Montag, 16. Dezember 2013

Die Geheimdienste und der Südtirolkonflikt - Teil 2

Abgesehen von dieser beträchtlichen Rolle italienischer Geheimdienste in Südtirol, waren auch östliche Dienste involviert. Südtirol wurde insofern zu einem Nebenschauplatz des Kalten Krieges. Für das strategische Interesse des Ostblocks gab es mehrere Gründe: Zunächst einmal fiel die virulenteste Phase des Südtirolkonflikts in den 1960er Jahren in den Kontext der Entkolonialisierung und der Auflösung der europäischen Kolonialreiche. Einige dieser Konflikte zogen sich bis an die europäische Peripherie hin. So hatten zionistische Gruppen bereits in den 1940er Jahren einen erfolgreichen Kampf gegen die britische Mandatsverwaltung in Palästina geführt. 1954 entzündete sich der Algerienkrieg, der sich bis 1962 hinziehen sollte und in einem Sieg der Nationalen Befreiungsfront (FLN) endete. 1960 war zudem Zypern nach mehrjährigem Guerillakrieg gegen die britische Besetzung unabhängig geworden – ein Beispiel, dem einige Südtiroler Aktivisten besonders nacheiferten. Die Sowjetunion hatte die Sache der „nationalen Befreiungsbewegungen“ generell substanziell unterstützt, um die westliche Position in der „Dritten Welt“ zu schwächen bzw. die neu entstandenen linksnationalistischen Regime in den eigenen Machtbereich hineinzuziehen. Im Falle Südtirols, eines ähnlich gelagerten ethnisch-nationalen Konflikts, wurde die Aufstandsbewegung nicht direkt unterstützt, auch wenn es angeblich Hilfsangebote gegeben hat.

Was die Situation in Südtirol aus Sicht des Ostblocks so speziell machte, war die neuralgische Lage in Westeuropa zwischen zwei Schlüssel-NATO-Staaten. Vor allem Italien war ein „Eckpfeiler“ im Mittelmeerraum. Darüber hinaus bildete der Südtiroler Grenzabschnitt zu Tirol und Kärnten im Norden eine Außengrenze der westlichen Allianz gegenüber dem neutralen Österreich, dem „weichen Bauch im NATO-Leib“. Mit dem angrenzenden Jugoslawien befand sich weiters der kommunistische Machtblock in unmittelbarer Nähe. Dieser strategischen Bedeutung Südtirols trug die NATO insofern Rechnung, indem sie zahlreiche Basen einrichtete. In der Nähe von Brixen, auf der Hochfläche von Natz-Schabs, befand sich seit dem Ende des 2. Weltkriegs ein US-Stützpunkt. Ab 1979, nach dem Nachrüstungsbeschluss, wurden in den dortigen unterirdischen Bunkern atomare Lance-Raketen deponiert. Im weiteren Umkreis befanden sich zudem wichtige NATO-Stützpunkte wie die Aviano Air Base (Atomwaffenlager) und das alliierte Streitkräfte-Kommando für Südeuropa (LANDSOUTH in Verona). Das Südtirol-„Problem“ hatte somit das Potential, sowohl zwischen die wichtigen NATO-Länder Italien/BRD, als auch zwischen Italien und dem neutralen Österreich Keile zu treiben. Letzteres Land war seit dem Pariser Abkommen (1946) die völkerrechtliche „Schutzmacht“ und hatte die „Südtirolfrage“ 1960 vor die UNO gebracht. Aber auch im süddeutschen Raum gab es viel Sympathie für die Sache der Südtiroler: Unterstützung kam beispielsweise von der bayrischen CSU und dem rechten FDP-Flügel um Josef Ertl, der als Agrarminister der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt angehörte. Ein „Mitmischen“ im Südtirolkonflikt bot dem Osten daher die Möglichkeit, einen „dauerhaften Krisenherd inmitten des Westens zu schüren“, so Michaela Koller-Seizmaier: „In dem Alpenland hatte sich erstmals ein Konfliktpotential westlich des Eisernen Vorhangs aufgestaut, das gleich mehrfach politische Implikationen in sich barg: Ein ethnischer Konflikt, verbunden mit der Eigendynamik eines geteilten Landes, die eine separatistische Ausrichtung mit sich brachte und somit eine Territorialfrage im Bereich der NATO aufwarf.“

Unglücklicherweise ist die Aktenlage zur Frühphase des Konflikts spärlich. Angeblich soll der BAS-Führer Georg Klotz 1960 sogar überlegt haben, in der sowjetischen Botschaft in Wien direkt Hilfe einzuholen, wie sich seine Tochter Eva erinnerte: „Er habe dann gesagt, ‚Nein mit den Kommunisten mich verbünden, das kann ich nicht als Tiroler, als wertkonservativer Mensch nicht tun’. Und so ist er dann nicht hineingegangen.“ 1967/68 soll sich dann der tschechoslowakische Geheimdienst an Klotz „herangemacht“ haben: „Ich kann mich ganz genau an den Typen erinnern. Wir waren mit unserem Vater in Absam im Exil in Nordtirol. Da ist dieser Robert aus Tschechien gekommen, der meinen Vater überzeugen wollte, man müsse zuerst eine Bank ausrauben, in Südtirol, um zu Geld zu kommen, dann müsse man einige italienische Kasernen stürmen.“ Zu dieser frühen Involvierung von Ost-Geheimdiensten existiert auch ein Dokument in den Beständen der Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Der westdeutsche Journalist Herbert Lucht teilte dem damaligen Außenminister Kreisky 1963 brieflich mit: „Interessant mag vielleicht noch sein, dass Mittelsmänner der Sowjetischen Botschaft in Wien 1960 bereits, vor der ersten ‚Terrorwelle’ also, an die ‚Bumser’ herangetreten sein und ihnen finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt haben sollen, dass sie ihre ‚Aktionen’ auch auf die in Südtirol befindlichen NATO-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die Feindschaft der Kommunisten gegen sich, die im ‚Südtiroler Freiheitskampf’ als dem einzigen ‚nicht ihre schmutzigen Finger hätten’.“

Josef Frolik, ein Überläufer des tschechoslowakischen Geheimdienstes Státní bezpečnost (StB), behauptete in seinen 1975 erschienen Memoiren sogar, dass die Terrorwelle in den 1960er Jahren von seinem Dienst unter erheblichen Aufwand direkt eingefädelt wurde: Eine große Zahl an Agenten sei mobilisiert worden, nicht nur in Österreich, sondern auch in der BRD und in Ober-Italien. Diese Kräfte verübten dann Bombenanschläge und Sabotageakte. Ziel der federführenden „Abteilung für schmutzige Tricks“ des StB sei es gewesen, zwischen Österreich und dem NATO-Land Italien Spannungen zu erzeugen. Zur Aufstachelung der deutschsprachigen Bevölkerung habe man eigens Flugblätter im Namen eines „Befreiungskomitees“ produziert: „Danach zogen wir uns aus dem Gebiet wieder zurück und überließen den Heißspornen beider Seiten die Arbeit, die sie genüsslich ausführten. […] Der von den Tschechen an der österreichisch-italienischen Grenze angezettelte Krieg war ein heißer geworden.“ 1976 gab Frolik dem ZDF ein Interview und behauptete, dass einer seiner Untergebenen 1956 in Südtirol erste Attentate verübte. Für Hans Stieler, damals noch vor dem BAS mit einer Gruppe aktiv, war diese Darstellung aus der Luft gegriffen. Es habe aber in dieser Zeit einige kleinere Anschläge gegeben, deren Hintergrund nie aufgeklärt wurde. Froliks Angaben sind bis heute unbestätigt geblieben, und es erscheint zweifelhaft, ob es eine solche aktive „Provokation“ überhaupt jemals gegeben hat. Dafür ist ein strategischer Ansatz des ostdeutschen MfS in Sachen Südtirol vergleichsweise gut dokumentiert: Anhand des Hinweises auf die Rolle von Rechtsextremisten im Südtirolkonflikt exemplarisch darzustellen, dass sich die BRD im Kern nicht geändert habe, sondern nach wie vor einen Hort faschistischer-revanchistischer Reaktion darstelle. Das „Unterfutter“ für diese „nazistische“ Diskreditierung der Bonner Republik zu liefern, war 1962 als eine der „Hauptaufgaben“ der zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS festgeschrieben worden: „Stärkere Mithilfe bei der Durchführung von politisch-operativen aktiven Maßnahmen zur Entlarvung des Charakters des Bonner Staates, seiner Kriegsvorbereitungen und antinationalen Politik.“ Dadurch sollte die internationale Position der Bonner Regierung geschwächt sowie der in der „Hallstein Doktrin“ formulierte Alleinvertretungsanspruch und die damit verbundene diplomatische Isolation der DDR aufgebrochen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, griff des MfS u. a. zu sogenannten „aktiven Maßnahmen“ um westdeutsche Strategien und Organisationen zu schwächen sowie einzelne Vertreter der BRD als ehemalige Nationalsozialisten zu kompromittieren. 

Zu diesem Zweck suchte das MfS mit großem Aufwand nach Belastungsmaterial: Die beträchtliche Involvierung von österreichischen und westdeutschen Rechtsextremisten, die langjährige Förderung Südtiroler Angelegenheiten durch bundesdeutsche Ministerien, Organisationen und Stiftungen(„Stille Hilfe für Südtirol“, „Kulturwerk für Südtirol“) sowie die Tätigkeit von Vereinen wie dem Andreas-Hofer-Bund (München) waren Elemente, an denen man die Kontinuität des Nazismus nach 1945 propagandistisch festmachen und gleichzeitig den Charakter der DDR als antifaschistischen Staat herausstreichen konnte. So ließ das westdeutsche Ministerium für gesamtdeutsche Fragen ohne Wissen der italienischen Zentralregierung vor 1969 Gelder in unbekannter Höhe nach Südtirol fließen. Von 1969 bis 1976 überwies dann das Auswärtige Amt umgerechnet zehn Millionen Euro „in streng vertraulicher Weise und unter Abweichung von üblichem haushaltsrechtlichen Verfahren“. Als Empfänger fungierte die Südtiroler Landesregierung, die damit vor allem Bildungsmaßnahmen finanzierte. Das Auswärtige Amt sah in dieser Praxis auch eine moralische Wiedergutmachung für die Spätfolgen der NS-Südtirolpolitik. In einem Dokument des Auswärtigen Amts von 1975 heißt es beispielsweise zur Tätigkeit von „Stille Hilfe für Südtirol“ und „Kulturwerk für Südtirol“: „Die beiden letztgenannten Organisationen bringen Geld- und Sachspenden für die Einrichtung von Kindergärten und Schülerheimen, für Stipendien, Ausbildungshilfe und andere soziale und kulturelle Zwecke zugunsten der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol auf. Die beiden Organisationen zusammen haben ein durchschnittliches Jahresaufkommen von ca. DM 800.000,-.“ Mitte der 1990er Jahre  prüfte die Bozner Staatsanwaltschaft dann, ob Gelder der Düsseldorfer Niermann-Stiftung an die Terrorgruppe „Ein Tirol“ geflossen waren („Die Spur führt nach Deutschland“). Die 1977 gegründete Stiftung, die vom österreichischen Rechtsextremisten Norbert Burger beraten wurde, hatte eine Million D-Mark an bedürftige Südtiroler Bergbauern ausbezahlt – allerdings waren dort nur 500.000 D-Mark angekommen. Auch das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz hatte schon Ende der 1980er Jahre vermutet, Stiftungsgelder könnten „satzungswidrig zur Unterstützung terroristischer Aktivitäten in Südtirol veruntreut“ worden sein. Die Ermittlungen in Italien ergaben schließlich, dass Karl Außerer, Anführer von „Ein Tirol“, eine Zahlung der Niermann-Stiftung über 5.000 DM erhielt. Für eine Anklage reichten die Beweise aber nicht aus.

Schon in den frühen 1960er Jahre war es zu einem aufsehenerregenden Fall gekommen, wo mit großem Aufwand diese Verbindung zwischen dem Terrorismus in Südtirol, westdeutschen Rechtsextremismus und „Diversionsakten“ gegen die DDR hergestellt wurde: Herbert Kühn, ein 20jähriger Gelegenheitsarbeiter aus Essen, wurde am 26. Februar 1964 vom 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1963 in Ost-Berlin selbst gebaute Sprengkörper vor vier Regierungsgebäuden deponiert. Wegen der dilettantischen Bauweise kam es nur zu einer Explosion, die eine Fensterscheibe des Ministeriums für Außen- und innerdeutschen Handel beschädigte. Am 30. Juni 1963 wurde Kühn dann beim Versuch, eine Sprengladung am Gebäude des Zentralkomitees der SED anzubringen, auf frischer Tat ertappt. Das Potential dieses Falls war vom MfS schon im Vorfeld erkannt worden: Die Hauptabteilung IX/7 begründete Anfang 1964 den Vorschlag zur Durchführung eines Verfahrens gegen Kühn folgendermaßen: „Durch die Hauptverhandlung gegen den Terroristen und [unleserlich] Kühn soll der Weltöffentlichkeit erneut dargelegt werden, dass in Westdeutschland durch Förderung offizieller Dienststellen und staatlicher Einrichtungen neofaschistische und rechtsextremistische Elemente, wie Kühn und seine Bande nicht nur eine Basis haben, sondern mit Wissen, Unterstützung und Anleitung des Bundesnachrichtendienstes und des ‚Verfassungsschutzes’ friedensgefährdende Verbrechen, wie Mord, Terror, Diversion, Brandstiftung und andere Gewaltverbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik und andere sozialistische Staaten planten, organisierten und durchführten.“ Der Öffentlichkeit werde durch diesen Prozess „die Gefahr der internationalen Vereinigungsbestrebungen neofaschistischer Elemente vor Augen geführt und bewiesen, daß die von Westdeutschland ausgehenden Terrorakte in Europa ein sichtbares Zeichen des Expansionskurses des westdeutschen Imperialismus und Militarismus sind“. So war es nur konsequent, dass Kühn bereits im Vorfeld des Prozesses im Rahmen einer internationalen Pressekonferenz am 6. Dezember 1963 zu einem bestens vernetzten neofaschistischen „Superterroristen“ gestempelt wurde: Angeblich hatte er an Attentaten der französischen Organisation de l’armée secrète (OAS) in Paris 1962 teilgenommen und im selben Jahr unter anderem einen Anschlag auf die Druckerei der SED-Zeitschrift „Die Wahrheit“ in West-Berlin organisiert. In einem Dossier zu Kühn hieß es weiters, er sei ein „Führungsmitglied“ des BAS und „Initiator von Gewaltakten und Diversionshandlungen in Südtirol und gegen die DDR“. 1963 soll Kühn dann von West-Berlin aus, „politische Attentate“ vorbereitet und durchgeführt haben, um diese als Aktionen von DDR-Bürgern erscheinen zu lassen. Es sollten „Fanale des Widerstands“ sein. Dabei soll Kühn vom Bundesamt für Verfassungsschutz, vom Bundesnachrichtendienst und von der westdeutschen Justiz aktiv gesteuert und gefördert worden sein. Das „Neue Deutschland“ klagte jedenfalls über ein „Bonner Komplott der Revanchisten und Terroristen gegen Entspannung und Anrüstung“. Westliche Prozessbeobachter dagegen beanstandeten einen „Schauprozess“ und beschrieben Kühn als „Wirrkopf“, „Möchtegern-Helden“ und „unreifen, rechtsradikal- verhetzten Jüngling“. Kühn habe offenbar Gefallen an der Märtyrerrolle gefunden – einer der Journalisten kritisierte die „fast töricht zu nennende Offenheit des Angeklagten“.

In die Anklage gegen Kühn waren auch die Terrorakte in Südtirol einbezogen worden – und zwar eine besonders heimtückische Anschlagswelle in Verona, Trient und Bozen im Oktober 1962, die ein Todesopfer und mehrere Dutzende Verletzte gefordert hatte. Diese Attentate waren von der italienischen Polizei nicht geklärt worden. Der BAS selbst hatte sich damals in einem Schreiben an den österreichischen Bundespräsidenten Adolf Schärf umgehend distanziert. In einem Vermerk eines österreichischen Richters von 1965 heißt es sogar, dass es sich bei den Anschlägen „um Aktionen östlicher Geheimdienste gehandelt hat“. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Kühn in der DDR-Haft bereits selbst bezichtigt, den Sprengstoff gemeinsam mit dem österreichischen Staatsbürger Peter Kienesberger sowie dem deutschen Brüdern Heinrich und Fritz B. platziert zu haben. Dies sei unter dem Motto „Berlin hilft Südtirol – Südtirol hilft Berlin“ geschehen. Die Fäden im Hintergrund habe der Leiter des „Befreiungskomitees Südtirol“, der Innsbrucker Universitätsdozent Norbert Burger, gezogen. In einem Dossier der Hauptabteilung XX von 1964 heißt es dazu: „Aus den Aussagen des Terroristen Kühn geht hervor, daß Kühn mit den westdeutschen Terroristen B. […] im Oktober 1962 nach Innsbruck fuhren. Dort trafen sie mit dem österreichischen Terroristen Kienesberger, Peter […] zusammen. In einem Stützpunkt der Terroristen in der Nähe von Innsbruck schulte Kienesberger die genannten Personen im Umgang mit Sprengstoff. Zwischen dem 17. und 20. 10. 1962 hielten sich die B.s, Kühn und Kienesberger in Italien auf, schmuggelten Sprengstoff ein und verübten bzw. versuchten Sprengstoffanschläge in Verona, Bozen und Trient. Nach den erfolgten Anschlägen trafen sich B., Fritz und Kienesberger, Peter […] mit Burger in Innsbruck, um ihn über die Aktion Bericht zu erstatten.“ Burger habe daraufhin seine Anerkennung über die „gelungene Aktion“ zum Ausdruck gebracht. Kühns Angaben hatten ein Nachspiel, als er im Dezember 1974 entlassen und in die BRD abgeschoben wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die politische Situation wesentlich verändert: Weder Italien noch Österreich zeigten Interesse, den Fall neu aufzurollen. Obwohl die Bundesregierung diesen Sachverhalt auch dem nordrheinwestfälischen Justizministerium signalisierte, kam es dennoch zu einer Anklage vor einem Kölner Gericht. Nach siebenmonatiger Verhandlung wurden Kühn, Kienesberger und ein weiterer Beschuldigter im Jahr 1980 verurteilt, gleichzeitig ordnete man aber Haftverschonung an.

Die Fixierung auf den Rechtsextremismus hatte über den propagandistischen Aspekt hinaus aber auch eine praktische Bedeutung: Das MfS betrachtete die „neofaschistischen und anderen rechtsextremistischen Feindkräfte im Operationsgebiet“ generell als jene Kräfte, „deren Stoß- und Angriffsrichtung eindeutig gegen den Sozialismus gerichtet ist“. Spätestens Ende der 1970er Jahre gab es die ernste Befürchtung, diese „internationalen terroristische(n) Organisationen und Kräfte“ könnten den Versuch unternehmen, „ihre Aktionen auf das Territorium der sozialistischen Kräfte zu verlagern“. Von daher war die genaue Beobachtung der „Szene“ in der BRD und deren Verbindungen nach Südtirol auch Bestandteil einer, wie es das MfS verstand, vorbeugenden „Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung terroristischer und anderer politisch-operativ bedeutsamer Gewaltakte“. Um an verwertbare Informationen hinsichtlich des Nexus zwischen Rechtsextremismus und Südtirolterrorismus heranzukommen, bediente sich das MfS in den 1980er Jahren auch zweier Inoffizieller Mitarbeiter (IMs). Im folgenden Abschnitt wird deren Tätigkeit anhand der in der BStU vorhandenen Unterlagen dargestellt. Die IMs, die in der „Arbeit im und nach dem Operationsgebiet“ zum Einsatz kamen, galten als die „Hauptwaffe“ des MfS, um über alle „operativ“ relevanten Informationen des Gegners schon im Planungsstadium informiert zu werden. Unglücklicherweise sind viele der relevanten Informationen im Rahmen der Auflösung der „Auslandsaufklärung“ des MfS zwischen Ende Oktober 1989 und Februar 1990 vernichtet worden.

Ehemalige Zentrale des MfS, Berlin (Quelle: Stephen Craven/Wikimedia Commons)

IMB „Rolf Römer“: Peter Weinmann
Peter Weinmann, 1946 in Schwäbisch-Hall geboren, konnte auf eine abwechslungsreiche Laufbahn zurückblicken: Der gelernte Friseur war zweimal bester Haarschneider Nord-Württembergs geworden, versuchte sich dann Mitte der 1960er Jahre bei der Bereitschaftspolizei und als Bademeister. Ab 1966 begann Weinmann journalistisch zu arbeiten und brachte es im autodidaktischen Studium zum anerkannten Berufsjournalisten. Insgeheim verfolgte er jedoch eine geheimdienstliche Karriere bei westlichen und östlichen Diensten: Von 1969 bis 1976 beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), ab 1976 für die italienische Direktion für allgemeine Ermittlungen und Sonderoperationen (Direzione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali, DIGOS) und zwischen 1984 und 1989 für das MfS. Für diese Tätigkeit prädestinierten Weinmann seine ausgezeichneten Kontakte in die westdeutsche rechtsradikale Szene: Bis 1970 war er Mitglied in der Nationaldemokratischen Partei (NDP), ab 1972 gehörte er der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) des Neonazi-Führers Friedhelm Busse an, und im selben Jahr wurde er in die Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) aufgenommen. Letztere Gruppe wird immer wieder in Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat in München (1980) gebracht. Ein Gruppenmitglied ermordete im selben Jahr den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und dessen Ehefrau in Erlangen.

Unter dem Decknamen „Werner“ spähte Weinmann zunächst für das BfV die „gesamte rechte Szene in der Bundesrepublik Deutschland“ aus: „Ich habe Reisen gemacht bis nach Belgien, bin kreuz und quer durch die ganze Bundesrepublik gefahren, bin auch einmal bis nach Österreich gekommen.“  Der westdeutsche Geheimdienst habe ihn ausgebildet und eingesetzt – „und ich bin dann in diesem Kreis immer weiter mitgegangen“. Der V-Mann beschränkte sich aber nicht auf beobachtende Tätigkeiten, sondern gestaltete die Szene aktiv mit. So scheint er in einem Flugblatt des „Freundeskreises zur Förderung der Wehrsportgruppe Hoffmann“ von 1975 als „Informationsstelle Bonn“ im Impressum auf. Mit Zustimmung von WSG-Chef Karlheinz Hoffmanns drehte Weinmann auch einen Film über die Geländeübungen der Truppe, der dann im westdeutschen Fernsehen gezeigt wurde. Von der zunehmenden Radikalisierung der WSG Ende der 1970er Jahre wollte Weinmann dagegen nichts mitbekommen haben: „Zu dieser Zeit war ich nicht mehr bei Hoffmann. Ich wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz zurück gepfiffen.“ Die aktive Zusammenarbeit mit dem BfV soll 1976 geendet haben. Danach verlegte Weinmann infolge privater und finanzieller Schwierigkeiten seinen Wohnsitz kurzfristig nach Südtirol, wo er im Herbst desselben Jahres von der DIGOS kontaktiert wurde (einigen Berichten zufolge diente sich Weinmann der italienischen Abwehr selbst an).

Unter dem Decknamen „Siegmund“ sollte er Informationen über die separatistisch-nationalistische Bewegung innerhalb der deutschsprachigen Bevölkerung sammeln. Dem MfS erklärte Weinmann später: „Die Italiener haben enorme Schwierigkeiten, weil sie diese Leute einfach nicht verstehen können, weil die Deutschen einmal eine andere Mentalität haben. Ich wurde eingesetzt, weil ich wahrscheinlich mit meinen sogenannten eigenen Landsleuten besser umgehen konnte als manche Offiziere von der Abwehr.“ Weinmann gelang es auch „recht schnell“ Zugang zu finden: So wurde er „Stammgast“ im Haus der Lehrerin und Führerin der politischen Autonomiebewegung, Eva Klotz, der Tochter des im österreichischen Exil verstorbenen „Schützenmajors“ Georg Klotz, einem der wichtigsten Anführer aus der Gründergeneration des BAS. „Objektiv“ sei Weinmann wohl „ein Schweinehund“ gewesen, so Klotz später: „Aber eigentlich war er ein einsames, armes Manderl, das versucht hat, billig durchs Leben zu kommen, und immer da war, wenn an einem unserer Töpfe Knödel zu riechen waren.“

Welcher Art die „Interessen von DIGOS“ waren, die Weinmann bediente, darüber gab er dem MfS später folgende Auskunft: „Verstärkte Aufklärung von Personen aus dem Gebiet Nürnberg, die rechtsextremistische Kräfte aus/in Südtirol logistisch unterstützen; Ermittlung des Inhabers einer in der italienischen Tageszeitung ‚Corriere della Serra’ veröffentlichten Telefonnr. in Bonn, wo sachdienliche Hinweise zur Ergreifung von Terroristen gegen Belohnung gegeben werden konnten.“ Was die Verbindungen nach Südtirol anging, so interessierte sich der italienische Geheimdienst insbesondere für einzelne Personen aus der Deutschen Volksunion (DVU, Bremen) und von der Nationalistischen Front (NF, Bielefeld) sowie von „Die Republikaner“(REP, München).Weinmann wurde weiters gebeten, die Lebensumstände des in Nürnberg lebenden Peter Kienesberger auszuspähen. Dieser war wegen Anschlägen während der sechziger Jahre in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt worden und hatte dem Terrorismus abgeschworen. Dennoch verdächtigten ihn die italienischen Ermittlungsbehörden als Drahtzieher neuer Attentate. Für eine Leistungsprämie von 1.000 Mark fertigte Weinmann eine Lageskizze des Hauses an der Beilngrieser Straße an, in dem Kienesberger seinen „Buchdienst Südtirol“ unterhielt. Auf diese Weise „lokalisiert“ sollte er dann in Österreich gekidnappt und nach Italien geschafft werden. Im Falle eines Scheiterns der Entführung war geplant gewesen, Kienesberger in seinem Haus mit einem Präzisionsgewehr zu erschießen. Die Zusammenarbeit mit dem MfS, die dritte Station der Agentenkarriere Weinmanns, kam 1984 zustande: Am 21. August dieses Jahres flog er nach Berlin-Schönefeld und rief dann vom Ost-Berliner Hotel Metropol den Staatssicherheitsdienst an.

Die Offiziere der für Rechtsextremismus zuständigen Hauptabteilung XXII („Terrorabwehr“) waren zunächst skeptisch, ob sie es nicht mit einem Doppelagenten zu tun hatten: „Im Ergebnis der erarbeiteten Fragen, Hinweise und eingeleiteten Überprüfungsmaßnahmen war nicht auszuschließen, daß es sich bei den Aktivitäten des IM-Kandidaten in der DDR um eine geheimdienstlich gesteuerte Provokation gegen die DDR und insbesondere gegen das MfS handeln könnte.“ Die Reise habe Spionagezwecken gegolten, gab Weinmann ohne Umschweife an: Er sei von DIGOS beauftragt gewesen, auswertbare Informationen zu DDR-Grenzpassagen, dem Transitverkehr, militärischen Einrichtungen und festgestellten Bewegungen, der Stimmung der DDR-Bevölkerung und Verhaltensweisen italienischer Touristen in der DDR zu erarbeiten und nach seiner Rückkehr zur Verfügung zu stellen. „Die Motivation und die Beweggründe des W. [Weinmann] zur Verbindungsaufnahme mit dem MfS unterliegen eindeutig der Absicht, seine Dienste anzubieten“, stellten die MfS-Offiziere fest. Dabei sei sich Weinmann nicht im Klaren darüber, „in welche persönliche Gefahr er sich letztlich durch seine Auslassungen über feindliche Geheimdienstaktivitäten auf dem Territorium der DDR manövriert hat“. Wie aus einer Konzeption der Hauptabteilung XXII von Anfang 1986 hervorgeht, plante man sowohl in Richtung einer „Verhinderung möglicher Geheimdienstaktionen und Liquidierung des ‚Römer’“ [Deckname des MfS für Peter Weinmann], als auch hinsichtlich „seines Aufbaus für die perspektivische Gewinnung als IM des MfS […]“. Letztendlich zerstreuten sich die Bedenken der ostdeutschen Geheimdienstler: Im Rahmen des sechsten Kontaktgesprächs vom 25. bis 27. August 1986 im konspirativen Objekt „75“ wurde Weinmann als IMB [Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen (IMB)] angeworben. Die Aussicht, eine mögliche Topquelle zu erschließen, dürfte allzu verlockend gewesen sein: „Die Abschöpfung des W. über seine aktuellen Kontakte und inoffiziellen Arbeitsmöglichkeiten innerhalb rechtsextremistischer Terrorpotentiale des Operationsgebietes ließen erkennen, daß objektiv günstige Vorrausetzungen gegeben sind, operativ bedeutsame Informationen zu erarbeiten.“ Dieser „Wert“ Weinmanns, so der deutsche Historiker Tobias von Heymann, war „offenbar größer als jedes Risiko“. Das MfS investierte viel Zeit in die Erforschung und die Interpretation von Weinmanns Motiven. Er wurde bereits früh als primär kommerziell motivierter „Nachrichtenhändler“ eingestuft, der seine „Problemsituation als Doppelagent“ nicht wahrhaben wollte, sondern vielmehr bestrebt war, so viel Gewinn wie möglich aus seinen Kenntnissen und Kontakten zu ziehen – indem er neben dem MfS gleichzeitig die DIGOS und auch rivalisierende Kräfte innerhalb der rechtsextremen Szene bediente. Aus Weinmanns „Gesamtverhalten“ schlussfolgerten die Betreuer, „daß er seine Tätigkeit für das MfS auch in der Perspektive nicht missen will, da sie aus materiellen gründen einen festen Platz in seinem Leben eingenommen hat. Politisch modifizierte Faktoren liegen seiner Verbindung für das MfS nicht zugrunde.“ Weinmann erschien dem DDR-Geheimdienst überhaupt als unpolitische Natur, auch was seine Verbindungen in die rechte Szene anging: Diese seien ebenso „vorrangig von dem Bestreben getragen, den vorhandenen breitgefächerten ‚Absatzmarkt’ journalistischer Arbeiten für seine Lebensexistenz zu nutzen“. Ein anderes Mal notierte ein zuständiger Offizier kritisch: „‚Römer’ ist und wird auch weiterhin ein Nachrichten-Händler bleiben. In seinem Bestreben liegt es sicherlich – und er hat es ja auch schon getan – nicht nur für DIGOS erarbeitete Informationen an das MfS zu ‚verkaufen’, sondern auch umgekehrt. Es besteht die Gefahr, daß das ausufert. Deshalb müssen wir beim nächsten Treff noch konkretere Schritte dagegen unternehmen." Allerdings schätzte Weinmann offenbar seine neuen Auftraggeber: Im Vergleich zu BfV und DIGOS strich er „straffe Arbeitslage, Organisiertheit und hohe Konspiration, in der Berichterstattung Konkretheit, volle Forderung seiner Person“ als positive Unterschiede hervor.

Für die „Einsatzrichtung“ des IM gab es konkrete Ziele: Wie schon BfV und DIGOS war auch das MfS vor allem an Wissen über rechtsextreme Kleinparteien und Gruppierungen in der BRD. Weinmann erhielt unter anderem den Auftrag: „Erarbeitung von aktuellen Informationen und Hinweisen zu seinen engsten Freunden, insbesondere zu denen, die mit ihm in der Vergangenheit Terroranschläge begangen haben.“ Für die Autorin Regine Igel ist dies ein Beleg dafür, dass Weinmann selbst in Attentate verwickelt war – deren genauer Hintergrund geht jedoch aus der Aktenlage nicht hervor. Als „Szenebeobachter“ sollte Weinmann weiters über Pläne und Absichten der DVU, der Nationaldemokratischen Partei (NDP), der freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und der Wiking-Jugend (WJ) berichten. Auch war dem MfS sehr daran gelegen, von Weinmann über die jeweilige „Interessenlage von DIGOS“ sowie ein jeweils aktualisiertes Lagebild des Südtirolkonflikts zu erhalten. Speziell was letzteren Punkt betraf, war das MfS mit Weinmanns Leistung sehr zufrieden: „‚Römer’ zeigte die Vielfalt und Kompliziertheit ‚der Forderungen und Zielstellungen der in Südtirol, Österreich und der BRD agierenden rechtsextremistischen Vereinigungen und Organisationen zur Südtirolproblematik auf." Hierzu gehörte auch, eine Einschätzung bezüglich der Hintergründe der Anschläge in den 1980er Jahren beizusteuern und über die Ermittlungen der italienischen Organe zu informieren. Später erklärte Weinmann gegenüber Medien: „Bei jedem Anschlag haben sich die Stasi-Leute gefreut, weil damit im NATO-Land Italien eine instabile Zone sichtbar wurde.“ Das MfS habe gesagt, „das ist gut, der Streit da unten, der gefällt uns, wir setzen uns rein und mischen da richtig mit, auf dass da unten richtig Tumult ist“, so Weinmann 1993. In einem Bericht der Hauptabteilung IX (Disziplinar- und Untersuchungsorgan des MfS) von 1988 heißt es sogar, dass der wieder aufgeflammte Südtirolterrorismus die italienischen Behörden vor eine ernstzunehmende Herausforderung stelle: „Dieser faschistische Terror habe nicht nur qualitativ zugenommen, sondern agiere auch mit äußerster Brutalität. Bewusst werde auf spektakuläre Anschläge mit vielen Toten abgezielt. Erst kürzlich habe in letzter Minute ein Sprengstoffanschlag auf eine Ortswasserleitung verhindert werden können, der während eines Volksfestes gezündet werden sollte und vermutlich viele Tote gefordert hätte.“ Die Terroristen seien mit modernster Technik ausgerüstet und fänden innerhalb der deutschsprachigen Bevölkerung Rückhalt. Verbindungen der Attentäter nach Österreich und in die BRD, vor allem in das Bundesland Bayern, seien „bekannt, aber weder nachgewiesen noch aufgearbeitet“ – weil in dieser Frage offenbar keine Zusammenarbeit mit den BRD-Partnerdiensten gebe: „In Bayern existiere angeblich sogar eine Ausbildungsbasis für Südtiroler Terroristen. Ebenso sollen Waffen, Funktechnik und Sprengstoff von Bayern nach Südtirol verbracht werden, jedoch seien die Verbindungslinien bisher unbekannt.“ Fazit des Berichts: „Die italienischen Geheimdienste und Abwehrorgane stünden zunehmend unter dem Druck der Öffentlichkeit, da keine Ansatzpunkte einer wirksamen Bekämpfung des Südtiroler Rechtsterrorismus erkennbar seien.“

Weiters erhielt das MfS durch Weinmann Informationen zu den Erhebungen nach dem Bombenanschlag auf das Palace-Hotel in Meran am 31. Dezember 1986: Demnach vermutete die DIGOS „eine mögliche Täterschaft aus rechtsextremen Kreisen, die dem in Südtirol agierenden ‚Andreas-Hofer-Bund‘ zuzuordnen sind“. Diese Organisation stünde „permanent im Blickfeld der italienischen Abwehr, da ihr zugehörige Kräfte in der Vergangenheit bereits mehrfach terroristische Anschläge verübten, die die staatliche Sicherheit Italiens gefährdeten“. Laut Tatortuntersuchung war der verwendete Sprengkörper mit der Aufschrift „Andreas Hofer“ versehen gewesen. V-Männer wurden daraufhin beauftragt, nach ähnlichem Rohrmaterial in Wohnungen, Kellern und Werkstätten von Personen, die der rechtsextremistischen Szene in Südtirol angehören, Ausschau zu halten. Wie das MfS festhielt, erstreckten sich diese Ermittlungen auf einen Verdächtigen in der BRD: Friedhelm Busse, der wegen terroristischer Anschläge selbst bis 1986 inhaftiert war und nun wieder Kontakte zum „Andreas Hofer Bund“ unterhalte. Ein persönlicher Bericht Weinmanns zur „politischen Lage in Südtirol“ von Ende 1988 zeichnete dagegen ein differenzierteres Bild des Anschlags in Meran. Seine ganze Argumentation ist auf die entscheidende Frage gemünzt: „Wer sprengt nun wirklich in Südtirol?“ Die Attentatswelle, so Weinmann, erscheine wie eine Neuauflage der Ereignisse der 1960er Jahre, doch dürften die Akteure „diesen Bogen doch etwas überspannt“ haben. Beispielsweise mit der Beschriftung der Rohrbombe von Meran mit „Andreas Hofer“: „Hierdurch sollte ganz einfach eine gedankliche Verbindung zum existierenden Andreas-Hofer-Bund hergestellt werden. Dies war selbst liberalen Zeitungen zu einfältig und auch die Bevölkerung mochte so etwas nicht glauben.“ Es bleibe ihm daher nur der Schluss übrig, „daß die italienischen Abwehrkräfte diese Sachen selbst inszeniert haben“. Darüber hinaus äußerte Weinmann seine Überzeugung, „daß die Kontakte zu Rechtsextremisten von dem italienischen Geheimdienst in jeder Beziehung kontrolliert werden, über den Geldverkehr, über den Postverkehr, über den Telefonverkehr“. Dieses Insiderwissen kam nicht von ungefähr – wie Weinmann 1993 gegenüber dem ZDF angab, hatte ihn sein italienischer Führungsoffizier noch vor dem Attentat in Meran instruiert. Damit sollte verhindert werden, dass Agenten mit den Anschlägen in Verbindung gebracht wurden: „Die mussten mich doch in Schutz nehmen, ich war ja ständig auf Tour. Man musste mich warnen, an dem Tag ins Palace-Hotel zu gehen, wo ich jeden Tag dran vorbeifahre. Die haben klipp und klar gesagt, da fahren Sie erst einmal zwei Tage nicht hin, es passiert etwas und morgen können Sie es bequem in der Zeitung lesen.“

„IM Förster“: Herbert Hegewald
Der zweite bekannte Spitzel des MfS in Südtirol hatte im Unterschied zu Weinmann auch direkten Kontakt zu Attentätern. Herbert Hegewald, 1937 in Dübrichen geboren, war abwechselnd Journalist und Privatdetektiv in Mannheim. Wie Weinmann verkehrte er in rechtsextremen Kreisen – in der „Aktion Widerstand“, der Wehrsportgruppe Hoffmann, den „Bismarck-Deutschen“ und der NDP. Schon Mitte der 1960er Jahre wurde Hegewald in Südtirol aktiv. „Zur damaligen Zeit fuhr er relativ häufig in dieses Gebiet in Urlaub und hatte so einen relativ großen Freundeskreis unter der dortigen Bevölkerung“, heißt es in Hegewalds Akte. Und weiter: „Er solidarisierte sich für diese, nahm an Aktionen teil, weil er darin eine ‚gerechte Sache‘ sah. Wegen Teilnahme an diesen Handlungen und unbefugten Waffenbesitz wurde er zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, wo er Torf stechen durfte.“ Hegewald unterhielt damals Kontakte zum BAS, wurde aber von einigen Aktivisten als Informant für den italienischen Geheimdienst verdächtigt und deswegen bei der österreichischen Polizei angezeigt. Wegen des Waffenbesitz-Vergehens kam Hegewald 1965 in Schubhaft und wurde an Deutschland ausgeliefert. „Als man ihn festnahm,“ berichtete damals die APA, „fand man in seinem Gepäck interessanterweise mehrere NS-Bücher, wie z. b. ‚Mein Kampf‘, aber auch einen Brief des Dr. Norbert Burger, eine Spezialkarte von Südtirol, zahlreiche Adressen und Telefonnummern, zwei Stahlbohrer, einen Feldstecher sowie einen Gascolt vom Kaliber neun Millimeter.“ Nach Ende des gegen ihn verhängten Aufenthaltsverbots kontaktierte Hegewald Ende der 1970er Jahre wieder ehemalige Attentäter in Südtirol und Österreich. Oswald Astfäller, dessen Sohn gerade wegen eines Sprengstoffanschlags verhaftete worden war, empfand es als „Frechheit“, „dass ein Wildfremder bei mir anklopft und fragt, ob ich wieder etwas mache“. Einem anderen Aktivisten bot Hegewald eine Maschinenpistole an, die dieser aber ablehnte. Selbst 1955 aus der DDR geflüchtet, fiel Hegewald 1984 bei einem Einreiseversuch zum Verwandtenbesuch in Ostdeutschland auf. Es fanden sich Hinweise, „die auf Verbindungen zu terroristischen Gruppen im OG [Operationsgebiet] schließen lassen“. Schon davor war Hegewald mehrfach wegen Zollverstößen aufgefallen.Auf diese Weise hellhörig geworden, kontaktierte das MfS Hegewald 1985, um ihn als „IM Förster“ zu rekrutieren. Zu diesem Zeitpunkt war dieser seit zwei Jahren arbeitslos und bestrebt, „sich ständig noch etwas zusätzlich zu verdienen“. Aus Informationen, die offenbar von Weinmann stammten, geht hervor, dass Hegewald wegen seiner Verbindungen zu Rechtsextremisten innerhalb der Südtiroler Sympathisantenszene in der BRD und Österreich die Aufmerksamkeit der DIGOS auf sich zog. Der Dienst verdächtigte den Deutschen zudem, mit Terroranschlägen in Südtirol/Bozen am 17. Mai 1988 in Zusammenhang zu stehen.

Hegewald hatte vor allem Kontakt zu Karl Außerer, der als Anführer der Terrorgruppe Ein Tirol gilt. In dessen Umfeld soll es überhaupt von „eigenartigen Gestalten, die entweder als Berufsverbrecher ausgewiesen sind oder lange schon im Sold der Geheimdienste stehen“ gewimmelt haben.Den Kontakt zwischen Außerer und Hegewald hatte der ehemalige Südtirol-Attentäter Karl Schaffer hergestellt. Der Deutsche belieferte Außerer danach mit militärischer Ausrüstung, darunter Uniformen, Tarnanzüge und Offiziersmeldetaschen. Dass das Maschinengewehr, die Patronen, Magazine und Sprengkapseln, die Ende 1988 in Außerers Innsbrucker Tischlerei sichergestellt wurden, auch von Hegewald stammten, konnte vor Gericht nicht nachgewiesen werden. Zumindest laut einem nicht unterzeichneten Gedächtnisprotokoll der Aktivistin Karola Unterkirchner war diese selbst mehrmals dabei, wie Hegewald an Außerer Waffen und Sprengstoff übergab. Konkreter ist ein MfS-Bericht von 1989: Demnach bestand zwischen „IM Förster“ und Außerer ein „gutes Vertrauensverhältnis“ – „dieses kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß A. ihm im September oder Oktober 1988 bat, genau kann sich ‚Förster‘ nicht mehr erinnern, mit ihm zu einem gewissen […] in die Nähe von Innsbruck zu fahren, um von diesem Sprengstoff abzuholen. Dieser Bitte kam ‚Förster‘ nach. […] Drei Tage später erfolgte die Verhaftung des A. durch die österreichische Polizei. ‚Förster befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits wieder in seinem Wohnort in der BRD.“ Selbst wollte der IM nicht an Anschlägen teilgenommen haben. Tatsächlich wies ein Gutachten des Bundeskriminalamts Sprengstoffspuren sowohl im Kofferraum als auch im Innenraum von Hegewalds Opel Manta nach. Aufgrund solcher Indizien kam die Bundesanwaltschaft 1993 zum Schluss, dass der ehemalige IM nicht nur mit Außerer befreundet, „sondern wie dieser auch in die Anschläge der Kampfgruppe Ein Tirol verwickelt war“. Dennoch stellten die deutschen Behörden das Verfahren im selben Jahr ein, weil kein „hinreichender Tatbestand“ vorlag.

Zusammenfassung
Der Südtirolkonflikt ist ein gutes Beispiel für die Tätigkeit des MfS im „Operationsgebiet“: Grundsätzlich ging es darum, den politischen Gegner im Westen zu kompromittieren, Verunsicherung zu schaffen und Differenzen innerhalb der BRD als auch gegenüber anderen Staaten zu schaffen. Das „Mitmischen“ in Südtirol bot in diesem Zusammenhang mehrere Vorteile: Zunächst ging es dem MfS darum, über diesen Konflikt Zerwürfnisse innerhalb der NATO bzw. zwischen Italien und Österreich zu säen – handelte es sich zudem um ein strategisch wichtiges Gebiets in Grenzlage des westlichen Militärbündnisses. „Südtirol ist ein zentraler Platz für Stabilität oder Instabilität in Europa. Es gibt kein vereinigtes Europa, wenn hier Bomben fliegen“, erklärte dazu etwa der ehemalige österreichische Außenminister Alois Mock 2002. Spätestens 1988, als Österreich vor Beitrittsverhandlungen zur EG stand, war der Krisenherd Südtirol zur politischen Belastung geworden. Daher wurde Ein Tirol-Anführer Karl Außerer, der von Innsbruck aus agiert hatte, verhaftet und ein Informationsaustausch mit Italien eingerichtet. Zuvor hatte man Außerer noch „ungeniert gewähren lassen“ (Peterlini). Was die konkrete Rolle des MfS im Südtirolkonflikt angeht, so wurde dieser vor allem an der Propagandafront thematisiert. Das MfS trachtete stets danach, Informationen zur Diskreditierung der Bonner Republik zu gewinnen, so auch aus dem „Operationsgebiet“. Spitzel wie Peter Weinmann und Herbert Hegewald, die über enge Kontakte zur rechtsextremen Szene in der BRD verfügten, wurden daher zur gezielten Aufklärung der „Szene“ in Südtirol und ihrer Verbindungen eingesetzt. Anhand der so konstruierten „Spur nach Nürnberg“ konnte man eine pangermanistische Gefahr für den Frieden beschwören oder die „nazistische“ Kontinuität der Bonner Republik anklagen (wie im Fall Herbert Kühn). Genauso dürfte es darum gegangen sein, das Gefahrenpotential von möglichem rechtsextrem motiviertem Terrorismus gegen die DDR im Vorhinein abzuschätzen. Was letzteren Punkt angeht, so ist eine erstaunliche Parallelität in der Herangehensweise der italienischen Geheimdienste gegeben. Denn auch diese Akteure legten es darauf an, das gesamte Spektrum der Südtiroler Autonomiebewegung in der Öffentlichkeit als rechtsextrem zu brandmarken und damit zu kriminalisieren. Die Tatsache, dass IM Römer auch für die italienische DIGOS aktiv war und dasselbe Ziel auskundschaftete, unterstreicht diese Konvergenz der Interessen nochmals. Beide Seiten, so Hans Karl Peterlini, strebten danach „die Idee der Selbstbestimmung in ein rechtsextremes Licht zu rücken, zu kriminalisieren und zur Gefahr für den Frieden in Europa zu stilisieren“. Der MfS-Agenten Hegewald beispielsweise habe „nichts anderes getan, als dem italienischen Staatsmann Giulio Andreotti die Bestätigung dafür zu liefern, dass Pangermanismus und Tiroler Selbstbestimmung dasselbe und gefährlich sind. Es ist, bei näherem Hinsehen, nichts anderes als das besonders klare Destillat eines bekannten Geistes: der Strategie der Spannung.“ Die zahlreichen offenen Fragen hinsichtlich der Urheberschaft der Attentate in den 1980er Jahren, zeigen schließlich auf, dass es sich um einen Art „Schattenkrieg“ handelte, in dem Terrorismus auch politisch instrumentalisiert wurde. Westliche und östliche Geheimdienstakteure versuchten aus der Entwicklung für ihre jeweiligen Ziele Kapital zu schlagen, manipulierten teilweise die Attentäter, legten falsche Spuren und verbreiteten Desinformation. Dieser nachrichtendienstliche Aspekt des Südtirolterrorismus sollte Anlass für weitere Forschung sein, um so zu einem besseren Verständnis des Konflikts beizutragen.

Hinweis: Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist in "zeitgeschichte", Heft 3/2013 erschienen.