Sonntag, 25. Mai 2014

Monzer Al-Kassar: Die Verbindungen des „Lord of War“ nach Österreich

Die Rolle Österreichs im internationalen Waffenhandel ist zuletzt durch die Tätigkeit des Rüstungslobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly zur Diskussion gestanden. Aber schon während des Kalten Krieges operierte auch von Wien aus einer der berüchtigtsten Waffenhändler: Der syrisch stämmige Monzer Al Kassar (geboren 1945). Er wurde 2008 von einem US-amerikanischen Bundesgericht wegen eines Waffendeals wegen Geldwäsche und Terrorismusunterstützung zu einer 30jährigen Haftstrafe verurteilt. In den 1980er Jahren war Al Kassar auch in Österreich stark präsent gewesen: Er unterhielt enge Beziehungen zu Spitzenpolitikern, wohnte in einer Villa am Kaasgraben in Wien-Sievering und war in den Noricum-Skandal rund um illegale Waffenlieferungen verwickelt. Im „Reader’s Digest“ vom August 1986 wurde Österreich deswegen auch scharf kritisiert, weil es nichts gegen diese Machenschaften auf seinem Territorium unternehme: „Monzer Al Kassar is but one of 200 arms dealers who supply outlaw nations in the Middle East from or through Austria. He is also an example how official corruption and voter indifference have transformed Austria into a major avenue for terrorist operations throughout Europe.”

Büro Alkastronic in Wien
1983 gründete Al Kassar in der Wiener Zelinkagasse Nr. 2 die Firma Alkastronic – Zweck: „Handel mit Waren aller Art, insbesondere mit elektronischen Bauelementen.“ Damit sollen hauptsächlich Telex- und Telefaxgeräte deutscher und österreichischer Herkunft gemeint gewesen sein. Nur drei Jahre später, im September 1986, wurde die Alkastronic wieder geschlossen und aus dem Handelsregister gestrichen. Zuvor hatte die Staatspolizei am 10. Dezember 1985 eine Razzia durchgeführt – es konnte „eindeutig festgestellt“ werden, dass die Firma Alkastronic in Wien „hauptsächlich in der Vermittlung von Waffengeschäften tätig ist“. Diese wurden durch die Mitarbeiter Henry Majocyk und Tadeusz Koperwas, Mitglieder des polnischen Nachrichtendiensts, durchgeführt. „Der Transport geht meistens auf dem Landweg nach Jugoslawien, zum Verladehafen Kardeljevo und von dort per Schiff zum Zielort. Ein Großteil der Lieferungen ging in den Iran, wobei dies jedoch durch ein anderes Abnehmerland verschleiert wurde. Weitere Abnehmer waren Panama, Honduras, Ägypten und Yemen“, so der staatspolizeiliche Bericht.

Wien, Zelinkagasse: Ehemaliger Firmensitz der Alkastronic

Die Hausdurchsuchung wurde mit dem Verdacht auf Terrorunterstützung (Waffenbeschaffung) begründet: „ Diese Vorgänge sollen unter dem Deckmantel der Firma Alkastronic durchgeführt werden, […].“ Die zuständige Untersuchungsrichterin meinte jedoch im Nachhinein zu „profil“: „Die ganze Sache hat viel gekostet wegen der Übersetzungen. Einen Beweis für eine strafbare Handlunge haben wir nicht gefunden.“ Was die damaligen Ermittler nicht wussten: Die Alkastronic hatte nachweislich Geschäftskontakte mit der in Warschau angesiedelten SAS Trading Company, die zur Abu Nidal Organisation (ANO) gehörte, die 1981 und 1985 auch Anschläge in Österreich verübt hatte. Zwei Rechnungen, vom 9. März und vom 3. April 1984, betrafen Geschäfte mit der SAS. Am 9. März wurden der SAS Company 200 Stück 6,35 mm FN Baby Pistolen, 200 Stück 7,65 mm Falcon-Pistolen, drei Stück CUP-Pistolen, 100 Stück 9 mm SIG-Pistolen mit Schalldämpfer und 50 Stück 7,65 SIG-Pistolen, ebenfalls mit Schalldämpfer sowie eine „größere Anzahl Munition“ in Rechnung gestellt. Der Gesamtbetrag machte 228.560 Dollar aus. Die zweite Rechnung vom 3. April 1984 lautete auf 20.000 Stück 7,65 mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur. In diesem Fall lautete der Gesamtbetrag auf 9.980 Dollar.

Der damalige Innenminister Karl Blecha betont im Interview mit dem Autor: „Ich habe Al Kassar nie persönlich getroffen, aber kannte ihn aus allen möglichen Berichten. Wir haben alles daran gesetzt, um ihn loszuwerden, was uns gelungen ist. Al Kassar war deshalb auf uns sehr wütend, soweit ich das weiß.“ So wurde Al Kassar bei seinen Aufenthalten in Wien von der Staatspolizei beschattet. Die Maßnahme war aber nicht wirklich erfolgreich, wie sich ein weiterer Zeitzeuge, der langjährige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien Schwechat, Alfred Rupf, erinnert: „In Österreich wurde Monzer Al Kassar von der Ankunft bis zum Abflug observiert und teilweise abgehört. Es konnte ihm aber nie eine strafbare Handlung zur Last gelegt werden. Er war sich der Überwachung bewusst, dies ist soweit gegangen, dass er sich den Spaß gemacht hat und uns angerufen und seine Ankunft mitgeteilt hat, um uns seine ‚Observierung zu erleichtern‘. Damals hatten einige der zuständigen Beamten offensichtlich den Film Serpico gesehen und sich ähnlich ‚verwegen’ gekleidet wie die Hauptfigur. Das wäre okay gewesen, hätten die Ermittlungen das Suchtgiftmilieu betroffen, aber wenn man jemand beschattet, der in Nobel-Hotels absteigt, dann muss man sich dem Milieu anpassen und nicht so gekleidet, ungepflegt, bärtig und zottelig auftreten, dass man bereits vom Portier aufgehalten wird und sich ausweisen muss. So hat Monzer Al-Kassar bereits vom ersten Tag an gewusst, dass er beschattet wird und hat sich dementsprechend verhalten. Außerdem war er sehr vorsichtig, da er die Praxis verschiedener Geheimdienste kannte. Er reiste ohne Großgepäck, damit er sicher sein konnte, dass ihm nicht irgend jemand ev. etwas in sein Gepäck legen könnte (z.B. Drogen od. Waffen) um ihn dann anonym zu verpfeifen.“

Verwicklung Al Kassars in den Noricum-Skandal
Der sogenannte Noricum-Skandal hat das politische System der Zweiten Republik zwischen 1985 und 1993 nachhaltig erschüttert. Er entzündete sich rund um eine Reihe von Waffengeschäften mit Irak und Iran, während sich diese Staaten im Ersten Golfkrieg (1980-1988) bekämpften. Dabei handelte es sich um einen klaren Verstoß gegen das österreichische Kriegsmaterialexportgesetz, dass den Waffenverkauf an kriegführende Staaten untersagte. Um den tatsächlichen Abnehmer der zu verschleiern, bediente man sich unter anderem Al Kassars, der zu diesem Zweck entsprechende Endverbraucherzertifikate beschaffte.

Gegen Bezahlung einer fünf prozentigen Provision vermittelte Al Kassars Firma Overseas Company Anfang 1986 das „Argentiniengeschäft“ über 18.000 Granaten für die Firma Hirtenberger. Der tatsächliche Abnehmer war der Iran, während die Hirtenberger als Sublieferant der Noricum fungierte. Im Jänner 1985 und Oktober 1986 traf der Noricum-Geschäftsführer Al Kassar in Marbella zwecks Beschaffung eines argentinischen Endverbraucherzertifikats für eine Teillieferung an den Iran (Volumen: 60 GHN-45 Kanonen). Al Kassars „Overseas Company“ soll dafür eine Provision von 41,7 Millionen Schilling erhalten haben. Schließlich schob Al Kassar 1986/87 für ein „Polengeschäft“ der Firma Hirtenberger mit einem Volumen von 600.000 Stück Werfergranaten die Firma Czenin, die staatliche Außenhandelsorganisation Polens, als Abnehmer vor.

Konsequenzen hatten diese Vorgänge für Al Kassar nicht – die zuständige Einsatzgruppe für die Bekämpfung des Terrorismus (EBT) berichtete 1988: „Von Seiten des Gerichtes sind trotz ausführlicher Information keine Schritte gegen Al Kassar Monzer beabsichtigt.“ Ein EBT-Spitzenbeamter hatte Al Kassar am 10. Jänner 1988 in einem Wiener Hotel zu einem Geheimgespräch getroffen: „Al Kassar M. gab ohne Umschweife zu, die Geschäftspartner zusammengebracht zu haben. Im Sommer 1986 trafen sich dann auch Vertreter des Verteidigungsministers bei ihm in Marbella. Soweit sich Al Kassar erinnerte, wurde das EUC [Enduser Certificate] für die Waffenprodukte via Argentinischer Botschaft in Madrid besorgt.“ Angesprochen darauf, „ob es sich bei dem wahren Empfängerland nicht um den Iran gehandelt hat, stellte sich Al Kassar unwissend“.

Aus einem Bericht des Innenministeriums geht weiters hervor: „Eine Behauptung oder ein Nachweis für die Fälschung der argentinischen EUC durch Al Kassar Monzer liegt nicht vor, sein Verhalten in Marbella ist das eines Ausländers im Ausland und fällt aus diesem Grund nicht unter die österr. Strafgerichtsbarkeit. Auch auf ein Anbot, Kassar niederschriftlich zu den beiden argentinischen Waffengeschäften zu befragen, ging der Untersuchungsrichter nicht ein.“ Dabei wäre Al Kassar ein vielversprechender Zeuge gewesen, wie das Gutachten zum Noricum-Verfahren festhält: „Die Verträge mit ‚Argentinien’ der Hirtenberger und der Noricum sind in einer Anwaltskanzlei in Marbella in Anwesenheit von Al Kassar unterzeichnet worden, […].“

Im Interview mit „Basta“ äußerte sich Al Kasser folgendermaßen über seine Rolle: „Sie haben mich angefleht – bei Ihnen sagt man: Auf den Knien sind sie gekommen – mit der Bitte, zu helfen, ihre marode Industrie wieder in Schwung zu bringen. Von Tausenden Arbeitslosen war die Rede. […] Ich brachte ihre Verstaatlichte mit der argentinischen und brasilianischen Regierung zusammen. Genauso wie ich Kontakte nach Polen legte. Für diese Vermittlung wurde ich bezahlt.“

Vernetzung Al Kassars in Österreich
Obgleich mit Aufenthaltsverbot belegt, pflegte Al Kassar enge Kontakte zu einflussreichen Politiker und Geschäftsleuten: Leopold Gratz, Norbert Steger und Udo Proksch. Gegenüber einem Beamten der EBT gab Al Kassar 1988 an: „Es sei richtig, dass er Mag. Gratz in Wien getroffen hat und ihn auch außerhalb Wiens während eines Krankenhausaufenthaltes besuchte. Al Kassar stellte jedoch entschieden in Abrede, dass der seinerzeitige Außenminister Gratz bei ihm in Marbella war. Er lernte Mag. Gratz vermutlich im Cafe Demel bei Udo Proksch kennen. Udo Proksch bezeichnete er als seltsamen, lustigen Kautz, der ihn […] in Marbella besuchte.“ Laut einem Bericht der Wochenpresse sei Proksch „begierig“ gewesen, den Waffenhändler näher kennen zu lernen und man habe sich auch von Anfang an bestens verstanden. Al Kassar hätten nur die Demel-Köstlichkeiten gemundet, sondern er war auch von den politischen und wirtschaftlichen Kontakten Prokschs angetan.

Al Kassars Versuch, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, scheiterte jedoch, weil Innenminister Karl Blecha den Außenminister Norbert Steger entsprechend warnte. In diesem Zusammenhang erging ein Brief des Anwalts von Al Kassar an Bundeskanzler Fred Sinowatz am 8. Jänner 1986: „Mein Klient hatte die Absicht sich in Österreich niederzulassen und strebte die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an. Al Kassar wollte bedeutende Investitionen in Österreich vornehmen. […] Herr Al Kassar beschäftigt sich mit dem Vertrieb von Waffen, militärischen Fahrzeugen und Ersatzteilen für diese Waren. Über die österr. Firma wurde in erster Linie Ersatzteillieferungen für Militärfahrzeuge abgewickelt. Dieser Ersatzteilvertrieb erfolgte in Zusammenarbeit mit dem polnischen Außenhandelsministerium.“

Verbindungen Al Kassars zum internationalen Terrorismus
Aus Unterlagen des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geht hervor, dass Al Kassar gemeinsam mit seinem Bruder Ghasan von Syrien in weitreichende kriminelle Machenschaften verstrickt waren: „Sie sollen einem Imperium legaler und illegaler Geschäfte vorstehen und den internationalen Waffen- und Rauschgifthandel im Werte von Millionen Dollar kontrollieren. Sie würden über Zugang zu den Hauptwaffenherstellern verfügen und seien somit in der Lage, ihren Kunden komplette Angebote an Waffen und Ausrüstung zu offerieren. Desweiteren hätten sie weitgefächerte Kontakte in Regierungskreise und im Privatsektor.“

Monzers Bruder Ghasan zählte zum Führungspersonal einer palästinensischen Terrorgruppe, der „Arabischen Organisation des 15. Mai“. Dabei handelte es sich um die Nachfolgeorganisation des PLFP-Spezialkommandos, das in den 1970er Jahren mit einer Reihe spektakulärer Attentate auf sich aufmerksam gemacht hatte. Ihr damaliger Anführer Wadi Haddad gilt heute als „Pate“ des internationalen Terrorismus. Nachdem er 1978 unter ungeklärten Umständen verstarb (man vermutet ein Giftattentat des Mossad), spaltete sich seine Gruppe in drei verschiedene Organisationen – die „Arabische Organisation des 15. Mai“ war eine davon. In Aden angesiedelt, verwaltete die Gruppe das Vermögen von Haddad (laut Schätzungen des MfS zwischen 30 und 40 Millionen Dollar), beschränkte sich aber auf Aktivitäten im logistischen und kommerziellen Bereich.

Diese Gruppe war auf Grund ihrer zahlenmäßigen Schwäche, loser Organisation und mangels einer politischen Linie Mitte der 1980er Jahre nicht mehr „aktionsfähig“. Das Hauptbetätigungsfeld der führenden Mitglieder war zu diesem Zeitpunkt schon längst der internationale Waffenhandel. Ghasan Al-Kassar war Stellvertreter des Anführers der „Arabischen Organisation des 15. Mai“, Abu Mohammed, und verantwortlich für die Waffeneinkäufe. Vom 21. September bis zum 1. Oktober 1982 hielt er sich in Ost-Berlin auf, um Gespräche mit IMES, einer Firma des DDR-Außenhandelsministeriums, zu führen. „Dabei ging es um den Kauf von Maschinenwaffen“, heißt es in einem Stasi-Bericht und weiter: „Konkrete Vereinbarungen wurden noch nicht getroffen, da dem Vertreter der Fa. IMES von einer bulgarischen Waffenfirma avisiert wurde, dass der jüngere Bruder des AL-Kassar die von ihr verkauften Maschinenpistolen auf dem Schwarzmarkt verkauft habe.“ Im Zeitraum 1982-1984 soll Ghasan Al Kassar vom DDR-Verteidigungsministerium mehrfach Waffen und Munition gekauft haben. Er gab an, damit „progressive Kräfte“ in verschiedenen arabischen Ländern unterstützen zu wollen. Tatsächlich ging ein Großteil der Waffen an die Mujaheddin in Afghanistan, die damals gegen die Rote Armee kämpften.

Die Verbindungen der Kassar-Brüder reichten aber auch zu anderen terroristischen Gruppen: Zur Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLFP) und der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas sowie über „indirekte Kontakte“ zum Anführer der Palästinensischen Befreiungsfront, Abu Abbas. Dessen Gruppe entführte 1985 das italienische Kreuzfahrtschiff Achille Lauro. Weiters sollen die Kassar-Brüder über ihr so genanntes „Intersecting Gray-Arms Network“ in kommerzieller Beziehung zur Abu Nidal-Organisation gestanden haben. Diese Geschäfte waren große Gewinne ab, die wiederum extremistischen Organisationen zuflossen: „Westliche Regierungen gehen davon aus, dass die enormen Werte, welche die Kassar-Brüder aus dem Waffen- und Drogenhandel ziehen, Quelle zur Finanzierung verschiedenster Terrorgruppen darstellen.“

Zur Person Al Kassar hielt das MfS zusammenfassend fest: „Die Reisetätigkeit erstreckt sich besonders auf Sofia, Warschau, Ostberlin, Madrid, Budapest und westeuropäische Hauptstädte. Er unterhält umfangreiche Kontakte zu Waffen- und Rauschgiftschmugglern, […]. Mit Hilfe von Saki Helou [ranghohes Mitglied in der „Arabischen Organisation des 15. Mai“] realisiert er Waffengeschäfte von Bulgarien und der DDR nach Südjemen. Er unterhält gute Kontakte zu Mitgliedern der PLO-Sicherheit (Abu Ayad, Atef Bseiso, Abu Daud). […] Al-Kassar hat Kontakte zur CIA. Er reist mit einem Privatflugzeug unter ständiger Bewachung. […] In Spanien ist er Inhaber eines Reisebüros.“