Wer würde gleich
hinter noblen Wiener Ringstraßen-Palais Hansen, unweit von der Börse, ein
Zentrum des internationalen Waffenhandels vermuten? Genauso war es, als ab Mai
1983 in der Zelinkagasse Nr. 2 die „Alkastronic Handelsgesellschaft m.b.H“ residierte.
Laut Registereintrag war der Firmenzweck: „Handel mit Waren aller Art,
insbesondere mit elektronischen Bauelementen.“ Tatsächlich handelte es sich um
einen Umschlagplatz für Waffen – betrieben vom damals führenden „Lord of War“, Monzer
Al-Kassar. Eng mit dem Assad-Clan verbunden, war der 1945 geborene Syrer eine
der schillerndsten Figuren der Waffenhändlerszene. Wegen seiner dortigen millionenteuren
Villa war er auch als „Prinz von Marbella“ bekannt.
Vor 30 Jahren, am 10.
Dezember 1985, läutete eine Razzia das Ende der Alkastronic ein. Die
Staatspolizei fand genug Belege, dass die Firma „hauptsächlich in der
Vermittlung von Waffengeschäften tätig ist“. Und diese Deals, die Al-Kassar von
Wien aus einfädelte, hatten es in sich: Zu seinem Kundenkreis zählte beispielsweise
die portugiesische Firma „Defex“, die zu einem Netzwerk gehörte, das auf dem
Höhepunkt des ersten Golfkriegs den Iran mit Waffen belieferte. Die
Machenschaften kosteten US-Präsident Ronald Reagan beinahe die zweite Amtszeit.
Die illegalen Irangeschäfte hatten einerseits dazu gedient, Geiseln aus Teheran
freizubekommen – andererseits wurden Gewinne daraus an die nicaraguanischen
„Contras“ weitergeleitet, um so den Kommunismus in Lateinamerika
zurückzudrängen. Die Wiener Alkastronic hatte ihren Teil dazu beigetragen: So
waren Anfang 1985 1.024 Kisten per Luftfracht von Warschau an die Defex in
Lissabon gegangen. Darin befanden sich 1.000 Panzerabwehrraketen und Munition.
Ein kurz danach abgeschlossener Vertrag mit einem „Mohammed Merbati“ sah vor,
5.000 TOW-Lenkraketen zum Stückpreis von 9.000 Dollar gleich „bis iranischen
Flughafen“ zu liefern. Zum Kundenkreis der Alkastronic zählten weiters die Pariser
Firma „Luchaire“ sowie der britische Waffenhändler John Knight, die ebenfalls
den Iran aufrüsteten. Resümee der Staatspolizei: „Ein Großteil der Lieferungen
ging in den Iran, wobei dies jedoch durch ein anderes Abnehmerland verschleiert
wurde. Weitere Abnehmer waren Panama, Honduras, Ägypten und Yemen.“
Aber auch der
internationale Terrorismus profitierte: Zwei Rechnungen, vom 9. März und vom 3.
April 1984, betrafen Geschäfte mit der Warschauer SAS Trading Company. Ohne
dass es die Ermittler wussten, handelte es sich um den kommerziellen „Arm“ der Abu
Nidal Organisation (ANO). Diese hatte 1981 zwei blutige Anschläge in Österreich
verübt. Am 9. März 1984 wurden der SAS Company 553 Pistolen sowie eine „größere
Anzahl Munition“ in Rechnung gestellt. Der Gesamtbetrag machte 228.560 Dollar
aus. Eine zweite Rechnung vom 3. April 1984 lautete auf 20.000 Stück 7,65
mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur. In diesem Fall war der
Gesamtbetrag 9.980 Dollar.
All diese Waffengeschäfte
Al Kassars waren legal – denn die Ware war nicht physisch aus oder durch
Österreich gegangen. Herkunftsland war vielmehr das kommunistische Polen. Dort
hatte sich die vom militärischen Geheimdienst kontrollierte Firma MSH Czenzin
nach neuen Absatzmärkten umgesehen. Ihr wichtigster privater Geschäftspartner war
Al Kassar, der gleichzeitig auch als Verkaufsagent fungierte. 1983 begründete
man gemeinsam die Alkastronic – das neutrale Österreich mit seinem liberalen
Handelsrecht war dafür die perfekte Plattform. In Wien gehörte Al Kassar eine zweistöckige
Wohnung in der Döblinger Kaasgrabenstraße. „Sein unübersehbarer Reichtum und
seine oft bekundete Absicht, viel Geld in Österreich zu investieren, öffneten ihm
die Herzen der Prominenz“, befand damals „profil“. Das ging so weit, dass Vizekanzler
und Handelsminister Norbert Steger (FPÖ) mit Verweis auf Empfehlungsschreiben
von Steyr und Hirtenberger die Verleihung der österreichischen
Staatsbürgerschaft unterstützte. Daraus wurde aber nichts. „Hände weg von
Al-Kassar“, warnte Innenminister Karl Blecha und begründete dies mit „gewissen
Indizien“ gegen den Syrer.
Anteilseigener bei
der Alkastronic waren neben Al Kassar und seinem Bruder Ghassan die polnischen
Militärgeheimdienstler Henryk Majorczyk und Tadeusz Koperwas. Die Recherchen
des Historikers Przemysław Gasztold-Seń vom Warschauer Institute of National
Rememberance zeigen, dass diese bald dahinter kamen, dass Al Kassar auch in den
Drogenhandel verstrickt war. Zumindest zahlte sich das Ganze für sie persönlich
aus: Während das Monatsgehalt in Polen Anfang der 1980er Jahre 20-30 US-Dollar
betrug, verdienten Majorczyk und Koperwas im selben Zeitraum 1.030 Dollar. Kein
Wunder also, dass sie sich mit dem Spionieren in Österreich zurückhielten und
lieber Informanten unter den Waffenhändlern rekrutierten. Beide kauften sich
teure Autos und nahmen diese später nach Polen mit.
Ende 1985 wurde es
für die Alkastronic eng – Al Kassar wurde bei seinen Aufenthalten in Wien auf
Schritt und Tritt beschattet. Die Maßnahme war aber nicht wirklich erfolgreich,
wie sich ein Zeitzeuge, der langjährige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen
Wien Schwechat, Alfred Rupf, erinnert: „Al Kassar war sich der Überwachung
bewusst, dies ist so weit gegangen, dass er sich den Spaß gemacht hat und uns
angerufen und seine Ankunft mitgeteilt hat, um uns seine Observierung zu erleichtern.“
Einige der zuständigen Beamten kleideten sich nach dem Vorbild des von Al
Pacino verkörperten New Yorker Cops in „Serpico“ (1973). Was für Ermittlungen
im Drogenmilieu passte, war nicht zwangsläufig die beste Wahl für das
Beschatten eines Mannes, der in Luxushotels abstieg. Nach einem Monat
Telefonüberwachung kam es am 10. Dezember 1985 schließlich zu der eingangs erwähnten
Hausdurchsuchung. Der Verdacht bestand, Al Kassar und seine Geschäftspartner würden
unter Deckmantel der Alkastronic einer palästinensischen Terrorgruppe „Waffen
beschaffen und diese Waffengeschäfte durch Suchtgifthandel finanzieren“. Die
zuständige Untersuchungsrichterin meinte jedoch im Nachhinein: „Die ganze Sache
hat viel gekostet wegen der Übersetzungen. Einen Beweis für eine strafbare
Handlung haben wir nicht gefunden.“ Die Alkastronic wurde trotzdem geschlossen.
Konsequenzen für die Beteiligten gab es keine. Allerdings hatten die beiden
Polen Probleme zurück in der Heimat. Laut den Recherchen von Gasztold-Seń wurde
Majorczyk zur Last gelegt, dass er zu wenige Informationen geliefert hatte und
der Geheimdienst brach seine Beziehung zu ihm ab. Koperwas wiederum wurde unter
Beobachtung gestellt – wegen des Verdachts, die österreichische Seite könnte
ihn als „Quelle“ rekrutiert haben. Später nahm er seine Tätigkeit für Czenzin
wieder auf.
Trotz des Aus für die
Alkastronic war Al-Kassar gleich wieder im Geschäft – diesmal mit der
verstaatlichten Industrie. Die VOEST-Alpine war 1979 umfassend in die
Waffenproduktion eingestiegen. Auf der Suche nach Absatzmärkten für das
Vorzeigeprodukt, die Noricum-Haubitze (GHN-45), hatte man sich im Konfliktherd Nahost
verstrickt. An Jordanien verkauften Haubitzen waren in den kriegsführenden Irak
gelangt. 1984 erzwang auch der Iran, beliefert zu werden. Da diese Exporte nach
geltender Rechtslage illegal waren, musste zunächst Libyen als Scheinabnehmer herhalten.
Als es auch hier einen Lieferstopp gab, suchte man nach Alternativen. Und in
dieser Situation wurden die Verstaatlichten-Manager bei dem ausgezeichnet
vernetzten Al Kassar vorstellig, um falsche Endverbraucher-Papiere zu besorgen.
„Gebeten ist untertrieben. Sie haben mich angefleht – bei Ihnen sagt man: Auf
den Knien sind sie gekommen mit der Bitte, zu helfen, ihre marode Industrie
wieder in Schwung zu bringen. Von Tausenden Arbeitslosen war die Rede“,
erzählte Al Kassar 1990 der Illustrierten „Basta“. Gegen Bezahlung einer fünf
prozentigen Provision vermittelte Al-Kassars in Warschau angesiedelte „Overseas
Company“ Anfang 1986 das „Argentiniengeschäft“ über 18.000 Granaten, die in
Wirklichkeit in den Iran gingen. Weitere 41,7 Millionen Schilling kassierte die
Firma für ein argentinisches Endverbraucherzertifkat, das eine Kanonenlieferung
an den Iran verschleierte. Und schließlich schob Al Kassar 1986/87 Czenzin als
Abnehmer für 50.000 Sprenggranaten, Treibladungssätze und Treibpatronen vor.
Als der Noricum-Skandal
publik wurde, blieb Al-Kassar unbehelligt. Die für ihn zuständige Einsatzgruppe
für die Bekämpfung des Terrorismus (EBT) berichtete 1988: „Von Seiten des
Gerichtes sind trotz ausführlicher Information keine Schritte gegen Al Kassar
Monzer beabsichtigt.“ Sein Verhalten sei das eines „Ausländers im Ausland und
fällt aus diesem Grund nicht unter die österr. Strafgerichtsbarkeit“. Obwohl seit
Anfang 1988 ein Aufenthaltsverbot gegen ihn bestand, war der Syrer ab und zu
nach Wien gekommen. Dort feierte er Feste im legendären „Club 45“ von Udo
Proksch, den er als „lustigen Kautz“ schätzte. In dessen Schlepptau schaffte es
Al-Kassar sogar an das Spitalsbett von Außenminister Leopold Gratz. Zu holen
war in Österreich freilich nichts mehr. Al-Kassar musste sich anderweitig umsehen.
Anfang der 1990er Jahren schmuggelte er trotz UN-Embargo Waffen in die
Bürgerkriegsstaaten am Balkan. Danach wurde es längere Zeit still um ihn. Doch
2007 ging Al-Kassar in eine gut vorbereitete Falle: Jene kolumbianischen Guerilleros,
denen er in Madrid Boden-Luft-Raketen und Granatwerfer verkaufen wollte,
stellten sich als verdeckte US-Fahnder heraus. Ein New Yorker Gericht
verurteilte ihn anschließend zu 30 Jahren Haft. Die so erfolgreiche „Operation
Legacy“ war ein Warnsignal an all die Waffenhändler vom Schlag Al-Kassars: Ihr
seid nicht länger unantastbar!
Hinweis: Eine gekürzte Version ist am 29. November 2015 in "Die Presse" erschienen