Abgesehen von dieser beträchtlichen Rolle
italienischer Geheimdienste in Südtirol, waren auch östliche Dienste
involviert. Südtirol wurde insofern zu einem Nebenschauplatz des Kalten
Krieges. Für das strategische Interesse des Ostblocks gab es mehrere Gründe:
Zunächst einmal fiel die virulenteste Phase des Südtirolkonflikts in den 1960er
Jahren in den Kontext der Entkolonialisierung und der Auflösung der
europäischen Kolonialreiche. Einige dieser Konflikte zogen sich bis an die
europäische Peripherie hin. So hatten zionistische Gruppen bereits in den
1940er Jahren einen erfolgreichen Kampf gegen die britische Mandatsverwaltung
in Palästina geführt. 1954 entzündete sich der Algerienkrieg, der sich bis 1962
hinziehen sollte und in einem Sieg der Nationalen Befreiungsfront (FLN) endete.
1960 war zudem Zypern nach mehrjährigem Guerillakrieg gegen die britische
Besetzung unabhängig geworden – ein Beispiel, dem einige Südtiroler Aktivisten
besonders nacheiferten. Die Sowjetunion hatte die Sache der „nationalen Befreiungsbewegungen“
generell substanziell unterstützt, um die westliche Position in der „Dritten
Welt“ zu schwächen bzw. die neu entstandenen linksnationalistischen Regime in
den eigenen Machtbereich hineinzuziehen. Im Falle Südtirols, eines ähnlich
gelagerten ethnisch-nationalen Konflikts, wurde die Aufstandsbewegung nicht
direkt unterstützt, auch wenn es angeblich Hilfsangebote gegeben hat.
Was die Situation in Südtirol aus Sicht
des Ostblocks so speziell machte, war die neuralgische Lage in Westeuropa
zwischen zwei Schlüssel-NATO-Staaten. Vor allem Italien war ein
„Eckpfeiler“ im Mittelmeerraum. Darüber hinaus bildete der Südtiroler Grenzabschnitt
zu Tirol und Kärnten im Norden eine Außengrenze der westlichen Allianz
gegenüber dem neutralen Österreich, dem „weichen Bauch im NATO-Leib“. Mit dem
angrenzenden Jugoslawien befand sich weiters der kommunistische Machtblock in
unmittelbarer Nähe. Dieser strategischen Bedeutung Südtirols trug die NATO
insofern Rechnung, indem sie zahlreiche Basen einrichtete. In der Nähe von
Brixen, auf der Hochfläche von Natz-Schabs, befand sich seit dem Ende des 2.
Weltkriegs ein US-Stützpunkt. Ab 1979, nach dem Nachrüstungsbeschluss, wurden
in den dortigen unterirdischen Bunkern atomare Lance-Raketen deponiert. Im
weiteren Umkreis befanden sich zudem wichtige NATO-Stützpunkte wie die Aviano
Air Base (Atomwaffenlager) und das alliierte Streitkräfte-Kommando für Südeuropa
(LANDSOUTH in Verona). Das Südtirol-„Problem“ hatte somit das Potential, sowohl
zwischen die wichtigen NATO-Länder Italien/BRD, als auch zwischen Italien und
dem neutralen Österreich Keile zu treiben. Letzteres Land war seit dem Pariser
Abkommen (1946) die völkerrechtliche „Schutzmacht“ und hatte die
„Südtirolfrage“ 1960 vor die UNO gebracht. Aber auch im süddeutschen Raum gab
es viel Sympathie für die Sache der Südtiroler: Unterstützung kam
beispielsweise von der bayrischen CSU und dem rechten FDP-Flügel um Josef Ertl,
der als Agrarminister der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und
Helmut Schmidt angehörte. Ein „Mitmischen“ im Südtirolkonflikt bot dem
Osten daher die Möglichkeit, einen „dauerhaften Krisenherd inmitten des Westens
zu schüren“, so Michaela Koller-Seizmaier: „In dem Alpenland hatte sich
erstmals ein Konfliktpotential westlich des Eisernen Vorhangs aufgestaut, das
gleich mehrfach politische Implikationen in sich barg: Ein ethnischer Konflikt,
verbunden mit der Eigendynamik eines geteilten Landes, die eine separatistische
Ausrichtung mit sich brachte und somit eine Territorialfrage im Bereich der
NATO aufwarf.“
Unglücklicherweise ist die Aktenlage zur
Frühphase des Konflikts spärlich. Angeblich soll der BAS-Führer Georg
Klotz 1960 sogar überlegt haben, in der sowjetischen Botschaft in Wien direkt
Hilfe einzuholen, wie sich seine Tochter Eva erinnerte: „Er habe dann gesagt,
‚Nein mit den Kommunisten mich verbünden, das kann ich nicht als Tiroler, als
wertkonservativer Mensch nicht tun’. Und so ist er dann nicht hineingegangen.“
1967/68 soll sich dann der tschechoslowakische Geheimdienst an Klotz
„herangemacht“ haben: „Ich kann mich ganz genau an den Typen erinnern. Wir
waren mit unserem Vater in Absam im Exil in Nordtirol. Da ist dieser Robert aus
Tschechien gekommen, der meinen Vater überzeugen wollte, man müsse zuerst eine
Bank ausrauben, in Südtirol, um zu Geld zu kommen, dann müsse man einige
italienische Kasernen stürmen.“ Zu dieser frühen Involvierung von
Ost-Geheimdiensten existiert auch ein Dokument in den Beständen der Stiftung
Bruno Kreisky Archiv. Der westdeutsche Journalist Herbert Lucht teilte dem
damaligen Außenminister Kreisky 1963 brieflich mit: „Interessant mag vielleicht
noch sein, dass Mittelsmänner der Sowjetischen Botschaft in Wien 1960 bereits,
vor der ersten ‚Terrorwelle’ also, an die ‚Bumser’ herangetreten sein und ihnen
finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt
haben sollen, dass sie ihre ‚Aktionen’ auch auf die in Südtirol befindlichen
NATO-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die
Feindschaft der Kommunisten gegen sich, die im ‚Südtiroler Freiheitskampf’ als
dem einzigen ‚nicht ihre schmutzigen Finger hätten’.“
Josef Frolik, ein Überläufer des tschechoslowakischen
Geheimdienstes Státní bezpečnost (StB), behauptete in seinen 1975
erschienen Memoiren sogar, dass die Terrorwelle in den 1960er Jahren von seinem
Dienst unter erheblichen Aufwand direkt eingefädelt wurde: Eine große Zahl an
Agenten sei mobilisiert worden, nicht nur in Österreich, sondern auch in der
BRD und in Ober-Italien. Diese Kräfte verübten dann Bombenanschläge und
Sabotageakte. Ziel der federführenden „Abteilung für schmutzige Tricks“ des StB
sei es gewesen, zwischen Österreich und dem NATO-Land Italien Spannungen zu
erzeugen. Zur Aufstachelung der deutschsprachigen Bevölkerung habe man eigens
Flugblätter im Namen eines „Befreiungskomitees“ produziert: „Danach zogen wir
uns aus dem Gebiet wieder zurück und überließen den Heißspornen beider Seiten
die Arbeit, die sie genüsslich ausführten. […] Der von den Tschechen an der
österreichisch-italienischen Grenze angezettelte Krieg war ein heißer
geworden.“ 1976 gab Frolik dem ZDF ein Interview und behauptete, dass einer
seiner Untergebenen 1956 in Südtirol erste Attentate verübte. Für Hans Stieler,
damals noch vor dem BAS mit einer Gruppe aktiv, war diese Darstellung aus der
Luft gegriffen. Es habe aber in dieser Zeit einige kleinere Anschläge gegeben,
deren Hintergrund nie aufgeklärt wurde. Froliks Angaben sind bis heute unbestätigt
geblieben, und es erscheint zweifelhaft, ob es eine solche aktive „Provokation“
überhaupt jemals gegeben hat. Dafür ist ein strategischer Ansatz des
ostdeutschen MfS in Sachen Südtirol vergleichsweise gut dokumentiert: Anhand
des Hinweises auf die Rolle von Rechtsextremisten im Südtirolkonflikt
exemplarisch darzustellen, dass sich die BRD im Kern nicht geändert habe,
sondern nach wie vor einen Hort faschistischer-revanchistischer Reaktion
darstelle. Das „Unterfutter“ für diese „nazistische“ Diskreditierung der Bonner
Republik zu liefern, war 1962 als eine der „Hauptaufgaben“ der zuständigen
Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS festgeschrieben worden: „Stärkere
Mithilfe bei der Durchführung von politisch-operativen aktiven Maßnahmen zur
Entlarvung des Charakters des Bonner Staates, seiner Kriegsvorbereitungen und
antinationalen Politik.“ Dadurch sollte die internationale Position der Bonner
Regierung geschwächt sowie der in der „Hallstein Doktrin“ formulierte Alleinvertretungsanspruch
und die damit verbundene diplomatische Isolation der DDR aufgebrochen werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, griff des MfS u. a. zu sogenannten „aktiven
Maßnahmen“ um westdeutsche Strategien und Organisationen zu schwächen sowie einzelne
Vertreter der BRD als ehemalige Nationalsozialisten zu kompromittieren.
Zu diesem Zweck suchte das MfS mit großem
Aufwand nach Belastungsmaterial: Die beträchtliche Involvierung von
österreichischen und westdeutschen Rechtsextremisten, die langjährige Förderung
Südtiroler Angelegenheiten durch bundesdeutsche Ministerien, Organisationen und
Stiftungen(„Stille Hilfe für Südtirol“, „Kulturwerk für Südtirol“) sowie die
Tätigkeit von Vereinen wie dem Andreas-Hofer-Bund (München) waren Elemente, an
denen man die Kontinuität des Nazismus nach 1945 propagandistisch festmachen
und gleichzeitig den Charakter der DDR als antifaschistischen Staat
herausstreichen konnte. So ließ das westdeutsche Ministerium für gesamtdeutsche
Fragen ohne Wissen der italienischen Zentralregierung vor 1969 Gelder in
unbekannter Höhe nach Südtirol fließen. Von 1969 bis 1976 überwies dann das
Auswärtige Amt umgerechnet zehn Millionen Euro „in streng vertraulicher Weise
und unter Abweichung von üblichem haushaltsrechtlichen Verfahren“. Als
Empfänger fungierte die Südtiroler Landesregierung, die damit vor allem
Bildungsmaßnahmen finanzierte. Das Auswärtige Amt sah in dieser Praxis auch
eine moralische Wiedergutmachung für die Spätfolgen der NS-Südtirolpolitik. In einem Dokument des Auswärtigen Amts von
1975 heißt es beispielsweise zur Tätigkeit von „Stille Hilfe für Südtirol“ und
„Kulturwerk für Südtirol“: „Die beiden letztgenannten Organisationen
bringen Geld- und Sachspenden für die Einrichtung von Kindergärten und
Schülerheimen, für Stipendien, Ausbildungshilfe und andere soziale und
kulturelle Zwecke zugunsten der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol auf.
Die beiden Organisationen zusammen haben ein durchschnittliches Jahresaufkommen
von ca. DM 800.000,-.“ Mitte der 1990er Jahre prüfte die Bozner
Staatsanwaltschaft dann, ob Gelder der Düsseldorfer Niermann-Stiftung an die
Terrorgruppe „Ein Tirol“ geflossen waren („Die Spur führt nach Deutschland“).
Die 1977 gegründete Stiftung, die vom österreichischen Rechtsextremisten
Norbert Burger beraten wurde, hatte eine Million D-Mark an bedürftige
Südtiroler Bergbauern ausbezahlt – allerdings waren dort nur 500.000 D-Mark
angekommen. Auch das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz hatte schon Ende
der 1980er Jahre vermutet, Stiftungsgelder könnten „satzungswidrig zur
Unterstützung terroristischer Aktivitäten in Südtirol veruntreut“ worden sein.
Die Ermittlungen in Italien ergaben schließlich, dass Karl Außerer, Anführer
von „Ein Tirol“, eine Zahlung der Niermann-Stiftung über 5.000 DM erhielt. Für
eine Anklage reichten die Beweise aber nicht aus.
Schon in den frühen 1960er Jahre war
es zu einem aufsehenerregenden Fall gekommen, wo mit großem Aufwand diese
Verbindung zwischen dem Terrorismus in Südtirol, westdeutschen
Rechtsextremismus und „Diversionsakten“ gegen die DDR hergestellt wurde: Herbert
Kühn, ein 20jähriger Gelegenheitsarbeiter aus Essen, wurde am 26. Februar 1964
vom 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1963
in Ost-Berlin selbst gebaute Sprengkörper vor vier Regierungsgebäuden
deponiert. Wegen der dilettantischen Bauweise kam es nur zu einer Explosion,
die eine Fensterscheibe des Ministeriums für Außen- und innerdeutschen Handel beschädigte.
Am 30. Juni 1963 wurde Kühn dann beim Versuch, eine Sprengladung am Gebäude des
Zentralkomitees der SED anzubringen, auf frischer Tat ertappt. Das Potential
dieses Falls war vom MfS schon im Vorfeld erkannt worden: Die Hauptabteilung
IX/7 begründete Anfang 1964 den Vorschlag zur Durchführung eines Verfahrens
gegen Kühn folgendermaßen: „Durch die Hauptverhandlung gegen den Terroristen
und [unleserlich] Kühn soll der Weltöffentlichkeit erneut dargelegt werden,
dass in Westdeutschland durch Förderung offizieller Dienststellen und
staatlicher Einrichtungen neofaschistische und rechtsextremistische Elemente,
wie Kühn und seine Bande nicht nur eine Basis haben, sondern mit Wissen,
Unterstützung und Anleitung des Bundesnachrichtendienstes und des ‚Verfassungsschutzes’
friedensgefährdende Verbrechen, wie Mord, Terror, Diversion, Brandstiftung und
andere Gewaltverbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik und andere
sozialistische Staaten planten, organisierten und durchführten.“ Der
Öffentlichkeit werde durch diesen Prozess „die Gefahr der internationalen
Vereinigungsbestrebungen neofaschistischer Elemente vor Augen geführt und
bewiesen, daß die von Westdeutschland ausgehenden Terrorakte in Europa ein
sichtbares Zeichen des Expansionskurses des westdeutschen Imperialismus und
Militarismus sind“. So war es nur konsequent, dass Kühn bereits im Vorfeld des
Prozesses im Rahmen einer internationalen Pressekonferenz am 6. Dezember 1963
zu einem bestens vernetzten neofaschistischen „Superterroristen“ gestempelt
wurde: Angeblich hatte er an Attentaten der französischen Organisation de
l’armée secrète (OAS) in Paris 1962 teilgenommen und im selben Jahr unter
anderem einen Anschlag auf die Druckerei der SED-Zeitschrift „Die Wahrheit“ in
West-Berlin organisiert. In
einem Dossier zu Kühn hieß es weiters, er sei ein „Führungsmitglied“ des BAS
und „Initiator von Gewaltakten und Diversionshandlungen in Südtirol und gegen
die DDR“. 1963
soll Kühn dann von West-Berlin aus, „politische Attentate“ vorbereitet und
durchgeführt haben, um diese als Aktionen von DDR-Bürgern erscheinen zu lassen.
Es sollten „Fanale des Widerstands“ sein. Dabei soll Kühn vom Bundesamt für
Verfassungsschutz, vom Bundesnachrichtendienst und von der westdeutschen Justiz
aktiv gesteuert und gefördert worden sein. Das „Neue Deutschland“ klagte
jedenfalls über ein „Bonner Komplott der Revanchisten und Terroristen gegen
Entspannung und Anrüstung“. Westliche Prozessbeobachter dagegen
beanstandeten einen „Schauprozess“ und beschrieben Kühn als „Wirrkopf“,
„Möchtegern-Helden“ und „unreifen, rechtsradikal- verhetzten Jüngling“. Kühn
habe offenbar Gefallen an der Märtyrerrolle gefunden – einer der Journalisten kritisierte
die „fast töricht zu nennende Offenheit des Angeklagten“.
In die Anklage gegen Kühn waren auch die
Terrorakte in Südtirol einbezogen worden – und zwar eine besonders
heimtückische Anschlagswelle in Verona, Trient und Bozen im Oktober 1962, die ein
Todesopfer und mehrere Dutzende Verletzte gefordert hatte. Diese Attentate
waren von der italienischen Polizei nicht geklärt worden. Der BAS selbst hatte
sich damals in einem Schreiben an den österreichischen Bundespräsidenten Adolf
Schärf umgehend distanziert. In einem Vermerk eines österreichischen
Richters von 1965 heißt es sogar, dass es sich bei den Anschlägen „um Aktionen
östlicher Geheimdienste gehandelt hat“. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Kühn in
der DDR-Haft bereits selbst bezichtigt, den Sprengstoff gemeinsam mit dem
österreichischen Staatsbürger Peter Kienesberger sowie dem deutschen Brüdern
Heinrich und Fritz B. platziert zu haben. Dies sei unter dem Motto „Berlin
hilft Südtirol – Südtirol hilft Berlin“ geschehen. Die Fäden im Hintergrund habe
der Leiter des „Befreiungskomitees Südtirol“, der Innsbrucker
Universitätsdozent Norbert Burger,
gezogen. In einem Dossier der Hauptabteilung XX von 1964 heißt es dazu: „Aus
den Aussagen des Terroristen Kühn geht hervor, daß Kühn mit den westdeutschen
Terroristen B. […] im Oktober 1962 nach Innsbruck fuhren. Dort trafen sie mit
dem österreichischen Terroristen Kienesberger, Peter […] zusammen. In einem
Stützpunkt der Terroristen in der Nähe von Innsbruck schulte Kienesberger die
genannten Personen im Umgang mit Sprengstoff. Zwischen dem 17. und 20. 10. 1962
hielten sich die B.s, Kühn und Kienesberger in Italien auf, schmuggelten
Sprengstoff ein und verübten bzw. versuchten Sprengstoffanschläge in Verona,
Bozen und Trient. Nach den erfolgten Anschlägen trafen sich B., Fritz und
Kienesberger, Peter […] mit Burger in Innsbruck, um ihn über die Aktion Bericht
zu erstatten.“ Burger habe daraufhin seine Anerkennung über die „gelungene
Aktion“ zum Ausdruck gebracht. Kühns Angaben hatten ein Nachspiel, als er im
Dezember 1974 entlassen und in die BRD abgeschoben wurde. Zu diesem Zeitpunkt
hatte sich die politische Situation wesentlich verändert: Weder Italien noch
Österreich zeigten Interesse, den Fall neu aufzurollen. Obwohl die
Bundesregierung diesen Sachverhalt auch dem nordrheinwestfälischen
Justizministerium signalisierte, kam es dennoch zu einer Anklage vor einem
Kölner Gericht. Nach siebenmonatiger Verhandlung wurden Kühn, Kienesberger und
ein weiterer Beschuldigter im Jahr 1980 verurteilt, gleichzeitig ordnete man
aber Haftverschonung an.
Die Fixierung auf den Rechtsextremismus
hatte über den propagandistischen Aspekt hinaus aber auch eine praktische
Bedeutung: Das MfS betrachtete die „neofaschistischen und anderen
rechtsextremistischen Feindkräfte im Operationsgebiet“ generell als jene
Kräfte, „deren Stoß- und Angriffsrichtung eindeutig gegen den Sozialismus
gerichtet ist“. Spätestens Ende der 1970er Jahre gab es die ernste Befürchtung,
diese „internationalen terroristische(n) Organisationen und Kräfte“ könnten den
Versuch unternehmen, „ihre Aktionen auf das Territorium der sozialistischen
Kräfte zu verlagern“. Von daher war die genaue Beobachtung der „Szene“ in der
BRD und deren Verbindungen nach Südtirol auch Bestandteil einer, wie es das MfS
verstand, vorbeugenden „Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung terroristischer
und anderer politisch-operativ bedeutsamer Gewaltakte“. Um an verwertbare Informationen hinsichtlich
des Nexus zwischen Rechtsextremismus und Südtirolterrorismus heranzukommen,
bediente sich das MfS in den 1980er Jahren auch zweier Inoffizieller
Mitarbeiter (IMs). Im folgenden Abschnitt wird deren Tätigkeit anhand der in
der BStU vorhandenen Unterlagen dargestellt. Die IMs, die in der „Arbeit im und
nach dem Operationsgebiet“ zum Einsatz kamen, galten als die „Hauptwaffe“ des
MfS, um über alle „operativ“ relevanten Informationen des Gegners schon im
Planungsstadium informiert zu werden. Unglücklicherweise
sind viele der relevanten Informationen im Rahmen der Auflösung der
„Auslandsaufklärung“ des MfS zwischen Ende Oktober 1989 und Februar 1990
vernichtet worden.
Ehemalige Zentrale des MfS, Berlin (Quelle: Stephen Craven/Wikimedia Commons) |
IMB „Rolf Römer“: Peter Weinmann
Peter Weinmann, 1946 in Schwäbisch-Hall
geboren, konnte auf eine abwechslungsreiche Laufbahn zurückblicken: Der
gelernte Friseur war zweimal bester Haarschneider Nord-Württembergs geworden,
versuchte sich dann Mitte der 1960er Jahre bei der Bereitschaftspolizei und als
Bademeister. Ab 1966 begann Weinmann journalistisch zu arbeiten und brachte es
im autodidaktischen Studium zum anerkannten Berufsjournalisten. Insgeheim
verfolgte er jedoch eine geheimdienstliche Karriere bei westlichen und
östlichen Diensten: Von 1969 bis 1976 beim Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV), ab 1976 für die italienische Direktion für allgemeine Ermittlungen und
Sonderoperationen (Direzione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali, DIGOS)
und zwischen 1984 und 1989 für das MfS. Für diese Tätigkeit prädestinierten
Weinmann seine ausgezeichneten Kontakte in die westdeutsche rechtsradikale
Szene: Bis 1970 war er Mitglied in der Nationaldemokratischen Partei (NDP), ab
1972 gehörte er der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) des
Neonazi-Führers Friedhelm Busse an, und im selben Jahr wurde er in die
Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) aufgenommen. Letztere Gruppe wird immer wieder
in Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat in München (1980) gebracht. Ein
Gruppenmitglied ermordete im selben Jahr den jüdischen Verleger Shlomo Lewin
und dessen Ehefrau in Erlangen.
Unter dem Decknamen „Werner“ spähte
Weinmann zunächst für das BfV die „gesamte rechte Szene in der Bundesrepublik
Deutschland“ aus: „Ich habe Reisen gemacht bis nach Belgien, bin kreuz und quer
durch die ganze Bundesrepublik gefahren, bin auch einmal bis nach Österreich
gekommen.“ Der westdeutsche Geheimdienst habe ihn ausgebildet und
eingesetzt – „und ich bin dann in diesem Kreis immer weiter mitgegangen“. Der
V-Mann beschränkte sich aber nicht auf beobachtende Tätigkeiten, sondern
gestaltete die Szene aktiv mit. So scheint er in einem Flugblatt des
„Freundeskreises zur Förderung der Wehrsportgruppe Hoffmann“ von 1975 als
„Informationsstelle Bonn“ im Impressum auf. Mit Zustimmung von WSG-Chef
Karlheinz Hoffmanns drehte Weinmann auch einen Film über die Geländeübungen der
Truppe, der dann im westdeutschen Fernsehen gezeigt wurde. Von der zunehmenden Radikalisierung
der WSG Ende der 1970er Jahre wollte Weinmann dagegen nichts mitbekommen haben:
„Zu dieser Zeit war ich nicht mehr bei Hoffmann. Ich wurde vom Bundesamt für
Verfassungsschutz zurück gepfiffen.“ Die aktive Zusammenarbeit mit dem BfV soll
1976 geendet haben. Danach verlegte Weinmann infolge privater und finanzieller
Schwierigkeiten seinen Wohnsitz kurzfristig nach Südtirol, wo er im Herbst
desselben Jahres von der DIGOS kontaktiert wurde (einigen Berichten zufolge
diente sich Weinmann der italienischen Abwehr selbst an).
Unter
dem Decknamen „Siegmund“ sollte er Informationen über die
separatistisch-nationalistische Bewegung innerhalb der deutschsprachigen
Bevölkerung sammeln. Dem
MfS erklärte Weinmann später: „Die Italiener haben enorme Schwierigkeiten, weil
sie diese Leute einfach nicht verstehen können, weil die Deutschen einmal eine
andere Mentalität haben. Ich wurde eingesetzt, weil ich wahrscheinlich mit
meinen sogenannten eigenen Landsleuten besser umgehen konnte als manche
Offiziere von der Abwehr.“ Weinmann gelang es auch „recht schnell“ Zugang zu
finden: So wurde er „Stammgast“ im Haus der Lehrerin und Führerin der
politischen Autonomiebewegung, Eva Klotz, der Tochter des im österreichischen
Exil verstorbenen „Schützenmajors“ Georg Klotz, einem der wichtigsten Anführer
aus der Gründergeneration des BAS. „Objektiv“ sei Weinmann wohl „ein
Schweinehund“ gewesen, so Klotz später: „Aber eigentlich war er ein einsames,
armes Manderl, das versucht hat, billig durchs Leben zu kommen, und immer da
war, wenn an einem unserer Töpfe Knödel zu riechen waren.“
Welcher
Art die „Interessen von DIGOS“ waren, die Weinmann bediente, darüber gab er dem
MfS später folgende Auskunft: „Verstärkte Aufklärung von Personen aus dem Gebiet Nürnberg,
die rechtsextremistische Kräfte aus/in Südtirol logistisch unterstützen;
Ermittlung des Inhabers einer in der italienischen Tageszeitung ‚Corriere della
Serra’ veröffentlichten Telefonnr. in Bonn, wo sachdienliche Hinweise zur
Ergreifung von Terroristen gegen Belohnung gegeben werden konnten.“ Was die
Verbindungen nach Südtirol anging, so interessierte sich der italienische
Geheimdienst insbesondere für einzelne Personen aus der Deutschen Volksunion (DVU,
Bremen) und von der Nationalistischen Front (NF, Bielefeld) sowie von „Die
Republikaner“(REP, München).Weinmann wurde weiters gebeten, die Lebensumstände
des in Nürnberg lebenden Peter Kienesberger auszuspähen. Dieser war wegen
Anschlägen während der sechziger Jahre in Italien zu lebenslanger Haft
verurteilt worden und hatte dem Terrorismus abgeschworen. Dennoch verdächtigten
ihn die italienischen Ermittlungsbehörden als Drahtzieher neuer Attentate. Für
eine Leistungsprämie von 1.000 Mark fertigte Weinmann eine Lageskizze des
Hauses an der Beilngrieser Straße an, in dem Kienesberger seinen „Buchdienst
Südtirol“ unterhielt. Auf diese Weise „lokalisiert“ sollte er dann in
Österreich gekidnappt und nach Italien geschafft werden. Im Falle eines
Scheiterns der Entführung war geplant gewesen, Kienesberger in seinem Haus mit
einem Präzisionsgewehr zu erschießen. Die Zusammenarbeit mit dem MfS, die
dritte Station der Agentenkarriere Weinmanns, kam 1984 zustande: Am 21. August
dieses Jahres flog er nach Berlin-Schönefeld und rief dann vom Ost-Berliner
Hotel Metropol den Staatssicherheitsdienst an.
Die
Offiziere der für Rechtsextremismus zuständigen Hauptabteilung XXII
(„Terrorabwehr“) waren zunächst skeptisch, ob sie es nicht mit einem
Doppelagenten zu tun hatten: „Im Ergebnis der erarbeiteten Fragen, Hinweise und
eingeleiteten Überprüfungsmaßnahmen war nicht auszuschließen, daß es sich bei
den Aktivitäten des IM-Kandidaten in der DDR um eine geheimdienstlich
gesteuerte Provokation gegen die DDR und insbesondere gegen das MfS handeln
könnte.“ Die Reise habe Spionagezwecken gegolten, gab Weinmann ohne Umschweife
an: Er sei von DIGOS beauftragt gewesen, auswertbare Informationen zu
DDR-Grenzpassagen, dem Transitverkehr, militärischen Einrichtungen und
festgestellten Bewegungen, der Stimmung der DDR-Bevölkerung und
Verhaltensweisen italienischer Touristen in der DDR zu erarbeiten und nach
seiner Rückkehr zur Verfügung zu stellen. „Die Motivation und die Beweggründe
des W. [Weinmann] zur Verbindungsaufnahme mit dem MfS unterliegen eindeutig der
Absicht, seine Dienste anzubieten“, stellten die MfS-Offiziere fest. Dabei sei
sich Weinmann nicht im Klaren darüber, „in welche persönliche Gefahr er sich
letztlich durch seine Auslassungen über feindliche Geheimdienstaktivitäten auf
dem Territorium der DDR manövriert hat“. Wie aus einer Konzeption der
Hauptabteilung XXII von Anfang 1986 hervorgeht, plante man sowohl in Richtung
einer „Verhinderung möglicher Geheimdienstaktionen und Liquidierung des
‚Römer’“ [Deckname des MfS für Peter Weinmann], als auch hinsichtlich „seines
Aufbaus für die perspektivische Gewinnung als IM des MfS […]“. Letztendlich
zerstreuten sich die Bedenken der ostdeutschen Geheimdienstler: Im Rahmen des
sechsten Kontaktgesprächs vom 25. bis 27. August 1986 im konspirativen Objekt
„75“ wurde Weinmann als IMB [Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit
Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der
Feindtätigkeit stehender Personen (IMB)] angeworben. Die Aussicht, eine
mögliche Topquelle zu erschließen, dürfte allzu verlockend gewesen sein: „Die
Abschöpfung des W. über seine aktuellen Kontakte und inoffiziellen
Arbeitsmöglichkeiten innerhalb rechtsextremistischer Terrorpotentiale des
Operationsgebietes ließen erkennen, daß objektiv günstige Vorrausetzungen
gegeben sind, operativ bedeutsame Informationen zu erarbeiten.“ Dieser „Wert“
Weinmanns, so der deutsche Historiker Tobias von Heymann, war „offenbar größer
als jedes Risiko“. Das MfS investierte viel Zeit in die Erforschung und die
Interpretation von Weinmanns Motiven. Er wurde bereits früh als primär
kommerziell motivierter „Nachrichtenhändler“ eingestuft, der seine
„Problemsituation als Doppelagent“ nicht wahrhaben wollte, sondern vielmehr
bestrebt war, so viel Gewinn wie möglich aus seinen Kenntnissen und Kontakten
zu ziehen – indem er neben dem MfS gleichzeitig die DIGOS und auch
rivalisierende Kräfte innerhalb der rechtsextremen Szene bediente. Aus
Weinmanns „Gesamtverhalten“ schlussfolgerten die Betreuer, „daß er seine
Tätigkeit für das MfS auch in der Perspektive nicht missen will, da sie aus
materiellen gründen einen festen Platz in seinem Leben eingenommen hat.
Politisch modifizierte Faktoren liegen seiner Verbindung für das MfS nicht
zugrunde.“ Weinmann erschien dem DDR-Geheimdienst überhaupt als unpolitische
Natur, auch was seine Verbindungen in die rechte Szene anging: Diese seien
ebenso „vorrangig von dem Bestreben getragen, den vorhandenen breitgefächerten
‚Absatzmarkt’ journalistischer Arbeiten für seine Lebensexistenz zu nutzen“.
Ein anderes Mal notierte ein zuständiger Offizier kritisch: „‚Römer’ ist und
wird auch weiterhin ein Nachrichten-Händler bleiben. In seinem Bestreben liegt
es sicherlich – und er hat es ja auch schon getan – nicht nur für DIGOS
erarbeitete Informationen an das MfS zu ‚verkaufen’, sondern auch umgekehrt. Es
besteht die Gefahr, daß das ausufert. Deshalb müssen wir beim nächsten Treff
noch konkretere Schritte dagegen unternehmen." Allerdings schätzte
Weinmann offenbar seine neuen Auftraggeber: Im Vergleich zu BfV und DIGOS
strich er „straffe Arbeitslage, Organisiertheit und hohe Konspiration, in der
Berichterstattung Konkretheit, volle Forderung seiner Person“ als positive
Unterschiede hervor.
Für
die „Einsatzrichtung“ des IM gab es konkrete Ziele: Wie schon BfV und
DIGOS war auch das MfS vor allem an Wissen über rechtsextreme Kleinparteien und
Gruppierungen in der BRD.
Weinmann erhielt unter anderem den Auftrag: „Erarbeitung von aktuellen
Informationen und Hinweisen zu seinen engsten Freunden, insbesondere zu denen,
die mit ihm in der Vergangenheit Terroranschläge begangen haben.“ Für die
Autorin Regine Igel ist dies ein Beleg dafür, dass Weinmann selbst in Attentate
verwickelt war – deren genauer Hintergrund geht jedoch aus der Aktenlage nicht
hervor. Als „Szenebeobachter“ sollte Weinmann weiters über Pläne und Absichten
der DVU, der Nationaldemokratischen Partei (NDP), der freiheitlichen Deutschen
Arbeiterpartei (FAP) und der Wiking-Jugend (WJ) berichten. Auch war dem MfS
sehr daran gelegen, von Weinmann über die jeweilige „Interessenlage von DIGOS“
sowie ein jeweils aktualisiertes Lagebild des Südtirolkonflikts zu erhalten.
Speziell was letzteren Punkt betraf, war das MfS mit Weinmanns Leistung sehr
zufrieden: „‚Römer’ zeigte die Vielfalt und Kompliziertheit ‚der Forderungen
und Zielstellungen der in Südtirol, Österreich und der BRD agierenden
rechtsextremistischen Vereinigungen und Organisationen zur Südtirolproblematik
auf." Hierzu gehörte auch, eine Einschätzung bezüglich der
Hintergründe der Anschläge in den 1980er Jahren beizusteuern und über die
Ermittlungen der italienischen Organe zu informieren. Später erklärte Weinmann
gegenüber Medien: „Bei jedem Anschlag haben sich die Stasi-Leute gefreut, weil
damit im NATO-Land Italien eine instabile Zone sichtbar wurde.“ Das MfS habe
gesagt, „das ist gut, der Streit da unten, der gefällt uns, wir setzen uns rein
und mischen da richtig mit, auf dass da unten richtig Tumult ist“, so Weinmann
1993. In einem Bericht der Hauptabteilung IX (Disziplinar- und Untersuchungsorgan
des MfS) von 1988 heißt es sogar, dass der wieder aufgeflammte
Südtirolterrorismus die italienischen Behörden vor eine ernstzunehmende
Herausforderung stelle: „Dieser faschistische Terror habe nicht nur qualitativ
zugenommen, sondern agiere auch mit äußerster Brutalität. Bewusst werde auf
spektakuläre Anschläge mit vielen Toten abgezielt. Erst kürzlich habe in
letzter Minute ein Sprengstoffanschlag auf eine
Ortswasserleitung verhindert werden können, der während eines Volksfestes
gezündet werden sollte und vermutlich viele Tote gefordert hätte.“ Die
Terroristen seien mit modernster Technik ausgerüstet und fänden innerhalb der
deutschsprachigen Bevölkerung Rückhalt. Verbindungen der Attentäter nach
Österreich und in die BRD, vor allem in das Bundesland Bayern, seien „bekannt,
aber weder nachgewiesen noch aufgearbeitet“ – weil in dieser Frage offenbar
keine Zusammenarbeit mit den BRD-Partnerdiensten gebe: „In Bayern existiere
angeblich sogar eine Ausbildungsbasis für Südtiroler Terroristen. Ebenso sollen
Waffen, Funktechnik und Sprengstoff von Bayern nach Südtirol verbracht werden,
jedoch seien die Verbindungslinien bisher unbekannt.“ Fazit des Berichts: „Die
italienischen Geheimdienste und Abwehrorgane stünden zunehmend unter dem Druck
der Öffentlichkeit, da keine Ansatzpunkte einer wirksamen Bekämpfung des
Südtiroler Rechtsterrorismus erkennbar seien.“
Weiters erhielt das MfS durch Weinmann
Informationen zu den Erhebungen nach dem Bombenanschlag auf das Palace-Hotel in
Meran am 31. Dezember 1986: Demnach vermutete die DIGOS „eine mögliche
Täterschaft aus rechtsextremen Kreisen, die dem in Südtirol agierenden
‚Andreas-Hofer-Bund‘ zuzuordnen sind“. Diese Organisation stünde „permanent im
Blickfeld der italienischen Abwehr, da ihr zugehörige Kräfte in der
Vergangenheit bereits mehrfach terroristische Anschläge verübten, die die
staatliche Sicherheit Italiens gefährdeten“. Laut Tatortuntersuchung war der
verwendete Sprengkörper mit der Aufschrift „Andreas Hofer“ versehen gewesen.
V-Männer wurden daraufhin beauftragt, nach ähnlichem Rohrmaterial in Wohnungen,
Kellern und Werkstätten von Personen, die der rechtsextremistischen Szene in
Südtirol angehören, Ausschau zu halten. Wie das MfS festhielt, erstreckten sich
diese Ermittlungen auf einen Verdächtigen in der BRD: Friedhelm Busse, der
wegen terroristischer Anschläge selbst bis 1986 inhaftiert war und nun wieder
Kontakte zum „Andreas Hofer Bund“ unterhalte. Ein persönlicher Bericht
Weinmanns zur „politischen Lage in Südtirol“ von Ende 1988 zeichnete dagegen ein
differenzierteres Bild des Anschlags in Meran. Seine ganze Argumentation ist
auf die entscheidende Frage gemünzt: „Wer sprengt nun wirklich in Südtirol?“
Die Attentatswelle, so Weinmann, erscheine wie eine Neuauflage der Ereignisse
der 1960er Jahre, doch dürften die Akteure „diesen Bogen doch etwas überspannt“
haben. Beispielsweise mit der Beschriftung der Rohrbombe von Meran mit „Andreas
Hofer“: „Hierdurch sollte ganz einfach eine gedankliche Verbindung zum
existierenden Andreas-Hofer-Bund hergestellt werden. Dies war selbst liberalen
Zeitungen zu einfältig und auch die Bevölkerung mochte so etwas nicht glauben.“
Es bleibe ihm daher nur der Schluss übrig, „daß die italienischen Abwehrkräfte
diese Sachen selbst inszeniert haben“. Darüber hinaus äußerte Weinmann seine
Überzeugung, „daß die Kontakte zu Rechtsextremisten von dem italienischen
Geheimdienst in jeder Beziehung kontrolliert werden, über den Geldverkehr, über
den Postverkehr, über den Telefonverkehr“. Dieses Insiderwissen kam nicht von
ungefähr – wie Weinmann 1993 gegenüber dem ZDF angab, hatte ihn sein
italienischer Führungsoffizier noch vor dem Attentat in Meran instruiert. Damit
sollte verhindert werden, dass Agenten mit den Anschlägen in Verbindung
gebracht wurden: „Die mussten mich doch in Schutz nehmen, ich war ja ständig
auf Tour. Man musste mich warnen, an dem Tag ins Palace-Hotel zu gehen, wo ich
jeden Tag dran vorbeifahre. Die haben klipp und klar gesagt, da fahren Sie erst
einmal zwei Tage nicht hin, es passiert etwas und morgen können Sie es bequem
in der Zeitung lesen.“
„IM
Förster“: Herbert Hegewald
Der zweite bekannte Spitzel des MfS in
Südtirol hatte im Unterschied zu Weinmann auch direkten Kontakt zu Attentätern.
Herbert Hegewald, 1937 in Dübrichen geboren, war abwechselnd Journalist und
Privatdetektiv in Mannheim. Wie Weinmann verkehrte er in rechtsextremen Kreisen
– in der „Aktion Widerstand“, der Wehrsportgruppe Hoffmann, den
„Bismarck-Deutschen“ und der NDP. Schon Mitte der 1960er Jahre wurde Hegewald
in Südtirol aktiv. „Zur damaligen Zeit fuhr er relativ häufig in dieses Gebiet
in Urlaub und hatte so einen relativ großen Freundeskreis unter der dortigen
Bevölkerung“, heißt es in Hegewalds Akte. Und weiter: „Er solidarisierte sich
für diese, nahm an Aktionen teil, weil er darin eine ‚gerechte Sache‘ sah.
Wegen Teilnahme an diesen Handlungen und unbefugten Waffenbesitz wurde er zu
einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, wo er Torf stechen durfte.“
Hegewald unterhielt damals Kontakte zum BAS, wurde aber von einigen Aktivisten als
Informant für den italienischen Geheimdienst verdächtigt und deswegen bei der
österreichischen Polizei angezeigt. Wegen des Waffenbesitz-Vergehens kam
Hegewald 1965 in Schubhaft und wurde an Deutschland ausgeliefert. „Als man
ihn festnahm,“ berichtete damals die APA, „fand man in seinem Gepäck
interessanterweise mehrere NS-Bücher, wie z. b. ‚Mein Kampf‘, aber auch einen
Brief des Dr. Norbert Burger, eine Spezialkarte von Südtirol, zahlreiche
Adressen und Telefonnummern, zwei Stahlbohrer, einen Feldstecher sowie einen
Gascolt vom Kaliber neun Millimeter.“ Nach Ende des gegen ihn verhängten
Aufenthaltsverbots kontaktierte Hegewald Ende der 1970er Jahre wieder ehemalige
Attentäter in Südtirol und Österreich. Oswald Astfäller, dessen Sohn gerade
wegen eines Sprengstoffanschlags verhaftete worden war, empfand es als
„Frechheit“, „dass ein Wildfremder bei mir anklopft und fragt, ob ich wieder
etwas mache“. Einem anderen Aktivisten bot Hegewald eine Maschinenpistole an,
die dieser aber ablehnte. Selbst 1955 aus der DDR geflüchtet, fiel
Hegewald 1984 bei einem Einreiseversuch zum Verwandtenbesuch in Ostdeutschland
auf. Es fanden sich Hinweise, „die auf Verbindungen zu terroristischen
Gruppen im OG [Operationsgebiet] schließen lassen“. Schon davor war Hegewald
mehrfach wegen Zollverstößen aufgefallen.Auf diese Weise hellhörig geworden,
kontaktierte das MfS Hegewald 1985, um ihn als „IM Förster“ zu rekrutieren. Zu
diesem Zeitpunkt war dieser seit zwei Jahren arbeitslos und bestrebt, „sich
ständig noch etwas zusätzlich zu verdienen“. Aus Informationen, die offenbar
von Weinmann stammten, geht hervor, dass Hegewald wegen seiner Verbindungen zu
Rechtsextremisten innerhalb der Südtiroler Sympathisantenszene in der BRD und
Österreich die Aufmerksamkeit der DIGOS auf sich zog. Der Dienst verdächtigte
den Deutschen zudem, mit Terroranschlägen in Südtirol/Bozen am 17. Mai 1988 in
Zusammenhang zu stehen.
Hegewald
hatte vor allem Kontakt zu Karl Außerer, der als Anführer der
Terrorgruppe Ein Tirol gilt. In dessen Umfeld soll es überhaupt von „eigenartigen
Gestalten, die entweder als Berufsverbrecher ausgewiesen sind oder lange schon
im Sold der Geheimdienste stehen“ gewimmelt haben.Den Kontakt zwischen Außerer
und Hegewald hatte der ehemalige Südtirol-Attentäter Karl Schaffer hergestellt.
Der Deutsche belieferte Außerer danach mit militärischer Ausrüstung, darunter
Uniformen, Tarnanzüge und Offiziersmeldetaschen. Dass das Maschinengewehr, die
Patronen, Magazine und Sprengkapseln, die Ende 1988 in Außerers Innsbrucker
Tischlerei sichergestellt wurden, auch von Hegewald stammten, konnte vor
Gericht nicht nachgewiesen werden. Zumindest laut einem nicht unterzeichneten
Gedächtnisprotokoll der Aktivistin Karola Unterkirchner war diese selbst
mehrmals dabei, wie Hegewald an Außerer Waffen und Sprengstoff übergab.
Konkreter ist ein MfS-Bericht von 1989: Demnach bestand zwischen „IM Förster“
und Außerer ein „gutes Vertrauensverhältnis“ – „dieses kommt insbesondere darin
zum Ausdruck, daß A. ihm im September oder Oktober 1988 bat, genau kann sich
‚Förster‘ nicht mehr erinnern, mit ihm zu einem gewissen […] in die Nähe von
Innsbruck zu fahren, um von diesem Sprengstoff abzuholen. Dieser Bitte kam
‚Förster‘ nach. […] Drei Tage später erfolgte die Verhaftung des A. durch die
österreichische Polizei. ‚Förster befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits
wieder in seinem Wohnort in der BRD.“ Selbst wollte der IM nicht an Anschlägen
teilgenommen haben. Tatsächlich wies ein Gutachten des Bundeskriminalamts
Sprengstoffspuren sowohl im Kofferraum als auch im Innenraum von Hegewalds Opel
Manta nach. Aufgrund solcher Indizien kam die Bundesanwaltschaft 1993 zum
Schluss, dass der ehemalige IM nicht nur mit Außerer befreundet, „sondern wie
dieser auch in die Anschläge der Kampfgruppe Ein Tirol verwickelt war“. Dennoch
stellten die deutschen Behörden das Verfahren im selben Jahr ein, weil kein
„hinreichender Tatbestand“ vorlag.
Zusammenfassung
Der Südtirolkonflikt ist ein gutes
Beispiel für die Tätigkeit des MfS im „Operationsgebiet“: Grundsätzlich ging es
darum, den politischen Gegner im Westen zu kompromittieren, Verunsicherung zu
schaffen und Differenzen innerhalb der BRD als auch gegenüber anderen Staaten
zu schaffen. Das
„Mitmischen“ in Südtirol bot in diesem Zusammenhang mehrere Vorteile: Zunächst
ging es dem MfS darum, über diesen Konflikt Zerwürfnisse innerhalb der NATO
bzw. zwischen Italien und Österreich zu säen – handelte es sich zudem um ein
strategisch wichtiges Gebiets in Grenzlage des westlichen Militärbündnisses.
„Südtirol ist ein zentraler Platz für Stabilität oder Instabilität in Europa.
Es gibt kein vereinigtes Europa, wenn hier Bomben fliegen“, erklärte dazu etwa
der ehemalige österreichische Außenminister Alois Mock 2002. Spätestens 1988,
als Österreich vor Beitrittsverhandlungen zur EG stand, war der Krisenherd
Südtirol zur politischen Belastung geworden. Daher wurde Ein Tirol-Anführer
Karl Außerer, der von Innsbruck aus agiert hatte, verhaftet und ein
Informationsaustausch mit Italien eingerichtet. Zuvor hatte man Außerer noch
„ungeniert gewähren lassen“ (Peterlini). Was die konkrete Rolle des MfS im
Südtirolkonflikt angeht, so wurde dieser vor allem an der Propagandafront
thematisiert. Das MfS trachtete stets danach, Informationen zur
Diskreditierung der Bonner Republik zu gewinnen, so auch aus dem
„Operationsgebiet“. Spitzel wie Peter Weinmann und Herbert Hegewald, die über
enge Kontakte zur rechtsextremen Szene in der BRD verfügten, wurden daher zur
gezielten Aufklärung der „Szene“ in Südtirol und ihrer Verbindungen eingesetzt.
Anhand der so konstruierten „Spur nach Nürnberg“ konnte man eine
pangermanistische Gefahr für den Frieden beschwören oder die „nazistische“
Kontinuität der Bonner Republik anklagen (wie im Fall Herbert Kühn). Genauso
dürfte es darum gegangen sein, das Gefahrenpotential von möglichem rechtsextrem
motiviertem Terrorismus gegen die DDR im Vorhinein abzuschätzen. Was
letzteren Punkt angeht, so ist eine erstaunliche Parallelität in der
Herangehensweise der italienischen Geheimdienste gegeben. Denn auch diese
Akteure legten es darauf an, das gesamte Spektrum der Südtiroler
Autonomiebewegung in der Öffentlichkeit als rechtsextrem zu brandmarken und
damit zu kriminalisieren. Die Tatsache, dass IM Römer auch für die italienische
DIGOS aktiv war und dasselbe Ziel auskundschaftete, unterstreicht diese
Konvergenz der Interessen nochmals. Beide Seiten, so Hans Karl Peterlini,
strebten danach „die Idee der Selbstbestimmung in ein rechtsextremes Licht zu
rücken, zu kriminalisieren und zur Gefahr für den Frieden in Europa zu
stilisieren“. Der MfS-Agenten Hegewald beispielsweise habe „nichts anderes
getan, als dem italienischen Staatsmann Giulio Andreotti die Bestätigung dafür
zu liefern, dass Pangermanismus und Tiroler Selbstbestimmung dasselbe und
gefährlich sind. Es ist, bei näherem Hinsehen, nichts anderes als das besonders
klare Destillat eines bekannten Geistes: der Strategie der Spannung.“ Die
zahlreichen offenen Fragen hinsichtlich der Urheberschaft der Attentate in den
1980er Jahren, zeigen schließlich auf, dass es sich um einen Art
„Schattenkrieg“ handelte, in dem Terrorismus auch politisch instrumentalisiert
wurde. Westliche und östliche Geheimdienstakteure versuchten aus der Entwicklung
für ihre jeweiligen Ziele Kapital zu schlagen, manipulierten teilweise die
Attentäter, legten falsche Spuren und verbreiteten Desinformation. Dieser
nachrichtendienstliche Aspekt des Südtirolterrorismus sollte Anlass für weitere
Forschung sein, um so zu einem besseren Verständnis des Konflikts beizutragen.
Hinweis: Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist in "zeitgeschichte", Heft 3/2013 erschienen.
Hinweis: Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist in "zeitgeschichte", Heft 3/2013 erschienen.