Sonntag, 22. Juni 2014

Der Tod des Attachés: Vor 30 Jahren wurde Gerhard Loitzenbauer in Beirut ermordet

Am 23. Juni 1984 wurde der Verwaltungsattaché der österreichischen Botschaft in Beirut auf offener Straße ermordet: Es handelte sich um den 45jährigen Kriminalgruppeninspekteur Gerhard Loitzenbauer. Zugetragen soll sich folgendes: Als Loitzenbauer seinen roten Alfetta vor dem Wohnhaus im West-Beiruter Stadtteil Manara einparkte, soll er plötzlich von zwei Dieben bedroht worden sein. Loitzenbauer weigerte sich auszusteigen, woraufhin ihn ein Explosivgeschoss (Kaliber 9mm) in die Brust traf. Anschließend flüchteten die Täter mit dem Fahrzeug. Das Projektil hatte das Herz durchbohrt – für Loitzenbauer, den man noch ins amerikanische Spital in Beirut gebracht hatte, kam jede Hilfe zu spät. Die örtliche Polizei stellte den Tod des Attachés von Anfang an als „gewöhnlichen“ Raubmord ohne politischen Hintergrund dar – eine Sichtweise, die von den österreichischen Behörden übernommen wurde. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte damals zum „Kurier“: „Ohne den Untersuchungen vorgreifen zu wollen: Es sieht ganz nach dem tragischen Ausgang eines Autoraubs aus.“ Dabei war Loitzenbauer zwei Jahre zuvor schon einmal fast der Wagen gestohlen worden – weil er sich unkooperativ verhielt, schlugen ihm die Räuber nur ins Gesicht und liefen weg. Wegen dieser Erfahrung hatte er bewusst ein altes und ungewaschenes Privatauto gefahren. Reichte letzteres als Motiv für einen Mord?

„Hinrichtung als Autoraub getarnt“
An der offiziellen Darstellung sind jedenfalls immer wieder Zweifel lautgeworden: „Das waren keine Räuber, das war ein Mord im Auftrag von Waffenschiebern“, erklärte etwa der ehemalige Oberst der Kriminalpolizei und Krimi-Autor Leo Frank, der mit Loitzenbauer eng befreundet war. Frank äußerte sich auch kritisch gegenüber der Reaktion in Österreich: „Unsere Behörden haben dann mitgeholfen, diese Hinrichtung als Autoraub zu tarnen.“ Er verarbeitete den Mord in seinem Roman „Ein Fall für das jüngste Gericht“ (1987). Ähnlich wie Frank vermuteten auch die Journalisten Kurt Tozzer und Günther Kallinger einen Zusammenhang mit illegalen österreichischen Waffengeschäften in den Nahen Osten: „Offenkundig hatte Loitzenbauer zu intensiv über den Waffenhandel recherchiert. Sein Wissen nahm er mit ins Grab.“

Kreisky: „I feel deeply betrayed“
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Loitzenbauers Ermordung eine tragische Konsequenz des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus war: 1981 war ein spektakuläres Komplott des PLO-Geheimdiensts Jihaz-al-Rasd aufgedeckt worden. Offenbar war geplant gewesen, den ägyptischen Präsidenten Sadat bei einem Besuch in Österreich zu ermorden – aus Rache für den von palästinensischer Seite als „Verrat“ empfundenen Friedenschluss mit Israel in Camp David (1978). Das Unternehmen scheiterte, weil ein Waffentransport verraten worden war. Seinen Kontaktleuten bei der ostdeutschen Stasi erzählte der Leiter des Jihaz-al-Rasd, Abu Iyad, einige Jahre später: „1981 war Abu Daud [Leiter der Auslandsoperationen des Jihaz-al-Rasd] beauftragt, einen Anschlag auf den Präsidenten Ägyptens, Sadat, während dessen Besuchs in Wien zu organisieren. […] In Wien konnte er den geplanten Kontakt mit einer anderen Gruppe nicht herstellen. Auch stellte er gewisse Kontrollmaßnahmen fest. Er habe daraufhin beschlossen, sich mit dem ersten Flugzeug in Sicherheit zu bringen.“ Und zwar war am 29. Juli 1981 eine AUA-Maschine aus Beirut kommend in Schwechat gelandet. Unter den Passagieren befanden sich der 35jährige Oberstleutnant Ahmed Khidir Issa, alias „Abu Khaled“, von Arafats Leibwache „Force 17“ und sein 31jähriger Adjutant Ali Mohamed Hamed. Die beiden Palästinenser wurden von PLO-Botschafter Ghazi Hussein erwartet, als es plötzlich zum polizeilichen Zugriff kam. In den drei Koffern der Palästinenser wurden eine Kalaschnikow-Maschinenpistole, vier Sturmgewehre, sechs Handgranaten und 19 Magazine mit 525 Schuss Munition sichergestellt. Die Enttäuschung bei Bundeskanzler Bruno Kreisky, der seit Ende der 1970er Jahre viel unternommen hatte, um die PLO politisch aufzuwerten, war groß: In Bad Wörishofen auf Kur weilend, rief er eine sichere Verbindung im PLO-Hauptquartier an und sagte zu Jassir Arafat: „I feel deeply betrayed.“

Opfer eines gezielten Racheakts
Wie der damalige Innenminsiter Erwin Lanc im Interview mit dem Autor angibt, verdankte man die Warnung vor der Ankunft der Waffenschieber Loitzenbauer. Dieser befand sich seit 1979 an der Botschaft Beirut – damals der wichtigste österreichische Vorposten im Nahen Osten. Dort war Loitzenbauer kein „normaler“ Diplomat, sondern mit „Sonderaufgaben“ betraut. Dafür empfahl ihn nicht nur seine Französischkenntnisse, sondern auch seine Erfahrung: Loitzenbauer, der aus Wels stammte, war früh Beamter bei der dortigen Kriminalpolizei geworden. Er ließ sich später nach Salzburg versetzen. Danach diente er bei der UNO-Truppe auf Zypern, von wo er 1978 zurückkehrte. In Beirut war Loitzenbauer war für die Sicherheit der Botschaft zuständig und überprüfte Visa-Anträge und die Echtheit der eingereichten Pässe. Im Lauf seiner fünfjährigen Dienstzeit im Libanon hatte er sich ein Netz an Kontakten aufgebaut. So beschaffte er nachrichtendienstliche Informationen aus dem Bürgerkriegsgebiet Beirut. Auf die war Österreich dringend angewiesen, denn hierzulande gibt es bis heute keinen Auslandsgeheimdienst und die Terrorgefahr war spätestens 1981 – nach den Attentaten auf Stadtrat Heinz Nittel und die Wiener Synagoge – dramatisch angewachsen. Loitzenbauers Netzwerk, so Lanc, sei „direkt zum Generaldirektor für öffentliche Sicherheit und zu mir gegangen. Und er hat daher auch Vertrauensleute am Flughafen Beirut gehabt, die gehalten waren, ihn zu informieren, wenn da irgendetwas Verdächtiges in Destination Wien von statten geht.“ Auf diese Weise, so Lanc, sei es zur Aufdeckung des Schmuggels gekommen: Loitzenbauers Kontakt am Flughafen habe gemeldet, dass im letzten Moment zwei libanesische Passagiere samt Gepäck aus einem Wien-Flug „hinauskomplimentiert“ wurden und zwei Palästinenser die freigewordenen Plätze einnahmen. Drei Jahre später sei Loitzenbauer dann Opfer eines gezielten Racheakts geworden, wobei unklar sei, von welcher Seite.

Auch Lanc Nachfolger als Innenminister, Karl Blecha, stellte Nachforschungen an und kam zum Schluss: „Es waren libanesische Gruppierungen.“ Er sei nach dem Mord an seinem „besten Mitarbeiter im Nahen Osten“ beim Chef der Amal-Miliz, Nabil Berri, gewesen und habe diesen ohne Umschweife gesagt: „‚Das ward ihr“, was Berri abstritt. Als Blecha nachhakte und erklärte, Beweise, zu haben, „dass das keine der PLO-Gruppierungen war“, bezichtigte sein Gesprächspartner den Islamischen Jihad, einen bewaffneten Arm der proiranischen Hisbollah. Blecha erinnert sich, in Beirut aber „nicht weitergekommen“ zu sein, „aber Nabil Berri hat indirekt bestätigt, dass es nicht Palästinenser waren, also auch nicht Abu Nidals Killer“. Letzterer war für Anschläge in Österreich 1981 und 1985 verantwortlich.

„Dein Freund spielt falsch“
Ein weiterer Zeitzeuge ist Alfred Rupf, langjähriger Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien-Schwechat: „Ich habe Gerhard Loitzenbauer gut gekannt, wir waren ja gemeinsam acht Monate im Chargenkurs. Als er dann nach Beirut gegangen ist, habe ich mit ihm immer noch Verbindung gehabt und teilweise von seinen Hinweisen profitiert. Damals ist über den Libanon viel Haschisch in Umlauf kam und deswegen hatte ich auch gute Kontakte zu den dortigen polizeilichen Stellen. Da kam eines Tages Anruf eines Informanten, der mir zu Loitzenbauer kryptisch mitgeteilt hat: ‚Dein Freund spielt falsch.‘ Anscheinend sind gewisse Versprechungen nicht eingehalten worden – ich weiß nicht genau, wie und was. Einige Wochen, bevor Loitzenbauer ermordet wurde, war er in Wien, und ich habe ihm das mitgeteilt: Der Boden in Beirut ist ‚heiß‘, und ich an deiner Stelle würde schauen, das ich schnell wegkommen. Und er hat mir gesagt, er will noch ein halbes Jahr bleiben, weil er das Geld braucht und weil ihm die Aufgabe auch gefällt. Dann ist Loitzenbauer eben wieder runtergegangen, und ich habe ihn nach diesem Gespräch nicht mehr lebend gesehen.“

Rupf zufolge hat Loitzenbauers Ermordung mit bis heute geheimen sicherheitspolitischen Manövern Österreichs im Nahen Osten zu tun: „Ich glaube, dass man in Terrorismusbereich irgendwem irgendetwas zugesichert und dann nicht eingehalten hat – vom Innenministerium her. Das ist meine Vermutung. Aber eines stimmt ganz sicher nicht: Die Geschichte mit dem Autodiebstahl. Wir haben damals vermutet, dass es eine undichte Stelle gegeben hat – in der Botschaft Beirut oder im Außenamt, von der aus Informationen rausgesickert sind. Es kann ohne weiteres sein, dass so bekannt wurde, dass der Tipp, der zum Auffliegen des Waffenschmuggels führte, von Loitzenbauer gekommen ist.“

Siehe dazu auch: 
Petra Stuiber, Der unaufgeklärte Tod des geheimnisvollen Attaches, in: Der Standard, 21./22. Juni 2014
http://derstandard.at/2000002185296/Der-unaufgeklaerte-Tod-des-geheimnisvollen-Attaches