Historisch betrachtet ist Paris unter westeuropäischen
Großstädten oft von Terrorismus betroffen, der seinen Ursprung im Nahen und
Mittleren Osten hat. In der Regel reagierte man darauf mit einer Mischung aus
Härte und Pragmatik.
Die Terrorwelle in den 1980er Jahren
Noch in den 1970er Jahre
trachtete man danach, Frankreich durch Neutralität aus internationalen
Konflikten herauszuhalten und Terroristen so keinen Anlass zu geben, Aktionen
gegen französische Ziele im In- und Ausland vorzunehmen. So wurde etwa die
Tätigkeit der PLO in Frankreich toleriert und ein Netz an guten Beziehungen zu
zahlreichen arabischen Staaten geknüpft, mit dem Effekt, dass das Land vom
nahöstlichen Terrorismus dieser Epoche praktisch verschont blieb.
Dass änderte sich während der
1980er Jahre jedoch grundlegend: Die Intervention im Libanon, die Unterstützung
des Tschad gegen eine libysche Invasion und Waffenverkäufe an den Irak während
des Golfkrieges gegen den Iran führten dazu, dass es zu Vergeltungsanschlägen
auf französischem Boden kam. Der Höhepunkt war eine Welle von Attentaten im
Februar, März und September 1986 in Kaufhäusern, U-Bahnen und öffentlichen
Gebäuden, die 11 Tote und mehr als 220 Verletzte forderte; es gab aber auch
Angriffe gegen französische Einrichtungen im Ausland, wie das Attentat auf die
Friedenstruppen im Libanon (1983), die Geiselnahme französischer Bürger in
Beirut durch pro-iranische Milizen sowie die Sprengung eines französischen
Airliners (1988). Abgesehen davon wurde die französische Hauptstadt auch zum
„Schlachtfeld“ innerarabischer Auseinandersetzungen, etwa zwischen Syrien und
dem Irak.
Nichtangriffspakt mit Abu Nidal
Obwohl stets dementiert,
dürfte sich die Regierung von Premierminister Jacques Chirac gegen diese
Bedrohung nur durch Verhandlungen und Konzessionen an die staatlichen Sponsoren
der Terrorgruppen zu helfen gewusst haben. Im Februar 1986 wurden zwei
Mitglieder der Abu-Nidal-Gruppe, die acht Jahre zuvor einen PLO-Repräsentanten
ermordet hatten, plötzlich freigelassen. Vier Jahre zuvor hatte Abu Nidal ein
blutiges Attentat im jüdischen Viertel von Paris verübt – offenbar auch, um
Druck auf die französische Regierung auszuüben. Mitterrand soll daraufhin
Pierre Marion, Chef des Auslandgeheimdienstes DGSE, autorisiert haben, den
Terroristenführer zu töten, wenn sich die Gelegenheit bot. Man zog jedoch den
Verhandlungsweg vor: Es soll ein geheimes Treffen zwischen Joseph Franceschi,
dem französischen Sicherheitsminister, und Abu Nidal stattgefunden haben. Das
Treffen führte angeblich zum Abschluss eines Pakts, in dem sich letzter
verpflichtete, künftig keine französischen Ziele anzugreifen.
Wie der britische Journalist
John Follain in Interviews in Erfahrung brachte, hatte darüber hinaus Pierre
Marion im September 1982 von Präsident Mitterrand Zustimmung erhalten, mit
syrischen Stellen zu verhandeln, keine Attentate mehr in Frankreich zuzulassen.
Daraufhin soll Marion ein Treffen mit Rifaat al-Assad, dem Bruder des syrischen
Präsidenten, auf dem Golfplatz von Saint-Nom-la-Breteche arrangiert haben. Der
Geheimdienstchef versprach bessere Beziehungen mit Frankreich, wenn Syrien
seinen Einfluss geltend machen würde. Sollte dies nicht geschehen würde man
gegen die Unterstützungsnetzwerke der Terroristen in Frankreich und anderen
europäischen Ländern vorgehen – so auch gegen syrische Diplomaten (im Frühjahr
1982 hatte der Action Service, eine Eliteeinheit des DGSE, einen syrischen
Kulturattache in Madrid bei einem Vergeltungsschlag schwer verletzt). Rifaat
al-Assad soll daraufhin einen Art Nichtangriffspakt besiegelt haben.
Interessanterweise flog Yves Bonnet, Chef des französischen Inlandsgeheimdienst
DST – und Rivale seines Kollegen Marion – zwischen 1983 und 1985 mehrmals nach
Damaskus und traf sich mit General Mohamed Al-Khuli, dem Befehlshaber des
Geheimdienstes der syrischen Luftwaffe. Bonnet gab weiters an, mit „Leuten von
der Abu-Nidal-Gruppe“, die „nicht unahngenehm, aber aufgebracht“ waren,
gesprochen zu haben.
Die Verhandlungen mit den
Syrern zogen sich noch länger hin: Laut „Le Monde“ besuchte eine französische
Delegation im September 1986 Damaskus, wo man im Gegenzug für
Waffenlieferungen, Informationen und Wirtschaftshilfe übereinkam, dass Syrien
die Unterstützung für Terrorakte in Frankreich beendete und auf die Freilassung
der Geiseln im Libanon hinwirkte. Drei Geiseln wurden daraufhin im November
1986 freigelassen. Dem Autor Douglas Porch zufolge hörten die Attentate in
Frankreich danach auf, aber es gab einen „Preis“ zu bezahlen: „In jedem Fall
gingen die terroristischen Angriffe auf Frankreich zu Ende. Aber der Preis war
ein moralischer Kompromiss, der Frankreich im Interesse guter Beziehungen dazu
verpflichtete, in die andere Richtung zu schauen, wenn von Syrien gesponserte
Gruppen amerikanische und israelische Diplomaten angriffen.“
Deal mit dem Iran
Am 17. November 1987, wenige
Wochen nachdem der französische Emissär Nicolas Ignaziew nach Beirut und
Damaskus geflogen war, wurde zwischen Frankreich und dem Iran ein formelles
Abkommen unterzeichnet, in dem sich Paris verpflichtete, einen Kredit, den der
Schah einst gewährt hatte, zurückzuzahlen. Nach dem Sturz des Machthabers waren
die Gelder in der Höhe von einer Milliarde Dollar „eingefroren“ worden.
Außerdem verpflichtete sich Frankreich zur Lieferung von Waffen in den Iran als
weitere Gegenleistung für die Freilassung der in Beirut verbliebenen Geiseln:
Im März 1988 flog der Unterhändler Jean-Charles Marchiani zunächst nach Beirut,
Damaskus und Wien, um die Details auszuverhandeln. Im Gegenzug landete am 4.
Mai 1988 ein Flugzeug mit den drei französischen Staatsbürger, die jahrelang im
Libanon festgehalten worden waren, auf einem Militärflughafen in der Nähe von
Paris – nur vier Tage vor der entscheidenden Stichwahl um das Präsidentenamt
zwischen Jacques Chirac, der als Premierminister den Deal eingefädelt hatte,
und Amtsinhaber Francois Mitterrand am 8. Mai 1988. Der Ausgang des Duells
wurde durch die Lösung der Geiselkrise jedoch nicht beeinflusst: Mitterrand
gewann die Wahl und blieb weiterhin Präsident.
Teil der Vereinbarung war
offenbar auch die Freilassung von verurteilten Terroristen in Frankreich: So
wurde jener Wahid Gordiji, der als mutmaßlicher „Mastermind“ vieler Anschläge
im Jahr 1986 in der Pariser Botschaft des Iran Schutz gesucht hatte, 1987 mit
einer Polizeieskorte zum Flughafen gebracht. Drei Jahre später wurden weitere
fünf Terroristen mit Verbindungen zum Iran entlassen und nach Teheran gesandt:
Der prominenteste von ihnen war ausgerechnet jener Anis Naccache, der 1975 an
der Seite von Carlos am OPEC-Überfall in Wien teilgenommen hatte. Nunmehr in
iranischen Diensten hatte er 1980 erfolglos versucht, den letzten
Premierminister des Schah, Shahpur Bakhtiar, in Paris zu ermorden. Dabei waren
ein Polizist und eine Anwohnerin getötet worden. Nach zehn Jahren Haft wurde
Naccache gemeinsam mit vier weiteren verurteilten Terroristen entlassen. Selbst
was den außenpolitischen Kurs anging, kam es infolge der Terrorbedrohung zu
Korrekturen: Frankreich zog aus dem Libanon ab, schraubte die Unterstützung für
den Irak im Golfkrieg zurück und nahm mit dem Iran wieder diplomatische
Beziehungen auf. Im Gegenzug blieb das Land von Terroraktivitäten bis Anfang
der 1990er Jahre verschont.
Die 1990er Jahre: Anschläge algerischer Extremisten
Zu diesem Zeitpunkt begannen
algerische Extremisten Ziele in Paris anzugreifen, weil Frankreich das
autoritäre Regime der FLN gegen die radikal-islamistische Opposition
unterstützte. Im Unterschied zu den 1980er Jahren schlugen die Behörden einen
präventiven Ansatz gegen das Netzwerk algerischer Extremisten im Land ein: Im
Rahmen von „Operation Chrysanthemum“ wurden innerhalb von zwei Tagen 110
Personen verhört und 87 verhaftet; 1994 zerschlug man das „Chalabi“-Netzwerk,
eine wichtige Unterstützungsgruppe für den Kampf der radikal-islamischen Heilsfront
FIS gegen die algerische Regierung, gefolgt von weiteren Verhaftungswellen 1995
und 1998. Ein entführter Air France-Flug wurde am 26. Dezember 1994 in
Marseille von einem Kommando Elitegendarmen gestürmt und alle Luftpiraten
wurden dabei getötet. Trotz der vorbeugenden Maßnahmen sollte im Juli 1995 eine
Anschlagswelle beginnen, die bis Oktober 1995 10 Tote und 150 Verletzte
forderte. Die Regierung reagierte umgehend mit der Verabschiedung härterer
Antiterrorgesetze und mobilisierte 32.000 Soldaten, Polizisten und Zollbeamte
zur Sicherung der Hauptstadt. Innerhalb von Wochen wurden bis zu drei Millionen
Ausweise überprüft und 70.000 Personen für eine eingehende Befragung auf die
Polizeireviere mitgenommen. Im Unterschied zu 1986 gelang es den Behörden aber,
die Verantwortlichen für die Terrorakte innerhalb von vier Monaten
auszuforschen.
Neue Bedrohungen
Gegenwärtig sieht sich
Frankreich mit einer neuen Form des Terrorismus konfrontiert, der bislang von Einzeltätern
ohne staatliche Unterstützung oder Anbindung an Gruppen betrieben wurde:
- Im März 2012 erschoss der 23-jährige Mohammed Merah innerhalb von vier Tagen in Toulouse und Montauban drei Soldaten auf offener Straße. Wenige Tage später tötete er drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule in Toulouse. Am 22. März 2012 wurde Merah von einer Spezialeinheit getötet.
- Jener Attentäter, der am 24. Mai 2014 das jüdische Museum in Brüssel überfiel, war ein französischer Syrien-Rückkehrer. Schätzungsweise zwischen 700 und 1.000 französische Staatsangehörige haben sich dem Islamischen Staat (IS) im Irak und in Syrien angeschlossen.
- Im Dezember 2014 Dijon fuhr ein Autofahrer 13 Fussgänger an, während ein mit einem Messer Bewaffneter einen Polizeiposten in Joué-lès-Tours überfiel. Bei beiden Vorfällen gab es Hinweise auf radikal-islamistische Motive der Täter.
- Vieles deutet darauf hin, dass der neue
Terrorismus wie schon in den 1980er und 1990er Jahren unter anderem auch
auf die außenpolitische Rolle Frankreichs abzielt – dies betrifft etwa die
zu Ende gehende Präsenz in Afghanistan sowie die Interventionen gegen
radikal-islamistische Gruppen in Mali und gegen Rebellen im Tschad. IS hat
auch öffentlich dazu aufgerufen, Anschläge in Ländern zu verüben, die Teil
der von den USA geführten Allianz sind.