Das
Aufkommen des Selbstmordattentats wird in der Geschichte des modernen
Terrorismus oft mit dem libanesischen Bürgerkrieg Anfang der 1980er Jahre in
Zusammenhang gebracht. Tatsächlich gab es aber bereits frühere Vorkommnisse,
die heute in Vergessenheit geraten sind – so etwa der Fall des jungen Deutschen
Bernd Hausmann. Ohne es selbst zu wissen, hatten ihn seine Auftraggeber zum Überbringer
einer Bombe „umfunktioniert“. Seinen Ausgang nahm dieses tödliche Drama in Wien
– Hintergründe und Ablauf lassen sich auf Basis von Dokumenten der Stiftung
Bruno Kreisky Archiv rekonstruieren.
Der
Name Bernd Hausmann findet in den zahlreichen Publikationen zum deutschen
Linksterrorismus praktisch keinen Niederschlag. Zu seiner Person ist wenig
bekannt. Er war 25 Jahre alt, als er starb und gehörte zur Sympathisantenszene
des internationalen Terrorismus in der BRD. Manchmal heißt es, Hausmann wäre
Mitglied der „Revolutionären Zellen“ gewesen – einer Organisation, die eng mit
palästinensischen Gruppen kooperierte. Am bekanntesten ist noch das Foto seines
von der Bombenexplosion brutal verstümmelten Gesichts. Wie hatte es nur soweit
kommen können?
Mit Plastiksprengstoff präpariert
Mit
einem falschen holländischen Pass auf den Namen „Hugo Müller“ ausgestattet war
Hausmann am 25. Mai 1976 mit Austrian Airlines (AUA) aus Wien kommend in Tel
Aviv gelandet. Es war 13.30 Uhr, er hatte die Passkontrolle schon hinter sich. Da
forderte ihn eine Sicherheitsbeamtin auf, ihr in einen separaten Raum zur
Gepäckskontrolle zu folgen. Hausmanns „Gammlerkleidung“ war Marguerite Ben
Yishy verdächtig vorgekommen. Sie vermutete, einen Drogenschmuggler vor sich zu
haben. Hausmann zeigte keinerlei Anzeichen von Nervosität. Doch als er seinen
Koffer öffnete, erfolgte im selben Augenblick eine Detonation, die ihn und Ben
Yishy tötete. Sechs weitere Personen wurden verletzt. Auch in Hausmanns zweitem
Gepäckstück wurde eine Sprengladung festgestellt – diese wurde kontrolliert zur
Explosion gebracht, ohne dass es weiter Opfer gab.
Die
Untersuchungen ergaben, dass beide Fieberglaskoffer mit Plastiksprengstoff
präpariert gewesen waren. Das erstmalige Öffnen beim Einchecken in
Wien-Schwechat dürfte den Zünder aktiviert haben, um dann beim zweitmaligen Öffnen
die Explosion auszulösen. Die Beamten der Flughafeninspektion hatten in den
Gepäcksstücken nur alte Wäsche, Schuhe und Toilettenartikel festgestellt – aber
nicht hinterfragt, warum die beiden Koffer trotzdem 13 kg Übergewicht hatten.
Die AUA-Hostess empfahl Haussmann noch, das Gepäck per Luftfracht nach Tel Aviv
zu schicken. Doch dieser lehnte ab und bezahlte stattdessen die hohe Gebühr für
das Übergewicht.
Das Vorspiel in Wien
Hausmann
war auf perfide Weise getäuscht worden: Sein Auftrag lautete, einen Koffer in
Israel zu überbringen. In Wirklichkeit hatte man ihn aber auf eine
Selbstmordmission geschickt. Dazu war Hausmann Mitte Mai 1976 nach Amsterdam
bestellt worden, wo er den Pass erhielt. Nächste Station war Wien: Von 24. auf den
25. Mai 1976 stieg er im Hotel „Wolf“ in der Josefstadt ab. In seiner
Begleitung befand sich ein Araber, dessen kuwaitischer Pass ihn als „Kahled
Mohamed Al-Katami“ auswies. Obwohl nur mehr Doppel- und Dreibettzimmer
freigewesen waren, hatten es die „vermutlich befreundeten“ Männer abgelehnt,
sich ein Zimmer zu teilen. Noch am 24. Mai hatte Hausmann im Reisebüro
„Südring“ ein Ticket für den Flug Wien-Tel Aviv-Teheran-Athen gelöst. Er wollte
ursprünglich mit einem Traveller-Scheck bezahlen, was abgelehnt wurde.
Innerhalb von nur fünf Minuten kam Hausmann wieder retour und legte die
erforderlichen 18.000 Schilling auf das Pult. Naheliegender Schluss: Al-Katami
hatte in der Nähe gewartet und das nötige Bargeld übergeben. Tags darauf, um 9
Uhr, nahm Hausmann ein Taxi zum Flughafen und trat seine letzte Reise an. Al-Katami
wiederum hatte das Hotel schon früher verlassen – die Fahndung nach dem Araber
sollte erfolglos verlaufen.
Drahtzieher Wadi Haddad
Geplant
und in Auftrag gegeben worden war der unfreiwillige Selbstmordanschlag von dem
damals wohl gefährlichsten internationalen Terroristen: Wadi Haddad von der
Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PLFP). Haddad, der 1978 wahrscheinlich
vom Mossad vergiftet wurde, hatte immer wieder mit neuen Ideen und Techniken
überrascht. Zu seinen „Innovationen“ gehörte der Plan, ein mit Sprengstoff
gefülltes Leichtflugzeug in das höchste Gebäude von Tel Aviv, den Shalom Tower,
stürzen zu lassen. Doch das Vorhaben wurde nach einem missglückten Übungsflug
des Piloten aufgegeben. Dennoch sollte wenig später eine Bombe in Israel
detonieren: Indem man einen idealistischen und wohl auch naiven Jugendlichen
auf teuflisch anmutende Art und Weise missbrauchte.
„Kontrollen oberflächlich“
Hätte
der Anschlag verhindert werden können? Unmittelbar nach dem Ereignis wurde in
der israelischen Presse kritisiert, dass die Kontrollen in Wien-Schwechat lax
gehandhabt würden. Darüber hinaus ermögliche die tolerante Haltung Österreichs
gegenüber der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) den Terroristen
„große Aktionsfreiheit“. Die Vorwürfe wurden vom Generaldirektor für die
öffentliche Sicherheit, Robert Danzinger, zurückgewiesen. Nur zehn Passagiere
seien an Bord des besagten Flugs und die Kontrollen genau gewesen.
Die Reputation
blieb trotzdem beschädigt: Im Juli 1976 wurden in Geheimdienstkreisen
Befürchtungen laut, palästinensische Gruppen stünden vor einer
Flugzeugentführung in Westeuropa. Als mögliche Tatorte wurde neben Italien auch
Österreich genannt – wegen der „weiche[n]“ Haltung der Wiener Regierung bei
Geiselnahmen und weil „die Kontrollen in Schwechat nach weitverbreiteter
Ansicht als eher oberflächlich gelten“. Das geht aus einem Botschaftsbericht
aus London an das Außenamt hervor, der auch Kreisky in Kopie vorgelegt wurde.
Die rote Unterstreichung der zitierten Passage und die hinzugefügten Ruf- und
Fragezeichen dürften von ihm stammen.