Sonntag, 15. Dezember 2013

Die Geheimdienste und der Südtirolkonflikt – Teil 1

Der Südtirolkonflikt zählt bis heute zu den größten internationalen Auseinandersetzungen in Westeuropa seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Zwei Wellen von Attentaten (1961-1967 bzw. 1978-1988) forderten mindestens 35 Menschenleben und zahllose Verletzte. Der vorliegende Beitrag untersucht die substanzielle Rolle westlicher und östlicher Geheimdienste, vor allem des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), in Südtirol. Aufgrund der geopolitischen Bedeutung der Region zwischen den Machtblöcken des Kalten Krieges und des zeitlichen Zusammenhangs mit der Entkolonialisierungsphase der 1950er und 1960er Jahre war die Situation in Südtirol von strategischem Interesse für das MfS. Einerseits hatte der jahrzehntelange Konfliktherd das Potential, einen Keil zwischen die NATO-Mitgliedsländer Italien/BRD zu treiben, andererseits ließen sich gesammelte Informationen über die Rolle von rechtsextremistischen Organisationen und Individuen zur „nazistischen“ Diffamierung der Bonner Republik instrumentalisieren. In diesem Zusammenhang ergeben sich Parallelen zur Vorgangsweise der italienischen Geheimdienste, insbesondere was deren „pangermanistische“ Charakterisierung der Südtiroler Sezessionsbestrebungen angeht. Für die Untersuchung stützt sich der vorliegende Beitrag neben Sekundärliteratur vor allem auf Primärquellen, die aus der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) sowie aus der Wiener Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA) stammen.

Die erste Phase des Südtirolterrorismus (1961-1969)
Die Wurzel des Konflikts rund um nationale Selbstbestimmung und Minderheitenrechte in Südtirol bildete die Friedensordnung nach Ende des 1.Weltkriegs: Das deutschsprachige Gebiet zwischen Brenner und Salurner Klause war 1919 Italien zuerkannt worden. Unter dem faschistischen Regime wurde Südtirol dann einer strengen Politik der „Italienisierung“ unterworfen – durch Förderung italienischer Zuwanderung, „Entnationalisierung“ der deutschsprachigen Bevölkerung sowie „Umsiedlung“ von Südtirolern (Option) nach einem entsprechenden Abkommen mit Nazi-Deutschland (1939). Diese Erfahrung trug auch dazu bei, dass zahlreiche Südtirol-Aktivisten ihr späteres gewaltsames Vorgehen als antifaschistischen Widerstand rechtfertigten.Nach Ende des zweiten Weltkriegs einigten sich Österreich und Italien 1946 auf eine Autonomielösung für Südtirol, deren Umsetzung jedoch verschleppt wurde. Hatten dagegen schon Ende der 1940er Jahre vereinzelte Bombenanschläge stattgefunden, führte die weiter fortschreitende „Italienisierung“ Ende der 1950er Jahre zu einer allmählichen Radikalisierung des Protests.

Der 1958 gegründete „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) verschrieb sich der Forderung nach Selbstbestimmung und machte zunächst noch durch zivilen Ungehorsam auf sich aufmerksam. Das erste Attentat, zu dem sich der BAS bekannte, ereignete sich 1961. Die Anschläge in dieser Anfangsphase hatten „demonstrativen“ Charakter und richteten sich gegen Strommasten, Rohbauten und faschistische Denkmäler. Infolge der dadurch provozierten Repression, eskalierte der Südtirolterrorismus: Zwischen 1961 und 1967 wurden Sicherheitskräfte gezielt aus dem Hinterhalt erschossen oder mit Sprengfallen getötet, und es gab auch überregionale Anschläge auf italienische Fernzüge und Bahnhöfe. Insgesamt starben 15 Militärs, Polizisten und Zöllner. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier Aktivisten ums Leben. Hatten einige der BAS-Aktivisten anfangs noch davon geträumt, Südtirol nach Vorbild des erfolgreichen antikolonialen Aufstands von General Georgios Grivas in ein „zweites Zypern“ zu verwandeln, mussten sie jedoch bald erkennen, dass hinter ihrer Organisation keine Massenbewegung stand. Die Situation blieb für Italien beherrschbar. Der Gegenoffensive, die gerade im nachrichtendienstlichen Bereich sehr effektiv geführt wurde, hatte der nach 1961 personell stark ausgedünnte BAS immer weniger entgegenzusetzen, und schließlich wurden 1967 auch die Verbindungs- und Rückzugslinien ins „Hinterland“ Österreich gekappt.

Vom "Aluminium-Duce" in Waidbruck blieb nach einem BAS-Anschlag 1961 nur der Sockel (Quelle: Wikimedia Commons)
Auf politischer Ebene jedoch hatten die ersten BAS-Attentate, vor allem die „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961, nicht nur Dynamik in die bilateralen italienisch-österreichischen Verhandlungen gebracht, sondern auch dazu beigetragen, dass die Südtiroler Volkspartei (SVP) erstmals in inneritalienische Gespräche eingebunden wurde. Ob und in wieweit durch die Anschläge eine politische Lösung „herbeigebombt‘ wurde, ist aber bis heute umstritten. Der langjährige Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago etwa rückte die „Feuernacht“ in ursächlichen Zusammenhang mit der Entscheidung der römischen Zentralregierung, die Südtirolfrage zu prüfen. Der Zeithistoriker Rolf Steininger dagegen konstatiert eine „weggebombte Selbstbestimmung“: „Die Attentäter haben das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten. Im Bestreben nach Selbstbestimmung waren ihre Anschläge kontraproduktiv.“ Ein namhafter Vertreter der gegenteiligen Meinung ist der Journalist Hans Karl Peterlini: Für ihn ist die spätere Autonome Südtirols „kein Kind der Anschläge, aber die Anschläge gehören zu ihrer Geschichte, sind ein Kind des Ringens um Autonomie, das auch beigetragen hat zum Autonomieprozess. Die Attentäter mögen alles andere gewollt haben, aber sie haben sich in diese Geschichte eingetragen."

II. Die zweite Phase des Südtirolterrorismus (1978-1988)
Als die entscheidenden inneritalienischen Verhandlungen zwischen 1967 und 1969 über die Bühne gingen, war die erste Welle des Südtirolterrorismus bereits zu Ende gegangen. Es sollte aber bis 1992 dauern, ehe die Autonomie der Provinz vollständig umgesetzt war.Bis es soweit war, sollte sich die Gewalt noch ein weiteres Mal entzünden: Diese zweite Welle, die ab 1978 einsetzte, unterschied sich von der vorangegangenen in mehrfacher Weise. 

Hinsichtlich der Akteure traten mit dem Movimento Italiano Alto Adige (Mia – Bewegung der Italiener in Südtirol) und Associazione Protezione Italiani (Api – Vereinigung zum Schutz der Italiener) erstmals zwei italienische Gruppen auf den Plan. Sie unternahmen u. a. Anschläge gegen sechs Seilbahnen (1979), die Zugstrecke Meran-Bozen (1980) sowie auf den Landtag, die Villa des damaligen Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago, das Regierungskommissariat und den Sitz der Democrazia Cristiana in Bozen (1981). Die Terrorakte von Mia und Api richteten sich somit einerseits gegen die Südtiroler Autonomie und andererseits gegen jene Kräfte, die auf italienischer Seite als zu weitgehend empfundene Zugeständnisse gemacht hatten. 

Auf Südtiroler Seite waren noch in den Jahren 1978 bis 1982 Täter aus dem Personenkreis des BAS der 1960er Jahre aktiv. Danach – von 1986 bis 1988 – war die obskure Organisation Ein Tirol für zahlreiche Attentate verantwortlich. Insgesamt wurden 46 Anschläge, darunter gegen den Bahnhof Burgstall (1986), den Sitz des Rundfunks RAI, eine italienische Schule und die Banco di Roma in Bozen sowie gegen ein Kraftwerk in Waidbruck, die Dominikanerkirche in Eppan und die Wasserleitung in Lana (1988) verübt. Der Terror von Ein Tirol hatte eine ähnliche, wenn gleich gegensätzliche Leseart wie die Aktionen von Mia und Api: Hier richtete sich die Unzufriedenheit gegen die Kompromissbereitschaft der Südtiroler Volkspartei – statt weiter eine Autonomie auszuverhandeln, wollte Ein Tirol gleich eine Volksabstimmung über ein generelles „Los von Rom“ herbeibomben.Es war, schreibt der Südtiroler Journalist Hans Karl Peterlini, ein „Dialog mit Detonationen“: „Anschläge auf ‚italienische Ziele’ wechselten sich mit Anschlägen auf ‚deutsche Ziele’ ab.“Im Unterschied zur ersten Phase des Südtirolterrorismus verursachten die Attentate zwar erhebliche Sachschäden, kosteten aber glücklicherweise keine Menschenleben. 1984 wurden aber zwei Südtiroler Schützen bei einer Explosion getötet, als sie vermutlich einen Sprengkörper vorbereiteten. Ein weiterer Schützenfähnrich starb 1982 nach Misshandlungen in Polizeigewahrsam. Abgesehen von diesen Opfern führte die terroristische Offensive zu beträchtlicher Unruhe – vor allem gegen Ende der 1980er Jahre war die Lage in Südtirol angespannt, wie der Spiegel berichtete: „Tausende Polizisten mussten aus anderen Regionen angefordert werden, um gefährdete Politiker und Gebäude zu bewachen. Italiens Staatspräsident Cossiga sagte einen geplanten Meran-Urlaub aus Sicherheitsgründen ab. Nachts erinnert Südtirol heute an Spanien während der letzten Jahre der Franco-Diktatur: Militärjeeps patrouillieren durch die engen Gassen, Hubschrauber kreisen über den Städten, Geheimpolizisten kontrollieren die Gästelisten der Hotels."

Von Beginn an gab es allerdings Vermutungen, dass der Terrorismus von italienischer Seite geheimdienstlich manipuliert war. So berichtete beispielsweise der „Spiegel“ über die Attentate von Ein Tirol: „Den Terroristen gelang es immer wieder auf unerklärliche Weise, durch die dichten Polizeisperren zu schlüpfen. Eine freiwillige Bürgerwache stieß kurz vor der Sprengung der Rohrleitung bei Lana auf zwei verdächtige Männer, die sich als Carabinieri in Zivil auswiesen.“ Eine „geheimnisvolle Hand“ habe offenbar bei den Vorgängen Regie geführt: „Wie auf Knopfdruck explodierten serienweise Bomben, wenn sich Südtirols Regierung bei den Verhandlungen mit Rom wieder einmal querlegte. Ging es voran, herrschte Terrorpause.“ Schon bei der Bekämpfung des BAS in den 1960er Jahren hatten nachrichtendienstliche Methoden – Infiltration, Provokation, Gegenterrorismus und „effektive“ Verhörmethoden – eine wesentliche Rolle gespielt. So ist die Urheberschaft einiger Attentate, besonders in den Jahren 1966 und 1967, bis heute umstritten. Beispielsweise mehren sich Hinweise, dass die mysteriöse Ermordung des Carabinieri Vittorio Tiralongo (1964) den „Pusterer Buam“, einer besonders aktiven BAS-Einheit, untergeschoben wurde. Tatsächlich dürfte Tiralongo nach einem Streit von einem Vorgesetzten erschossen worden sein. Bereits 1965 gestand Robert K. in Innsbruck, im Auftrag des italienischen Geheimdiensts in einem Bozener Wohnhaus eine Bombe für Propagandazwecke platziert zu haben.Weiters begingen 1963 italienische Neofaschisten Vergeltungsattentate in Tirol und Oberösterreich, die ein Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderten. Offenbar wollte man auf diese Weise Druck auf Österreich ausüben, die beträchtliche Unterstützung für den BAS von Nordtiroler Seite her zu unterbinden. Sämtliche Täter waren „schillernde Figuren der rechtsradikalen Terrorszene Italiens und hatten beste Kontakte zum italienischen Geheimdienst“, so das Fazit des Historikers Christoph Franceschini.

Was die Attentate in den 1980er Jahren angeht, so wurden 1990 geheimdienstlich-militärische Strukturen bekannt, die seitdem in Verdacht stehen, am „Anheizen“ der letzten Phase des Südtirolterrorismus zumindest beteiligt gewesen zu sein. Das sogenannte Stay Behind-Programm der NATO, das in Italien den Decknamen Gladio trug, war 1950 in Zusammenarbeit zwischen dem Office of Policy Coordination (OPC) der CIA und des britischen MI6 formuliert und zur praktischen Umsetzung in die westliche Verteidigungsallianz eingebettet worden. Die Stay Behind-Kräfte sollten im Falle einer sowjetischen Invasion in Westeuropa lokale Widerstandseinheiten aufbauen, die Flucht von abgeschossenen Piloten, NATO-Personal und wichtigen Persönlichkeiten organisieren sowie Widerstand und Sabotage gegen die Besatzungsarmee durchführen. Dieser konkrete Anlassfall trat nie ein, dafür wurden die Stay Behind-Einheiten in einigen NATO-Mitgliedsländern im Inneren aktiv, meistens gegen linke oder kommunistische Oppositionelle. In der Türkei bekämpften die dortigen „Kontras“ kurdische Nationalisten, während portugiesische Stay Behind-Kräfte an der Verteidigung des afrikanischen Kolonialreichs teilnahmen. Sowohl in Griechenland als auch in Italien, beides Länder mit starken linken Parteien, war eine Involvierung von Stay Behind-Personal in Staatsstreiche und Militärputsche gegeben.

Was den italienischen Fall, Gladio, so speziell macht, ist die politische Instrumentalisierung von Terrorismus. Zwischen 1969 und 1987 wurden bei acht größeren Sprengstoffanschlägen 419 Menschen getötet und 1.181 verletzt. Wie nach einem Drehbuch verfolgten die Behörden nach diesen wahllosen Attentaten zunächst immer eine „anarchistische“ oder linke Spur, während das im Hintergrund hörbare „Säbelgerassel“ des Militärs zum geflügelten Wort wurde. Für die Anschläge waren letztendlich Bombenleger aus dem neofaschistischen Lager, von Organisationen wie Ordine Nuovo und Avanguardia Nazionale verantwortlich. Aber darüber hinaus gab es ein erstaunliches Ausmaß an „stillem“ Komplizentum seitens des Sicherheitsapparats: Verschiedene Geheimdienste förderten nachweislich die Aktivitäten der Neofaschisten, manipulierten sie mittels eingeschleuster Provokateure und verwischten Spuren im Nachhinein. Dieses hochkomplexe Netz an Verbindungen reichte bis hin zu den italienischen Ablegern der Gladio-Struktur und zu Militärgeheimdiensten der NATO. Alles in allem zielte die so vorangetriebene „Strategie der Spannung“ im Italien der 1960er und 1970er darauf ab, bestehende Konflikte zu verschärfen, gewissen politischen Protest zu kriminalisieren und die Öffentlichkeit generell in Unruhe zu versetzen, um so den status quo zu legitimieren.Südtirol bildete in diesem Zusammenhang einen Präzedenzfall: In den frühen 1960er Jahren dienten dort zahlreiche Offiziere, die sich in den darauffolgenden Jahren für die „unkonventionellen“ Operationen verantwortlich zeichneten. Südtirol sei insofern eine „Trainingshalle“ gewesen, „in der man alle jene Methoden teste, die später unter dem Signum ‚strategia della tensione’ (Strategie der Spannung) zur blutigen und traurigen Realität Italiens werden sollten. Dazu gehören Unterwanderung genauso wie hausgemachte Anschläge, Entführungen und Desinformation oder die physische Eliminierung der Gegner.“

Was die zweite Welle des Südtirolterrorismus, vor allem Ende der 1980er Jahre, angeht, so gibt es laut dem Journalisten Hans Karl Peterlini „direkte Spuren“ von den bereits erwähnten italienischen Gruppen Mia und Api zu GladioAuf einem Flugblatt der Mia von 1988 war bereits das erst 1990 bekannt gewordene Gladio-Symbol aufgemalt: Ein römisches Kurzschwert. „Das kann nur bedeuten, dass die Terroristen von Mia genau um Gladio Bescheid wussten. Und weil Gladio zu diesem Zeitpunkt striktes Staatsgeheimnis war, bleibt fast nur die Schlussfolgerung übrig, dass es eine direkte Verbindung vom staatlichen Geheimdienst Gladio zum italienischen Südtirol-Terrorismus von Mia gibt“, so Peterlini. Außerdem sei 1980 der Agent Francesco Stoppani in einer Carabinieri-Kaserne mit dem Auftrag vorstellig geworden, „den Südtirol-Terrorismus mit allen Mitteln zu stoppen“. Stoppani untermauerte das mit der Aussage, er kenne den „Chef von Mia“. Bereits im Herbst 1966 sollen weiters Oberst Mario Monaco und Hauptmann Vito Formica, zwei wichtige Entscheidungsträger innerhalb der Gladio-Struktur, in Südtirol eingesetzt worden sein: Monaco war Kommandant des Gladio-Trainingszentrum auf Sardinien, Formica der verantwortliche Ausbildungsoffizier. Wie General Manilo Capriata 1992 vor einem Senatsuntersuchungsausschuss aussagte, wurde Gladio während dieser Jahre in Südtirol auch aktiv eingesetzt. Im April 1962 hatte der Befehlshaber des militärischen Nachrichtendienstes SIFAR (Servizio Informazioni Forze Armate), General Giovanni De Lorenzo die paramilitärischen Einheiten in Südtirol aktiviert: „He told me that the means availble in this area had been insufficent … and that thus one had to draw upon particular forces." Angeblich befand sich „in den Gängen von Schloß Siegmundskron ein Gladio-Waffenlager, während in den Sarntaler Alpen Waffen- und Sprengstoffausbildungen abgehalten wurden. Welche strategische Bedeutung Südtirol/Trentino innerhalb der Gladio-Struktur zukam, lässt sich auch daran ablesen, dass die dortige Stärke einschließlich des Unterstützungspersonals ungefähr 2.600 Mann betrug. Mit 200 von insgesamt 622 Zellen bildete die Region überhaupt das Schwerpunktgebiet von Gladio in Italien – laut eines anonymen Experten „auf Grund der Topographie und des Auftrags zur nachhaltigen Kleinkriegsführung“. 1991 wurden zudem die Namen von 21 Angehörigen von Gladio in Südtirol bekannt: Sie waren von Guiseppe Landi, dem Präsidenten des Bozner Fallschirmspringerklubs, seit Beginn der 1970er Jahre vor allem aus dem Klub rekrutiert worden. Landi bestritt, daß Gladio etwas mit den Südtirol-Anschlägen zu tun gehabt habe. Die Organisation sei vielmehr nur „gegen die kommunistischen Feinde“ gerichtet gewesen.

Die Verbindungen der pro-italienischen Gruppen zu den Geheimdiensten und Gladio mögen umstritten sein, aber der Hintergrund von Ein Tirol wirft genauso Fragen auf. Die Gruppe war nämlich von Mitgliedern der sogenannten Obermaiser Bande durchsetzt, die noch in den 1970er Jahren im Gebiet von Meran Überfälle, Einbrüche und Erpressungen beging. Darüber hinaus gab Ein Tirol-Mitglied Karl Zwischenbrugger vor Gericht Kontakte zum italienischen Geheimdienst zu. Die terroristischen Aktionen von Ein Tirol erwiesen sich als kontraproduktiv, denn politischen Profit aus dem Chaos zog alleine die pro-italienische Rechte. So wurde die post-faschistische Partei MSI in Südtirol von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre mehr als dreimal stärker, die Zustimmung stieg von 6,28 Prozent (1974) auf 22,6 Prozent (1985). Bezugnehmend auf sieben „antiitalienische“ Attentate im Jahr 1987 meinte daher Alexander Langer, Gründer der italienischen Grünen, „daß der Staat über die Geheimdienste seine Hand im Spiel hat“. Die Gewalt sei praktisch „eine Wahlkampfhilfe für die MSI“ gewesen. Gerade hinsichtlich dieser ausgesprochen negativen Konsequenzen für die Autonomiebewegung offenbarte sich hier das stabilisierende Kalkül hinter der „Strategie der Spannung“ am deutlichsten. „Das Ziel der italienischen Geheimdienste“, so der Journalist Markus Perner, „war offensichtlich die Stärkung jener Partei, die am konsequentesten für einen starken italienischen Staat eintrat. Die neofaschistische MSI wurde durch die Ein Tirol-Attentate von Wahlerfolg zu Wahlerfolg gebombt.“ Die Vorgänge wurden von Silvano Russomanno, einer der wichtigsten Fachleute des italienischen Innenministeriums und der Geheimdienste für Südtirol, so zusammengefasst: „Die Terroristen und uns, die sie bekämpften, eint am Ende eines: beide haben wir uns die Hände schmutzig gemacht.“

Fortsetzung folgt....