Erst am 13. Mai 1945, fünf Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs, kapitulierte die letzte SS-Einheit in Österreich: Das Schutzkorps
Alpenland (SKA). Vieles von dem, was sich nach tagelangem Verwirrspiel auf abgelegenen Almen abgespielt hat, ist bis heute ungeklärt. So
soll es zu Fememorden an kapitulationswilligen SS-Männern gekommen sein. Angeblich verschwanden auch Reichtümer spurlos.
Kommandeur
des SKA war niemand geringerer als Otto Skorzeny: Der damals 37jährige
Obersturmbannführer, ein gebürtiger Wiener, befand sich am Höhepunkt seiner
Karriere. Aufgrund seiner guten Beziehungen zu Ernst Kaltenbrunner,
Stellvertreter von SS-Reichsführer Heinrich Himmler, hatte Skorzeny 1943 die
Chance erhalten, sich zu profilieren – er baute für die Auslandsabteilung des Sicherheitsdiensts
(SD) einen Verband für Spezialoperationen auf, mit dem die SS den
Sondereinheiten von Wehrmacht und Luftwaffe Konkurrenz machen wollte. Im selben
Jahr nahm Skorzeny an einem Kommandounternehmen zur Befreiung des Diktators Benito Mussolini aus italienischer Haft teil. Obwohl er „Unternehmen
Eiche“ am 12. September 1943 nur als Beobachter mitmachte, begründete der erfolgreiche
Abschluss Skorzenys Ruf als „gefährlichster Mann Europas“.
Skorzeny in Schwedt an der Oder, Februar 1945 (Quelle: Bundesarchiv/Wikimedia Commons) |
„Von einem Armeekorps nur der Name“
Ende
Februar 1945 wurde Skorzeny nach schweren Kämpfen an der Schwedt an der Oder
nach Berlin befohlen und begab sich Anfang März ins Salzkammergut nach Bad
Aussee. Im Herzen der sogenannten „Alpenfestung“, die zum Fluchtpunkt eines Teils
der NS-Elite wurde, zog Skorzeny zwischen 250 und 300 Mann von verschiedenen
SS-Sonderverbänden zusammen. Rund um den 28. April 1945 gab er der Truppe den Namen „Schutzkorps Alpenland“ – obwohl wie er
selbst einräumte, das SKA „von einem Armeekorps aber nicht mehr als den Namen
besaß“.
In
einer Kupfermine in Mitterberghütten wurde ein größeres Waffen-, Munitions- und
Sprengstoffdepot angelegt. Zehn Tonnen Nachschub, genug für eine kleine
Guerillaarmee, transportierte man ins Achthal. Ende April 1945 war das SKA emsig
an der Arbeit, Verteidigungsstellungen, Nachschubdepots und Verbandsplätze
anzulegen.Schließlich wurde der Verband in kleine Einheiten in Zugsstärke (40-50
Mann) aufgebrochen. Diese wurden dann auf höherliegende Almen verteilt.
Untereinander war man per Funkgerät mit der zentralen Station „Brieftaube“
verbunden. Die
Führungsgruppe (10 Mann) befand sich in Annaberg, die weiteren Detachements in Hochfilzen (Hauptsturmführer Fucker), Lofer (Hauptsturmführer Grig), Altenmarktthal (Hauptsturmführer
Streckfuss), Bischofshofen (Untersturmführer Wilscher), Maishofen-Saalbach (Obersturmführer
Ludwig), nördlich von Kitzbühl (Untersturmführer Bihrer), Bad Mitterndorf (Hauptsturmführer
Winter) und Bad Aussee (Obersturmführer Schürmann).
„Bolschewisierung“ verhindern
Was
genau die strategische Intention hinter dem SKA war, ist bis heute unklar:
Skorzeny hatte im Wesentlichen aus Eigeninitiative gehandelt und sich im
Nachhinein bei seinen Vorgesetzten abgesichert. Aufgrund von Instruktionen
Kaltenbrunners, der sich ebenfalls nach Altaussee geflüchtet hatte, befahl
Skorzeny die Einstellung der Kampfhandlungen gegen westalliierte Truppen. Der
Widerstand sollte nur mehr gegen die Rote Armee fortgesetzt, die Zivilbevölkerung
vor Marodeuren beschützt und den Bauern bei der Landwirtschaft sowie beim
Wiederaufbau geholfen werden. Tatsächlich waren es aber die Zivilisten, die in den
letzten Kriegstagen am meisten unter Übergriffen des SKA zu leiden hatten. Skorzenys
Männer drangen in Gehöfte ein und machten Jagd auf Deserteure. Es sollen auch
einige Erschießungen durchgeführt worden sein. Ähnlich brutal verhielt man sich
gegenüber den Bauern, die man zur Hilfe beim Stellungsbau zwang. Alle
Vorbereitungen liefen darauf hinaus, einen Guerillakrieg gegen die Rote Armee
zu führen und eine „Bolschewisierung“ zu verhindern. Skorzeny bereitete
Sabotageaktionen und den Kampf in feindlichen Uniformen sowie in Zivilkleidung
vor.
Das Geheimnis des Ödensees
Die Befehle an das SKA lt. Befragung von Karl Radl durch das CIC (Quelle: foia.cia.gov) |
Am
27. April 1945 soll Skorzenys Adjutant Karl Radl von einem SS-General als
„Kriegskasse“ noch eine größere Menge an Gold und Wertpapieren erhalten haben:
50.000 Franken in Goldmünzen, 10.000 schwedische Kronen, 5.000 Dollar, 5.000
Schweizer Franken und fünf Millionen Reichsmark. Es handelte sich um Gelder,
die von der SS zuvor aus der Berliner Reichsbank gestohlen worden waren. Die Beute
wurde danach im Gebirge versteckt und blieb bis heute verschollen. Einige
Experten vermuten den „Schatz“ auf dem Boden des Ödensees. Dort hatte sich ein
SKA-Offizier Anfang Mai 1945 die Seealmhütte aufsperren lassen, die danach bis
oben hin mit Kisten vollgestopft wurde. Schließlich wurden diese mit dem
Forstboot 50 bis 100 m auf den See hinausgefahren und anschließend versenkt. In
jener Bucht, wo sich damals die Seealmhütte befand, fanden Taucher später den
SS-Ring eines der Adjutanten Skorzenys. Alle weiteren Geheimnisse hat der
Ödensee bislang bewahrt.
„In die Berge zurückgezogen“
Die Umrisse der Seealmhütte am Ödensee lassen sich heute noch erkennen (Foto: Autor) |
Als
am 6. Mai 1945 der Befehl erteilt wurde, zwei Tage später die Waffen
niederzulegen, zog sich Skorzeny mit seinen engsten Mitarbeitern in die Berge
zurück, „um abzuwarten“: „Meine Truppen befanden sich in kleinen Einheiten
aufgeteilt in den nahe liegenden Tälern und warteten auf meine letzten
Befehle.“ In seinen Erinnerungen behauptet Skorzeny überlegt zu haben,
Selbstmord zu begehen oder sich abzusetzen: „Viele unserer Kameraden suchten in
den letzten Kämpfen den Tod oder setzten ihrem Leben freiwillig ein Ende. Ich
hätte auch – und zwar ganz leicht – an Bord einer JU 88 ins neutrale Ausland
fliegen können. Aber ich weigerte mich, mein Land, meine Familie und meine
Kameraden im Stich zu lassen.“
Skorzeny
entschloss sich schließlich, den amerikanischen Divisionsstab in Salzburg zu
benachrichtigen. Er schlug vor, Offiziere und Mannschaften des SKA würden sich
gemeinschaftlich ergeben. Doch als amerikanische und französische Offiziere am
10. Mai 1945 Annaberg aufklärten, zeigten sie kein Interesse und verließen den
Ort wieder, ohne Instruktionen zu geben. Als zwei Tage später wieder
US-Soldaten nach Annaberg kamen, kündigte Skorzeny erneut seine Kapitulation an
und bat um einen Jeep, der ihn ins Hauptquartier der 3. US-Division in Salzburg
bringen sollte. Erst am 16. Mai 1945 war es soweit: Skorzeny, sein Adjutant Radl
und ein Übersetzer wurden bei einer Brücke in Annaberg abgeholt und ins
Divisionshauptquartier gefahren. Doch dort hatte jedoch noch nie jemand von
Skorzeny gehört, und er wurde weitergereicht. Als er schließlich bei einem Bataillonsstab in Werfen
gerade auf einer Karte zeigen wollte, wo sich die verschiedenen SKA-Gruppen
befanden, wurden plötzlich Fenster und Türen aufgerissen: „Ein Dutzend MPs
wurden auf mich gerichtet, und der Dolmetscher bat mich, meine Pistole auszuhändigen,
was ich tat. […] Dann wurde ich gefilzt und nackt ausgezogen. Meine
Mussolini-Uhr wurde gestohlen; ich ließ sie mir zurückerstatten, und dann
verschwand sie endgültig.“ Während für Skorzeny so eine längere Zeit in Kriegsgefangenschaft
begann, hatten Teile des SKA nichts von der Kapitulation mitbekommen.
Angehörige eines „vergessenen“ Detachements in der Nähe von Innsbruck
erinnerten einen Betrachter bald an prähistorische Höhlenmenschen: Rund um eine
Feuerstelle zusammengekauert lauschten sie wie BDM-Mädchen Hölderlin- und
Weinheber-Passagen vortrugen und bedienten sich laufend aus einem Lager voller
Brandwein- und Champagnerflaschen. Es dauerte bis Juni 1945, ehe alle
Versprengten aufgegriffen waren.
Der Ödensee hat seine Geheimnisse bewahrt (Foto: Autor) |
Die Mission des SKA (lt. Bericht über Vernehmung von Hauptsturmführer Walter Grig, 1946, Quelle: foia.cia.gov) |
Erschießungen im Öderntal
Das Kontingent
von Obersturmführer Herbert Schürmann, das sich in das Öderntal hinter Bad Mitterndorf
zurückgezogen hatte, ergab sich am 13. Mai 1945. Die Zivilistin Lydia
Stadler wurde als Kurier zum Hauptquartier in der Albrechtshütte geschickt. In
den umliegenden Almhütten und der Rechenstube sowie in Zelten auf den Almwiesen
hatten die SKA-Leute Quartier bezogen. Schürrmann willigte ein, bis um 14 Uhr mit drei vollbeladenen Lkws nach Bad Aussee abzufahren, wo die 44 Männer
und 4 Frauen entwaffnet wurden. Offenbar hatten zuvor noch Exekutionen
stattgefunden. Die damals 19jährige Stadler sah auf dem Weg zur Albrechtshütte
mehrere Leichen: „Die Menschen hat man erschossen, weil sie weg wollten. Das
war für mich ein unheimlicher Schock.“ Auf den Feldern lagen Fallschirme herum, teilweise auch geöffnet. Die notleidenden Zivilisten in Bad
Mitterndorf nutzten das zurückgelassene Kriegsmaterial. Bis in die 1960er Jahre
wurden aus dem Stoff der Fallschirme Jacken, Hosen, Röcke, Bettzeug und
Tischtücher hergestellt. Die SS-Männer wiederum kehrten noch 1945 als
Kriegsgefangene zum Holzfällen nach Bad Mitterndorf zurück. Das betreffende Waldstück
wird bis heute „SS-Schlag“ genannt. Die Albrechtshütte ist erst kürzlich vom
ehemaligen ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein gepachtet und erneuert
worden.
„Politisch kurzsichtig bis zum
Punkt der Naivität“
Skorzeny
hatte bis zuletzt mit dem Gedanken gespielt, das SKA den Westalliierten für
eine mögliche Verwendung gegen die Rote Armee anzudienen. Das geht auch aus
einem Verhörbericht des US-Armeegeheimdiensts CIC von Ende Mai 1945 hervor: „Skorzeny
rechnet ernsthaft mit der Möglichkeit eines Konflikts zwischen dem westlichen
Block und dem Kommunismus. Diese Überlegung stand ursprünglich hinter seiner
freiwilligen Aufgabe in der Hoffnung, man würde ihm einen aktiven Part in
diesem Unternehmen geben. Wegen seiner österreichischen Abstammung ist er
klarsichtig und anpassungsfähig, aber politisch kurzsichtig bis zum Punkt der
Naivität.“
Nach
dem Gang in die Kriegsgefangenschaft wurde Skorzeny von einem Militärtribunal
in München-Dachau als Kriegsverbrecher angeklagt. Im September 1947 sprach man
ihn aber frei als ein britischer Offizier bestätigte, dass sich auch alliierte
Spezialeinheiten in feindlichen Uniformen getarnt hatten. Bevor weitere
Ermittlungen beginnen konnten, gelang Skorzeny 1948 die Flucht aus einem
Internierungslager in Darmstadt. Unter falschem Namen und mit blondierten
Haaren versteckte er sich eine Zeit lang in Bayern, ehe er im Februar 1950
seine Zelte in Madrid aufschlug. Francos faschistisches Spanien bot damals
einer Kolonie von flüchtigen Nazis Unterschlupf, Skorzeny war einer der
prominentesten Köpfe. Er betätigte sich als Konsulent, Waffenhändler und
Informant verschiedener Geheimdienste. Besonders eifrig strickte Skorzeny an
seiner eigenen Legende. Am 6. Juli 1975 verstarb er schließlich 67jährig – die
Urne mit seiner Asche wurde im Familiengrab am Döblinger Friedhof beigesetzt.
Auszug aus Verhör Skorzenys durch das CIC, 23. 5. 1945 (Quelle: foia.cia.gov) |
Literatur:
Perry
Biddiscombe, The SS Hunter Battailions. The Hidden History oft the Nazi
Resistance Movement 1944-45, Stroud 2006.
Christian
Huemer, Mitterndorf hing an den Fallschirmen, in: Kleine Zeitung, 20. 4. 2005,
20.
Otto
Skorzeny, Meine Kommandounternehmen, München 1976.
Ian
Sayer, Douglas Botting, Nazi Gold, London 1984.
Gerhard
Zauner, Verschollene Schätze im Salzkammergut. Die Suche nach dem
geheimnisumwitterten Nazi-Gold, Graz-Stuttgart 2003.
Neue
Hütte, alte Probleme für Ex-Minister, in: News, Nr. 47/2013, 20.
Spione,
Schwindler, Schatzsucher. Kriegsende im Ausseerland 1945, Bad Aussee 2014.