Am 23. Juni 1984 wurde
der Verwaltungsattaché der österreichischen Botschaft in Beirut auf offener
Straße ermordet: Es handelte sich um den 45jährigen Kriminalgruppeninspekteur
Gerhard Loitzenbauer. Zugetragen soll sich folgendes: Als Loitzenbauer seinen roten Alfetta vor dem Wohnhaus im West-Beiruter
Stadtteil Manara einparkte, soll er plötzlich von zwei Dieben bedroht worden
sein. Loitzenbauer weigerte sich auszusteigen, woraufhin ihn ein
Explosivgeschoss (Kaliber 9mm) in die Brust traf. Anschließend flüchteten die
Täter mit dem Fahrzeug. Das Projektil hatte das Herz durchbohrt – für
Loitzenbauer, den man noch ins amerikanische Spital in Beirut gebracht hatte,
kam jede Hilfe zu spät. Die örtliche Polizei stellte den Tod des Attachés von
Anfang an als „gewöhnlichen“ Raubmord ohne politischen Hintergrund dar – eine
Sichtweise, die von den österreichischen Behörden übernommen wurde. Ein
Sprecher des Außenministeriums sagte damals zum „Kurier“: „Ohne den
Untersuchungen vorgreifen zu wollen: Es sieht ganz nach dem tragischen Ausgang
eines Autoraubs aus.“ Dabei war Loitzenbauer zwei Jahre zuvor schon
einmal fast der Wagen gestohlen worden – weil er sich unkooperativ verhielt,
schlugen ihm die Räuber nur ins Gesicht und liefen weg. Wegen dieser Erfahrung
hatte er bewusst ein altes und ungewaschenes Privatauto gefahren. Reichte
letzteres als Motiv für einen Mord?
„Hinrichtung als
Autoraub getarnt“
An der offiziellen Darstellung sind jedenfalls immer wieder
Zweifel lautgeworden: „Das waren keine Räuber, das war ein Mord im Auftrag von
Waffenschiebern“, erklärte etwa der ehemalige Oberst der Kriminalpolizei und
Krimi-Autor Leo Frank, der mit Loitzenbauer eng befreundet war. Frank äußerte
sich auch kritisch gegenüber der Reaktion in Österreich: „Unsere Behörden haben
dann mitgeholfen, diese Hinrichtung als Autoraub zu tarnen.“ Er verarbeitete
den Mord in seinem Roman „Ein Fall für das jüngste Gericht“ (1987). Ähnlich wie
Frank vermuteten auch die Journalisten Kurt Tozzer und Günther Kallinger einen
Zusammenhang mit illegalen österreichischen Waffengeschäften in den Nahen
Osten: „Offenkundig hatte Loitzenbauer zu intensiv über den Waffenhandel
recherchiert. Sein Wissen nahm er mit ins Grab.“
Kreisky: „I feel deeply betrayed“
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Loitzenbauers Ermordung
eine tragische Konsequenz des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus
war: 1981 war ein spektakuläres Komplott des PLO-Geheimdiensts Jihaz-al-Rasd
aufgedeckt worden. Offenbar war geplant gewesen, den ägyptischen Präsidenten
Sadat bei einem Besuch in Österreich zu ermorden – aus Rache für den von
palästinensischer Seite als „Verrat“ empfundenen Friedenschluss mit Israel in
Camp David (1978). Das Unternehmen scheiterte, weil ein Waffentransport verraten
worden war. Seinen Kontaktleuten bei der ostdeutschen Stasi erzählte der Leiter
des Jihaz-al-Rasd, Abu Iyad, einige Jahre später: „1981 war Abu Daud [Leiter
der Auslandsoperationen des Jihaz-al-Rasd] beauftragt, einen Anschlag auf den
Präsidenten Ägyptens, Sadat, während dessen Besuchs in Wien zu organisieren.
[…] In Wien konnte er den geplanten Kontakt mit einer anderen Gruppe nicht
herstellen. Auch stellte er gewisse Kontrollmaßnahmen fest. Er habe daraufhin beschlossen,
sich mit dem ersten Flugzeug in Sicherheit zu bringen.“ Und zwar war am 29. Juli
1981 eine AUA-Maschine aus Beirut kommend in Schwechat gelandet. Unter den
Passagieren befanden sich der 35jährige Oberstleutnant Ahmed Khidir Issa, alias
„Abu Khaled“, von Arafats Leibwache „Force 17“ und sein 31jähriger Adjutant Ali
Mohamed Hamed. Die beiden Palästinenser wurden von PLO-Botschafter Ghazi
Hussein erwartet, als es plötzlich zum polizeilichen Zugriff kam. In den drei Koffern der Palästinenser
wurden eine Kalaschnikow-Maschinenpistole, vier Sturmgewehre, sechs
Handgranaten und 19 Magazine mit 525 Schuss Munition sichergestellt. Die
Enttäuschung bei Bundeskanzler Bruno Kreisky, der seit Ende der 1970er Jahre
viel unternommen hatte, um die PLO politisch aufzuwerten, war groß: In Bad
Wörishofen auf Kur weilend, rief er eine sichere Verbindung im
PLO-Hauptquartier an und sagte zu Jassir Arafat: „I feel deeply betrayed.“
Opfer eines gezielten
Racheakts
Wie der damalige Innenminsiter Erwin Lanc im Interview mit
dem Autor angibt, verdankte man die Warnung vor der Ankunft der Waffenschieber Loitzenbauer.
Dieser befand sich seit 1979 an der Botschaft Beirut – damals der wichtigste
österreichische Vorposten im Nahen Osten. Dort war Loitzenbauer kein „normaler“
Diplomat, sondern mit „Sonderaufgaben“ betraut. Dafür empfahl ihn nicht nur
seine Französischkenntnisse, sondern auch seine Erfahrung: Loitzenbauer, der
aus Wels stammte, war früh Beamter bei der dortigen Kriminalpolizei geworden.
Er ließ sich später nach Salzburg versetzen. Danach diente er bei der
UNO-Truppe auf Zypern, von wo er 1978 zurückkehrte. In Beirut war Loitzenbauer
war für die Sicherheit der Botschaft zuständig und überprüfte Visa-Anträge und
die Echtheit der eingereichten Pässe. Im Lauf seiner fünfjährigen Dienstzeit im
Libanon hatte er sich ein Netz an Kontakten aufgebaut. So beschaffte er
nachrichtendienstliche Informationen aus dem Bürgerkriegsgebiet Beirut. Auf die
war Österreich dringend angewiesen, denn hierzulande gibt es bis heute keinen
Auslandsgeheimdienst und die Terrorgefahr war spätestens 1981 – nach den
Attentaten auf Stadtrat Heinz Nittel und die Wiener Synagoge – dramatisch
angewachsen. Loitzenbauers Netzwerk, so Lanc, sei „direkt zum Generaldirektor
für öffentliche Sicherheit und zu mir gegangen. Und er hat daher auch
Vertrauensleute am Flughafen Beirut gehabt, die gehalten waren, ihn zu
informieren, wenn da irgendetwas Verdächtiges in Destination Wien von statten
geht.“ Auf diese Weise, so Lanc, sei es zur Aufdeckung des Schmuggels gekommen:
Loitzenbauers Kontakt am Flughafen habe gemeldet, dass im letzten Moment zwei
libanesische Passagiere samt Gepäck aus einem Wien-Flug „hinauskomplimentiert“
wurden und zwei Palästinenser die freigewordenen Plätze einnahmen. Drei Jahre
später sei Loitzenbauer dann Opfer eines gezielten Racheakts geworden, wobei
unklar sei, von welcher Seite.
Auch Lanc Nachfolger als Innenminister, Karl Blecha, stellte
Nachforschungen an und kam zum Schluss: „Es waren libanesische Gruppierungen.“
Er sei nach dem Mord an seinem „besten Mitarbeiter im Nahen Osten“ beim Chef
der Amal-Miliz, Nabil Berri, gewesen und habe diesen ohne Umschweife gesagt: „‚Das
ward ihr“, was Berri abstritt. Als Blecha nachhakte und erklärte, Beweise, zu
haben, „dass das keine der PLO-Gruppierungen war“, bezichtigte sein
Gesprächspartner den Islamischen Jihad, einen bewaffneten Arm der proiranischen
Hisbollah. Blecha erinnert sich, in Beirut aber „nicht weitergekommen“ zu sein,
„aber Nabil Berri hat indirekt bestätigt, dass es nicht Palästinenser waren,
also auch nicht Abu Nidals Killer“. Letzterer war für Anschläge in Österreich
1981 und 1985 verantwortlich.
„Dein Freund spielt
falsch“
Ein weiterer Zeitzeuge ist Alfred Rupf, langjähriger Leiter
der Kriminalpolizei am Flughafen Wien-Schwechat: „Ich habe Gerhard Loitzenbauer
gut gekannt, wir waren ja gemeinsam acht Monate im Chargenkurs. Als er dann
nach Beirut gegangen ist, habe ich mit ihm immer noch Verbindung gehabt und
teilweise von seinen Hinweisen profitiert. Damals ist über den Libanon viel
Haschisch in Umlauf kam und deswegen hatte ich auch gute Kontakte zu den
dortigen polizeilichen Stellen. Da kam eines Tages Anruf eines Informanten, der
mir zu Loitzenbauer kryptisch mitgeteilt hat: ‚Dein Freund spielt falsch.‘
Anscheinend sind gewisse Versprechungen nicht eingehalten worden – ich weiß
nicht genau, wie und was. Einige Wochen, bevor Loitzenbauer ermordet wurde, war
er in Wien, und ich habe ihm das mitgeteilt: Der Boden in Beirut ist ‚heiß‘,
und ich an deiner Stelle würde schauen, das ich schnell wegkommen. Und er hat
mir gesagt, er will noch ein halbes Jahr bleiben, weil er das Geld braucht und
weil ihm die Aufgabe auch gefällt. Dann ist Loitzenbauer eben wieder
runtergegangen, und ich habe ihn nach diesem Gespräch nicht mehr lebend gesehen.“
Rupf zufolge hat Loitzenbauers Ermordung mit bis heute
geheimen sicherheitspolitischen Manövern Österreichs im Nahen Osten zu tun: „Ich
glaube, dass man in Terrorismusbereich irgendwem irgendetwas zugesichert und
dann nicht eingehalten hat – vom Innenministerium her. Das ist meine Vermutung.
Aber eines stimmt ganz sicher nicht: Die Geschichte mit dem Autodiebstahl. Wir
haben damals vermutet, dass es eine undichte Stelle gegeben hat – in der
Botschaft Beirut oder im Außenamt, von der aus Informationen rausgesickert
sind. Es kann ohne weiteres sein, dass so bekannt wurde, dass der Tipp, der zum
Auffliegen des Waffenschmuggels führte, von Loitzenbauer gekommen ist.“
Petra Stuiber, Der unaufgeklärte Tod des geheimnisvollen Attaches, in: Der Standard, 21./22. Juni 2014
http://derstandard.at/2000002185296/Der-unaufgeklaerte-Tod-des-geheimnisvollen-Attaches