Viele
Klischees verbinden sich mit der 2. Republik – gleich ob „Insel der Seligen“,
„Kulturnation“ oder „Begegnungsort“. Hinter so viel Harmlosigkeit tun sich fast
zwingend Abgründe auf. Das betrifft gerade sensible Bereiche, die in Österreich
traditionell verschwiegener gehandhabt werden, als anderswo. Das Thema
Nachrichtendienste ist wohl das beste Beispiel hierfür. Und weil es hier
offiziell so wenig zu erfahren gibt, muss man Alternativen suchen – in diesem
Fall in den Aktenbeständen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, auch als
„Stasi“ bekannt.
Die beiden
Nachrichtendienste des Bundesheers – das Heeresnachrichtenamt (HNaA) und das
Abwehramt (AbwA) – sowie das im Innenministerium angesiedelte Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sind eine „black box“. So ist
etwa das HNaA im Amtskalender nicht zu finden – ebenso wenig wie Telefonnummern
und E-Mail-Adressen. „Um die 700 bis 750“ Agenten sollen dem Dienst angehören.
Parlamentarische Anfragen zum Budget werden routiniert abgeschmettert – mit dem
Hinweis darauf, „dass detaillierte Informationen über nachrichtendienstliche
Tätigkeiten zur Sicherung der militärischen Landesverteidigung wegen ihrer
besonderen Sensibilität und Klassifizierung aus Gründen der
Amtsverschwiegenheit im Interesse der umfassenden Landesverteidigung (Art. 20
Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz) nicht geeignet sind, im Rahmen einer
parlamentarischen Anfragebeantwortung öffentlich erörtert zu werden“.
Der einzige
offizielle öffentliche Auftritt des HNaA findet auf der Homepage des
Verteidigungsministeriums statt: Ein paar Informationsbrocken zur Historie,
Funktion und Kontrolle. Letztere wird von einem ständigen Unterausschuss des
Landesverteidigungsausschusses wahrgenommen. Obwohl dessen Mitglieder auf
strengste Verschwiegenheit vereidigt sind, gibt es für sie wenig zu erfahren.
Denn die Auskunftspflicht besteht nicht, wenn nationale Interessen gefährdet
sind. Jedenfalls kritisiert der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz, der
dem Gremium als Obmannstellvertreter angehört, in regelmäßigen Abständen diese Intransparenz
– so etwa als die 2013 von dem Whistleblower Edward Snowden losgetretene Affäre
rund um die globale Überwachung durch die National Security Agency (NSA) auch
in Österreich Wellen schlug.
Ins Gerede kam konkret
die lang vermutete, aber offiziell nie eingeräumte Zusammenarbeit des für
strategische Auslandsaufklärung zuständigen HNaA mit „befreundeten Diensten“.
Dazu gab es vom damaligen Verteidigungsminister Gerald Klug nur das
Eingeständnis, dass man „fallweise und im Rahmen strenger Gesetze“ mit der NSA
kooperiere: „Dabei geht es in erster Linie um jene Regionen, in denen
österreichische Soldaten gemeinsam mit Kameradinnen und Kameraden aus anderen
Staaten im Auslandseinsatz sind.“ Eine Bespitzelung der Bevölkerung durch das
HNaA fände nicht statt: „Wir schöpfen nicht massenhaft Daten ab, wir hängen
nicht an Glasfaserknotenpunkten und wir bezahlen auch keine Internet-oder
Telefonanbieter, um an deren Daten zu kommen.“ Konkreter wurde es nicht.
Die besondere
Brisanz ergibt sich dadurch, dass diese diskreten Allianzen gegen das in der
Bundesverfassung verankerte Neutralitätsgesetz verstoßen. Außerdem ist laut
§319 des Strafgesetzbuchs die Unterstützung eines fremden militärischen
Nachrichtendiensts strafbar. Ein Gutachten des Justizministeriums von 1993
offerierte freilich eine Hintertür: „Ein bloß gelegentlicher Austausch von
Nachrichten erfüllt die Qualifikation eines Nachrichtendienstes nicht.“
Rechtlich gehe alles in Ordnung, „jedenfalls soweit der Informationsaustausch
der Beschaffung von Nachrichten dient.“
Geheimer
Verbündeter im Kalten Krieg
Ungeachtet der
Bedeutung der 1955 beschlossenen „Neutralität“ für die österreichische
Außenpolitik war die Realität im Kalten Krieg eine andere: Angesichts der als
Bedrohung wahrgenommenen Ambitionen der Sowjetunion war Österreich schon vor
der Wiedererlangung der Souveränität ein „geheimer Verbündeter“ der Westmächte.
1958 wurde auf der Königswarte bei Hainburg in unmittelbarer Nähe des Eisernen
Vorhangs eine Abhörstation eingerichtet. Die technischen Einrichtungen wurden
von der US-Armee auf den Heeresflughafen Hörsching bei Linz eingeflogen und
dann ins östliche Niederösterreich weitertransportiert. Man sorgte auch für die
technische Ausbildung des Personals. Denn betrieben wurde die Station von der
Gruppe für das Nachrichtenwesen, dem 1956 gegründeten Vorläufer des HNaA (die
Umbenennung erfolgte 1972 – 1985 wurde das AbwA abgespalten und ist seitdem für
den Eigenschutz des Bundesheeres sowie Spionageabwehr verantwortlich).
Neben der
Königswarte wurden infolge weitere, kleinere Stationen in Neulengbach und
Großharras (Niederösterreich), Gols (Burgenland), Pirka bei Graz und Stockham
bei Wels eingerichtet. Diese waren Teile einer Peilkette, die sich von Norwegen
über Deutschland bis nach Italien zog. Allerdings soll das HNaA mit den
abgefangenen Daten selbst nicht viel anfangen haben. Die Aufzeichnungen wurden
zur Auswertung in eine US-Station nahe Frankfurt am Main transportiert,
mitunter sogar mit Linienmaschinen der Austrian Airlines. Innerhalb der letzten Jahre soll die
Königswarte mit Ausgaben von bis zu 150 Millionen Euro für neue Aufgaben
aufgerüstet worden sein. Zur Luftraumüberwachung dienen bis heute Radaranlagen
auf dem Kolomannsberg (Salzburg), dem Steinmandl (Niederösterreich) und der
Koralpe (Kärnten) unter der Sammelbezeichnung „Goldhaube“.
Die Tätigkeit von
HNaA- und AbwA wurde erst 2001 mit der Beschlussfassung des Militärbefugnisgesetzes
auf eine legistische Basis gestellt: Seitdem ist es den Diensten erlaubt,
Lausch- und Videoangriffe durchführen und verdeckt ermitteln.
Gebietskörperschaften und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts müssen
dem Dienst Auskünfte erteilen. Von Telekomanbietern erhalten HNaA und AbwA
bislang lediglich Name, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten
Anschlusses.
„Ständige
Partnerschaft“ mit der NSA
Die lang
zurückreichenden Abhängigkeiten blieben nach 1989 weiter bestehen – auch weil
Österreich nach wie vor ein nachrichtendienstlich interessanter Raum ist:
Zentrale geografische Lage, Sitz zahlreicher internationaler Organisationen und
vor allem laxe Gesetzgebung gegen Spionage. Diese wird praktisch nur unter
Strafe gestellt, wenn österreichische Interessen betroffen sind – praktisch ein
Freibrief für alle möglichen Aktivitäten.
Aufsehen erregten
zuletzt Meldungen über vier Überwachungsstationen in Wien: Ein angeblicher
NSA-Horchposten in einer Penzinger Villa sowie über seltsame Dachaufbauten auf
der britischen und US-amerikanischen Botschaft und dem IZD-Tower gegenüber der
UNO-City. In den von Snowden geleakten Geheimdokumenten wird Österreich
jedenfalls als Third-Party-Signals Intelligence (SIGNIT)-Partner bezeichnet,
die der NSA bei ihrer Fernmelde- und elektronischen Aufklärung assistieren. Der
US-Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald, der die Snowden-Unterlagen für den
„Guardian“ aufbereitete, hielt dazu fest: „Es gibt eine Partnerschaft zwischen
der NSA und Österreich, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern ständig.“
Festgelegt wurde dies in streng geheimen Verträgen, deren genauer Inhalt bis
heute Anlass für Spekulationen bietet.
„Die
österreichischen Nachrichtendienste aus Sicht des MfS“
Es gibt noch
anderweitig Möglichkeiten „nachzubohren“. Über einen Umweg lassen sich
interessante Details über die Vorgeschichte bis 1989 erfahren – und zwar über
die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), die das
Material Privatpersonen, Institutionen und der Öffentlichkeit zur Verfügung
stellt. Ein Antrag des Autors zum Thema „Die österreichischen
Nachrichtendienste aus Sicht des MfS“ förderte insgesamt 862 Seiten zutage. Mit
Sicherheit gab es noch viel mehr. Aber die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA),
die Auslandsaufklärung des MfS, hatte ihre Abwicklung bis 1990 selbst betreiben
dürfen und viele Dokumente vernichtet. Auch wenn der DDR-Geheimdienst alles
andere als ein objektiver Beobachter war, offerieren die vorhandenen Unterlagen
einen alternativen Blick auf diesen ansonsten kaum durchdringbaren Komplex.
Am 1. Oktober 1969
präsentierte die für Spionageabwehr zuständige MfS-Hauptabteilung II eine
„erste Zusammenfassung von Erkenntnissen über den österreichischen
Geheimdienst“. Dieser sei nach 1945 von „Nachrichtenspezialisten aus der Zeit
des 2. Weltkrieges“ aufgebaut worden. Nach dem Abzug der Besatzungsmächte 1955
sei die „traditionelle Abhängigkeit dieses Landes von den imperialistischen
Großmächten Europas“ nicht nur bestehen geblieben, „sondern wurde noch durch
die Bindung an die USA erweitert und verstärkt“.
Der österreichische
Geheimdienst – worunter das MfS damals die Gruppe für das Nachrichtenwesen und
die Abteilung I (Staatspolizei – 2002 im BVT aufgegangen) subsummierte – würde
nunmehr „in wachsenden Maße“ Stellvertreterfunktionen in der Spionage gegen den
Ostblock erfüllen: Militärspionage vor allem gegen die Tschechoslowakei (CSSR)
und Ungarn sowie verstärkte Abwehrmaßnahmen gegen Einrichtungen und
diplomatische Vertretungen der Oststaaten. Dafür gebe es entsprechende
„finanzielle und technisch-materielle Stützungsmaßnahmen des US-Geheimdienstes
für den österreichischen Geheimdienst“. Mit stark ideologischer Schlagseite
strich das MfS überhaupt drei Hauptfunktionen der Dienste hervor:
„1. Spionage gegen
die sozialistischen Staaten, vor allem gegen die CSSR, VR [Volksrepublik]
Ungarn und die DDR in Koordinierung mit dem US-Geheimdienst und westdeutschen
Geheimdienst. 2. Abwehr der Tätigkeit ausländischer Aufklärungsorgane auf dem
Territorium Österreichs. 3. Überwachung und Niederhaltung der fortschrittlichen
Kräfte in Österreich, vor allem der KPÖ, den Gewerkschaften und anderen
Organisationen der Arbeiterklasse oder linksgerichteter Studenten.“
Österreich nehme
aufgrund seiner geografischen Lage als Nachbarland der CSSR, Ungarns und
Jugoslawiens einen wichtigen Platz in der Konzeption der NATO ein: „Deshalb streben
vor allem die imperialistischen Hauptmächte seit langem danach, ihren Einfluss
auf den österreichischen Geheimdienst zu sichern und ständig auszubauen. Hauptziel
all dieser Einflussnahme ist die verstärkte Ausrichtung des österreichischen
Geheimdienstes auf die Spionage und Zersetzungstätigkeit gegen die
sozialistischen Staaten. Das österreichische Territorium gilt außerdem für die
imperialistischen Staaten selbst als Sprungbrett für subversive Tätigkeit im
südosteuropäischen Raum zur Vorbereitung von Aggressionsabsichten der NATO.
Bereits seit Anfang der 50er Jahre schufen sich deshalb besonders der
US-Geheimdienst und der BND eine Reihe von Ausgangsbasen in Österreich mit
Duldung und Unterstützung des österreichischen Geheimdienstes und staatlicher
Stellen.“
Wenn das MfS hier
Österreich diese insgeheime Kooperation ankreidet, muss eines mitbedacht
werden: Die Neutralität wurde auch von den osteuropäischen Diensten missachtet.
Nicht umsonst nannte Markus Wolf, zwischen 1952 und 1986 Leiter der HVA,
Österreich ein „bequemes Land“ für die Aktivitäten seines Dienstes: „Wir
konnten mit Diplomatenpässen einreisen, auch war es auf Grund des großen
Fremdenverkehrs leicht.“ Das relativiert die in typischem Stasi-Sprech
abgefassten Skandalisierungen etwas.
Aktiver
Partner
Es gibt noch eine
weitere generelle Analyse aus dem Bereich der MfS-Abteilung X, die die
Kooperation mit Sicherheitsdiensten sozialistischer und befreundeter Staaten
koordinierte. Das Dokument ist aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt und
trägt den Titel: „Über die Tätigkeit des österreichischen militärischen
Geheimdienstes und seine Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der BRD und der
USA.“ Nachdem sich der Inhalt stark auf Aufklärungsinteressen des HNaA in der
Tschechoslowakei bezieht, dürfte es sich um Erkenntnisse der dortigen
Staatssicherheit (Státní bezpečnost, StB) handeln. Die umfangreiche Studie ohne
genaues Datum dürfte Mitte der 1980er Jahre erstellt worden sein.
Eine
Schlüsselpassage lautet: „Aktivitäten der Geheimdienste der NATO-Staaten und
anderer kapitalistischer Staaten (z.B. Israels) auf dem Territorium Österreichs
und Bestrebungen zum Zusammenwirken gegen die Staaten der sozialistischen
Gemeinschaft sind – sowohl inoffiziellen als auch offiziellen Angaben zufolge –
seit Bestätigung einer Vereinbarung dieser Länder mit Österreich festzustellen.
Eine intensivere Ausnutzung des österreichischen Geheimdienstes und eine
stärkere Zusammenarbeit mit der CIA und der DIA [Defense Intelligence Agency,
Dachorganisation der Nachrichtendienste der vier US-Teilstreitkräfte] ist seit
Machtübernahme der Reagan-Administration festzustellen. Es ist auch eine
Tatsache, dass die Aktivität der Geheimdienste der BRD in Österreich seit dem
Wahlsieg der klerikalen Parteien CDU/CSU in der BRD zugenommen hat. Den
vorliegenden Angaben zufolge unterhalten die österreichischen Geheimdienste
derzeit enge Verbindungen zu einer Reihe von Spionagediensten. Eine Zusammenarbeit
sowie Verbindungen auf der Ebene eine Verbindungsoffiziers, der direkt in der
entsprechenden diplomatischen Vertretung des jeweiligen kapitalistischen Landes
in Wien tätig ist, wurden mit den amerikanischen, westdeutschen, britischen,
französischen und weiteren 11 Geheimdiensten (abgesehen von der Zusammenarbeit
im Rahmen der INTERPOL) festgestellt. Auf inoffiziellem Weg wurde auch eine
indirekte Verbindung des militärischen Nachrichtendienstes HNaA zur Führung der
Sozialistischen Internationale [Seit 1951 bestehender weltweiter
Zusammenschluss von sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien und
Organisationen] aufgeklärt. Es finden geheime Beratungen von Mitarbeitern der
CIA und des BND mit führenden Vertretern des HNaA und anderer, polizeilicher
Dienststellen statt. Seitens der österreichischen Organe wird den
Geheimdiensten der NATO-Staaten die Möglichkeit eingeräumt, auf dem Territorium
Österreich Maßnahmen ihrer Organe zu realisieren, und der österreichische
Geheimdienst wiederum führt für sie zahlreiche Aufklärungs-, Abwehr- und
Polizeimaßnahmen durch."
Die Autoren des
Berichts konnten es sich nicht verkneifen, auf den flexiblen Umgang in Sachen
Bündnisfreiheit hinzuweisen: „Offiziell – nach den Prinzipien der
österreichischen Neutralität – ist es verboten, gegen die Staaten der
sozialistischen Gemeinschaft zu arbeiten. Doch diese offizielle Festlegung wird
in der praktischen Tätigkeit nicht eingehalten, sondern systematisch verletzt.
Es ist bekannt, dass das HNaA seine Aufträge nicht nur von österreichischen
Stellen erhält, sondern auch von der BND-Zentrale in Pullach. Offiziere des
HNaA werden häufig zu Beratungen in die BRD eingeladen, wo sie Aufträge gegen
die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft erhalten. Zahlreiche Mitarbeiter
des HNaA führen ihre Tätigkeit durch, um später eine Pension zu erhalten, und
sie dient ihnen als ‚Deckmantel‘ für ihre Tätigkeit zugunsten des BND.“
In einem Appendix
zu diesem Dokument („Aktivitäten des österreichischen Geheimdienstes gegen
sozialistische Staaten“) ergänzte das MfS seine Sicht der Dinge: Gegen das HNaA
wurde der Vorwurf erhoben, „einerseits eine eigenständige, offensive und
umfangreiche Spionagetätigkeit gegen die sozialistischen Staaten, insbesondere
die CSSR und VR Ungarn, organisiert und andererseits unter Missbrauch des
sogenannten Neutralitätsstatus der Republik Österreich eine weitreichende
Stellvertreterfunktion für die Geheimdienste der NATO-Staaten, insbesondere der
USA und BRD, wahrnimmt.“ Als Beleg hierfür wurden folgende konkrete Aktionen
angeführt:
„Das HNaA
organisiert nach vorliegenden Informationen eine umfangreiche und intensive
Militärspionage gegen die tschechoslowakische Volksarmee sowie die in der CSSR
dislozierten [verteilten] sowjetischen Streitkräfte. Die erkannten
militärischen Angriffsschwerpunkte und Spionageinteressen, Mittel und Methoden
der Militärspionage, Zielgruppen des HNaA unter Bürgern der CSSR und
Österreichs entsprechen im Wesentlichen den uns bekannten Angriffsrichtungen
und Vorgehensweisen der NATO-Geheimdienste, insbesondere des BND und MI
[Military Intelligence Corps der US Army – Nachrichtendienst der US Army],
gegen die DDR. […] Es bestätigen sich Erkenntnisse dass österreichische
Unternehmen mit kommerziellen Verbindungen in die sozialistischen Länder bzw.
deren Mitarbeiter, z. B. österreichische Fernfahrer, nach wie vor im besonderen
Interesse des HNaA, BND und US-Geheimdienste bei der Organisierung subversiver
Handlungen gegen die sozialistischen Länder stehen.“ So lägen Hinweise darauf
vor, dass in LKWs österreichischer Transportfirmen Miniaturkameras zur
Fotografie militärischer Objekte und Bewegungen installiert worden seien.
Die Zusammenarbeit
zwischen den österreichischen Nachrichtendiensten und jenen der USA und der BRD
habe sich seit Anfang der 1980er Jahre „bedeutend verstärkt“:„So finden
regelmäßig Zusammenkünfte und Erfahrungsaustausche zwischen leitenden
Mitarbeitern dieser Geheimdienste statt, die einer starken Abdeckung und
Konspirierung unterliegen. Zwischen den genannten Geheimdiensten wurde ein
umfangreicher und intensiver Informationsaustausch vereinbart. Engste Kontakte
auf höchster Ebene unterhalten das HNaA und der MAD [Militärische
Abschirmdienst] der BRD. Zwischen den beiden Geheimdiensten wurde der Austausch
von Informationen über Vorgehensweisen sozialistischer Sicherheitsorgane, über
Unterlagen und Technik zur Durchführung von Abhörmaßnahmen und über Erfahrungen
zur Sicherung militärischer Großanlagen vereinbart.“
Folgende
Erkenntnisse würden besonders deutlich: „USA- und BRD-Geheimdienste erhalten
vom HNaA kontinuierlich Erkenntnisse aus der elektronischen Spionage [sic!].
Das HNaA ermöglicht der CIA und dem BND die Bearbeitung von Mitarbeitern
diplomatischer Vertretungen sozialistischer Länder in Wien. So konnten gerade
in jüngster Zeit Aktivitäten des BND gegen Auslandskader in diplomatischen
Vertretungen der DDR in Wien nachgewiesen werden, wie z.B. durch die erfolgte
Festnahme eines solchen Kaders im militärischen Bereich der DDR-Vertretung in
Wien. Das HNaA übergibt der CIA alle Hinweise auf mögliche Verratsabsichten von
Mitarbeitern diplomatischer Vertretungen sozialistischer Länder in Österreich. Das
HNaA unterstützt den US-Geheimdienst DIA (zentraler militärischer Geheimdienst
der USA) bei der Aufklärung und Kontrolle des Sicherheitssystems der CSSR an
der Staatsgrenze zu Österreich.“
Das MfS zog daraus
mehrere Schlussfolgerungen: Österreich – „seine Betriebe, Einrichtungen und
Bürger – würden insbesondere von der CIA und den BRD-genutzt. Deshalb müsse man
folgendes operativ beachten: Aufenthalte von österreichischen Bürgern in der
DDR aufgrund von kommerziellen Vereinbarungen, Transitfahrten österreichischer
Firmenvertreter durch die DDR, Aktivitäten der Botschaft Österreichs und ganz
konkret Handlungen des in der DDR zweitakkreditierten Militärattachés, der
schon in der CSSR versucht habe, „Informationen abzuschöpfen“.
Es
braucht einen Kulturwandel
Unter dem Strich
bleibt das MfS bleibt ein hochproblematischer „Kronzeuge“. Aber es wird
deutlich, dass Österreich gerade in der „heißen“ Spätzeit des Kalten Kriegs –
als US-Präsident Ronald Reagan auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion ging
– ein aktiver Partner westlicher Dienste gewesen sein muss. Die jüngst
diskutierte Achse hin zur NSA hat also eine lange Laufzeit. Und es ist das Bild
einer keineswegs einseitigen Allianz, das sich hier abzeichnet.
Umso wichtiger wäre
es daher, die Behauptungen des MfS in einen Kontext zu setzen. Aber bislang ist
sowohl die Aufarbeitung nachrichtendienstlicher Geschichte aufgrund der
beschriebenen schwierigen Rahmenbedingungen sporadisch und hat oft
selbstreferentiellen Charakter. Wahrscheinlich wird sich wenig ändern, sofern
die österreichischen Nachrichtendienste nicht von selbst den Wert
größtmöglicher Transparenz erkennen. Nach Vorbild der aktuellen
Offenlegungs-Projekte des BND wäre eine Studie zur Gründungsphase des heutigen
HNaA wäre ein möglicher Anfang. Diese Entwicklungen anderenorts wurden bislang
„verschlafen“ – was langfristig auch zu Lasten der eigenen
Daseinsrechtfertigung gehen dürfte – und das mitten in einem generellen
Umstrukturierungsprozess bei der inneren Sicherheit.