Hinweis: Erschienen am 28. Juni 2014 im "Presse"-Spectrum:
Vor 30 Jahren wollen Schwerbewaffnete im Nobelhotel „Imperial“ Geiseln nehmen und können diese schlicht nicht finden.
Wenige Tage später werden die neun Männer durch Zufall verhaftet. Über die
Hintergründe geben nun erstmals Zeitzeugen Auskunft.
Sonntag, 1. Juli 1984: Es hätte genauso gut ein blutiger,
schwarzer Tag sein können – vergleichbar mit Ereignissen wie der
OEPC-Geiselnahme 1975 oder der Anschlag auf den Flughafen Schwechat 1985. Nur
durch Zufall passierte nichts dergleichen – stattdessen wurde ein geplanter Terroranschlag
zur Farce, die rasch in Vergessenheit geriet. Zu Unrecht: Denn was sich vor 30
Jahren zutrug, hat viel vom heutigen internationalen Terrorismus
vorweggenommen.
An jenem Sonntag wollten neun pakistanische Terroristen im
Wiener Hotel Imperial zuschlagen und Geiseln nehmen: Bei einem Empfang der
kanadischen Botschaft für verdiente Händler des Automobilkonzerns Ford,
insgesamt 58 Personen. Bevor die Aktion startete, hatten sie sich nacheinander
im Zimmer 218 des Hotels versammelt – wo seit zwei Tagen der Anführer des
Kommandos logierte. Dort bewaffneten sie sich und legten rote Stirnbänder an –
um sich im zu erwartenden Chaos nicht gegenseitig zu erschießen. Dann stieg der
Trupp die Treppen hinunter. Doch schon ab diesem Zweitpunkt verlief das
Unternehmen nicht mehr plangemäß: Die Terroristen stießen auf einen Wegweiser
mit der Aufschrift „Reception“ und lasen diesen falsch. Anstatt im Parterre
gerade aus weiterzugehen, ging die Gruppe nach oben in den ersten Stock. Als
sie dort nur verschlossene Empfangsräume vorfanden, brachte sie das so aus der
Fassung, dass ihr Vorhaben abbrach. All das spielte sich unbemerkt vom
Hotelpersonal ab.
Meldung der Arbeiterzeitung, 9. Juli 1984 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at) |
Das Zimmer im Imperial wurde quittiert und die Pakistanis teilten
sich wieder auf ihre Unterkünfte – drei kleine Hotels im 6., 7. und 15. Bezirk –
auf. Hier wollten sie weitere Instruktionen abwarten. Aber dazu kam es nicht
mehr. Am 6. Juli 1984 war einer der führenden Terrorismus-Ermittler der Abteilung
I (Staatspolizei) gerade in Oberösterreich unterwegs, als er zu Mittag einen
Anruf erhielt: „In der Nähe des Westbahnhofs sind drei, vier so schwarze Wuzln,
genauso hat er es gesagt, abgestiegen. Und einer kommt täglich, bezahlt und
geht wieder. Die anderen blieben im Zimmer.’ Das ist natürlich auffällig
gewesen, woraufhin ich die Anweisung gegeben habe, fünf Mann hinzuschicken und
nachzusehen. Es hat nicht lange gedauert und man hat mich verständigt: ‚Es ist
besser, du kommst nach Wien.’“
Was war gesehen? In der besagten Unterkunft hatte man endgültig
Verdacht geschöpft, als eine kleine Zeitungsmitteilung besagte, Terroristen seien
in Österreich eingereist. Einmal wurden in Abwesenheit der seltsamen Gäste die
sonst immer verschlossenen Kastentüren geöffnet und Waffen gefunden. Davon
verständigte Staatspolizisten führten anschließend einen überfallsartigen
Zugriff durch, wie sich der ehemalige Terrorfahnder erinnert: „Meine Leute sind
dort reingegangen, die wollten noch aufspringen, hatten aber Chance mehr zu
entkommen. In einem der Kästen waren zwei Reisetaschen, die waren so schwer,
dass man sie mit einer Hand nicht aufheben konnte. Da waren die Waffen drin.“ Das
Arsenal bestand aus drei Beretta-Maschinenpistolen, sieben belgischen
FN-Pistolen, fünf Handgranaten, mehreren Hundert Schuss Munition sowie zwei
Päckchen mit jeweils einem halben Kilogramm Nitropenta-Sprengstoff. Ebenfalls
gefunden Schuhpaste zum Schwärzen der Gesichter und Stricke in verschiedener
Länger – zum Fesseln der Geiseln.
Über ihre Komplizen schwiegen sich die vier an Ort und
Stelle festgenommen Männer aus. Aber die Staatspolizisten hatten einen Trumpf
in der Hand: Ein Fotoapparat war sichergestellt worden und die Bilder wurden
umgehend entwickelt – zu sehen bekamen die Ermittler Schnappschüsse wie von
einer Urlaubsreise: „Die haben sich zusammen in Rom fotografiert, in Mailand,
so glaube ich, und in Wien. Auf den Fotos waren jedenfalls neun Personen zu
sehen und wir haben zum Suchen angefangen.“ Einen weiteren Hinweis lieferte ein
Zettel mit zwei Telefonnummern von benachbarten Pensionen: „Dort sind wir hin
und haben weitere Mitglieder des Kommandos festgenommen. Um Mitternacht habe
ich dann dem letzten in einer Stehbar in der Mariahilferstraße die Waffe
angesetzt: Dem ist das Glas aus der Hand und auf die Theke gefallen, als ich
gesagt habe: ‚Polizei’. Die Kellnerin hat sich geärgert: ‚He, was macht ihr da
für eine Sauerei.’ Da habe ich geantwortet: ‚Dirndl, wir haben nicht so viel
Zeit’ und mich zu erkennen gegeben. ‚Uuhh’ war ihr einziger Kommentar.“
In dieser an haarsträubenden Zufällen nicht gerade armen
Geschichte gab es noch eine weiteres Highlight: Dem Ehemann der Besitzerin eben
jenes Hotels, wo man die ersten Pakistanis verhaftet hatte, war elf Jahre zuvor
Ähnliches passiert: 1973, als Portier im Hotel Westbahn, waren ihm die israelischen
Reisepässe von drei Arabern verdächtig vorgekommen. Darüber informierte
Staatspolizisten legten sich auf die Lauer: „Die waren undercover, so richtig
‚wilde Hunde’, wie das damals in den 1970er gewesen ist.“ Sie nahmen die Männer
fest, als diese vom Zimmer herunterkamen. Und tatsächlich: Es handelte sich um
Mitglieder der berüchtigten Terrororganisation „Schwarzer September“, die einen
Überfall auf jüdische Emigranten vornehmen wollten. Weil es
Verständigungsschwierigkeiten gab, wurde der Portier kurzfristig als Dolmetsch
beigezogen: „Es hat geheißen: Kommen Sie, wir können kein Englisch, und ich musste
den Arabern dann erklären, dass sie verhaftet sind, wegen der falschen
Reisedokumente usw.“ So richtig absurd sei jedoch, „dass das in unserer Familie
zweimal passiert ist“.
Die Verhöre gestalteten sich auch im Falle der Pakistanis langwierig
und zäh – aber nach und nach konnte die Staatspolizei den Fall aufklären. Die
neun Männer, zwischen 22 und 38 Jahre alt, waren ein bunt zusammengewürfelter
Haufen: Bauern, Handwerker und Studenten. Wirkliche Erfahrung hatte nur einer
von ihnen, der 23jährige Anführer Barry John Cann (der eigentlich Javed Malik
hieß). „Die meisten Mitglieder des Kommandos stammten aus einfachen Milieus,
sie waren im Grunde Schafhirten. Die hatten keine fundierte Ausbildung erhalten
und konnten auch nicht mit den Waffen umgehen“, erinnert sich der Ermittler. So
hatte die Mehrzahl erst in den Hotels die Handhabung der Maschinenpistolen und
der Handgranaten geübt. „Diese Burschen sind Terroramateure“, lautete damals auch
das Fazit gegenüber der Presse. Und später vor Gericht meinte der Anwalt
treffend über seine Mandanten: „Hätte die Polizei sie nicht verhaftet, sie
wären heute noch in der Welt unterwegs, von einem Misserfolg zum anderen.“
Vom politischen Hintergrund waren alle Anhänger der Pakistan
Peoples Party (PPP): Deren Führer Zulfikar Ali Bhutto war zwischen 1973 und
1977 Premierminister gewesen, ehe er von General Zia-ul-Haq gestürzt wurde.
Zwei Jahre später richtete man ihn trotz internationaler Proteste hin. Bhuttos
Söhne – Shahnawaz und Murtaza – organisierten daraufhin vom Exil aus mit
Unterstützung seitens Syriens, Libyens und der PLO den Untergrundkampf gegen
das Militärregime. Shahnawaz wurde 1985 im französischen Nizza tot aufgefunden,
angeblich war er vergiftet worden. Sein Bruder Murtaza war die eigentliche Triebkraft
des Widerstands – Biograf Raja Anwar hat ihn wenig schmeichelhaft als
„terrorist prince“ charakterisiert, als jemanden, der ständig Aktionen plante,
deren Ausführung aber anderen überließ und sich lieber rechtzeitig in
Sicherheit brachte.
Meldung der Arbeiterzeitung, 10. Juli 1984 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at) |
So war es dann auch im Falle der geplanten Geiselnahme in
Wien. Diese sollte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Situation
in Pakistan lenken: „Wir hatten vor der Welt zu demonstrieren, was für eine
Regierung in Pakistan herrscht“, stellte Kommandoführer Cann vor Gericht klar
und klagte den Machthaber Zia bei dieser Gelegenheit als „Diktator“ an. In die
Wege geleitet worden war das Unternehmen Ende Mai 1984: Die Mitglieder des
Kommandos – allesamt Angehörige von Murtazas Untergrundorganisation
„Al-Zulfikar“ – versammelten sich in Damaskus, wo sich auch das Hauptquartier
für die Aktivitäten gegen Zias Regime befand. Anschließend reiste man über
verschiedene Wege nach Rom. Dort sollte am 12. Juni eigentlich die
pakistanische Botschaft überfallen werden – aber die Sicherheitsmaßnahmen waren
zu engmaschig und die PLO zog ein schon gegebenes Unterstützungsangebot zurück.
Also rückte nach einer entsprechenden Order Murtazas Wien ins Visier – nicht
viel anders als heute galt die Stadt damals als „Spielwiese“ für geheime
Machenschaften. Und es gab noch einen weiteren Grund, wie Cann vor Gericht
angab: „Wir dachten die Sicherheitsvorkehrungen sind hier nicht so gut.“ Das
wurde bei westeuropäischen Behörden damals übrigens ähnlich gesehen, vor allem
was den Schutz von Botschaften anging. „Trotz aller Anstrengungen der Polizei
gelten die Überwachungsmaßnahmen im Gegensatz zu anderen Ländern als
mangelhaft“, hieß es im „Kurier“ süffisant. Der damalige Innenminister Karl
Blecha versuchte solcher Kritik den Wind gleich aus den Segeln zu nehmen: „Der
Terrorismus ist eine Erscheinung unserer Zeit, die in freien, demokratischen
Staaten nicht so bekämpft werden kann, wie in Diktaturen.“
In Wien waren die Pakistans Ende Juni per Bahn angekommen. Erst
hier erhielten sie auch von einem Kontaktmann die Waffen – was der
Ex-Staatspolizist zu diesem Unbekannten anmerkt, ist brisant: „Eine
Personenbeschreibung durch die Terroristen passte zu einem libyschen Diplomaten.“
Offenbar war die Botschaft Libyens in die Vorbereitungen der Geiselnahme
involviert – so wie angeblich auch sechs Jahre zuvor, als Carlos der „Schakal“
die Tagung der OPEC-Minister überfiel. Obgleich längst nicht so professionell
und skrupellos wie die der „Schakal“, waren die Pakistanis zumindest genau instruiert:
Murtaza flog nach Wien, um seine Männer, einen nach dem anderen, zu treffen. In
einem Nordsee-Fischlokal händigte er jeweils 2.000 Schilling aus. Dann sagte
er: „Wir treffen uns wieder in Kuba“ – weil man dorthin mit den Geiseln
ausfliegen wollte. Weitere Anweisungen wurden von der Staatspolizei später auf
Mikrofilmen gefunden, die in den Schuhen der Pakistanis versteckt waren: „Sie
sollten 1.) den pakistanischen Botschafter, den sie unter den Anwesenden
vermutet haben, sofort erschießen. Und 2.) die Österreicher – das waren, so
glaube ich, zwei Personen – sofort freilassen.“
Später vor Gericht war Cann bemüht, die Gewalt
herunterzuspielen: „Wir wollten nur die Diplomaten als Geiseln nehmen.“ Dann
war geplant, vor dem Hotel eine Ansprache zu halten und schließlich die
Bereitstellung eines Flugzeugs zu erzwingen, um mit den Geiseln nach Havanna
auszufliegen. Insgesamt sollten 200 Gefangene in Pakistan freigepresst werden: „Hätten
wir keinen Erfolg gehabt, so hätten wir alle wieder freigelassen.“ Letztere
Aussage rief bei den Mitangeklagten so viel Schmunzeln hervor, dass der
vorsitzende Richter ermahnte: „Das letzte Wort hat das Gericht, und das wird
vielleicht nicht so lustig sein.“ Am 28. März 1985 wurden die Angeklagten wegen
versuchter erpresserischer Entführung und Ansammlung von Kampfmitteln schuldig
gesprochen. Cann erhielt 13 Jahre und der ebenfalls in führender Position
tätige Lias Khan eine 11jährige Freiheitsstrafe. Die übrigen sieben wurden zu
je sieben Jahren verurteilt. 1989 – nach einem Machtwechsel in Pakistan –
wurden acht der Männer vorzeitig entlassen. Zwei von ihnen, Zubair Minhas und
Akhtar Beg, blieben im Land. Lediglich Cann war noch bis 1993 in Haft – zurück
in Pakistan musste er wegen eines anderen Falls noch zwei weitere Jahre
absitzen.
Einige Ermittlungsergebnisse hatte die Staatspolizei dem
Gericht gar nicht erst übermittelt. Diese gingen dafür exklusiv an einen sehr
interessierten ausländischen Dienst wie der Zeitzeuge nach 30 Jahren nun
erstmals enthüllt: „Mitten in den Ermittlungen hat sich der MI6 eingeschaltet: Cann,
sei möglicherweise einer der Topterroristen in Pakistan und habe einige Leute
am Gewissen. Zum Beispiel habe er gemeinsam mit einem anderen Täter von einem
Motorrad aus eine Handgranate in eine pakistanische Kaserne geschleudert und
wie die Offiziere aus dem Kasino kamen, auf diese das Feuer eröffnet. Dabei sei
er einmal an der Schulter angeschossen worden – und tatsächlich, Cann hatte
Spuren einer solchen Verletzung. Daraufhin habe ich ihm gesagt: Wir reden über
diese ganz ‚alten Geschichten’ oder wir reden nicht darüber und liefern dich
aus – und zwar gleich binnen einer Woche. Dann haben wir über 35 Seiten
Niederschrift darüber gemacht, was er alles gemacht hat. Der MI6 hat das über
das Bundesministerium für Inneres übermittelt bekommen und war hoch begeistert.
Das hat außer mir und meinem Vorgesetzten niemand gewusst. Die Briten waren an
allem und jedem interessiert, was sich international getan hat. Alles, was zum
Thema Terrorismus da war, haben die aufgesogen und weiter berichtet. Das war
aber keine Einbahnstraße.“
Noch eine weitere Entscheidung wurde im Hinterzimmer
gefällt: Im Unterschied zu den „kleinen Fischen“ musste der eigentliche
Mastermind nichts befürchten: Eine schon eingeleitete Fahndung nach Murtazar Bhutto
wurde unterbunden. Seine Verfolgung dürfte politisch nicht opportun gewesen
sein. Erst 1993 – nachdem General Zia bei einem Flugzeugabsturz ums Leben
getötet und seine Schwester Benazir Premierministerin geworden war – konnte
Murtazar wieder nach Pakistan zurückkehren. Drei Jahre später wurde er
gemeinsam mit sechs Anhängern in Karatschi unter ungeklärten Umständen von der
Polizei erschossen. Dem Bhutto-Clan sollte eine weitere Tragödie nicht erspart
bleiben: 2007 starb auch Benazir bei einem Attentat islamistischer Terroristen.
Und Pakistan gilt mittlerweile als „gescheiterter Staat“, in dem Gewalt,
Korruption und Menschenrechtsverletzungen epidemische Ausmaße angenommen haben.