Prinz Eugen Straße Nr. 36, eine
unscheinbare Adresse im Botschaftsviertel im 4. Wiener Gemeindebezirk. Hier hat
die Third World Relief Agency (TWRA) ihren Sitz. Laut Eigendefinition handelt
es sich um eine humanitäre Hilfsorganisation, gegründet 1987 von den
sudanesischen Brüdern Elfatih und Sukarno Hassanein
mit Zweigstellen in Sarajevo, Budapest, Moskau und Istanbul. Doch wie so oft trügt der Schein. Laut westlichen Geheimdienstkreisen
erfüllte die TWRA in den frühen 1990er Jahren eine Schlüsselrolle, um
radikal-islamistische Kräfte finanziell und logistisch zu unterstützen. Gelder
und Waffen wurden nämlich im bosnischen Bürgerkrieg gebraucht, dem wichtigsten
Operationsfeld des Jihad nach dem Kampf gegen die Rote Armee in Afghanistan in
den 1980er Jahren.
Bosnien – europäisches Schlachtfeld des Jihad in den
1990er Jahren
Sitz der TWRA in Wien-Wieden (Foto: Autor) |
Einige
Tausend Freiwillige aus arabischen Staaten und dem Iran kämpften zwischen 1991
und 1995 an der Seite der muslimisch-nationalistischen Regierung von Präsident
Alija Izetbegović. Auch Osama Bin Ladens Al Qaida stellte Kämpfer – der
ehemalige Aktivist Ali Hamad meinte in einem Interview: „Al-Qaida war in
Bosnien nicht an den dortigen Muslimen interessiert, sondern an der Eroberung
einer Basis, von der aus sie weiter operieren konnte – so wie die USA weltweit
ihre Stützpunkte haben. Einige Führer der westlichen Welt haben das durchaus
registriert, aber nichts unternommen.“ Spätere Al Qaida-Attentäter sammelten in
Bosnien Kampferfahrung – darunter der als „Mastermind” der Terroranschläge vom
11. September 2001 charakterisierte Kahild Sheikh Mohammed. Laut dem Experten
Roland Jacquard entstand auf diese Weise eine Generation radikal-islamistischer
Kämpfer, „die – obwohl jünger – genauso gut trainiert waren wie ihre Vorgänger.
Und genau auf diesem Boden entwickelte sich die neue Internationale des
Terrors, mit der wir es heute zu tun haben.“
Diplomatische Immunität
Bevor er nach Wien kam, fungierte Elfatih Hassanein
lange als Osteuropa-Beauftragter der Nationalislamischen Front (NIF). Diese
Partei beherrscht seit Ende der 1980er Jahre den Sudan und hat diesen in einen
islamischen Staat auf Basis der Scharia umgewandelt. Zwischen 1991 und 1996 beherbergte
das NIF-Regime Bin Laden nachdem dieser Saudi-Arabien verlassen hatte müssen.
Hassanein wurde im März 1992 in Österreich als
sudanesischer Kulturattaché akkreditiert und mit einem Diplomatenpass ausgestattet,
der ihm Schutz vor polizeilichen Ermittlungen einräumte. Seine Mission fasste
der Sudanese so zusammen: „Bosnien muss schließlich ein muslimisches Bosnien
werden, denn wenn dies nicht passiert, wäre der ganze Krieg umsonst gewesen,
und wir hätten für nichts gekämpft.“ Noch 1992 stellte der bosnische
Außenminister Haris Silajdzic eine Vollmacht für die TWRA aus, die die Eröffnung
eines Kontos bei der GiroCredit ermöglichte, die mittlerweile in der Erste Bank
aufgegangen ist. 1993 bestätigte Izetbegović noch einmal schriftlich, dass die
TWRA das Vertrauen seiner Regierung genieße. Den Präsidenten soll Hassanein
bereits 1964 in Belgrad kennengelernt haben.
Dass sich die TWRA ausgerechnet Wien als Zentrale
erkor, sollte nicht weiters überraschen. Abgesehen von der geografischen Nähe
und den historischen Beziehungen zu Bosnien, pflegte Österreich traditionell einen
toleranten Umgang mit islamistischen Organisationen: Sowohl die
Muslimbruderschaft als auch die Hizb ut-Tahir verfügen hier bis heute über eine
starke Präsenz, die teilweise bis in die 1960er Jahre zurückreicht.
Nachschubkanal TWRA
Laut zahlreicher Untersuchungen war die TWRA einer der wichtigsten
Nachschubkanäle, nachdem die UNO 1991 ein Waffenembargo für Jugoslawien
verhängt hatte. Zwischen 1992 und 1995 sollen 350 Millionen US-Dollar nach
Bosnien geflossen sein – wenigstens die Hälfte der Summe wurde aufgewendet, um
Waffen zu kaufen und zu schmuggeln. Ursprünglich stammten die Finanzmittel aus
dem Nahen und Mittleren Osten, darunter Länder wie Iran, Türkei, Brunei,
Malaysia und Pakistan. Eng waren die Beziehungen auch zur Saudi High Commission
for Relief of Bosnia and Herzegovina (SHC), die zwischen 1992 und 2001 alleine
600 Millionen US-Dollar bereitstellte – nominell für Hilfeleistungen und
religiöse Zwecke.
Der Beauftragte der Bank, über die die TWRA-Transaktionen liefen, beschrieb
den Faith Hassanei als „Gepäckträger“ von Präsident Izetbegović: „Wenn die
bosniakische Regierung sagte, sie benötige Mehl, rannte er und beschaffte Mehl,
wenn sie sagte, sie benötige Waffen, dann rannte er nach Waffen.“ In der Bank
erinnerte man sich auch an einen saudi-arabischen Diplomaten, der in zwei
Koffer fünf Millionen US-Dollar brachte.
Hasan Cengic, der als bosnischer Vize-Verteidigungsminister zahlreiche Waffendeals
verhandelte, hatte einen Sitz im TWRA-Vorstand genauso wie der bosnische
Botschafter in Wien, Husein Zivalj. Im Rahmen einer großen Aktion im September
1992 landeten Frachtflugzeuge aus Khartum im slowenischen Maribor. Die Fracht –
120 Tonnen an Sturmgewehren, Werfern, Minen und Munition – stammte aus ehemaligen
sowjetischen Beständen in Osteuropa. Als humanitäre Hilfe deklariert wurden die
Waffen per Helikopter nach Tuzla und Zeniza in Bosnien transportiert. Bei einer
weiteren Nachschuboperation sollen leichte Waffen im Wert von 15 Millionen
Dollar unter Mithilfe von UN-Soldaten nach Bosnien geschmuggelt worden sein. So
überrascht es auch nicht, dass die TWRA 1996 von der Regierung in Sarajevo mit
einer Goldmedaille für ihr Hilfsengagement ausgezeichnet wurde.
Keine rechtliche Handhabe vor
9/11
Wie kürzlich ein abtrünniges Al Qaida-Mitglied aussagte, sollen TWRA-Gelder
auch Bin Ladens Truppe in Bosnien direkt zugute gekommen sein. Die TWRA finanzierte die 107 Mann starke Truppe bzw. half
auf andere Art und Weise. Großzügige Unterstützung soll darüber hinaus von der
SHC gekommen sein. Zacarias Moussaoui,
der wegen Verwicklung in die Anschläge vom 11. September 2001 eine lebenslange
Haftstrafe verbüßt, gab Ende 2014 an, für Al Qaida alle Spender in einer digitalen
Datenbank erfasst zu haben: In diesem Zusammenhang nannte er auch die TWRA.
Obgleich westliche Dienste schon
vor 9/11 einen guten Einblick in diese Machenschaften hatten, war damals keine
ausreichende Handhabe gegeben, um effektiv einzuschreiten. Deshalb klingt in
den Memoiren des damals zuständigen Antiterrorberaters im Weißen Haus, Richard
A. Clarke viel Frustration durch: „Den europäischen und amerikanischen
Geheimdiensten gelang es allmählich, die Finanzierung und Unterstützung der
Mudschaheddin bis zu Bin Laden im Sudan und zu Einrichtungen, die bereits von
den Mudschaheddin in Westeuropa selbst gegründet worden waren,
zurückzuverfolgen. Die Kontakte zu der Moschee im Finsbury Park in London, zu
dem islamischen Kulturzentrum in Mailand, zu der Third World Relief Agency mit
Sitz in Wien. Sie führten auch zu der Benevolence International Foundation in
Chicago und zu der International Islamic Relief Organization in Saudi-Arabien.
Diese ‚wohltätigen Organisationen’ beschafften Gelder, Arbeitsplätze, Ausweise,
Visa, Diensträume und andere Hilfsmittel für die internationale Brigade der
arabischen Kämpfer in und um Bosnien. Westliche Regierungen, auch die
amerikanische, fanden vor dem 11. September kein geeignetes juristisches
Mittel, um gegen diese Organisationen vorzugehen.“
Auszug aus der Aussage Moussaouis |
TWRA-Gründer musste 1994 Österreich verlassen
1994 musste Hassanein „wegen Missbrauchs der österreichischen
Gastfreundschaft“ das Land verlassen. Am 5. September 1995 führten dann deutsche
und österreichische Ermittler eine Razzia im Wiener Hauptquartier durch und
beschlagnahmten zahlreiche Unterlagen. „Neben dem Waffenhandel wird die TWRA
als Schlepperorganisation verdächtigt“, sagte ein Münchner Staatsanwalt.
Außerdem soll die TWRA in den organisierten Ankaufs von hochwertigen, in
deutschen Kaufhäusern gestohlenen Waren, verwickelt gewesen sein. Ungeachtet
dessen soll die TWRA noch bis 1996 weitergearbeitet haben. Hassanein war zu
diesem Zeitpunkt nach Istanbul verzogen, wo er auch nach dem Ende des
Bosnienkriegs seinen Geschäften nachging. Die TWRA leitete daraufhin Bruder
Sukarno Hassanein.
Literatur:
Herbert
Lackner, Edith Meinhart und Adelheid Wölfl, Der Fundi-Fonds von Wien, in:
profil Nr. 39/2001.
Jürgen
Elsässer, Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf
dem Balkan, St. Pölten 2005.
Peter Andreas, The Clandestine Political Economy of
War and Peace in Bosnia ,
in: International Studies (2004) 48, 29-51.
David Weinberg, King Salaman’s Shady History,
foreignpolicy.com, 27. 1. 2015