Montag, 2. Dezember 2013

Exkulsiv: Gespräch mit einem Zeitzeugen 40 Jahre nach der Geiselnahme von Marchegg

Am Vormittag des 28.September 1973 nahmen zwei Araber fünf osteuropäische Juden bei der Einreise am Grenzbahnhof Marchegg als Geiseln. Als erster erfuhr der Dolmetscher Hardy Eisenstädter die genauen Forderungen der Terroristen. Danach unterstützte er die Verhandlungen zur Lösung der Geiselkrise. Trotzdem wurde seine Rolle nie öffentlich bekannt. Heute, mehr als 40 Jahre nach den Ereignissen, spricht Eisenstädter zum ersten Mal darüber.

Hardy Eisenstädter, heute Brigadier im Ruhestand, war als Sohn einer Österreicherin in Ägypten geboren worden. Mit 16 Jahren kam er nach Österreich und machte an der Militärakademie die Ausbildung zum Offizier. Danach war er an der Landesverteidigungsakademie in der Grundlagenforschung für den Nahen Osten zuständig. „Als gerichtlich beeideter Dolmetscher habe ich immer wieder Bundeskanzler Kreisky sowie andere Mitglieder der Bundesregierung begleitet. Sie alle waren immer sehr dankbar, wenn ich dabei gewesen bin. Als Offizier, Sprachkundiger und jemand, der die Mentalität im arabischen Raum kennt, war es mir möglich, schnell eine Vertrauensbasis zum Gegenüber herzustellen.“

In den Vormittagsstunden des 28.September 1973 wurde der damalige Hauptmann Eisenstädter von der Polizei abgeholt und zum Flughafen Schwechat gebracht, wohin sich die Araber mit ihren Geiseln in einem VW-Kombi hatten fahren lassen: „Dort befand sich schon Innenminister Rösch und weitere hohe Beamte des Innenministeriums sowie des Sicherheitsdiensts. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, was die Geiselnehmer begehren. Minister Rösch gab mir den Auftrag, auf das Flugfeld hinauszufahren und herauszufinden, was die Geiselnehmer fordern. Aus dem Beifahrerfenster des VWs ragte der Lauf einer Maschinenpistole. Weil ich in Zivil war, vermuteten die Terroristen zunächst, dass es sich bei meiner Person um einen Angehörigen des israelischen Geheimdienst Mossad handle. Ich habe ihnen dann mitgeteilt, dass ich zum Bundesheer gehöre und ihnen meinen Militärausweis gezeigt. Und wie die Terroristen dann mein Bild in Uniform gesehen haben, waren sie bereit, mit mir zu reden. Ich habe gefragt, was sie wollen – die Antwort war, dass Schönau geschlossen wird und eine diesbezügliche Vereinbarung mit der österreichischen Regierung. Weiters sollten arabische Botschafter in Wien das Ganze bestätigen.“

Die Terroristen, Mitglieder der pro-syrischen Gruppe ‚Adler der palästinensischen Revolution‘ forderten darüber hinaus die unbehelligte Ausreise mit den Geiseln in ein arabisches Land, um sie gegen palästinensische Gefangene auszutauschen.

Als Eisenstädter Minister Rösch darüber informierte, waren die anwesenden Beamten dagegen, weil man angeblich keinen Botschafter erreichen würde: „Es war Wochenende und da sei niemand da. Aber ohne die Botschafter hätten wir das Problem sicher nicht gelöst, weil die Terroristen sehr misstrauisch waren und daher einen Botschafter wollten, der ihnen garantiert, dass 1.) die Versprechen der österreichischen Regierung eingehalten werden. Und 2.), dass sie wirklich wegfliegen dürfen.“

Das Krisenmanagement erlebte der Zeitzeuge überhaupt als chaotisch: „Die Vertreter der zuständigen Ministerien waren weder über die weitere Vorgangsweise, noch über ihre Kompetenzen einig. Ich meinte, dass meines Wissens, das Außenministerium über entsprechende Listen zur Erreichbarkeit der Botschafter außerhalb der Dienstzeiten verfügte. Minister Rösch nahm daraufhin mit Bundeskanzler Kreisky Kontakt auf und erstattete einen Situationsbericht. Dieser ordnete an, dass alle arabischen Botschafter, die erreichbar wären von der Polizei abzuholen und zum Flughafen zu bringen wären.“

Die beiden Terroristen erlebte Eisenstädter zuerst „sehr aufgeregt und aggressiv“: „Im Laufe der Gespräche hat sich das beruhigt und die Lösungsfindung stand im Vordergrund. Am Ende war eine amikale, problemlose Gesprächsbasis gegeben. Ich war der einzige vor Ort, der mit ihnen Arabisch sprechen konnte. Wenn es notwendig war, habe ich gedolmetscht.“

Die Verhandlungen in Anwesenheit der Botschafter dauerten etwa dreizehn Stunden und man gelangte zu einem Kompromiss. Das Transitlager Schönau wurde geschlossen, die Geiselnehmer erhielten freies Geleit und ließen dafür ihre Geiseln zurück. „Federführend beteiligt am Verhandlungserfolg war neben dem libanesischen Botschafter der libysche Botschafter Mahmud Al-Ghadsmi, denn er hatte die Ausreise der Terroristen nach Libyen arrangiert“, so Eisenstädter.

Trotz seiner wichtigen Rolle im Verlauf der Geiselkrise wurde Eisenstädter weder im offiziellen Bericht der Bundesregierung erwähnt, noch erhielt er eine Auszeichnung, so wie alle anderen Beteiligten: „Die Beamten haben meine Rolle als Einmischung betrachtet. Sie wollten das alles über ihre Schiene läuft, egal ob das jemand bringt oder nicht.“
1974: H. Eisenstädter (Mitte) mit Bundeskanzler Bruno Kreisky (links) und syrischem Staatsgast (rechts)
Diese negative Haltung bekam Eisenstädter auch später noch zu spüren: Vor allem Bundeskanzler Kreisky hatte ihn immer wieder – zur Verärgerung der offiziellen diplomatischen Kanäle – für Vermittlungsmissionen im Nahen Osten eingesetzt. So etwa, als es um Spannungen zwischen den österreichischen UN-Truppen am Golan und der dortigen Bevölkerung ging. Zuletzt hatte Eisenstädter im Jahr 2000 schon einen Kontakt zu Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah hergestellt, um die Freilassung von vier Israelis zu erreichen: „Allerdings wurde in der Folge der Auftrag vom Außenministerium ‚storniert‘, woraufhin Deutschland die Mission übernahm. Dem Ansehen Österreichs war das jedenfalls nicht förderlich.“