Neue
Dokumente geben Auskunft über die insgeheime Zusammenarbeit zwischen
österreichischen Nachrichtendiensten und der NSA: Diese begann kurz nach Abschluss des Staatsvertrags (1955) und wird bis heute fortgeführt.
Dass die
US-amerikanische National Security Agency (NSA) Ziele in Österreich ausspäht, ist
seit den Enthüllungen durch den „Whistleblower“ Edward Snowden von 2013
bekannt. Neben in Wien ansässigen internationalen Organisationen wie der
Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Organisation erdölexportierender Länder
(OPEC) sollen der Webknoten Vienna Internet eXchange (VIX) sowie Kunden des
Internetproviders UPC ins Visier genommen worden sein. Wien ist für die NSA „sehr
wichtig“, betonte nicht umsonst Thomas Drake, der bereits vor Snowden
Datenschutzverstöße durch die NSA angeklagt hatte. Die vielen internationale
Organisationen seien „ein kaum zu unterschätzender Informationspool“: „Ich kann
gar nicht genug betonen, wie extrem verlockend es für Geheimdienste ist, alles
aufzusaugen. Hier werden keine Kosten und Mühen gescheut, das gilt freilich
auch für Österreich“, so der ehemalige NSA-Softwareentwickler.
Am Dach des IZD-Towers neben dem Vienna International Center soll eine NSA-Lauschstation untergebracht sein (Foto: Autor) |
Lauschangriff
auf Österreich
2013 soll der deutsche
Bundesnachrichtendienst (BND) über seine Abhörstation im bayerischen Bad
Aibling im US-Auftrag unter anderem „gov“, „diplo“ und „bundesamt“ abgefragt
haben – wobei sich letzterer Suchbegriff gegen Österreich richtete und
höchstwahrscheinlich das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung
(BVT) bezeichnet. Mehr als zehn Anfragen der NSA bezogen sich darauf. Grund war
angeblich, dass innerhalb der ausländischen Dienste Misstrauen gegenüber den
österreichischen Sicherheitsbehörden vorherrscht – zu oft seien sensible
Informationen nach deren Weitergabe an Wiener Stellen „durchgesickert“.
Der Lauschangriff
bedeutete eine neue Qualität. Bislang war nur gesichert, dass die NSA zwar in Österreich
spionierte, aber heimische Stellen außen vorließ. Auf diese Differenz kommt es
an – denn laut einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 20. April 1956
wird Spionagetätigkeit erst dann geahndet, wenn diese sich unmittelbar gegen
Österreich richtet (höchstens drei Jahren Haft). Innenministerin Mikl-Leitner reagierte
jedenfalls ungewöhnlich direkt: „Diese Vorwürfe stehen im Raum, und wenn
derartige Vorwürfe im Raum stehen, dann gehören sie auch aufgeklärt. Dazu haben
wir jetzt auch alle notwendigen Maßnahmen gesetzt. Zum einen ist unser
Verfassungsschutz mit den deutschen Sicherheitsbehörden in Kontakt. Zum zweiten
haben wir eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht.“
Letztere ermittelt bereits seit Juli 2013 – nachdem das BVT wegen
Spionageverdacht Anzeige gegen unbekannt erstattet hatte.
Third-Party-SIGNIT-Partner
Das Vienna International Center auf der Donauplatte befindet sich im Visier der NSA (Foto: M. Sibrawa) |
In den offiziellen
Stellungnahmen und der Diskussion rund um den Lauschangriff wird jedoch
ausgeklammert, dass Österreich seit dem Kalten Krieg mit den US-Diensten
zusammenarbeitet. So wird das Land in den von Snowden geleakten Geheimdokumenten als Third-Party-Signals Intelligence (SIGNIT)-Partner
bezeichnet, die der NSA bei ihrer Fernmelde- und elektronischen Aufklärung
assistieren. Der US-Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald hielt dazu fest: „Allgemein
lässt sich sagen, dass die NSA mit Österreich genau wie mit anderen Ländern in
diesen Kategorien zusammenarbeitet: für spezifische Ziele und diskret. Man
sammelt vielleicht gemeinsam Daten aus Afghanistan oder nimmt bestimmte
Organisationen ins Visier. […] Ich kann keine Details zu Dokumenten verraten,
die noch nicht veröffentlicht wurden, aber: Es gibt eine Partnerschaft zwischen
der NSA und Österreich, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern ständig.“
Geheimer
Verbündeter im Kalten Krieg
Tatsächlich reicht
diese Kooperation lange zurück und ist im Wesentlichen dem Kalten Krieg geschuldet.
Wie Herbert Lackner in „profil“ betont, tauschen die Geheimdienste Österreichs
und der USA seit fast 50 Jahren Informationen aus – „dass damit flagrant gegen
die Bundesverfassung konkret gegen das Neutralitätsgesetz verstoßen wurde,
kümmerte nie einen der Beteiligten. Jahrzehntelang horchte das Bundesheer etwa
den Telefon- und Funkverkehr im Ostblock und auf dem Balkan ab.“ 1958 wurde auf der Königswarte bei
Hainburg in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs eine Abhörstation eingerichtet.
Die technischen Einrichtungen wurden von der US-Armee auf den Heeresflughafen
Hörsching bei Linz eingeflogen und dann ins östliche Niederösterreich
weitertransportiert. Man sorgte auch für die technische Ausbildung des
Personals. Denn betrieben wurde die Station von der Gruppe für das
Nachrichtenwesen, dem 1955 gegründeten Nachrichtendienst des Bundesheers.
Dieser wurde 1972 in Heeresnachrichtenamt (HNaA) umbenannt (1985 wurde das
Abwehramt als eigener Dienst vom HNaA abgespalten und ist seitdem für den
Eigenschutz des Bundesheeres zuständig).
Neben der Königswarte
wurden weitere, kleinere Stationen in Neulengbach und Großharras
(Niederösterreich), Gols (Burgenland), Pirka bei Graz und Stockham bei Wels
eingerichtet. Diese waren Teile einer Peilkette, die sich von Norwegen über
Deutschland bis nach Italien zog. Während letztere Staaten NATO-Mitglieder
waren, galt Österreich zumindest auf dem Papier als „neutral“. Die Anlagen
wurden anfangs auf Kosten der USA erneuert und waren laut „profil“ so
leistungsstark, dass Tischgespräche in dem wenige Kilometer von Hainburg
entfernten Bratislava belauscht werden konnten. Allerdings konnte das HNaA mit
den abgefangenen Daten selbst nicht viel anfangen. Die Aufzeichnungen wurden
zur Auswertung in eine US-Station nahe Frankfurt am Main transportiert,
mitunter sogar mit Linienmaschinen der Austrian Airlines. Innerhalb der letzten
Jahre soll die Königswarte mit Ausgaben von bis zu 150 Millionen Euro für neue
Aufgaben aufgerüstet worden sein. Zum Einsatz kommt die Station nun für die
Überwachung von Kommunikationssatelliten. Zur Luftraumüberwachung dienen bis
heute Radaranlagen auf dem Kolomannsberg (Salzburg), dem Steinmandl
(Niederösterreich) und der Koralpe (Kärnten) unter der Sammelbezeichnung
„Goldhaube“.
Ansicht der Funkhorchstation Königswarte (Quelle: Doronenko/Wikimedia Commons) |
Wie aus Unterlagen
der DDR-Staatssicherheit hervorgeht, war der Ostblock über diese Vorgänge gut
im Bilde. Laut einem Dokument von 1984, das der Kärntner Historikerbericht
„Titos langer Schatten“ (2015) zitiert, wurde den NATO-Nachrichtendiensten die
Möglichkeit eingeräumt, auf österreichischem Boden „Maßnahmen ihrer Organe zu realisieren“. Gleichzeitig führten die
heimischen Dienste für ihre Partner zahlreiche Aufklärungs-, Abwehr- und
Polizeimaßnahmen durch. Die Kontakte zu den jeweiligen Diensten lag in den
Händen eines Verbindungsoffiziers, der „direkt
in der entsprechenden diplomatischen Vertretung des jeweiligen […] Landes in
Wien“ saß. Das HNaA habe einerseits in Abstimmung mit der US-amerikanischen
Defense Intelligence Agency (DIA) die gesamte Staatsgrenze zur Tschechoslowakei
kontrolliert. Andererseits bearbeitete das HNaA alle akkreditierten Mitarbeiter
der diplomatischen Vertretungen der sozialistischen Staaten, insbesonders jene
der UdSSR, der CSSR, Ungarns, der DDR und Jugoslawiens. Das Fazit der
DDR-Staatssicherheit: „Offiziell – nach
den Prinzipien der österreichischen Neutralität – ist es verboten, gegen die
Staaten der sozialistischen Gemeinschaft zu arbeiten. Doch diese offizielle
Festlegung wird in der praktischen Tätigkeit nicht eingehalten, sondern
systematisch verletzt.“
„Kostenintensiv
und weitgehend veraltet“
In der Stiftung Bruno
Kreisky Archiv (StBKA) befindet sich eine „streng vertrauliche“ Information der
SPÖ-Fraktion an Bundeskanzler Bruno Kreisky zu „Veränderungen“ im HNaA. Darin wird über die scharfen parteipolitischen
Auseinandersetzungen rund um die Besetzung von HNaA-Spitzenposten Mitte der
1970er Jahre Auskunft gegeben. Aus Sicht der SPÖ war der Dienst nämlich „nahezu reinrassig mit
ÖVP-nahestehenden Personen besetzt“. Darüber hinaus wird der status quo
bewertet. So heißt es unter Punkt 2: „Die
Bedeutung des Heeresnachrichtenamtes liegt einerseits in der offenen
Nachrichtenbeschaffung und Auswertung, andererseits in den
Aufklärungsergebnissen des Fernmelde- Aufklärungsbataillons, welches immer
wieder von der kommunistischen Presse angegriffen wird und in welches seitens
der Kommunisten versucht wird, Personal im Wege von Wehrpflichten
einzuschleusen. Die geheime Nachrichtenbeschaffung ist nicht zuletzt aus
finanziellen Gründen eher von untergeordneter Bedeutung.“ Laut Punkt 4 ist
das HNaA „trotz aller Schwächen
insbesondere durch die Mittel der Fernmeldeaufklärung in der Lage oft
wesentliche Beiträge zur Erstattung eines Lagebildes zu geben, wobei es in
Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit und dem
Generalsekretär für Auswärtige Angelegenheiten periodische Lagedarstellungen
liefert.“ Das Dokument hält weiter fest, dass technische Gerät für die
Fernmeldeaufklärung „sehr kostenintensiv
und weitgehend veraltet“ sei: „Im
vergangenen Jahr wurde eine Erneuerung und Verbesserung (Automatisierung) der
Fernmeldeaufklärung durch eine erhebliche Beschaffung (Generalunternehmer Fa.
Kapsch) in die Wege geleitet.“
Geheimverträge
zwischen USA/Österreich
Festgelegt wurde die
Kooperation USA/Österreich in streng geheimen Verträgen, deren genauer Inhalt
bis heute Anlass für Spekulationen bietet. Laut Hans Wolker (Schatten über
Österreich, 1993) wurde 1984 ein Vertrag über die „Allgemeine Sicherheit
militärischer Informationen – General Security of Military Information
Agreement“ (GSOMIA) abgeschlossen. Dieses Abkommen regelt den Schutz „aller zwischen den Regierungen
(USA/Österreich) ausgetauschten geheimen militärischen Informationen“. Eine
der Bestimmungen hält fest: „Die
österreichische Regierung wird den Sicherheitsexperten der amerikanischen
Regierung regelmäßige Besuche in ihrem Hoheitsgebiet gestatten“ und diese
zudem „unterstützen“.
Die Zusammenarbeit
zwischen HNaA und westlichen Diensten ist abgesehen vom Neutralitätsgesetz noch
aus einem anderen Grund problematisch. Laut §319 des Strafgesetzbuchs ist die
Unterstützung eines fremden militärischen Nachrichtendiensts strafbar: „Wer im Inland für eine fremde Macht oder
eine über- oder zwischenstaatliche Einrichtung einen militärischen
Nachrichtendienst einrichtet oder betreibt oder einen solchen Nachrichtendienst
wie immer unterstützt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“
Die kritische Frage, ob die Kooperation zwischen österreichischen und
ausländischen Diensten gegen diese Bestimmung verstößt, klärte ein Gutachten
des Justizministeriums von 1993: „Ein
bloß gelegentlicher Austausch von Nachrichten erfüllt die Qualifikation eines
Nachrichtendienstes nicht.“ Rechtlich gehe alles in Ordnung, „jedenfalls soweit der Informationsaustausch
der Beschaffung von Nachrichten dient.“
Die angebliche NSA-"Hütte" am IZD-Tower ist vom Boden aus nur schwer erkennbar - siehe rechter Bildabschnitt (Foto: Autor) |
Gefragte
Expertise des HNaA
Heute zählt das HNaA
zählt laut unterschiedlichen Angaben zwischen 750 und 500 Mitarbeiter (zum
Vergleich: Die NSA beschäftigt 40.000, der BND 7.000 Mitarbeiter). Ausländische Dienste
haben dennoch Interesse an „Expertise“ aus Österreich. Laut „Presse“ ist der
Westbalkan eine Region, in der HNaA-Leute vor Ort aufklären und über Know-how
verfügen: „Das Gleiche gilt für Zentralafrika. Dort bringt sich das Amt mit
Übersetzern ein, die abgefangene Gespräche zwischen Warlords mit den
ausgefallensten Dialekten entschlüsseln.“
Literatur:
Florian Horcicka,
Lauschangriff auf falsche Freunde, in: Format Nr. 19/2015, 12 f.
Fabian Schmid, Enthüllungsjournalist Greenwald: „Österreich ist ständiger und diskreter Partner der NSA“, in: derstandard.at, 26. 5. 2014.
Fabian Schmid, Enthüllungsjournalist Greenwald: „Österreich ist ständiger und diskreter Partner der NSA“, in: derstandard.at, 26. 5. 2014.
Andreas Wetz,
Benedikt Kommenda, NSA: Die Wiener Geheimdienstdeals, in: Die Presse, 4. 5.
2015.
Herbert Lackner, Der
geheimste Dienst, in: profil, Nr. 9/1989, 24-28.
Herbert Lackner, Der
geheimste Dienst, in: profil, Nr. 29/2013, 14-19.
Thomas Drake: Natürlich
ist Wien wichtig für die NSA, in: profil, Nr. 36/2013, 70 f.
Fabian Schmid, Markus
Sulzbacher, Wie Bundesheer und NSA kooperieren, in: derstandard.at, 17. 10.
2014.
Hans Wolker, Schatten
über Österreich. Das Bundesheer und seine geheimen Dienste, Wien 1993.
Alfred Estle, Wilhelm
Wadl, Titos langer Schatten. Bomben- und Geheimdienstterror im Kärnten der
1970er Jahre, Klagenfurt 2015.
Im Westen was Neues,
in: profil, Nr. 37/1994, 25.
Staatsanwaltschaft
Wien ermittelt doch wegen NSA-Spionage, in: derstandard.at, 5. 5. 2015.
„Ich fühle mich
unwohl“, in: profil, Nr. 20/2015, 26-29.