim Schutz für gefährdete ausländische Diplomaten zutage.

„Geheimarmee zur Befreiung Armeniens“
Die marxistisch-leninistisch orientierte ASALA, die 1975 im libanesischen Beirut gegründet wurde, verübte bis Anfang der 1990er Jahre 110 Terroranschläge. Ihr erklärtes Ziel war es, Vergeltung für den Völkermord von 1915 an den Armeniern zu üben. Die Gewalt sollte Druck auf die türkische Regierung ausüben, die damaligen Ereignisse als Genozid anzuerkennen und die Verantwortung zu übernehmen, was auch Wiedergutmachung an Überlebende und Verwandte einschloss. Zwischen 1975 und 1985 wurden in zahlreichen europäischen Ländern mehr als 40 türkische Diplomaten und deren Familienangehörige ermordet. Im Juli und August 1983 verübte die ASALA einen Sprengstoffanschlag auf den Flughafen Orly in Paris (7. Tote), auf den Flughafen Esenboga in Ankara (9 Tote) sowie auf den großen Bazar in Istanbul (2 Tote), wobei sieben Personen getötet wurden. Die dadurch erzielte Aufmerksamkeit ließ sich aber nicht in greifbare politische Erfolge ummünzen. Auch gab es wenig Unterstützung seitens der armenischen Diaspora: Trotz Verständnis für Ziele und Motivation stießen die Gewalttaten, die in ihrem Namen begangen wurden, auf zunehmende Ablehnung.

Mit dem israelischen Einmarsch in den Libanon 1982 verlor die Gruppe den größten Teil ihrer Organisationsstruktur. Sympathisierende palästinensische Organisationen wie die PLO stellten ihre Unterstützung ein. Ein weiterer schwerer Schlag war die Ermordung des ASALA-Gründers Hagop Hagopjan am 28. April 1988 in Athen. Die letzte Aktion vom 19. Dezember 1991 zielte erfolglos auf die Limousine des türkischen Botschafters in Budapest.

Die in den 1970er Jahren unter anderem Namen gegründete ARA war sowohl Verbündeter als auch Rivale der bedeutenderen ASALA. Diese zweite Gruppe verübte bis Mitte der 1980er Jahre Anschläge gegen türkische Ziele.

Wien als Terrorschauplatz
In Wien schlugen ASALA und ARA insgesamt dreimal zu. Am 22. Oktober 1975 erschoss ein ASALA-Killerkommando den 60jährigen türkischen Botschafter Danis Tunaligil an seinem Schreibtisch. Die "Kronen Zeitung" nannte es den ersten politischen Mord in Österreich seit den Schüssen auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuss (1934). Knapp vor Mittag hatten drei Männer das türkische Botschaftsgebäude in der Prinz-Eugen-Straße Nr. 40 betreten. Sie bahnten sich den Weg bis in das Arbeitszimmer von Tunaligil. Dieser versuchte noch die Terroristen zu täuschen, indem er sich als Sekretär ausgab, hatte aber keine Chance. Man ließ ihn auf seinem Sessel Platz nehmen, dann gab einer der Killer eine tödliche Salve aus einer Maschinenpistole ab. Der Botschafter war ohne Schutz gewesen – der ständige, im Sicherheitsdienst ausgebildete Portier war an Grippe erkrankt. Seine Vertretung ließ sich leicht überrumpeln. Er betätigte ohne weitere Rückfrage die elektronische Schließeinrichtung der Eingangstür wie "profil" berichtete: "Als die Tür hinter den drei Besuchern wieder ins Schloß fällt, reißen zwei von ihnen Maschinenpistolen (ein israelisches und ein englisches Fabrikat) aus Aktenkoffern. Der Wächter - ein Angehöriger des türkischen Sicherheitsdienstes - greift zum Telefon. Einer der Eindringlinge reißt das  Kabel des Apparates aus der Wand, fesselt den Portier und bleibt in der Portiersloge zurück. Die beiden anderen laufen die Treppe hoch, durchqueren das Sekretärinnenzimmer, fordern die Anwesenden in englischer Sprache auf, sich auf den Boden zu legen und dringen ins Botschafterzimmer ein."

Terrorschauplatz türkische Botschaft Wien-Wieden (Foto: Autor)
Am 20. Juni 1984 folgte das nächste Attentat, diesmal von Seiten der ARA – per ferngezündeter Autobombe. Als Attaché Erdogan Özen (angeblich einer der stellvertretenden Leiter des Geheimdiensts MIT) um 08.43 Uhr gerade seinen Honda-Accord, den er ausnahmsweise selbst chauffierte, auf dem Botschaftsparkplatz in der Theresianumgasse abstellte, gab es eine Explosion: „Mit einem furchtbaren Knall und in eine riesige Stichflamme gehüllt“ wurde der Wagen fünf Meter hoch in die Luft geschleudert. „Der 50jährige Diplomat verbrannte beim lebendigen Leibe im Auto, das zerfetzt, mit dem Dach nach unten auf die Straße zurückgefallen war“, so der Bericht im „Kurier“. Die Bombe, bestehend aus 2 bis 5 kg des militärischen Sprengstoffs NPT, war unter der Bodenplatte hinter dem linken Vordersitz angebracht gewesen. Wrackteile flogen teils 30 Meter weit, im Umkreis von mehreren hundert Metern gingen die Fensterscheiben bis in den fünften Stock zu Bruch. Dem vor der Botschaft postierten 60jährige Polizeigruppeninspektor Leopold Smetaczek, der eben noch zwei Autos gestoppt hatte, um den Attache einparken zu lassen, verbrannte die Stichflamme die Hälfte seiner Haut. Fünf weitere Passanten erlitten teils schwere Verletzungen.

Hier explodierte 1984 eine Autobombe: Botschaftsparkplatz Theresianumgasse (Foto: Autor)
Dass eben auch „nichtsahnende Bürger“ getroffen wurden, habe die Öffentlichkeit aufgeschreckt und nicht „weil wieder einmal ein spektakulärer Diplomaten- oder Politikermord geschah“, meinte die „Presse“-Journalistin Ilse Leitenberger. Diese hielt auch fest, dass man sich des Terrorrisikos in einer so neuralgisch gelegenen Stadt wie Wien „nie entledigen“ werden könne: „Es gehört immer noch zu den gebräuchlichsten feuilletonistischen Fleißaufgaben ausländischer Korrespondentenarbeit, Wien als den Treffpunkt der Weltspionage zu bezeichnen, zumindest als deren bevorzugte Relaisstation. Das hören wir recht ungern, das willen wir zumindest so lange nichts wissen, als es nicht ‚kracht‘ und ein unschuldiger, schöner Junitag plötzlich verdüstert wird.“ Im „Kurier“ kommentierte Hans Rauscher die Aussage einer Augenzeugin im ORF („Ich verstehe nicht, wer so etwas machen kann“) folgendermaßen: „Die Welt sieht leider so aus, dass sehr viele so etwas machen können. Es wimmelt nur so von wildäugigen Fanatikern, die überzeugt sind, dass man für eine bessere Zukunft der Menschheit schon ein paar unschuldige Menschen umbringen oder verstümmeln kann.“

Der dritte Anschlag ereignete sich an der Schottentorkreuzung, einem belebten Verkehrskotenpunkt in der Wiener Innenstadt: Als dort am 19. November 1984 der ranghöchste türkische Diplomat bei der UNO, der 52jährige Evner Ergun, mit seinem roten Mercedes 230 E um 09.21 Uhr vor einer roten Ampel anhielt, sprang ein junger Mann an die Tür neben dem Fahrersitz. Er zog eine 9-mm-Pistole und schoss sechsmal durch die Scheibe. Ergun sank tot hinter dem Lenkrad zusammen. Bevor der Killer im Menschengewühl der Schottentor-Passage untertauchte, warf er noch ein weißes Tuch über das blutüberströmte Gesicht seines Opfers. Darauf waren mit Kugelschreiber in Großbuchstaben die Zeichen der ARA gemalt.

Vor der Schottengasse Nr. 10 hatte sich der Killer postiert (Foto: Autor)
Schutz und Aufklärung mangelhaft
„Die österreichischen Behörden werden nichts unversucht lassen, diese verabscheuungswürdige Tat aufzuklären“, hatte Bundeskanzler Fred Sinowatz nach dem Anschlag auf Erdogan Özen an den türkischen Ministerpräsidenten telegrafiert. In allen Fällen hatte sich die armenischen Gruppen dazu bekannt, aber es gelang nie, die Täter auszuforschen. Diese hatten sich umgehend ins Ausland abgesetzt, lautete jedes Mal die knappe Erkenntnis der Staatspolizei. Als das türkische Außenministerium nach dem dritten Mord kritisch anmerkte, die Armenier hätten sich Wien als „bequemsten Ort“ für Anschläge ausgesucht, wies das das Innenministerium zurück. Eineinhalb Jahre zuvor hatten sich die türkischen Botschaftsangehörigen beschattet gefühlt – diesbezügliche Ermittlungen hatten aber nichts ergeben. Die ARA selbst teilte nach dem Mord an Ergun mit, Wien wegen „seines symbolischen Wertes“ als Anschlagsort ausgesucht zu haben und drohte: „Wir werden bald wieder zuschlagen.“ Der Terror endete zwar erst Anfang der 1990er Jahre, aber es kam nach 1984 zu keinem Attentat armenischer Organisationen in Österreich mehr.

Die Terrorwelle machte dafür Defizite bei der inneren Sicherheit deutlich – so war das Attentat auf Botschafter Tunaligil 1975 vor allem deswegen möglich gewesen, weil die Killer in das Gebäude vordringen konnten. Hier hatte einerseits das türkische Sicherheitspersonal versagt – andererseits ging die ungehinderte Flucht der Terroristen „zu Lasten der österreichischen Behörden“, wie Erich Grolig in der „Presse“ kritisierte: Vielleicht seien diese „selbst Opfer eines von der Spitze her verbreiteten Gefühls der Laxheit“ geworden, „auf dieser ‚Insel der Seligen’ werde schon nichts geschehen“. Laut Artikel 22 des „Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen“ ist der Empfangsstaat verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zum Schutz der ausländischen Mission zu treffen. „Weiterwursteln ist das Bequemere und kostet auch nichts. Doch wie gesagt, nun liegt ein toter Botschafter auf dem Wiener Parkett. Vielleicht sollt man doch etwas tun?“, fragte Grolig zugespitzt. So war die Kriminalpolizei frühzeitig über den Terrorüberfall informiert worden ("Der Botschafter ist ermordet worden"): "Aber erst nach dem Rettungsarzt darf Wiens Polizei an den Tatort in der Prinz Eugen Straße Nr. 40. Denn die Botschaftsangehörigen sind zunächst der Meinung, dass man den Tod ihres Chefs der Öffentlichkeit verheimlichen soll. Sie verlangen von den österreichischen Behörden eine totale Nachrichtensperre. Erst nach einem Telefonat mit dem Außenministerium in Ankara und einstündigem Palaver gestatteten türkische Diplomaten den Erhebungsbeamten der Wiener Polizei den Eintritt in die Büroräume der Botschaft." Obgleich Polizeistreifen innerhalb von 15 Minuten die Botschaft abriegelten, die Bahnhöfe überwacht und Einsatzkommandos an die Ausfallstraßen dirigiert wurden, waren die Chancen der Fahndung wegen noch fehlender Täterbeschreibungen "gleich null", recherchierte "profil". Die Polizei hatte "kostbare Minuten" verloren, weil sie noch um die Erlaubnis, die Angestellten der Botschaft zu befragen, hatte verhandeln müssen.

Nur wenige Monate nach dem Anschlag auf Tunaligil, am 21. Dezember 1975 sollte übrigens Carlos der „Schakal“ das Wiener OPEC-Hauptquartier überfallen. Auch hier gab es im Nachhinein viel Kritik, ob die Objektschutzmaßnahmen ausreichend gewesen waren. Aber wie das tragische Beispiel des Polizisten Smetaczek zeigte, konnte die tödliche Gefahr auch plötzlich aus unerwarteter Richtung kommen. 
Der letzte Mord der ARA in Wien - Meldung in der Arbeiter-Zeitung (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)