Die Rolle Österreichs im internationalen Waffenhandel
ist zuletzt durch die Tätigkeit des Rüstungslobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly
zur Diskussion gestanden. Aber schon während des Kalten Krieges operierte auch
von Wien aus einer der berüchtigtsten Waffenhändler: Der syrisch stämmige Monzer
Al Kassar (geboren 1945). Er wurde 2008 von einem US-amerikanischen
Bundesgericht wegen eines Waffendeals wegen Geldwäsche und
Terrorismusunterstützung zu einer 30jährigen Haftstrafe verurteilt. In den
1980er Jahren war Al Kassar auch in Österreich stark präsent gewesen: Er
unterhielt enge Beziehungen zu Spitzenpolitikern, wohnte in einer Villa am
Kaasgraben in Wien-Sievering und war in den Noricum-Skandal rund um illegale
Waffenlieferungen verwickelt. Im „Reader’s Digest“ vom August 1986 wurde
Österreich deswegen auch scharf kritisiert, weil es nichts gegen diese
Machenschaften auf seinem Territorium unternehme: „Monzer Al Kassar is but one
of 200 arms dealers who supply outlaw nations in the Middle East from or
through Austria. He is also an
example how official corruption and voter indifference have transformed Austria into a major avenue for terrorist
operations throughout Europe .”
Büro Alkastronic in Wien
1983 gründete Al Kassar in
der Wiener Zelinkagasse Nr. 2 die Firma Alkastronic – Zweck: „Handel mit Waren
aller Art, insbesondere mit elektronischen Bauelementen.“ Damit sollen
hauptsächlich Telex- und Telefaxgeräte deutscher und österreichischer Herkunft
gemeint gewesen sein. Nur drei Jahre später, im September 1986, wurde die
Alkastronic wieder geschlossen und aus dem Handelsregister gestrichen. Zuvor
hatte die Staatspolizei am 10. Dezember 1985 eine Razzia durchgeführt – es
konnte „eindeutig
festgestellt“ werden, dass die Firma Alkastronic in Wien „hauptsächlich in der
Vermittlung von Waffengeschäften tätig ist“. Diese wurden durch die Mitarbeiter
Henry Majocyk und Tadeusz Koperwas, Mitglieder des polnischen
Nachrichtendiensts, durchgeführt. „Der Transport geht meistens auf dem Landweg
nach Jugoslawien, zum Verladehafen Kardeljevo und von dort per Schiff zum
Zielort. Ein Großteil der Lieferungen ging in den Iran, wobei dies jedoch durch
ein anderes Abnehmerland verschleiert wurde. Weitere Abnehmer waren Panama,
Honduras, Ägypten und Yemen“, so der staatspolizeiliche Bericht.
Wien, Zelinkagasse: Ehemaliger Firmensitz der Alkastronic |
Die Hausdurchsuchung wurde
mit dem Verdacht auf Terrorunterstützung (Waffenbeschaffung) begründet: „ Diese
Vorgänge sollen unter dem Deckmantel der Firma Alkastronic durchgeführt werden,
[…].“ Die
zuständige Untersuchungsrichterin meinte jedoch im Nachhinein zu „profil“: „Die
ganze Sache hat viel gekostet wegen der Übersetzungen. Einen Beweis für eine
strafbare Handlunge haben wir nicht gefunden.“ Was die damaligen Ermittler nicht
wussten: Die Alkastronic hatte nachweislich Geschäftskontakte mit der in
Warschau angesiedelten SAS Trading Company, die zur Abu Nidal Organisation (ANO)
gehörte, die 1981 und 1985 auch Anschläge in Österreich verübt hatte. Zwei
Rechnungen, vom 9. März und vom 3. April 1984, betrafen Geschäfte mit der SAS.
Am 9. März wurden der SAS Company 200 Stück 6,35 mm FN Baby Pistolen, 200 Stück
7,65 mm Falcon-Pistolen, drei Stück CUP-Pistolen, 100 Stück 9 mm SIG-Pistolen
mit Schalldämpfer und 50 Stück 7,65 SIG-Pistolen, ebenfalls mit Schalldämpfer
sowie eine „größere Anzahl Munition“ in Rechnung gestellt. Der Gesamtbetrag
machte 228.560 Dollar aus. Die zweite Rechnung vom 3. April 1984 lautete auf
20.000 Stück 7,65 mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur. In
diesem Fall lautete der Gesamtbetrag auf 9.980 Dollar.
Der damalige Innenminister Karl Blecha betont im Interview mit dem Autor:
„Ich habe Al Kassar nie persönlich getroffen, aber kannte ihn aus allen
möglichen Berichten. Wir haben alles daran gesetzt, um ihn loszuwerden, was uns
gelungen ist. Al Kassar war deshalb auf uns sehr wütend, soweit ich das weiß.“
So wurde Al Kassar bei seinen Aufenthalten in Wien von der Staatspolizei
beschattet. Die Maßnahme war aber nicht wirklich erfolgreich, wie sich ein
weiterer Zeitzeuge, der langjährige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen
Wien Schwechat, Alfred Rupf, erinnert: „In Österreich wurde Monzer Al Kassar
von der Ankunft bis zum Abflug observiert und teilweise abgehört. Es konnte ihm
aber nie eine strafbare Handlung zur Last gelegt werden. Er war sich der
Überwachung bewusst, dies ist soweit gegangen, dass er sich den Spaß gemacht
hat und uns angerufen und seine Ankunft mitgeteilt hat, um uns seine
‚Observierung zu erleichtern‘. Damals hatten einige der zuständigen Beamten
offensichtlich den Film Serpico gesehen und sich ähnlich ‚verwegen’ gekleidet
wie die Hauptfigur. Das wäre okay gewesen, hätten die Ermittlungen das
Suchtgiftmilieu betroffen, aber wenn man jemand beschattet, der in Nobel-Hotels
absteigt, dann muss man sich dem Milieu anpassen und nicht so gekleidet,
ungepflegt, bärtig und zottelig auftreten, dass man bereits vom Portier
aufgehalten wird und sich ausweisen muss. So hat Monzer Al-Kassar bereits vom
ersten Tag an gewusst, dass er beschattet wird und hat sich dementsprechend
verhalten. Außerdem war er sehr vorsichtig, da er die Praxis verschiedener
Geheimdienste kannte. Er reiste ohne Großgepäck, damit er sicher sein konnte,
dass ihm nicht irgend jemand ev. etwas in sein Gepäck legen könnte (z.B. Drogen
od. Waffen) um ihn dann anonym zu verpfeifen.“
Verwicklung Al Kassars in den Noricum-Skandal
Der sogenannte
Noricum-Skandal hat das politische System der Zweiten Republik zwischen 1985
und 1993 nachhaltig erschüttert. Er entzündete sich rund um eine Reihe von
Waffengeschäften mit Irak und Iran, während sich diese Staaten im Ersten
Golfkrieg (1980-1988) bekämpften. Dabei handelte es sich um einen klaren
Verstoß gegen das österreichische Kriegsmaterialexportgesetz, dass den
Waffenverkauf an kriegführende Staaten untersagte. Um den tatsächlichen
Abnehmer der zu verschleiern, bediente man sich unter anderem Al Kassars, der
zu diesem Zweck entsprechende Endverbraucherzertifikate beschaffte.
Gegen Bezahlung einer fünf
prozentigen Provision vermittelte Al Kassars Firma Overseas Company Anfang 1986
das „Argentiniengeschäft“ über 18.000 Granaten für die Firma Hirtenberger. Der
tatsächliche Abnehmer war der Iran, während die Hirtenberger als Sublieferant
der Noricum fungierte. Im Jänner 1985 und Oktober 1986 traf der
Noricum-Geschäftsführer Al Kassar in Marbella zwecks Beschaffung eines
argentinischen Endverbraucherzertifikats für eine Teillieferung an den Iran
(Volumen: 60 GHN-45 Kanonen). Al Kassars „Overseas Company“ soll dafür eine
Provision von 41,7 Millionen Schilling erhalten haben. Schließlich schob Al
Kassar 1986/87 für ein „Polengeschäft“ der Firma Hirtenberger mit einem Volumen
von 600.000 Stück Werfergranaten die Firma Czenin, die staatliche
Außenhandelsorganisation Polens, als Abnehmer vor.
Konsequenzen hatten diese
Vorgänge für Al Kassar nicht – die zuständige Einsatzgruppe für die Bekämpfung
des Terrorismus (EBT) berichtete 1988: „Von Seiten des Gerichtes sind trotz
ausführlicher Information keine Schritte gegen Al Kassar Monzer beabsichtigt.“
Ein EBT-Spitzenbeamter hatte Al Kassar am 10. Jänner 1988 in einem Wiener Hotel
zu einem Geheimgespräch getroffen: „Al Kassar M. gab ohne Umschweife zu, die
Geschäftspartner zusammengebracht zu haben. Im Sommer 1986 trafen sich dann
auch Vertreter des Verteidigungsministers bei ihm in Marbella. Soweit sich Al
Kassar erinnerte, wurde das EUC [Enduser Certificate] für die Waffenprodukte
via Argentinischer Botschaft in Madrid besorgt.“ Angesprochen darauf, „ob es
sich bei dem wahren Empfängerland nicht um den Iran gehandelt hat, stellte sich
Al Kassar unwissend“.
Aus einem Bericht des
Innenministeriums geht weiters hervor: „Eine Behauptung oder ein Nachweis für
die Fälschung der argentinischen EUC durch Al Kassar Monzer liegt nicht vor,
sein Verhalten in Marbella ist das eines Ausländers im Ausland und fällt aus
diesem Grund nicht unter die österr. Strafgerichtsbarkeit. Auch auf ein Anbot,
Kassar niederschriftlich zu den beiden argentinischen Waffengeschäften zu
befragen, ging der Untersuchungsrichter nicht ein.“ Dabei wäre Al Kassar ein
vielversprechender Zeuge gewesen, wie das Gutachten zum Noricum-Verfahren
festhält: „Die Verträge mit ‚Argentinien’ der Hirtenberger und der Noricum sind
in einer Anwaltskanzlei in Marbella in Anwesenheit von Al Kassar unterzeichnet
worden, […].“
Im Interview mit „Basta“
äußerte sich Al Kasser folgendermaßen über seine Rolle: „Sie haben mich
angefleht – bei Ihnen sagt man: Auf den Knien sind sie gekommen – mit der
Bitte, zu helfen, ihre marode Industrie wieder in Schwung zu bringen. Von
Tausenden Arbeitslosen war die Rede. […] Ich brachte ihre Verstaatlichte mit
der argentinischen und brasilianischen Regierung zusammen. Genauso wie ich
Kontakte nach Polen legte. Für diese Vermittlung wurde ich bezahlt.“
Vernetzung Al Kassars in Österreich
Obgleich mit
Aufenthaltsverbot belegt, pflegte Al Kassar enge Kontakte zu einflussreichen
Politiker und Geschäftsleuten: Leopold Gratz, Norbert Steger und Udo Proksch. Gegenüber
einem Beamten der EBT gab Al Kassar 1988 an: „Es sei richtig, dass er Mag.
Gratz in Wien getroffen hat und ihn auch außerhalb Wiens während eines
Krankenhausaufenthaltes besuchte. Al Kassar stellte jedoch entschieden in
Abrede, dass der seinerzeitige Außenminister Gratz bei ihm in Marbella war. Er
lernte Mag. Gratz vermutlich im Cafe Demel bei Udo Proksch kennen. Udo Proksch
bezeichnete er als seltsamen, lustigen Kautz, der ihn […] in Marbella
besuchte.“ Laut einem Bericht der Wochenpresse sei Proksch „begierig“ gewesen,
den Waffenhändler näher kennen zu lernen und man habe sich auch von Anfang an
bestens verstanden. Al Kassar hätten nur die Demel-Köstlichkeiten gemundet,
sondern er war auch von den politischen und wirtschaftlichen Kontakten Prokschs
angetan.
Al Kassars Versuch, die
österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, scheiterte jedoch, weil
Innenminister Karl Blecha den Außenminister Norbert Steger entsprechend warnte.
In diesem Zusammenhang erging ein Brief des Anwalts von Al Kassar an
Bundeskanzler Fred Sinowatz am 8. Jänner 1986: „Mein Klient hatte die Absicht
sich in Österreich niederzulassen und strebte die Verleihung der
österreichischen Staatsbürgerschaft an. Al Kassar wollte bedeutende
Investitionen in Österreich vornehmen. […] Herr Al Kassar beschäftigt sich mit
dem Vertrieb von Waffen, militärischen Fahrzeugen und Ersatzteilen für diese
Waren. Über die österr. Firma wurde in erster Linie Ersatzteillieferungen für
Militärfahrzeuge abgewickelt. Dieser Ersatzteilvertrieb erfolgte in
Zusammenarbeit mit dem polnischen Außenhandelsministerium.“
Verbindungen Al Kassars zum internationalen
Terrorismus
Aus Unterlagen des
ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geht hervor, dass Al
Kassar gemeinsam mit seinem Bruder Ghasan von Syrien in weitreichende
kriminelle Machenschaften verstrickt waren: „Sie sollen einem Imperium legaler
und illegaler Geschäfte vorstehen und den internationalen Waffen- und
Rauschgifthandel im Werte von Millionen Dollar kontrollieren. Sie würden über
Zugang zu den Hauptwaffenherstellern verfügen und seien somit in der Lage,
ihren Kunden komplette Angebote an Waffen und Ausrüstung zu offerieren. Desweiteren
hätten sie weitgefächerte Kontakte in Regierungskreise und im Privatsektor.“
Monzers Bruder Ghasan zählte
zum Führungspersonal einer palästinensischen Terrorgruppe, der „Arabischen
Organisation des 15. Mai“. Dabei handelte es sich um die Nachfolgeorganisation
des PLFP-Spezialkommandos, das in den 1970er Jahren mit einer Reihe
spektakulärer Attentate auf sich aufmerksam gemacht hatte. Ihr damaliger
Anführer Wadi Haddad gilt heute als „Pate“ des internationalen Terrorismus.
Nachdem er 1978 unter ungeklärten Umständen verstarb (man vermutet ein
Giftattentat des Mossad), spaltete sich seine Gruppe in drei verschiedene
Organisationen – die „Arabische Organisation des 15. Mai“ war eine davon. In
Aden angesiedelt, verwaltete die Gruppe das Vermögen von Haddad (laut
Schätzungen des MfS zwischen 30 und 40 Millionen Dollar), beschränkte sich aber
auf Aktivitäten im logistischen und kommerziellen Bereich.
Diese Gruppe war auf Grund
ihrer zahlenmäßigen Schwäche, loser Organisation und mangels einer politischen
Linie Mitte der 1980er Jahre nicht mehr „aktionsfähig“. Das
Hauptbetätigungsfeld der führenden Mitglieder war zu diesem Zeitpunkt schon
längst der internationale Waffenhandel. Ghasan Al-Kassar war Stellvertreter des
Anführers der „Arabischen Organisation des 15. Mai“, Abu Mohammed, und
verantwortlich für die Waffeneinkäufe. Vom 21. September bis zum 1. Oktober
1982 hielt er sich in Ost-Berlin auf, um Gespräche mit IMES, einer Firma des
DDR-Außenhandelsministeriums, zu führen. „Dabei ging es um den Kauf von
Maschinenwaffen“, heißt es in einem Stasi-Bericht und weiter: „Konkrete
Vereinbarungen wurden noch nicht getroffen, da dem Vertreter der Fa. IMES von
einer bulgarischen Waffenfirma avisiert wurde, dass der jüngere Bruder des
AL-Kassar die von ihr verkauften Maschinenpistolen auf dem Schwarzmarkt
verkauft habe.“ Im Zeitraum 1982-1984 soll Ghasan Al Kassar vom
DDR-Verteidigungsministerium mehrfach Waffen und Munition gekauft haben. Er gab
an, damit „progressive Kräfte“ in verschiedenen arabischen Ländern unterstützen
zu wollen. Tatsächlich ging ein Großteil der Waffen an die Mujaheddin in
Afghanistan, die damals gegen die Rote Armee kämpften.
Die Verbindungen der
Kassar-Brüder reichten aber auch zu anderen terroristischen Gruppen: Zur
Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLFP) und der Demokratischen Front zur
Befreiung Palästinas sowie über „indirekte Kontakte“ zum Anführer der
Palästinensischen Befreiungsfront, Abu Abbas. Dessen Gruppe entführte 1985 das
italienische Kreuzfahrtschiff Achille Lauro. Weiters sollen die Kassar-Brüder
über ihr so genanntes „Intersecting Gray-Arms Network“ in kommerzieller
Beziehung zur Abu Nidal-Organisation gestanden haben. Diese Geschäfte waren
große Gewinne ab, die wiederum extremistischen Organisationen zuflossen:
„Westliche Regierungen gehen davon aus, dass die enormen Werte, welche die Kassar-Brüder
aus dem Waffen- und Drogenhandel ziehen, Quelle zur Finanzierung
verschiedenster Terrorgruppen darstellen.“