Die genaue Rolle der österreichischen
Nachkriegspolitik in all den geheimdienstlichen Manövern und Planspielen zu stay behind ist am undurchschaubarsten. Aus einem Dokument zu „Operation
Iceberg“ von 1951 geht jedenfalls hervor, dass die CIA eine Kooperation mit dem
Innenministerium anstrebte – im Austausch für finanzielle und andere Hilfen.
Die politische Situation hatte aber noch nicht den Punkt erreicht, wo es
„günstig“ war, Entscheidungsträger darauf anzusprechen.
Vorbereitungsbesprechungen hatten aber bereits stattgefunden.
Siehe dazu auch: Christoph Franceschini und Thomas Riegler, Guerillas für den Dritten Weltkrieg, in: profil, Nr. 2/2015, S. 36-39
Aufbau bewaffneter „Widerstandsgruppen“
Siehe dazu auch: Christoph Franceschini und Thomas Riegler, Guerillas für den Dritten Weltkrieg, in: profil, Nr. 2/2015, S. 36-39
Aufbau bewaffneter „Widerstandsgruppen“
Als 1996 die US-Waffenlager
bekannt geworden waren, hatte sich ein Zeitzeuge zu Wort gemeldet – der 2014
verstorbene Widerstandskämpfer und Verleger, Fritz Molden. Als Sekretär von
Außenminister Karl Gruber war er damals in die Vorgänge eingeweiht. Molden
zufolge wurde bereits 1946 „im engsten Kreis“ besprochen, was für den
Fall der Errichtung des Eisernen Vorhangs innerhalb Österreichs zu tun sei: Der
Aufbau bewaffneter „Widerstandsgruppen“ mit Unterstützung der USA. Molden
wusste, von was er sprach. In einem CIA-Memo von 1953 heißt es zu „GRSPINAL 1“:
„Hauptagent, leitet das redaktionelle und geschäftliche Management von zwei
Tageszeitungen und einer Wochenillustrierten.“ Das ist eine exakte Beschreibung
von Moldens damaliger Geschäftstätigkeit als Verleger.
Fritz Molden 2010 (Quelle: Wikimedia Commons) |
Gar nicht harmlos: Der „Österreichische Wander-, Sport und Geselligkeitsverein"
Konkret war Anfang der 1950er
Jahre innerhalb des Gewerkschaftsapparats eine „systematische
Abwehrorganisation“ entstanden. Vorangetrieben wurde dieses „Sonderprojekt“ vom
späteren ÖGB-Präsident und Innenminister Franz Olah. Zwecks Tarnung liefen alle
Aktivitäten über einen eigens gegründeten Verein namens Österreichsicher
Wander-, Sport- und Geselligkeitsverein (ÖWSGV).
Wie Olah in seinen
Erinnerungen betont, war das zentrale Element des „Sonderprojekts“ der Aufbau
eines Funknetzes. So wurden in allen Bundesländern (mit Ausnahme von
Vorarlberg) in den Hauptstädten Funkgeräte installiert – in Niederösterreich
auch in Wiener Neustadt, St. Pölten und Krems. Das stellte die Koordination der
verschiedenen ÖWSGV-Gruppen sicher – diese waren nicht nur mobil, sondern auch
schlagkräftig: „Wir hatten Jeeps, Geländefahrzeuge, Landrover, Motorräder und
andere Fahrzeuge. Es erfolgte auch die Ausbildung von Spezialgruppen nicht nur
in modernen, leicht zu handhabenden Schusswaffen (Schnellfeuerwaffen), in
modernem Sprengstoff (Plastiksprengstoff)
sowie in der Ausbildung von Judogruppen.“ Als Olah 1969 vor Gericht gefragt wurde,
woher die Angehörigen des „Sonderprojekts“ ihre Kenntnisse hatten, antwortete
er: „Sie waren im Krieg. Aber ihre Kenntnisse wurden von Fachleute in
Ausbildungslagern aufgefrischt, sie wurden ja eigens geschult.“
In der Wiener Liebhartsgasse
befand sich ein Depot, weitere Waffenlager wurden im Westen, außerhalb der
sowjetischen Zone, eingerichtet: „Die eigentlichen großen Lager (zwei oder drei)
von Waffen aller Art waren unter Doppelsperre. Ich hatte die Möglichkeit, mit
einer zweiten Person gemeinsam erforderlichenfalls davon Gebrauch zu machen.
[…] Im Salzburgerischen, in Golling, lagerte die Winterausrüstung für eine
komplette Kompanie. Ein Angestellter der Stadt Wien, ein ausgebildeter
Waffenmeister, war freigestellt, um unsere Ausrüstung in Schuss zu halten – im
wahrsten Sinne des Wortes.“ Olah selbst hatte in einem Stahlschrank in seinem
Büro „einen kleinen Vorrat an Waffen bis hin zu Maschinenpistolen, um uns im
Notfall den Weg freizumachen“. Außerdem verfügte man über eine „große Zahl“ von
Tränengasbomben, „deren Einsatz wäre bei Unruhen am Anfang viel wirksamer und
auch viel vernünftiger gewesen als sofort zu schießen“. Mehrere Regierungsmitglieder
– Innenminister Oskar Helmer, Gewerkschaftsbundpräsident Johann Böhm und
Bundespräsident Adolf Schärf – sollen laut Olah über das Sonderprojekt
informiert gewesen sein, „allerdings ohne Kenntnis der Details der
Organisation“. Insgesamt, so Olah, seien „wohl ein paar tausend
Österreicher mit unseren Vorbereitungen
in Kontakt gekommen“. Der eigentliche Apparat bestand jedoch nur aus ein paar
Dutzend Leuten, „meist Gewerkschafts- oder SPÖ-Funktionäre aus den
Bundesländern; einige von ihnen sind später Mandatare geworden“.
Der Staatsvertrag und die Neutralität stellten kein
Hindernis dar
Wie aus den neuen Dokumenten
hervorgeht, hatte die Unterzeichnung des Staatsvertrags keineswegs das Ende für
die geheimen Aktivitäten im „neutralen“ Österreich bedeutet: 1955 wurden
insgesamt 12 Sabotage- und 10 „air-receiption“-Lager angelegt (die Ausrüstung
in letzteren Depots dürfte dazu gedient haben, Landeplätze für Luftnachschub zu
markieren). Erst in den frühen 1960er Jahren wurden infolge der sich „ändernden
Situation“ die Leitlinien des stay behind-Programms GRCROOND geändert: Trotz der nunmehr angenommenen
Unwahrscheinlichkeit eines kommunistischen Putschs wurden die vorhandenen Aktivposten
weiter geführt. „Sowjetische Aggression“ war immer noch im Bereich des
Möglichen. Allerdings wollte die CIA die Verantwortung für Sabotagemaßnahmen im
Kriegsfall zunehmend an österreichische Kräfte abtreten.
„GRDAGGER Organization“
Damit war in erster Linie
Olahs Truppe gemeint. Aus den neuen CIA-Dokumenten geht hervor, dass die CIA
diese „GRDAGGER-Organisation“ für Guerilla- und Sabotageakivitäten am Hochschwab
und im Greinerwald nutzbar machen wollte und zu diesem Zweck auch in
Ausbildungsmaßnahmen investierte. Zuversichtlich stimmte die CIA, dass Olahs
Verband über gute Beziehungen zu mächtigen
Regierungskreise verfügte und antikommunistisch orientiert war. Über Olah
(GRDAGGER 1) hieß es, er habe ein starkes Interesse daran, sich als
Widerstandsführer zu profilieren, sollte es zum Krieg kommen. Ende 1955 bestand
die „GRDAGGER-Organisation“ aus 20 Personen, von der sich die CIA gute Chancen
ausrechnete, einen effektiven „Kern“ für
eine österreichische Guerilla zu bilden: „Wir schätzen, dass die
GRDAGGER-Organisation innerhalb von sechs Monaten nachdem der Krieg
ausgebrochen ist auf 250 Mann angewachsen sein wird. GRDAGGER besteht aus
Angehörigen einer SPÖ-nahen Gewerkschaft mit 40.000 Mitgliedern, von denen
viele als potentielle Rekruten für Widerstandsgruppen im Kriegsfall angesehen
werden können.“
Auszug aus CIA-Dokument zur GRDAGGER-Organization (Quelle: www.foia.cia.gov) |
Spuren verwischt
Bedauerlicherweise existieren
dazu in österreichischen Archiven praktisch keine Unterlagen: Olah hatte
seine Spuren penibel verwischt. Schon in den 1960er Jahre wurden alle Akten zum „Sonderprojekt“ durch den Reißwolf geschickt. Der ehemals mächtige Olah hatte
sich selbst ins Aus manövriert – unter anderem wegen eigenmächtiger Verwendung
von Gewerkschaftsgeldern musste er 1964 zurücktreten und wurde fünf Jahre
später zu einer Haftstrafe verurteilt. Olah, der 2009 verstarb, hielt sich
zeitlebens bedeckt. Ob und wenn ja in welcher Form die österreichische
Beteiligung an stay behind weiterging, darüber könnten US-Akten Aufschluss
geben, die heute noch unter Verschluss gehalten werden. Erwiesen ist nun
allerdings wie substantiell das an sich neutrale Nachkriegsösterreich ins
westliche Lager eingebunden war – und in welchem Ausmaß sich heimische
Politiker und Freiwillige für die US-Kriegspläne engagierten.
Auszug aus CIA-Dokument (Quelle: www.foia.cia.gov) |