Auszüge aus dem Staribacher-Tagebuch
zur Palmers-Entführung/Linksterrorismus
Am Abend des 9.
November 1977 war der Wiener Textilindustrielle Walter Palmers vor seinem Haus
in Währing in ein Auto gezerrt und 100 Stunden lang in einer Wohnung in
Mariahilf gefangen gehalten worden. Seine Familie zahlte mehr als 30 Millionen
Schilling (2,18 Mio. Euro) Lösegeld. Die Entführung diente der Bewegung 2. Juni
als Geldbeschaffungsaktion. Kurz zuvor, am 5. September 1977, hatte die Rote
Armee Fraktion in der BRD den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer
entführt und diesen später ermordet. Dies schürte in Österreich Sorgen vor
einem Übergreifen des Linksterrorismus. Als wichtigste Konsequenz wurde der
Aufbau des Gendarmerieeinsatzkommandos, der heutigen „Cobra“, veranlasst.
Weitere Infos
zum Thema unter:
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_EKO_Cobra/publikationen/files/Aufbau_ATK.pdf
Das Tagebuch von Handels-
und Industrieminister Josef Staribacher [einsehbar in der Stiftung Bruno
Kreisky Archiv] ermöglicht einen Einblick in diese dramatischen Monate:
12. 9. 1977:
Nach dem morgigen Ministerrat erwartet er [Bundeskanzler
Bruno Kreisky], dass die Presse ihm fragt, wie es jetzt in Österreich mit dem
Terrorismus weitergehen wird. Insbesondere steht noch das oberstgerichtliche
Urteil über die Terroristin Boock [Waltraud Boock, 1976 nach Banküberfall in
Wien verhaftet] aus. Er meint Lanc müsste sich jetzt den Kopf zerbrechen, wie
wir gegebenenfalls Maßnahmen in Österreich treffen, die sich von den deutschen
wesentlich unterscheiden müssen. Vielleicht ist es zweckmäßig, sowie bei der Gendarmerie auch bei der Polizei
eine besondere Abteilung für
Terrorbekämpfung zu errichten. Jetzt gibt es eine Welle für die Todesstrafe.
Er meint politisch wirksam ist aber nur ein Gegenstromsystem, d.h. über dieses
Problem dürfe man dann erst diskutieren, keinesfalls aber die Todesstrafe
propagieren bis dieser Terror in Deutschland abgeflaut ist.
Meldung der Arbeiterzeitung vom 11. 11. 1977 (www.arbeiter-zeitung.at) |
14. 11. 1977:
Lanc [Erwin Lanc, Innenminister 1977-1983] wird aufgefordert,
über die Entführung Palmers zu referieren und ist sehr zurückhaltend mit seinen
Informationen. Der Sohn, der das Geld übergeben hat, verweigert teilweise die
Aussage und wenn er Informationen gibt, so sind sie unvollständig. Lanc
erklärt, das Wiener Sicherheitsbüro muss jetzt mittags eine Pressekonferenz
machen, weil die Mitarbeit der Bevölkerung verlangt wird Kreisky
bemerkt, ohne Lanc kritisieren zu wollen, wie er feststellt, dass der österreichische Apparat nicht maximal ist. Die
jetzigen Schutzvorschriften gefährden nur junge Leute, die z.B. jetzt zu seinem
persönlichen Schutz abkommandiert sind. Was unbedingt verhindert werden muss, ist
dass wie in Deutschland die Schutzbedürfnisse dann einen Kontakt der Politiker
mit der Bevölkerung verhindert wird. [...] Ob eine politische
Aktion dahintersteht, muss erst geprüft
werden. Ein gewisser Terrorist Sonnenberg [Günter Sonnenberg] sei vor etlicher Zeit im Hilton
abgestiegen, die große Gefahr ist, dass der Mann von der inhaftierten Terroristin Boock [Peter Jürgen Boock], der der übelste Terrorist sein soll, eine Befreiung versuchen wird. Auch in Prag werden jetzt neue
Terroristen ausgebildet. Kreisky wird
dort als der Hüter des Zionismus hingestellt.
18. 11. 1977:
Nach dem Essen hat Kreisky beim Kaffee den
Ministerpräsidenten über die Palmers-Entführungsaffäre einige Informationen
gegeben, weil Kreisky davon überzeugt ist, dass der Terror weitergehen wird. Kreisky erwartet die Befreiung von der bei
uns inhaftierten Terroristin Boock.
Da er mit Palmers eine Aussprache gehabt hat, glaubt er allen Ernstes jetzt besser informiert zu sein als die
Polizei und auch die Untersuchung nach
seinem dafürhalten anders führen zu müssen. Ich bin überzeugt dass die Polizei
nicht nur alle diese Details, die ja auch nicht weiterhelfen schon weiß, ich
bin auch überzeugt, dass sie mit allen zur Verfügung stehenden Mittel die
sicherlich aber unzulänglich sind, bestrebt ist, den Fall zu lösen. In der Politik, ob Innen, Polizei, ob Außenpolitik
usw. kann Kreisky mit seiner
Autorität natürlich immer eine Theorie vertreten, die niemand widerlegen kann. Erst bis der Fall
eintritt - oder nicht eintritt - kann man dann die Richtigkeit seiner Theorie
bestätigt finden. Da dies aber, wenn überhaupt, zeitlich spät erfolgt, ist eine
Kontrolle kaum möglich. Die Oppositionspartei, die dies genau verfolgen müsste,
versagt zu unserem Glück in dieser Hinsicht vollkommen. Kreisky hat deshalb die
Möglichkeit durch Andeutungen schon immer irgendetwas vorauszusagen, was in
manchen Fällen dann zutrifft.
19. 10. 1977:
Das Referat Kreiskys war dem Terror gewidmet, nachdem er einleitend
die ÖVP als kleinbürgerliche Partei charakterisiert hat. Ursache und
Ausgangspunkt dieser Terrortätigkeit war die seiner zeitige Studentenrevolution
Dutschkes und Cohn-Bendit. Die geistigen Väter waren absonderliche Gelehrte,
die APO [Außerparlamentarische Opposition] in weiterer Folge, die Kontinuität,
diese macht entweder den langen Marsch durch die Institutionen der Partei und Gewerkschaften
oder werden Anwälte und Manager. Ein
kleiner Teil davon landet aber im
Faulbett des Anarchismus. Dort wird nichts mehr nachgedacht, wie man etwas
verbessern kann sondern es entscheidet nur mehr die Tat. Anarchisten hat es zu
jeder Zeit gegeben, die Sozialdemokratie muss unerbittlich gegen den Terror
auftreten. Die Demokratie muss sich gegen das Wiederaufleben des Faschismus,
Terrorismus mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wehren.
28. 11. 1977:
Bock und insbesondere
jetzt der neue Menschenraub zeigt Ansätze zum Terrorismus.
Einzelne Intellektuelle wie Hrdlitschka beginnen jetzt als Sympathisanten zu wirken. Der Bildhauer hat
jetzt überall einen gelben Sympathisanten-Stern
ausgesendet. Im Forum sind einige tätig und Kreisky warnt deshalb und
meint, der linke Rand der SPÖ müsste reingehalten werden. Kepplinger und Gratt [die
Studenten Othmar Kepplinger und Thomas Gratt waren an der Entführung von Palmers
beteiligt] seien nicht auf Grund der österreichischen Leistungen von
Sicherheitsorganen verhaftet worden, sondern ausschließlich durch Zufall in der
Schweiz. Terroristen sollen und wollen Menschenraub nicht als ihre Aktion
deklarieren. Da brauchen sie nur das Geld und womöglich keine Publicity. […] Auf
Aufforderung Kreiskys musste Lanc wieder über die Palmers-Affäre berichten.
Einige Sätze, dass die Wahrnehmung Palmers, dass ein Deutscher beteiligt ist,
stimmen dürfte, die Organisation aber bei Österreichern lag. Lanc ist ungeheuer zurückhaltend, spricht
noch langsamer als Kreisky und will nichts
sagen. Andererseits sagt er auch nichts gegen die Behauptung Kreiskys, dass die österreichischen
Sicherheitsorgane versagen.
10. 1. 1978:
Lanc berichtete dann über seine Maßnahmen für die
Terror-Bekämpfung Kreisky ist fest davon überzeugt, dass bei den zukünftigen
Wahlen die Sicherheit, die Kernkraftwerke und die Wirtschaft die entscheidenden
Wahlthemen und letzten Endes die Wahlentscheidung her beiführen wird. Bei
Sicherheit will Lanc die entsprechende Aufstockung
des Gendarmeriebegleitkommandos [wurde später in Einsatzkommando Cobra
umbenannt] von 44 auf 127 - mit den
Beamten für das neue Areal werden insgesamt 138 – zur Verfügung stehen. Die
Truppe soll nämlich aus dem Kasernenbereich herausgenommen werden und eine
eigene Ausbildungs- und Aufenthaltsstätte bekommen.
16. 5. 1978:
Kreisky berichtet über die wachsenden Rechtsextremisten und
meint, hier müsse mehr vom Rechtsstandpunkt aus geschehen. Hitler-Münzen können
vertrieben werden und man hat keine Möglichkeit dagegen einzuschreiten.
Überhaupt liegen wir wahnsinnig schlecht in der Rechtspolitik bei der
Bevölkerung. Broda antwortet, dass die Grundsätze der Rechtspolitik ja einvernehmlich
festgelegt wurden, was Kreisky nicht bestreitet. Die Gesetze reichen seiner
Meinung nach voll aus, wir brauchen
keine Sondergesetze wie in Deutschland.
Kreisky befürchtet, dass, nachdem jetzt 3 Terroristen bereits in Österreich sind [gemeint offenbar: Boock, Gratt, Kepplinger] und noch Tiedemann [Gabriele
Kröcher-Tiedemann] eventuell dazu kommt,
dass dann der österreichische Terror
beginnen wird, weil diese von den anderen befreit werden würden.
29. 5. 1978:
Lanc teilte mit, dass die Minister jetzt von der Polizei kontaktiert
werden, um notwendige Vorkehrungen zu treffen, wenn der Fall einer Entführung
oder sonstigen Terroraktion eintritt man mehr über den Minister schon weiß. Kreisky hat mit Helmut Schmidt eine
Aussprache gehabt über dieses Problem, denn
er wurde auch durch einen Brief der RAF verständigt, dass alle, die mit Schmidt zu tun haben, seine Politik unterstützen,
genauso verurteilt werden wie Schmidt
selbst. Kreisky ist nach wie vor der Meinung, dass Boock und Kröcher-Tiedemann, wenn sie nach Österreich
ausgeliefert werden sollten mit den
zwei Österreichern, die man in der Schweiz verhaftet hat, sicherlich dann befreien
wird. Er erwartete insbesondere diese Angriffe vom Mann der Boock, […]. Lanc
meinte, eine Zielfahndung, wie sie in Deutschland besteht, ist in Österreich
nicht möglich. dort wird auf jeden Terroristen ein eigener Beamter eingesetzt
und ausschließlich zu dessen Aufstöberung eingesetzt. Lanc meint, das österreichische System der schachbrettartigen Überwachung wie z.B. bei den Bankrauben, sich sehr bewährt, müsste sich
auch sonst durchführen lassen. Kreisky
hatte wegen der Terrortätigkeit große Angst, dass die nächsten Wahlen für uns schlecht ausgehen. Die
Bevölkerung fürchtet sich vor dem Kernkraftwerk,
dazu kommt jetzt noch die Angst vor dem Terror und dies geht auf Kosten der soz. Wählerstimmen. Nach
seiner Meinung verlieren wir wegen dieser
Kombination. Angst vor Terror, Angst vor Kernkraft.