Vor 30 Jahren war Wien Schauplatz
einer Terrorwelle, die völlig in Vergessenheit geraten ist. Nachdem die
„Armenische Geheimarmee zur Befreiung Armeniens“ (ASALA) schon 1975 den Botschafter der
Türkei, Danis Tunaligil, ermordet hatte, verübte die "Armenische Revolutionäre Armee" (ARA) neun Jahre später zwei
weitere Attentate gegen türkische Diplomaten: Am 20. Juni 1984 wurde der
Attaché Erdogan Özen bei einer Bombenexplosion getötet, wenige Monate darauf – am
19. November 1984 – wurde der UN-Diplomat Evner Ergun in seinem Auto bei der
Schottentor-Kreuzung erschossen. Wirklich aufklären konnten die
österreichischen Behörden keinen einzigen Fall dieser Terrorserie. Dafür traten
immer wieder auf tragische Weise Schwachstellen beim Schutz für gefährdete
ausländische Diplomaten zutage.
„Geheimarmee zur Befreiung
Armeniens“
Die
marxistisch-leninistisch orientierte ASALA, die 1975 im libanesischen Beirut
gegründet wurde, verübte bis Anfang der 1990er Jahre 110 Terroranschläge. Ihr
erklärtes Ziel war es, Vergeltung für den Völkermord von 1915 an den Armeniern
zu üben. Die Gewalt sollte Druck auf die türkische Regierung ausüben, die
damaligen Ereignisse als Genozid anzuerkennen und die Verantwortung zu
übernehmen, was auch Wiedergutmachung an Überlebende und Verwandte einschloss.
Zwischen 1975 und 1985 wurden in zahlreichen europäischen Ländern mehr als 40
türkische Diplomaten und deren Familienangehörige ermordet. Im Juli und August
1983 verübte die ASALA einen Sprengstoffanschlag auf den Flughafen Orly in
Paris (7. Tote), auf den Flughafen Esenboga in Ankara (9 Tote) sowie auf den
großen Bazar in Istanbul (2 Tote), wobei sieben Personen getötet wurden. Die
dadurch erzielte Aufmerksamkeit ließ sich aber nicht in greifbare politische
Erfolge ummünzen. Auch gab es wenig Unterstützung seitens der armenischen
Diaspora: Trotz Verständnis für Ziele und Motivation stießen die Gewalttaten,
die in ihrem Namen begangen wurden, auf zunehmende Ablehnung.
Mit dem
israelischen Einmarsch in den Libanon 1982 verlor die Gruppe den größten Teil
ihrer Organisationsstruktur. Sympathisierende palästinensische Organisationen
wie die PLO stellten ihre Unterstützung ein. Ein weiterer schwerer Schlag war
die Ermordung des ASALA-Gründers Hagop Hagopjan am 28. April 1988 in Athen. Die
letzte Aktion vom 19. Dezember 1991 zielte erfolglos auf die Limousine des türkischen
Botschafters in Budapest.
Die in den 1970er Jahren unter anderem Namen gegründete ARA war sowohl Verbündeter als auch Rivale der bedeutenderen ASALA. Diese zweite Gruppe verübte bis Mitte der 1980er Jahre Anschläge gegen türkische Ziele.
Die in den 1970er Jahren unter anderem Namen gegründete ARA war sowohl Verbündeter als auch Rivale der bedeutenderen ASALA. Diese zweite Gruppe verübte bis Mitte der 1980er Jahre Anschläge gegen türkische Ziele.
Wien als Terrorschauplatz
In Wien schlugen ASALA und ARA insgesamt dreimal zu. Am 22. Oktober 1975 erschoss ein ASALA-Killerkommando den
60jährigen türkischen Botschafter Danis Tunaligil an seinem Schreibtisch. Die "Kronen Zeitung" nannte es den ersten politischen Mord in Österreich seit den Schüssen
auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuss (1934). Knapp vor Mittag hatten drei
Männer das türkische Botschaftsgebäude in der Prinz-Eugen-Straße Nr. 40
betreten. Sie bahnten sich den Weg bis in das Arbeitszimmer von Tunaligil.
Dieser versuchte noch die Terroristen zu täuschen, indem er sich als Sekretär
ausgab, hatte aber keine Chance. Man ließ ihn auf seinem Sessel Platz nehmen,
dann gab einer der Killer eine tödliche Salve aus einer Maschinenpistole ab. Der
Botschafter war ohne Schutz gewesen – der ständige, im Sicherheitsdienst
ausgebildete Portier war an Grippe erkrankt. Seine Vertretung ließ sich leicht
überrumpeln. Er betätigte ohne weitere Rückfrage die elektronische Schließeinrichtung der Eingangstür wie "profil" berichtete: "Als die Tür hinter den drei Besuchern wieder ins Schloß fällt, reißen zwei von ihnen Maschinenpistolen (ein israelisches und ein englisches Fabrikat) aus Aktenkoffern. Der Wächter - ein Angehöriger des türkischen Sicherheitsdienstes - greift zum Telefon. Einer der Eindringlinge reißt das Kabel des Apparates aus der Wand, fesselt den Portier und bleibt in der Portiersloge zurück. Die beiden anderen laufen die Treppe hoch, durchqueren das Sekretärinnenzimmer, fordern die Anwesenden in englischer Sprache auf, sich auf den Boden zu legen und dringen ins Botschafterzimmer ein."
Terrorschauplatz türkische Botschaft Wien-Wieden (Foto: Autor) |
Am 20.
Juni 1984 folgte das nächste Attentat, diesmal von Seiten der ARA – per ferngezündeter Autobombe. Als
Attaché Erdogan Özen (angeblich einer der stellvertretenden Leiter des
Geheimdiensts MIT) um 08.43 Uhr gerade seinen Honda-Accord, den er
ausnahmsweise selbst chauffierte, auf dem Botschaftsparkplatz in der
Theresianumgasse abstellte, gab es eine Explosion: „Mit einem furchtbaren Knall
und in eine riesige Stichflamme gehüllt“ wurde der Wagen fünf Meter hoch in die
Luft geschleudert. „Der 50jährige Diplomat verbrannte beim lebendigen Leibe im
Auto, das zerfetzt, mit dem Dach nach unten auf die Straße zurückgefallen war“,
so der Bericht im „Kurier“. Die Bombe, bestehend aus 2 bis 5 kg des
militärischen Sprengstoffs NPT, war unter der Bodenplatte hinter dem linken
Vordersitz angebracht gewesen. Wrackteile flogen teils 30 Meter weit, im
Umkreis von mehreren hundert Metern gingen die Fensterscheiben bis in den
fünften Stock zu Bruch. Dem vor der Botschaft postierten 60jährige
Polizeigruppeninspektor Leopold Smetaczek, der eben noch zwei Autos gestoppt hatte,
um den Attache einparken zu lassen, verbrannte die Stichflamme die Hälfte
seiner Haut. Fünf weitere Passanten erlitten teils schwere Verletzungen.
Hier explodierte 1984 eine Autobombe: Botschaftsparkplatz Theresianumgasse (Foto: Autor) |
Dass
eben auch „nichtsahnende Bürger“ getroffen wurden, habe die Öffentlichkeit
aufgeschreckt und nicht „weil wieder einmal ein spektakulärer Diplomaten- oder
Politikermord geschah“, meinte die „Presse“-Journalistin Ilse Leitenberger.
Diese hielt auch fest, dass man sich des Terrorrisikos in einer so neuralgisch
gelegenen Stadt wie Wien „nie entledigen“ werden könne: „Es gehört immer noch
zu den gebräuchlichsten feuilletonistischen Fleißaufgaben ausländischer
Korrespondentenarbeit, Wien als den Treffpunkt der Weltspionage zu bezeichnen,
zumindest als deren bevorzugte Relaisstation. Das hören wir recht ungern, das
willen wir zumindest so lange nichts wissen, als es nicht ‚kracht‘ und ein
unschuldiger, schöner Junitag plötzlich verdüstert wird.“ Im „Kurier“
kommentierte Hans Rauscher die Aussage einer Augenzeugin im ORF („Ich verstehe
nicht, wer so etwas machen kann“) folgendermaßen: „Die Welt sieht leider so
aus, dass sehr viele so etwas machen können. Es wimmelt nur so von wildäugigen
Fanatikern, die überzeugt sind, dass man für eine bessere Zukunft der
Menschheit schon ein paar unschuldige Menschen umbringen oder verstümmeln
kann.“
Der
dritte Anschlag ereignete sich an der Schottentorkreuzung, einem belebten
Verkehrskotenpunkt in der Wiener Innenstadt: Als dort am 19. November 1984 der ranghöchste
türkische Diplomat bei der UNO, der 52jährige Evner Ergun, mit seinem roten
Mercedes 230 E um 09.21 Uhr vor einer roten Ampel anhielt, sprang ein junger
Mann an die Tür neben dem Fahrersitz. Er zog eine 9-mm-Pistole und schoss sechsmal
durch die Scheibe. Ergun sank tot hinter dem Lenkrad zusammen. Bevor der Killer
im Menschengewühl der Schottentor-Passage untertauchte, warf er noch ein weißes
Tuch über das blutüberströmte Gesicht seines Opfers. Darauf waren mit
Kugelschreiber in Großbuchstaben die Zeichen der ARA gemalt.
Vor der Schottengasse Nr. 10 hatte sich der Killer postiert (Foto: Autor) |
Schutz und Aufklärung mangelhaft
„Die
österreichischen Behörden werden nichts unversucht lassen, diese
verabscheuungswürdige Tat aufzuklären“, hatte Bundeskanzler Fred Sinowatz nach
dem Anschlag auf Erdogan Özen an den türkischen Ministerpräsidenten
telegrafiert. In allen Fällen hatte sich die armenischen Gruppen dazu bekannt, aber es gelang
nie, die Täter auszuforschen. Diese hatten sich umgehend ins Ausland abgesetzt,
lautete jedes Mal die knappe Erkenntnis der Staatspolizei. Als das türkische
Außenministerium nach dem dritten Mord kritisch anmerkte, die Armenier hätten
sich Wien als „bequemsten Ort“ für Anschläge ausgesucht, wies das das
Innenministerium zurück. Eineinhalb Jahre zuvor hatten sich die türkischen
Botschaftsangehörigen beschattet gefühlt – diesbezügliche Ermittlungen hatten
aber nichts ergeben. Die ARA selbst teilte nach dem Mord an Ergun mit, Wien
wegen „seines symbolischen Wertes“ als Anschlagsort ausgesucht zu haben und drohte:
„Wir werden bald wieder zuschlagen.“ Der Terror endete zwar erst Anfang der
1990er Jahre, aber es kam nach 1984 zu keinem Attentat armenischer Organisationen in Österreich mehr.
Die
Terrorwelle machte dafür Defizite bei der inneren Sicherheit deutlich – so war
das Attentat auf Botschafter Tunaligil 1975 vor allem deswegen möglich gewesen,
weil die Killer in das Gebäude vordringen konnten. Hier hatte einerseits das
türkische Sicherheitspersonal versagt – andererseits ging die ungehinderte
Flucht der Terroristen „zu Lasten der österreichischen Behörden“, wie Erich
Grolig in der „Presse“ kritisierte: Vielleicht seien diese „selbst Opfer eines
von der Spitze her verbreiteten Gefühls der Laxheit“ geworden, „auf dieser
‚Insel der Seligen’ werde schon nichts geschehen“. Laut Artikel 22 des „Wiener
Übereinkommens über diplomatische Beziehungen“ ist der Empfangsstaat
verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zum Schutz der ausländischen Mission zu
treffen. „Weiterwursteln ist das Bequemere und kostet auch nichts. Doch wie
gesagt, nun liegt ein toter Botschafter auf dem Wiener Parkett. Vielleicht
sollt man doch etwas tun?“, fragte Grolig zugespitzt. So war die Kriminalpolizei frühzeitig über den Terrorüberfall informiert worden ("Der Botschafter ist ermordet worden"): "Aber erst nach dem Rettungsarzt darf Wiens Polizei an den Tatort in der Prinz Eugen Straße Nr. 40. Denn die Botschaftsangehörigen sind zunächst der Meinung, dass man den Tod ihres Chefs der Öffentlichkeit verheimlichen soll. Sie verlangen von den österreichischen Behörden eine totale Nachrichtensperre. Erst nach einem Telefonat mit dem Außenministerium in Ankara und einstündigem Palaver gestatteten türkische Diplomaten den Erhebungsbeamten der Wiener Polizei den Eintritt in die Büroräume der Botschaft." Obgleich Polizeistreifen innerhalb von 15 Minuten die Botschaft abriegelten, die Bahnhöfe überwacht und Einsatzkommandos an die Ausfallstraßen dirigiert wurden, waren die Chancen der Fahndung wegen noch fehlender Täterbeschreibungen "gleich null", recherchierte "profil". Die Polizei hatte "kostbare Minuten" verloren, weil sie noch um die Erlaubnis, die Angestellten der Botschaft zu befragen, hatte verhandeln müssen.
Nur wenige Monate nach dem Anschlag auf Tunaligil, am 21. Dezember 1975 sollte übrigens Carlos der „Schakal“ das Wiener OPEC-Hauptquartier überfallen. Auch hier gab es im Nachhinein viel Kritik, ob die Objektschutzmaßnahmen ausreichend gewesen waren. Aber wie das tragische Beispiel des Polizisten Smetaczek zeigte, konnte die tödliche Gefahr auch plötzlich aus unerwarteter Richtung kommen.
Nur wenige Monate nach dem Anschlag auf Tunaligil, am 21. Dezember 1975 sollte übrigens Carlos der „Schakal“ das Wiener OPEC-Hauptquartier überfallen. Auch hier gab es im Nachhinein viel Kritik, ob die Objektschutzmaßnahmen ausreichend gewesen waren. Aber wie das tragische Beispiel des Polizisten Smetaczek zeigte, konnte die tödliche Gefahr auch plötzlich aus unerwarteter Richtung kommen.
Der letzte Mord der ARA in Wien - Meldung in der Arbeiter-Zeitung (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at) |