Montag, 30. November 2015

Als der „Prinz von Marbella“ im 1. Bezirk mit Waffen dealte

Wer würde gleich hinter noblen Wiener Ringstraßen-Palais Hansen, unweit von der Börse, ein Zentrum des internationalen Waffenhandels vermuten? Genauso war es, als ab Mai 1983 in der Zelinkagasse Nr. 2 die „Alkastronic Handelsgesellschaft m.b.H“ residierte. Laut Registereintrag war der Firmenzweck: „Handel mit Waren aller Art, insbesondere mit elektronischen Bauelementen.“ Tatsächlich handelte es sich um einen Umschlagplatz für Waffen – betrieben vom damals führenden „Lord of War“, Monzer Al-Kassar. Eng mit dem Assad-Clan verbunden, war der 1945 geborene Syrer eine der schillerndsten Figuren der Waffenhändlerszene. Wegen seiner dortigen millionenteuren Villa war er auch als „Prinz von Marbella“ bekannt.

Vor 30 Jahren, am 10. Dezember 1985, läutete eine Razzia das Ende der Alkastronic ein. Die Staatspolizei fand genug Belege, dass die Firma „hauptsächlich in der Vermittlung von Waffengeschäften tätig ist“. Und diese Deals, die Al-Kassar von Wien aus einfädelte, hatten es in sich: Zu seinem Kundenkreis zählte beispielsweise die portugiesische Firma „Defex“, die zu einem Netzwerk gehörte, das auf dem Höhepunkt des ersten Golfkriegs den Iran mit Waffen belieferte. Die Machenschaften kosteten US-Präsident Ronald Reagan beinahe die zweite Amtszeit. Die illegalen Irangeschäfte hatten einerseits dazu gedient, Geiseln aus Teheran freizubekommen – andererseits wurden Gewinne daraus an die nicaraguanischen „Contras“ weitergeleitet, um so den Kommunismus in Lateinamerika zurückzudrängen. Die Wiener Alkastronic hatte ihren Teil dazu beigetragen: So waren Anfang 1985 1.024 Kisten per Luftfracht von Warschau an die Defex in Lissabon gegangen. Darin befanden sich 1.000 Panzerabwehrraketen und Munition. Ein kurz danach abgeschlossener Vertrag mit einem „Mohammed Merbati“ sah vor, 5.000 TOW-Lenkraketen zum Stückpreis von 9.000 Dollar gleich „bis iranischen Flughafen“ zu liefern. Zum Kundenkreis der Alkastronic zählten weiters die Pariser Firma „Luchaire“ sowie der britische Waffenhändler John Knight, die ebenfalls den Iran aufrüsteten. Resümee der Staatspolizei: „Ein Großteil der Lieferungen ging in den Iran, wobei dies jedoch durch ein anderes Abnehmerland verschleiert wurde. Weitere Abnehmer waren Panama, Honduras, Ägypten und Yemen.“

Aber auch der internationale Terrorismus profitierte: Zwei Rechnungen, vom 9. März und vom 3. April 1984, betrafen Geschäfte mit der Warschauer SAS Trading Company. Ohne dass es die Ermittler wussten, handelte es sich um den kommerziellen „Arm“ der Abu Nidal Organisation (ANO). Diese hatte 1981 zwei blutige Anschläge in Österreich verübt. Am 9. März 1984 wurden der SAS Company 553 Pistolen sowie eine „größere Anzahl Munition“ in Rechnung gestellt. Der Gesamtbetrag machte 228.560 Dollar aus. Eine zweite Rechnung vom 3. April 1984 lautete auf 20.000 Stück 7,65 mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur. In diesem Fall war der Gesamtbetrag 9.980 Dollar.

All diese Waffengeschäfte Al Kassars waren legal – denn die Ware war nicht physisch aus oder durch Österreich gegangen. Herkunftsland war vielmehr das kommunistische Polen. Dort hatte sich die vom militärischen Geheimdienst kontrollierte Firma MSH Czenzin nach neuen Absatzmärkten umgesehen. Ihr wichtigster privater Geschäftspartner war Al Kassar, der gleichzeitig auch als Verkaufsagent fungierte. 1983 begründete man gemeinsam die Alkastronic – das neutrale Österreich mit seinem liberalen Handelsrecht war dafür die perfekte Plattform. In Wien gehörte Al Kassar eine zweistöckige Wohnung in der Döblinger Kaasgrabenstraße. „Sein unübersehbarer Reichtum und seine oft bekundete Absicht, viel Geld in Österreich zu investieren, öffneten ihm die Herzen der Prominenz“, befand damals „profil“. Das ging so weit, dass Vizekanzler und Handelsminister Norbert Steger (FPÖ) mit Verweis auf Empfehlungsschreiben von Steyr und Hirtenberger die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft unterstützte. Daraus wurde aber nichts. „Hände weg von Al-Kassar“, warnte Innenminister Karl Blecha und begründete dies mit „gewissen Indizien“ gegen den Syrer.

Anteilseigener bei der Alkastronic waren neben Al Kassar und seinem Bruder Ghassan die polnischen Militärgeheimdienstler Henryk Majorczyk und Tadeusz Koperwas. Die Recherchen des Historikers Przemysław Gasztold-Seń vom Warschauer Institute of National Rememberance zeigen, dass diese bald dahinter kamen, dass Al Kassar auch in den Drogenhandel verstrickt war. Zumindest zahlte sich das Ganze für sie persönlich aus: Während das Monatsgehalt in Polen Anfang der 1980er Jahre 20-30 US-Dollar betrug, verdienten Majorczyk und Koperwas im selben Zeitraum 1.030 Dollar. Kein Wunder also, dass sie sich mit dem Spionieren in Österreich zurückhielten und lieber Informanten unter den Waffenhändlern rekrutierten. Beide kauften sich teure Autos und nahmen diese später nach Polen mit.

Ende 1985 wurde es für die Alkastronic eng – Al Kassar wurde bei seinen Aufenthalten in Wien auf Schritt und Tritt beschattet. Die Maßnahme war aber nicht wirklich erfolgreich, wie sich ein Zeitzeuge, der langjährige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien Schwechat, Alfred Rupf, erinnert: „Al Kassar war sich der Überwachung bewusst, dies ist so weit gegangen, dass er sich den Spaß gemacht hat und uns angerufen und seine Ankunft mitgeteilt hat, um uns seine Observierung zu erleichtern.“ Einige der zuständigen Beamten kleideten sich nach dem Vorbild des von Al Pacino verkörperten New Yorker Cops in „Serpico“ (1973). Was für Ermittlungen im Drogenmilieu passte, war nicht zwangsläufig die beste Wahl für das Beschatten eines Mannes, der in Luxushotels abstieg. Nach einem Monat Telefonüberwachung kam es am 10. Dezember 1985 schließlich zu der eingangs erwähnten Hausdurchsuchung. Der Verdacht bestand, Al Kassar und seine Geschäftspartner würden unter Deckmantel der Alkastronic einer palästinensischen Terrorgruppe „Waffen beschaffen und diese Waffengeschäfte durch Suchtgifthandel finanzieren“. Die zuständige Untersuchungsrichterin meinte jedoch im Nachhinein: „Die ganze Sache hat viel gekostet wegen der Übersetzungen. Einen Beweis für eine strafbare Handlung haben wir nicht gefunden.“ Die Alkastronic wurde trotzdem geschlossen. Konsequenzen für die Beteiligten gab es keine. Allerdings hatten die beiden Polen Probleme zurück in der Heimat. Laut den Recherchen von Gasztold-Seń wurde Majorczyk zur Last gelegt, dass er zu wenige Informationen geliefert hatte und der Geheimdienst brach seine Beziehung zu ihm ab. Koperwas wiederum wurde unter Beobachtung gestellt – wegen des Verdachts, die österreichische Seite könnte ihn als „Quelle“ rekrutiert haben. Später nahm er seine Tätigkeit für Czenzin wieder auf.

Trotz des Aus für die Alkastronic war Al-Kassar gleich wieder im Geschäft – diesmal mit der verstaatlichten Industrie. Die VOEST-Alpine war 1979 umfassend in die Waffenproduktion eingestiegen. Auf der Suche nach Absatzmärkten für das Vorzeigeprodukt, die Noricum-Haubitze (GHN-45), hatte man sich im Konfliktherd Nahost verstrickt. An Jordanien verkauften Haubitzen waren in den kriegsführenden Irak gelangt. 1984 erzwang auch der Iran, beliefert zu werden. Da diese Exporte nach geltender Rechtslage illegal waren, musste zunächst Libyen als Scheinabnehmer herhalten. Als es auch hier einen Lieferstopp gab, suchte man nach Alternativen. Und in dieser Situation wurden die Verstaatlichten-Manager bei dem ausgezeichnet vernetzten Al Kassar vorstellig, um falsche Endverbraucher-Papiere zu besorgen. „Gebeten ist untertrieben. Sie haben mich angefleht – bei Ihnen sagt man: Auf den Knien sind sie gekommen mit der Bitte, zu helfen, ihre marode Industrie wieder in Schwung zu bringen. Von Tausenden Arbeitslosen war die Rede“, erzählte Al Kassar 1990 der Illustrierten „Basta“. Gegen Bezahlung einer fünf prozentigen Provision vermittelte Al-Kassars in Warschau angesiedelte „Overseas Company“ Anfang 1986 das „Argentiniengeschäft“ über 18.000 Granaten, die in Wirklichkeit in den Iran gingen. Weitere 41,7 Millionen Schilling kassierte die Firma für ein argentinisches Endverbraucherzertifkat, das eine Kanonenlieferung an den Iran verschleierte. Und schließlich schob Al Kassar 1986/87 Czenzin als Abnehmer für 50.000 Sprenggranaten, Treibladungssätze und Treibpatronen vor.

Als der Noricum-Skandal publik wurde, blieb Al-Kassar unbehelligt. Die für ihn zuständige Einsatzgruppe für die Bekämpfung des Terrorismus (EBT) berichtete 1988: „Von Seiten des Gerichtes sind trotz ausführlicher Information keine Schritte gegen Al Kassar Monzer beabsichtigt.“ Sein Verhalten sei das eines „Ausländers im Ausland und fällt aus diesem Grund nicht unter die österr. Strafgerichtsbarkeit“. Obwohl seit Anfang 1988 ein Aufenthaltsverbot gegen ihn bestand, war der Syrer ab und zu nach Wien gekommen. Dort feierte er Feste im legendären „Club 45“ von Udo Proksch, den er als „lustigen Kautz“ schätzte. In dessen Schlepptau schaffte es Al-Kassar sogar an das Spitalsbett von Außenminister Leopold Gratz. Zu holen war in Österreich freilich nichts mehr. Al-Kassar musste sich anderweitig umsehen. Anfang der 1990er Jahren schmuggelte er trotz UN-Embargo Waffen in die Bürgerkriegsstaaten am Balkan. Danach wurde es längere Zeit still um ihn. Doch 2007 ging Al-Kassar in eine gut vorbereitete Falle: Jene kolumbianischen Guerilleros, denen er in Madrid Boden-Luft-Raketen und Granatwerfer verkaufen wollte, stellten sich als verdeckte US-Fahnder heraus. Ein New Yorker Gericht verurteilte ihn anschließend zu 30 Jahren Haft. Die so erfolgreiche „Operation Legacy“ war ein Warnsignal an all die Waffenhändler vom Schlag Al-Kassars: Ihr seid nicht länger unantastbar!

Hinweis: Eine gekürzte Version ist am 29. November 2015 in "Die Presse" erschienen