Montag, 5. Januar 2015

„Stay behind“ in Österreich - Teil 1: Guerillas für den 3. Weltkrieg

Neue Dokumente belegen erstmals, wie die CIA ab Ende der 1940er Jahre in Österreich ein Widerstandnetz gegen die Rote Armee installierte - unter tatkräftiger Mithilfe heimischer Stellen

Siehe dazu: Christoph Franceschini und Thomas Riegler, Guerillas für den Dritten Weltkrieg, in: profil, Nr. 2/2015, 36-39.

Es ist kein Schatz, der 1948 im Unterholz nahe der Sieveringer Straße im Wienerwald vergraben wurde, sondern ein amerikanisches Funkgerät. Drei markante Ahornbäume „markierten“ die Stelle, wo das SSTR-1 15 cm unter der Erde versteckt war – in einer Metallbox als Schutz gegen die Witterung. Dieses Erddepot war nicht das einzige seiner Art. Ein weiteres Funkgerät wurde nur kurz entfernt, nahe der Bellevuewiese, in einem Buschstreifen verscharrt. Mitvergraben wurden auch sogenannte codierte „signal plans“, also Pläne und Angaben, wie die Agenten im Kriegsfall mit ihren Auftraggebern Kontakt aufnehmen sollen. Insgesamt waren zehn Verstecke angelegt worden: Die meisten im Westen von Wien, aber auch in einem Garten in Klosterneuburg sowie nahe von Wiener Neustadt. Die verbuddelten Funkgeräte gehörten zu einer streng geheimen Operation der CIA, deren genaue Details auch heute noch im Dunkeln liegen. Freigegebene Dokumente ermöglichen nun erstmals Einblick in die Ereignisse vor fast 70 Jahren.
Ungefährer Ort des Funkgerät-Verstecks nahe der Sieveringer Straße (Foto: Autor)
Stay behind
Das vor kurzem gefeierte Jubiläum der friedlichen „Wende“ von 1989 sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kalte Krieg eine spannungsgeladene Zeit war. Vor allem die Anfangsphase war eine „heiße“ Phase: Ende der 1940er Jahre hatten Kommunisten die Macht in der Tschechoslowakei übernommen und Stalin blockierte den Zugang zu West-Berlin. Zwischen 1950 und 1953 wütete der Koreakrieg. Nirgendwo fühlte man diese Erschütterungen stärker als im besetzten Nachkriegsösterreich, wo die Machtblöcke unmittelbar auf einander trafen. Hier befürchtete man eine Teilung des Landes ebenso wie einen Putsch der KPÖ. Überhaupt schien eine Invasion der Roten Armee unmittelbar bevorzustehen. Die Alliierten rechneten sich für diesen Fall keine Chance aus, Westeuropa wirksam zu verteidigen. So wollte man sich zunächst zurückziehen, um dann den Gegenschlag zu starten. Bis es soweit war, sollten Guerilla- und Partisaneneinheiten im Rücken der Front aktiv werden. Diese Kräfte sollten zurückbleiben und sich von der Front überrollen lassen („stay behind“). Dann lautete ihr Auftrag: Lokale Widerstandszellen bilden, Informationen über den Feind sammeln und durch Angriffe aus dem Hinterhalt Chaos verbreiten.
CIA-Lageplan zum Versteck bei der Sieveringer Straße (Quelle: www.foia.cia.gov)
US-Waffenlager in Österreich
Die CIA, selbst erst 1947 gegründet, koordinierte den Aufbau dieser Spezial- und Guerillaeinheiten in ganz Westeuropa. Agiert wurde in allen NATO-Staaten, aber auch in neutralen Ländern wie Finnland, Schweden und der Schweiz. In Italien trug die Struktur den Decknamen „Gladio“, was seither zum Synonym für Staatsterror geworden ist. Denn die Einheit soll auch gegen den „inneren Feind“, die starke kommunistische Partei, mobilisiert worden sein. Und Österreich? 1996 wurden nach Information durch die USA 79 Waffenlager lokalisiert: Darin fanden sich mehrere Tonnen Sprengstoff, Landescheinwerfer, Schalldämpferpistolen und Jagdmesser – aber auch deutschsprachige Anleitungen für den Guerillakrieg. „Das lässt darauf schließen, dass die Lager – zumindest auch – für österreichische ‚Widerstandskämpfer‘ angelegt worden waren. Zur Unterstützung eines Guerillakrieges mit eventueller Unterstützung aus der Luft (Nachschub von Waffen und Ausrüstung)“, heißt es im Bericht einer eigens eingerichteten Regierungskommission. Angelegt wurden die Lager zwischen 1949 und 1954. Genauer ließ sich ihre Funktion sowie eine mögliche österreichische Beteiligung damals noch nicht bestimmen.
Bäckerstraße 7, Wien 1: Im zweiten Stock wurde Material für das stay behind-Programm verwahrt (Foto: Autor)
Operation Iceberg
2006 erschien „My Father, the Spy“ – ein sehr persönliches Buch des Autors John F. Richardson über seinen Vater „Jocko“, der Ende der 1940er Jahre CIA-Stationschef in Wien war. Darin ist auch Rede davon, dass die CIA österreichische Funker rekrutierte und Funkgeräte an ausgewählten Punkten innerhalb der sowjetischen Zone vergraben ließ. Die neuen Dokumente beziehen sich teils auf dieses Unternehmen, das nun erstmals offiziell beim Namen genannt werden kann: „Operation Iceberg“.
Ein weiteres Funkgerät-Versteck: Buschstreifen nahe der Himmelstraße (Foto: Autor)
Die dafür angeworbenen stay behind-Agenten sollten nach Ausbruch von Kampfhandlungen die versteckten Funkgeräte bergen, um damit Informationen durchzugeben. Was sie nicht tun sollten war, sich an Sabotage- oder Widerstandsakten zu beteiligen. 1953 zählten zu „Operation Iceberg“ insgesamt sechs österreichische Funker, die ihre Ausbildung großteils abgeschlossen hatten und instruiert waren. Wie aus einem CIA-Dokument hervorgeht, erwartete man von ihnen im Kriegsfall das Beschaffen/Durchgeben von Informationen bezüglich:

·       Straßen- und Schienenbewegungen zwischen Wiener Neustadt-Graz sowie auf der Hauptroute über den Semmering
·       Beobachtungen von Truppenstationierungen in Wiener Neustadt bzw. des dortigen Flugfelds
·       Aufklärung von Bombenschäden in Wien und Wiener Neustadt (um so die Effektivität von Luftangriffen einzuschätzen)
·       „Operational intelligence“ zur sowjetischen Besatzungsadministration (Dokumente, Reise- und Postkontrolle)
·       Aktivitäten der KPÖ und der „Marionettenregierung“, die die Kommunisten nach Meinung der CIA installieren würden

Die sechs Agenten für „Operation Iceberg“ waren fast durchwegs Wehrmachtsveteranen und von daher mit der Handhabung eines Funkgeräts vertraut. Vom Alter her waren sie bunt gemischt, der älteste 46 und der jüngste 23 Jahre alt. Einer der Funker war Tierarzt in einem Dorf südwestlich von Wien – für die CIA war das perfekt als zivile Tarnung geeignet. Aufgrund seiner Erfahrung als Funker bei der Heeresgruppe Süd war der frühere Unteroffizier nach Meinung seiner Betreuer allerdings nicht leicht unter Kontrolle zu halten. Ein weiterer Agent, ein damals 32jähriger Elektriker und KPÖ-Funktionär, sollte vor allem das Personal, die Organisation und die Vorhaben der Kommunisten aufklären. Seine Homosexualität wurde jedoch als potentielles Sicherheitsrisiko angesehen, weil der Agent dadurch „erpressbar“ sei. Ein stiller, introvertierter Typ wiederum war der 26jährige Medizinstudent, den man für „Operation Iceberg“ rekrutiert hatte: Streng katholische Erziehung und „bürgerliche Moral“ hatten ihn zu einem überzeugten Antikommunisten gemacht. Die übrigen drei Agenten waren ein technischer Zeichner, ein Betriebsaufseher und passenderweise ein Verkäufer von Radioapparaten. Falls die Rote Armee tatsächlich nach Westen vorgestoßen wäre, wären diese Freiwilligen quasi die „Augen“ und „Ohren“ der Alliierten gewesen. Alleine schon dadurch, dass sie sich mit der CIA einließen, riskierten sie viel. So vermutete die CIA, dass den Sowjets die militärische Vergangenheit einiger der Agenten bekannt war – was deren „stay behind-Lebensdauer“ verkürzen würde.

CIA-Lageplan zum Versteck in der Nähe der Himmelstraße (Quelle: www.foia.cia.gov)
GRCROOND
In Westösterreich – Salzburg und Tirol – zog die CIA noch ein viel breiter dimensioniertes stay behind-Netz hoch. Ziel des Programms mit der sperrigen Bezeichnung „GRCROOND“ war es, Waffen- und Ausrüstungslager anzulegen sowie passendes Personal zu rekrutieren – damit die Strukturen im Ernstfall jederzeit bereit gewesen wären, loszuschlagen. Auch wollte man eine „Flucht- und Evakuierungsroute“ von Ost- nach Westösterreich anzulegen, deren Zubringer bis an die ungarische sowie tschechische Grenze heranreichten. VIPs, aber auch abgeschossene Piloten, Agenten oder Überläufer sollten so in Sicherheit gebracht werden.

1948 waren im Zuge von „Operation Iceberg“ vier Funkgeräte an die Salzburger CIA-Station zum Vergraben übergeben worden. In den darauffolgenden Jahren wurden die Kapazitäten deutlich erweitert. Aus einer Auflistung von 1957 geht hervor, wie viele geheime Waffen- und Ausrüstungslager angelegt wurden: 12 (1951), 14 (1952), 3 (1953) und 35 (1954). Die Depots wurden teils in alpinen Geländen – am Hochschwab, im Sengsengebirge, am Pötschen- und Phyrnpass angelegt – und darüber hinaus unter anderem in der Nähe von Lambach, Ried im Innkreis, am Traun- und Attersee, Bad Hofgastein und südlich von Steyr. Ein Vergleich mit einer Auflistung jener Waffendepots, die 1996 vom Bundesheer geräumt wurden, zeigt zahlreiche Übereinstimmungen. Damals hatte sich gezeigt, dass die Waffen und Sprengmittel „ungewöhnlich tief“ vergraben gewesen waren – so tief, dass es bei Schneelage und Frost kaum möglich gewesen werde, diese händisch zu bergen. „Dies spricht gegen eine sorgfältige Planung bzw. Durchführung der Aktion“, schloss der Untersuchungsbericht. Die genaue Funktion der 79 Depots hatte dmals aber nicht geklärt werden können – nun stehen erstmals Unterlagen zur Verfügung, die den Zweck und die Entwicklung des CIA-Programms nachvollziehbar machen.

Ausbildung durch US-amerikanische Special Forces
Ein Status-Report von Ende 1958 listet insgesamt 18 verschiedene Agenten auf. Der jüngste ist 30, der älteste 59 Jahre alt. Es handelt sich um eine bunt gemischte Truppe: Zwei Ski-Lehrer, ein Arzt, ein Automobilhändler, ein Assistent eines Rechtsprofessors, ein Englisch-Lehrer, ein Chauffeur, ein Handelsreisender, ein Verkäufer, ein Elektriker, ein Handelschul-Lehrer, ein Lagerverwalter, zwei Beamte, ein Vorarbeiter sowie drei lokale ÖVP-Politiker. Vor allem letztere waren für die CIA interessant: Der damals 40jährige Agent „GRREPAIR-7“ beispielsweise war Gemeindesekretär, Vorsitzender des örtlichen Veteranenverbands und Versicherungsvertreter. Im Falle einer kommunistischen Machtübernahme würde man ihn wahrscheinlich als „Volksfeind“ politisch entmachten und verhaften, erwartete die CIA. Im Kriegsfalle sollte er so schnell als möglich all jene rekrutieren, die ihm für eine Verwendung tauglich erschienen. Anschließend würde es darum gehen, Luftnachschub oder abgesetzte Special Forces-Soldaten in Empfang zu nehmen. Vor allem aber würden der Agent und seine Truppe auf genaue Anweisungen warten – und sofern befohlen auch Sabotageakte durchführen. 

„GRBLAMRD-26“, ebenfalls ein 59jähriger Lokalpolitiker, wurde dagegen schon als zu alt und militärisch zu unerfahren angesehen. Dagegen war „GRRERPAIR-4“, ein prominentes Mitglied einer Bezirksregierung, zur sofortigen Evakuierung im Falle eines sowjetischen Angriffs vorgesehen – sein offener Antikommunismus und sein detailliertes Wissen über die stay behind-Operationen ließen keine andere Wahl. Nicht alle der Agenten waren voll bei der Sache oder physisch fit: Einer der beiden Ski-Lehrer litt nach einem Sturz vom Lift unter Gedächtnisschwäche, während der 34jjährige Englischlehrer überhaupt wenig Interesse am Spionage-Training zeigte. Neben finanziellen Aspekten bestand seine Motivation vor allem darin, gegen den Kommunismus zu arbeiten und „kulturellen Kontakt“ zu native speakern zu pflegen.

Die stay behind-Agenten wurden entsprechend ausgebildet – und zwar durch Experten auf dem Feld der Guerilla- und Partisanenkriegsführung: Seit 1953 war im bayrischen Bad Tölz die 10. Special Forces Group stationiert. Neun Jahr später sagte deren Befehlshaber begeistert zu, die Österreicher zu trainieren. Für ausgewählte Teilnehmer gab es einen einwöchigen Kurs – auf dem Curriculum standen:

  • „Vertrautmachen“ mit all jenen Schusswaffen, die der Agent in seinem Wirkungsbereich benötigen würde
  • Sprengausbildung
  • Funken
  • Orientierung im Gelände mit Karte und Kompass
  • „Luft-Nachschub“ organisieren, d.h. die Agenten mussten eine passende Landezone für Abwürfe von Flugzeugen auswählen und diese mit Signallampen markieren
  • Überlebenstraining im alpinen Gelände
Beispielsweise wurde der Agent mit dem Codenamen „GRIMPASTE“ im Mai 1962 von den „Ledernacken“ so richtig in die Mangel genommen: Sein Überlebenstraining schloss das Kochen und das Zubereiten eines lebenden Hasen mit ein. Eigentlich war dasselbe Schicksal für ein Huhn angedacht gewesen. Aber dieses sprang noch rechtzeitig aus der Box und nahm Reißaus. Ein Sergeant nahm mit einem Beil in der Hand die Verfolgung auf, hatte aber das Nachsehen.
Funkgerät-Versteck nahe Himmelstraße (Foto: Autor)