Mittwoch, 13. Mai 2015

„Ständige Partnerschaft“ – zur Kooperation zwischen NSA und österreichischen Diensten

Neue Dokumente geben Auskunft über die insgeheime Zusammenarbeit zwischen österreichischen Nachrichtendiensten und der NSA: Diese begann kurz nach Abschluss des Staatsvertrags (1955) und wird bis heute fortgeführt.

Dass die US-amerikanische National Security Agency (NSA) Ziele in Österreich ausspäht, ist seit den Enthüllungen durch den „Whistleblower“ Edward Snowden von 2013 bekannt. Neben in Wien ansässigen internationalen Organisationen wie der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) sollen der Webknoten Vienna Internet eXchange (VIX) sowie Kunden des Internetproviders UPC ins Visier genommen worden sein. Wien ist für die NSA „sehr wichtig“, betonte nicht umsonst Thomas Drake, der bereits vor Snowden Datenschutzverstöße durch die NSA angeklagt hatte. Die vielen internationale Organisationen seien „ein kaum zu unterschätzender Informationspool“: „Ich kann gar nicht genug betonen, wie extrem verlockend es für Geheimdienste ist, alles aufzusaugen. Hier werden keine Kosten und Mühen gescheut, das gilt freilich auch für Österreich“, so der ehemalige NSA-Softwareentwickler.
Am Dach des IZD-Towers neben dem Vienna International Center soll eine NSA-Lauschstation untergebracht sein (Foto: Autor)
Lauschangriff auf Österreich
2013 soll der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) über seine Abhörstation im bayerischen Bad Aibling im US-Auftrag unter anderem „gov“, „diplo“ und „bundesamt“ abgefragt haben – wobei sich letzterer Suchbegriff gegen Österreich richtete und höchstwahrscheinlich das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bezeichnet. Mehr als zehn Anfragen der NSA bezogen sich darauf. Grund war angeblich, dass innerhalb der ausländischen Dienste Misstrauen gegenüber den österreichischen Sicherheitsbehörden vorherrscht – zu oft seien sensible Informationen nach deren Weitergabe an Wiener Stellen „durchgesickert“.

Der Lauschangriff bedeutete eine neue Qualität. Bislang war nur gesichert, dass die NSA zwar in Österreich spionierte, aber heimische Stellen außen vorließ. Auf diese Differenz kommt es an – denn laut einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 20. April 1956 wird Spionagetätigkeit erst dann geahndet, wenn diese sich unmittelbar gegen Österreich richtet (höchstens drei Jahren Haft). Innenministerin Mikl-Leitner reagierte jedenfalls ungewöhnlich direkt: „Diese Vorwürfe stehen im Raum, und wenn derartige Vorwürfe im Raum stehen, dann gehören sie auch aufgeklärt. Dazu haben wir jetzt auch alle notwendigen Maßnahmen gesetzt. Zum einen ist unser Verfassungsschutz mit den deutschen Sicherheitsbehörden in Kontakt. Zum zweiten haben wir eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht.“ Letztere ermittelt bereits seit Juli 2013 – nachdem das BVT wegen Spionageverdacht Anzeige gegen unbekannt erstattet hatte.
Das Vienna International Center auf der Donauplatte befindet sich im Visier der NSA (Foto: M. Sibrawa)
Third-Party-SIGNIT-Partner
In den offiziellen Stellungnahmen und der Diskussion rund um den Lauschangriff wird jedoch ausgeklammert, dass Österreich seit dem Kalten Krieg mit den US-Diensten zusammenarbeitet. So wird das Land in den von Snowden geleakten Geheimdokumenten als Third-Party-Signals Intelligence (SIGNIT)-Partner bezeichnet, die der NSA bei ihrer Fernmelde- und elektronischen Aufklärung assistieren. Der US-Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald hielt dazu fest: „Allgemein lässt sich sagen, dass die NSA mit Österreich genau wie mit anderen Ländern in diesen Kategorien zusammenarbeitet: für spezifische Ziele und diskret. Man sammelt vielleicht gemeinsam Daten aus Afghanistan oder nimmt bestimmte Organisationen ins Visier. […] Ich kann keine Details zu Dokumenten verraten, die noch nicht veröffentlicht wurden, aber: Es gibt eine Partnerschaft zwischen der NSA und Österreich, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern ständig.“

Geheimer Verbündeter im Kalten Krieg
Tatsächlich reicht diese Kooperation lange zurück und ist im Wesentlichen dem Kalten Krieg geschuldet. Wie Herbert Lackner in „profil“ betont, tauschen die Geheimdienste Österreichs und der USA seit fast 50 Jahren Informationen aus – „dass damit flagrant gegen die Bundesverfassung konkret gegen das Neutralitätsgesetz verstoßen wurde, kümmerte nie einen der Beteiligten. Jahrzehntelang horchte das Bundesheer etwa den Telefon- und Funkverkehr im Ostblock und auf dem Balkan ab.“ 1958 wurde auf der Königswarte bei Hainburg in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs eine Abhörstation eingerichtet. Die technischen Einrichtungen wurden von der US-Armee auf den Heeresflughafen Hörsching bei Linz eingeflogen und dann ins östliche Niederösterreich weitertransportiert. Man sorgte auch für die technische Ausbildung des Personals. Denn betrieben wurde die Station von der Gruppe für das Nachrichtenwesen, dem 1955 gegründeten Nachrichtendienst des Bundesheers. Dieser wurde 1972 in Heeresnachrichtenamt (HNaA) umbenannt (1985 wurde das Abwehramt als eigener Dienst vom HNaA abgespalten und ist seitdem für den Eigenschutz des Bundesheeres zuständig).

Neben der Königswarte wurden weitere, kleinere Stationen in Neulengbach und Großharras (Niederösterreich), Gols (Burgenland), Pirka bei Graz und Stockham bei Wels eingerichtet. Diese waren Teile einer Peilkette, die sich von Norwegen über Deutschland bis nach Italien zog. Während letztere Staaten NATO-Mitglieder waren, galt Österreich zumindest auf dem Papier als „neutral“. Die Anlagen wurden anfangs auf Kosten der USA erneuert und waren laut „profil“ so leistungsstark, dass Tischgespräche in dem wenige Kilometer von Hainburg entfernten Bratislava belauscht werden konnten. Allerdings konnte das HNaA mit den abgefangenen Daten selbst nicht viel anfangen. Die Aufzeichnungen wurden zur Auswertung in eine US-Station nahe Frankfurt am Main transportiert, mitunter sogar mit Linienmaschinen der Austrian Airlines. Innerhalb der letzten Jahre soll die Königswarte mit Ausgaben von bis zu 150 Millionen Euro für neue Aufgaben aufgerüstet worden sein. Zum Einsatz kommt die Station nun für die Überwachung von Kommunikationssatelliten. Zur Luftraumüberwachung dienen bis heute Radaranlagen auf dem Kolomannsberg (Salzburg), dem Steinmandl (Niederösterreich) und der Koralpe (Kärnten) unter der Sammelbezeichnung „Goldhaube“.
Ansicht der Funkhorchstation Königswarte (Quelle: Doronenko/Wikimedia Commons)
Neutralität „systematisch verletzt“
Wie aus Unterlagen der DDR-Staatssicherheit hervorgeht, war der Ostblock über diese Vorgänge gut im Bilde. Laut einem Dokument von 1984, das der Kärntner Historikerbericht „Titos langer Schatten“ (2015) zitiert, wurde den NATO-Nachrichtendiensten die Möglichkeit eingeräumt, auf österreichischem Boden „Maßnahmen ihrer Organe zu realisieren“. Gleichzeitig führten die heimischen Dienste für ihre Partner zahlreiche Aufklärungs-, Abwehr- und Polizeimaßnahmen durch. Die Kontakte zu den jeweiligen Diensten lag in den Händen eines Verbindungsoffiziers, der „direkt in der entsprechenden diplomatischen Vertretung des jeweiligen […] Landes in Wien“ saß. Das HNaA habe einerseits in Abstimmung mit der US-amerikanischen Defense Intelligence Agency (DIA) die gesamte Staatsgrenze zur Tschechoslowakei kontrolliert. Andererseits bearbeitete das HNaA alle akkreditierten Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen der sozialistischen Staaten, insbesonders jene der UdSSR, der CSSR, Ungarns, der DDR und Jugoslawiens. Das Fazit der DDR-Staatssicherheit: „Offiziell – nach den Prinzipien der österreichischen Neutralität – ist es verboten, gegen die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft zu arbeiten. Doch diese offizielle Festlegung wird in der praktischen Tätigkeit nicht eingehalten, sondern systematisch verletzt.“

„Kostenintensiv und weitgehend veraltet“
In der Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA) befindet sich eine „streng vertrauliche“ Information der SPÖ-Fraktion an Bundeskanzler Bruno Kreisky zu „Veränderungen“ im HNaA. Darin wird über die scharfen parteipolitischen Auseinandersetzungen rund um die Besetzung von HNaA-Spitzenposten Mitte der 1970er Jahre Auskunft gegeben. Aus Sicht der SPÖ war der Dienst nämlich „nahezu reinrassig mit ÖVP-nahestehenden Personen besetzt“. Darüber hinaus wird der status quo bewertet. So heißt es unter Punkt 2: „Die Bedeutung des Heeresnachrichtenamtes liegt einerseits in der offenen Nachrichtenbeschaffung und Auswertung, andererseits in den Aufklärungsergebnissen des Fernmelde- Aufklärungsbataillons, welches immer wieder von der kommunistischen Presse angegriffen wird und in welches seitens der Kommunisten versucht wird, Personal im Wege von Wehrpflichten einzuschleusen. Die geheime Nachrichtenbeschaffung ist nicht zuletzt aus finanziellen Gründen eher von untergeordneter Bedeutung.“ Laut Punkt 4 ist das HNaA „trotz aller Schwächen insbesondere durch die Mittel der Fernmeldeaufklärung in der Lage oft wesentliche Beiträge zur Erstattung eines Lagebildes zu geben, wobei es in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit und dem Generalsekretär für Auswärtige Angelegenheiten periodische Lagedarstellungen liefert.“ Das Dokument hält weiter fest, dass technische Gerät für die Fernmeldeaufklärung „sehr kostenintensiv und weitgehend veraltet“ sei: „Im vergangenen Jahr wurde eine Erneuerung und Verbesserung (Automatisierung) der Fernmeldeaufklärung durch eine erhebliche Beschaffung (Generalunternehmer Fa. Kapsch) in die Wege geleitet.“

Geheimverträge zwischen USA/Österreich
Festgelegt wurde die Kooperation USA/Österreich in streng geheimen Verträgen, deren genauer Inhalt bis heute Anlass für Spekulationen bietet. Laut Hans Wolker (Schatten über Österreich, 1993) wurde 1984 ein Vertrag über die „Allgemeine Sicherheit militärischer Informationen – General Security of Military Information Agreement“ (GSOMIA) abgeschlossen. Dieses Abkommen regelt den Schutz „aller zwischen den Regierungen (USA/Österreich) ausgetauschten geheimen militärischen Informationen“. Eine der Bestimmungen hält fest: „Die österreichische Regierung wird den Sicherheitsexperten der amerikanischen Regierung regelmäßige Besuche in ihrem Hoheitsgebiet gestatten“ und diese zudem „unterstützen“.

Die Zusammenarbeit zwischen HNaA und westlichen Diensten ist abgesehen vom Neutralitätsgesetz noch aus einem anderen Grund problematisch. Laut §319 des Strafgesetzbuchs ist die Unterstützung eines fremden militärischen Nachrichtendiensts strafbar: „Wer im Inland für eine fremde Macht oder eine über- oder zwischenstaatliche Einrichtung einen militärischen Nachrichtendienst einrichtet oder betreibt oder einen solchen Nachrichtendienst wie immer unterstützt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“ Die kritische Frage, ob die Kooperation zwischen österreichischen und ausländischen Diensten gegen diese Bestimmung verstößt, klärte ein Gutachten des Justizministeriums von 1993: „Ein bloß gelegentlicher Austausch von Nachrichten erfüllt die Qualifikation eines Nachrichtendienstes nicht.“ Rechtlich gehe alles in Ordnung, „jedenfalls soweit der Informationsaustausch der Beschaffung von Nachrichten dient.“
Die angebliche NSA-"Hütte" am IZD-Tower ist vom Boden aus nur schwer erkennbar - siehe rechter Bildabschnitt (Foto: Autor)
Gefragte Expertise des HNaA
Heute zählt das HNaA zählt laut unterschiedlichen Angaben zwischen 750 und 500 Mitarbeiter (zum Vergleich: Die NSA beschäftigt 40.000, der BND 7.000 Mitarbeiter). Ausländische Dienste haben dennoch Interesse an „Expertise“ aus Österreich. Laut „Presse“ ist der Westbalkan eine Region, in der HNaA-Leute vor Ort aufklären und über Know-how verfügen: „Das Gleiche gilt für Zentralafrika. Dort bringt sich das Amt mit Übersetzern ein, die abgefangene Gespräche zwischen Warlords mit den ausgefallensten Dialekten entschlüsseln.“

Literatur:
Florian Horcicka, Lauschangriff auf falsche Freunde, in: Format Nr. 19/2015, 12 f.
Fabian Schmid, Enthüllungsjournalist Greenwald: „Österreich ist ständiger und diskreter Partner der NSA“, in: derstandard.at, 26. 5. 2014.
Andreas Wetz, Benedikt Kommenda, NSA: Die Wiener Geheimdienstdeals, in: Die Presse, 4. 5. 2015.
Herbert Lackner, Der geheimste Dienst, in: profil, Nr. 9/1989, 24-28.
Herbert Lackner, Der geheimste Dienst, in: profil, Nr. 29/2013, 14-19.
Thomas Drake: Natürlich ist Wien wichtig für die NSA, in: profil, Nr. 36/2013, 70 f.
Fabian Schmid, Markus Sulzbacher, Wie Bundesheer und NSA kooperieren, in: derstandard.at, 17. 10. 2014.
Hans Wolker, Schatten über Österreich. Das Bundesheer und seine geheimen Dienste, Wien 1993.
Alfred Estle, Wilhelm Wadl, Titos langer Schatten. Bomben- und Geheimdienstterror im Kärnten der 1970er Jahre, Klagenfurt 2015.
Im Westen was Neues, in: profil, Nr. 37/1994, 25.
Staatsanwaltschaft Wien ermittelt doch wegen NSA-Spionage, in: derstandard.at, 5. 5. 2015.
„Ich fühle mich unwohl“, in: profil, Nr. 20/2015, 26-29.