Donnerstag, 22. Januar 2015

Vom SS-Mann zum Ost-Spion: Die Nachkriegskarriere von Adolf Slavik

Am 18. Oktober 2011 gelang den deutschen Sicherheitsbehörden ein großer Fang: Ein Sondereinsatzkommando verhaftete Andreas und Heidrun Anschlag wegen des Verdachts auf Spionage. Zwei Jahre später wurde das Ehepaar schließlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie seit den 1990er Jahren für Russland spioniert hatten. Dabei waren sie als österreichische Staatsbürger aufgetreten. Wie es sich herausstellte, hatte ein geheimnisvoller Mann mitgeholfen, die Nachweise zu besorgen: Der ehemalige SS-Obersturmführer und mutmaßliche KGB-Spion Adolf Slavik. Seine Biografie steht wie kaum eine andere für die politischen und moralischen Abgründe der Nachkriegszeit. Das belegt eine Recherche in freigegebenen CIA-Dokumenten.

Slavik, geboren am 24. März 1918 in Wien, schloss sich als Jus-Student einer patriotischen Jugendbewegung an. Aber nachdem ihm diese keine Aufstiegsmöglichkeiten bot, wechselte er kurzerhand zur monarchistischen Verbindung „Ottonia“. Auch hier wurde Slaviks Ehrgeiz enttäuscht, worauf er am 24. März 1936 NSDAP-Mitglied wurde. In der Hitler Jugend (HJ) hieß man Slavik eben wegen seiner „Insider“-Kenntnisse in Sachen konservativ-nationaler Bewegungen willkommen. Dieser opportunistische Einsatz von Wissen sollte die gesamte Spionage-Karriere von Slavik auszeichnen. Im Mai 1938 schloss er sich freiwillig der SS-Verfügungstruppe an, dem Kern der späteren Waffen SS. Doch mit der militärischen Ausbildung war es rasch vorbei – Slavik wurde von der Reichsjugendführung zu einem Inspekteurs des HJ-Streifendiensts bestellt, dem die Aufrechterhaltung der inneren Disziplin oblag (außerdem handelte es sich um eine Nachwuchsorganisation für die SS-Verbände). Zu Beginn des 2. Weltkriegs diente Slavik dann im SS-Regiment „Der Führer“, ehe er 1940 eine Stelle beim Wiener SS-und Polizeigericht antrat. Zwei Jahre später diente Slavik wieder an der Front, auch weil er wegen einer Intrige aus der HJ ausgeschlossen worden war.

Gründung der Nationalen Liga
Bei Kriegsende 1945 befand sich Slavik in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft, wurde aber rasch entlassen. Wegen seiner „illegalen“ NSDAP-Mitgliedschaft (vor 1938) bzw. weil er sich nicht wie vorgeschrieben registrieren hatte lassen, wurde Salvik von einem Volksgericht zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich im sowjetischen Sektor. Dort wurde Slavik nach neun Monaten freigelassen, höchstwahrscheinlich weil er sich als Agent anwerben ließ. Und tatsächlich erfüllte Slavik anschließend eine wichtige Aufgabe: Er gründete im Januar 1950 die Nationale Liga (NL) als Konkurrenzsituation zum Verband der Unabhängigen (VdU), dem politischen Sammelbecken der ehemaligen Nazis. Auch die NL versuchte bewusst, frühere SS-Mitglieder anzuziehen. Aber im Unterschied zum VdU war die Haltung freundlich gegenüber der Sowjetunion und der KPÖ. Man beklagte den wirtschaftlichen Ausverkauf der österreichischen Wirtschaft an den Westen und forderte eine „wirkliche Politik der Neutralität“. Dabei verstand sich die NL von Beginn an als elitäre Gruppe und nicht als Massenbewegung. Nichtsdestotrotz erhielt Slavik viel Unterstützung: Das Parteiorgan „Österreichischer Beobachter“ konnte seine Auflage von 50.000 auf 100.000 Exemplare verdoppeln. Angeblich organisierte Slavik Führungsposten für mehr als 30 frühere „Illegale“ in den Betrieben der USIA (Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich). Weiters sollen Waffen SS-Veteranen Anstellungen bei der OROP, einer sowjetischen Ölförderungsgesellschaft, die im Marchfeld tätig war, versprochen worden sein. Ein augenscheinliches Zeichen für die Zugehörigkeit der NL war, dass ihre Versammlungen meist im sowjetischen Sektor stattfanden, ohne dass die Besatzungsmacht gegen die Anwesenheit von schwer belasteten Nationalsozialisten einschritt.
CIA-Meldung zu Slaviks Aktivitäten (Quelle: www.foia.cia.gov)
 „Schutz und Hilfe für ehemalige Nationalsozialisten“
1950 traf sich Slavik mit Erich Kernmayer, damals eine der Führungsfiguren des „Gmundner Kreises“, einer Gruppe von sozialdemokratisch ausgerichteten „Ehemaligen“. Das illegale NSDAP-Mitglied Kernmayer war nach dem Anschluss zum Gaupresseamtsleiter in Wien aufgestiegen und hatte danach in der Waffen SS-Division „Das Reich“ gedient. Zwischen 1945 und 1947 war Kernmayer im Anhaltelager für ehemalige Nationalsozialisten in Glasenbach interniert, wo er vom US-amerikanischen Militärgeheimdienst CIC rekrutiert wurde.

Insofern standen sich zwei Ex-Nazis gegenüber, die sich einerseits mit der Sowjetunion und andererseits mit den USA arrangiert hatten. Salvik und Kernmayer einigten sich darauf, die „gegenseitigen Interessenssphäre“ abzugrenzen und vereinbarten eine „gewisse interne Zusammenarbeit“, wie aus einem Geheimdienstbericht hervorgeht. „Kernmayer habe den Standpunkt Dr. Slaviks zur Kenntnis genommen, dass seine, Slaviks Politik vor allem bezwecke, die ehemaligen Nationalsozialisten für den Fall einer kommenden Sowjetherrschaft vor der Vernichtung zu retten, während Slavik anerkannt habe, dass auch Kernmayer zuletzt den gleichen Zweck – Schutz und Hilfe für die ehemaligen Nationalsozialisten – verfolge, wenn er sich mit den Amerikanern für den Fall einer dauernden Selbstbehauptung des Westens zusammenarbeite. Der Unterschied bestehe eigentlich nur darin, dass Slavik die eine Möglichkeit, die Sowjetherrschaft, für die wahrscheinlichste halte, und Kernmayer die andere, den endgültigen Sieg des Westens.“ An diesem Punkt wird der Opportunismus, der viele „Ehemalige“ dazu trieb, sich den Großmächten anzudienen, die wiederum primär an nachrichtendienstlichen Quellen interessiert waren - und über die Vergangenheit der neuen Verbündeten hinwegsahen.

Kontakt zu Wilhelm Höttl
Ebenfalls 1950 nahm Slavik Kontakt zu einem anderen Nazispion in westlichen Diensten auf – mit Wilhelm Höttl. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Referent im Ausland-Sicherheitsdienst (SD) hatte nach 1945 eine erstaunliche zweite Karriere gemacht: Als Autor, Gründer des Privatrealgymnasiums in Bad Aussee und, wegen seines Spezialwissens über Ungarn und den Balkanraum, als Agent verschiedener Geheimdienste. Schon 1948/49 führte Höttl im Auftrag des CIC ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Gemeinsam mit Kernmayer und dem Waffen SS-Veteranen Karl Kowarik installierte Höttl zwei Spionage-Netzwerke, die jedoch mangels Erfolg rasch aufgelöst wurden. Da erhielt er Mitte Oktober 1950 Besuch von Slavik – laut einer CIA-Notiz eröffnete letzterer, dass die Sowjets eine Kooperation wünschten und schlug diesbezüglich ein Treffen mit einem wichtigen Offizier vor. Höttl soll dieses Angebot ausgeschlagen haben, seine Entscheidung für den Westen wäre „unwiderruflich“. Slavik wiederum soll seinen Standpunkt damit untermauert haben, dass die sowjetische Besatzungsmacht früher oder später aktiv werde – frühere Nationalsozialisten, die das Land nicht verlassen könnten, würden nur dann ihren Kopf retten, wenn sie eine freundliche Haltung gegenüber der UdSSR an den Tag legten, etwa durch Engagement in der NL. Höttl wurde tatsächlich kurze Zeit später arretiert, weil er mit dem KGB im Bund gewesen sein soll (was nie bewiesen wurde).

Slavik traf Höttl in Altaussee. Dort heirateten auch Andreas und Heidrun Anschlag am 6. September 1990 (Foto: Autor)
Waffenhändler in Casablanca, Spion in Istanbul
Nachdem die NL 1955 aufgelöst wurde, verlegte Slavik zwei Jahre später nach Casablanca. Von dort aus soll er angeblich sowjetische Waffenlieferungen ins aufständische Algerien organisiert haben. Anfang der 1960er Jahre lautete die nächste Station Istanbul: Dort pflegte er über sechs Monate Kontakt zu einem Ex-Offizier der türkischen Luftwaffe und gab sich dabei als Journalist aus, der politische und soziale Informationen sammle. Der Türke, der auf Slaviks Betreiben seine frühere Beschäftigung wieder aufnahm, wurde schließlich misstrauisch. Allzu oft stellte Slavik Fragen zu sensiblen Bereichen wie z.B. zu US-amerikanischen Militärpersonal in der Türkei oder wollte an Unterlagen herankommen. Im Februar 1967 wurde Slavik schließlich in einem Hotel in Ankara verhaftet, nachdem sein Informant türkische Stellen alarmiert hatte. Zwei Jahre später wurde Slavik u.a. wegen „Wirtschaftsspionage für Österreich zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Schon 1973 kam er wieder frei – im Austausch gegen einen türkischstämmigen Bulgaren, der dort ebenfalls wegen Spionage zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Die Initiative dazu war von der in Wien lebenden Frau Slaviks ausgegangen – sie hatte diesbezüglich einen positiven Bescheid von der kommunistischen Regierung in Sofia eingeholt.
1957 erhielt die CIA Informationen über angebliche nachrichtendienstliche Verbindungen Slaviks
Ein letzter Dienst
Adolf Slavik starb schließlich 1992 in Wien – ohne etwas über seine Geheimnisse preisgegeben zu haben. Einmal noch dürfte er „aktiviert“ worden sein und zwar im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Affäre rund um die beiden russischen Spione. Und zwar wurde 1984 Slaviks Frau Helene im Gemeindeamt von Wildalpen in der Steiermark, wo die damals etwa 70jährige Frau seit Jahren urlaubte, vorstellig. Mit sich führte sie Andreas Anschlag und bat um Hilfe bei der Ausstellung eines Staatsbürgerschaftsnachweis. Obwohl formal nicht zuständig, entsprach der Amtsleiter dem Ansinnen und behauptete später, mit Fälschungen getäuscht worden zu sein. Für Heidrun Anschlag wiederum besorgte sich ein Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft 1989 in Hornstein die entsprechenden Papiere. Damit kam der Spionagefall ins Rollen, der Ende 2014 mit der Entlassung bzw. Abschiebung des Ehepaars Anschlag nach Russland abgeschlossen wurde.

Als die deutsche Generalbundesanwalt zwischenzeitlich wissen wollte, ob die Anschlags in Österreich Bankkonten besaßen, stimmte das Landesgericht Leoben dem Antrag zunächst zu. „Daraufhin trat die Macht des österreichischen Bankensektors auf den Plan“, berichtete die „Zeit“: „Der Sparkassenverband, der Fachverband der Banken und Bankiers sowie die Fachverbände der Landeshypothekenbanken, der Volksbanken und der Raiffeisenbanken legten Beschwerde ein. Mit Erfolg: Im September 2012 verweigerte das Oberlandesgericht Graz die Herausgabe der Bankdaten. Die Verwendung von erschwindelten Reisepässen sei nur mit maximal einem Jahr Haft sanktioniert und unterschreite die Schwelle für grenzüberschreitende Bankauskünfte. Die geheimdienstliche Tätigkeit des Ehepaars gegen Deutschland sei zudem nicht zum Nachteil Österreichs und hier nicht strafbar.“