Dienstag, 17. Dezember 2013

"Angst vor Terror, Angst vor Kernkraft"

Auszüge aus dem Staribacher-Tagebuch zur Palmers-Entführung/Linksterrorismus

Am Abend des 9. November 1977 war der Wiener Textilindustrielle Walter Palmers vor seinem Haus in Währing in ein Auto gezerrt und 100 Stunden lang in einer Wohnung in Mariahilf gefangen gehalten worden. Seine Familie zahlte mehr als 30 Millionen Schilling (2,18 Mio. Euro) Lösegeld. Die Entführung diente der Bewegung 2. Juni als Geldbeschaffungsaktion. Kurz zuvor, am 5. September 1977, hatte die Rote Armee Fraktion in der BRD den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführt und diesen später ermordet. Dies schürte in Österreich Sorgen vor einem Übergreifen des Linksterrorismus. Als wichtigste Konsequenz wurde der Aufbau des Gendarmerieeinsatzkommandos, der heutigen „Cobra“, veranlasst. 

Weitere Infos zum Thema unter:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_EKO_Cobra/publikationen/files/Aufbau_ATK.pdf


Das Tagebuch von Handels- und Industrieminister Josef Staribacher [einsehbar in der Stiftung Bruno Kreisky Archiv] ermöglicht einen Einblick in diese dramatischen Monate:

12. 9. 1977:
Nach dem morgigen Ministerrat erwartet er [Bundeskanzler Bruno Kreisky], dass die Presse ihm fragt, wie es jetzt in Österreich mit dem Terrorismus weitergehen wird. Insbesondere steht noch das oberstgerichtliche Urteil über die Terroristin Boock [Waltraud Boock, 1976 nach Banküberfall in Wien verhaftet] aus. Er meint Lanc müsste sich jetzt den Kopf zerbrechen, wie wir gegebenenfalls Maßnahmen in Österreich treffen, die sich von den deutschen wesentlich unterscheiden müssen. Vielleicht ist es zweckmäßig, sowie bei der Gendarmerie auch bei der Polizei eine besondere Abteilung für Terrorbekämpfung zu errichten. Jetzt gibt es eine Welle für die Todesstrafe. Er meint politisch wirksam ist aber nur ein Gegenstromsystem, d.h. über dieses Problem dürfe man dann erst diskutieren, keinesfalls aber die Todesstrafe propagieren bis dieser Terror in Deutschland abgeflaut ist.

Meldung der Arbeiterzeitung vom 11. 11. 1977 (www.arbeiter-zeitung.at)
14. 11. 1977:
Lanc [Erwin Lanc, Innenminister 1977-1983] wird aufgefordert, über die Entführung Palmers zu referieren und ist sehr zurückhaltend mit seinen Informationen. Der Sohn, der das Geld übergeben hat, verweigert teilweise die Aussage und wenn er Informationen gibt, so sind sie unvollständig. Lanc erklärt, das Wiener Sicherheitsbüro muss jetzt mittags eine Pressekonferenz machen, weil die Mitarbeit der Bevölkerung verlangt wird  Kreisky bemerkt, ohne Lanc kritisieren zu wollen, wie er feststellt, dass der österreichische Apparat nicht maximal ist. Die jetzigen Schutzvorschriften gefährden nur junge Leute, die z.B. jetzt zu seinem persönlichen Schutz abkommandiert sind. Was unbedingt verhindert werden muss, ist dass wie in Deutschland die Schutzbedürfnisse dann einen Kontakt der Politiker mit der Bevölkerung verhindert wird. [...] Ob eine politische Aktion dahintersteht, muss erst geprüft werden. Ein gewisser Terrorist Sonnenberg [Günter Sonnenberg] sei vor etlicher Zeit im Hilton abgestiegen, die große Gefahr ist, dass der Mann von der inhaftierten Terroristin Boock [Peter Jürgen Boock], der der übelste Terrorist sein soll, eine Befreiung versuchen wird. Auch in Prag werden jetzt neue Terroristen ausgebildet. Kreisky wird dort als der Hüter des Zionismus hingestellt.

18. 11. 1977:
Nach dem Essen hat Kreisky beim Kaffee den Ministerpräsidenten über die Palmers-Entführungsaffäre einige Informationen gegeben, weil Kreisky davon überzeugt ist, dass der Terror weitergehen wird. Kreisky erwartet die Befreiung von der bei uns inhaftierten Terroristin Boock. Da er mit Palmers eine Aussprache gehabt hat, glaubt er allen Ernstes jetzt besser informiert zu sein als die Polizei und auch die Untersuchung nach seinem dafürhalten anders führen zu müssen. Ich bin überzeugt dass die Polizei nicht nur alle diese Details, die ja auch nicht weiterhelfen schon weiß, ich bin auch überzeugt, dass sie mit allen zur Verfügung stehenden Mittel die sicherlich aber unzulänglich sind, bestrebt ist, den Fall zu lösen. In der Politik, ob Innen, Polizei, ob Außenpolitik usw. kann Kreisky mit seiner Autorität natürlich immer eine Theorie vertreten, die niemand widerlegen kann. Erst bis der Fall eintritt - oder nicht eintritt - kann man dann die Richtigkeit seiner Theorie bestätigt finden. Da dies aber, wenn überhaupt, zeitlich spät erfolgt, ist eine Kontrolle kaum möglich. Die Oppositionspartei, die dies genau verfolgen müsste, versagt zu unserem Glück in dieser Hinsicht vollkommen. Kreisky hat deshalb die Möglichkeit durch Andeutungen schon immer irgendetwas vorauszusagen, was in manchen Fällen dann zutrifft.

19. 10. 1977:
Das Referat Kreiskys war dem Terror gewidmet, nachdem er einleitend die ÖVP als kleinbürgerliche Partei charakterisiert hat. Ursache und Ausgangspunkt dieser Terrortätigkeit war die seiner zeitige Studentenrevolution Dutschkes und Cohn-Bendit. Die geistigen Väter waren absonderliche Gelehrte, die APO [Außerparlamentarische Opposition] in weiterer Folge, die Kontinuität, diese macht entweder den langen Marsch durch die Institutionen der Partei und Gewerkschaften oder werden Anwälte und Manager. Ein kleiner Teil davon landet aber im Faulbett des Anarchismus. Dort wird nichts mehr nachgedacht, wie man etwas verbessern kann sondern es entscheidet nur mehr die Tat. Anarchisten hat es zu jeder Zeit gegeben, die Sozialdemokratie muss unerbittlich gegen den Terror auftreten. Die Demokratie muss sich gegen das Wiederaufleben des Faschismus, Terrorismus mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wehren.

28. 11. 1977:
Bock und insbesondere jetzt der neue Menschenraub zeigt Ansätze zum Terrorismus. Einzelne Intellektuelle wie Hrdlitschka beginnen jetzt als Sympathisanten zu wirken. Der Bildhauer hat jetzt überall einen gelben Sympathisanten-Stern ausgesendet. Im Forum sind einige tätig und Kreisky warnt deshalb und meint, der linke Rand der SPÖ müsste reingehalten werden. Kepplinger und Gratt [die Studenten Othmar Kepplinger und Thomas Gratt waren an der Entführung von Palmers beteiligt] seien nicht auf Grund der österreichischen Leistungen von Sicherheitsorganen verhaftet worden, sondern ausschließlich durch Zufall in der Schweiz. Terroristen sollen und wollen Menschenraub nicht als ihre Aktion deklarieren. Da brauchen sie nur das Geld und womöglich keine Publicity. […] Auf Aufforderung Kreiskys musste Lanc wieder über die Palmers-Affäre berichten. Einige Sätze, dass die Wahrnehmung Palmers, dass ein Deutscher beteiligt ist, stimmen dürfte, die Organisation aber bei Österreichern lag. Lanc ist ungeheuer zurückhaltend, spricht noch langsamer als Kreisky und will nichts sagen. Andererseits sagt er auch nichts gegen die Behauptung Kreiskys, dass die österreichischen Sicherheitsorgane versagen.

10. 1. 1978:
Lanc berichtete dann über seine Maßnahmen für die Terror-Bekämpfung Kreisky ist fest davon überzeugt, dass bei den zukünftigen Wahlen die Sicherheit, die Kernkraftwerke und die Wirtschaft die entscheidenden Wahlthemen und letzten Endes die Wahlentscheidung her beiführen wird. Bei Sicherheit will Lanc die entsprechende Aufstockung des Gendarmeriebegleitkommandos [wurde später in Einsatzkommando Cobra umbenannt] von 44 auf  127 - mit den Beamten für das neue Areal werden insgesamt 138 – zur Verfügung stehen. Die Truppe soll nämlich aus dem Kasernenbereich herausgenommen werden und eine eigene Ausbildungs- und Aufenthaltsstätte bekommen.

16. 5. 1978:
Kreisky berichtet über die wachsenden Rechtsextremisten und meint, hier müsse mehr vom Rechtsstandpunkt aus geschehen. Hitler-Münzen können vertrieben werden und man hat keine Möglichkeit dagegen einzuschreiten. Überhaupt liegen wir wahnsinnig schlecht in der Rechtspolitik bei der Bevölkerung. Broda antwortet, dass die Grundsätze der Rechtspolitik ja einvernehmlich festgelegt wurden, was Kreisky nicht bestreitet. Die Gesetze reichen seiner Meinung nach voll aus, wir brauchen keine Sondergesetze wie in Deutschland. Kreisky befürchtet, dass, nachdem jetzt 3 Terroristen bereits in Österreich sind [gemeint offenbar: Boock, Gratt, Kepplinger] und noch Tiedemann [Gabriele Kröcher-Tiedemann] eventuell dazu kommt, dass dann der österreichische Terror beginnen wird, weil diese von den anderen befreit werden würden.

29. 5. 1978:
Lanc teilte mit, dass die  Minister jetzt von der Polizei kontaktiert werden, um notwendige Vorkehrungen zu treffen, wenn der Fall einer Entführung oder sonstigen Terroraktion eintritt man mehr über den Minister schon weiß. Kreisky hat mit Helmut Schmidt eine Aussprache gehabt über dieses Problem, denn er wurde auch durch einen Brief der RAF verständigt, dass alle, die mit Schmidt zu tun haben, seine Politik unterstützen, genauso verurteilt werden wie Schmidt selbst. Kreisky ist nach wie vor der Meinung, dass Boock und Kröcher-Tiedemann, wenn sie nach Österreich ausgeliefert werden sollten mit den zwei Österreichern, die man in der Schweiz verhaftet hat, sicherlich dann befreien wird. Er erwartete insbesondere diese Angriffe vom Mann der Boock, […]. Lanc meinte, eine Zielfahndung, wie sie in Deutschland besteht, ist in Österreich nicht möglich. dort wird auf jeden Terroristen ein eigener Beamter eingesetzt und ausschließlich zu dessen Aufstöberung eingesetzt. Lanc meint, das österreichische System der schachbrettartigen Überwachung wie z.B. bei den Bankrauben, sich sehr bewährt, müsste sich auch sonst durchführen lassen. Kreisky hatte wegen der Terrortätigkeit große Angst, dass die nächsten Wahlen für uns schlecht ausgehen. Die Bevölkerung fürchtet sich vor dem Kernkraftwerk, dazu kommt jetzt noch die Angst vor dem Terror und dies geht auf Kosten der soz. Wählerstimmen. Nach seiner Meinung verlieren wir wegen dieser Kombination. Angst vor Terror, Angst vor Kernkraft.