Donnerstag, 5. Februar 2015

Schaltstelle Wien: Die Third World Relief Agency und der bosnische Jihad

Prinz Eugen Straße Nr. 36, eine unscheinbare Adresse im Botschaftsviertel im 4. Wiener Gemeindebezirk. Hier hat die Third World Relief Agency (TWRA) ihren Sitz. Laut Eigendefinition handelt es sich um eine humanitäre Hilfsorganisation, gegründet 1987 von den sudanesischen Brüdern Elfatih und Sukarno Hassanein mit Zweigstellen in Sarajevo, Budapest, Moskau und Istanbul. Doch wie so oft trügt der Schein. Laut westlichen Geheimdienstkreisen erfüllte die TWRA in den frühen 1990er Jahren eine Schlüsselrolle, um radikal-islamistische Kräfte finanziell und logistisch zu unterstützen. Gelder und Waffen wurden nämlich im bosnischen Bürgerkrieg gebraucht, dem wichtigsten Operationsfeld des Jihad nach dem Kampf gegen die Rote Armee in Afghanistan in den 1980er Jahren.
Sitz der TWRA in Wien-Wieden (Foto: Autor)
Bosnien – europäisches Schlachtfeld des Jihad in den 1990er Jahren
Einige Tausend Freiwillige aus arabischen Staaten und dem Iran kämpften zwischen 1991 und 1995 an der Seite der muslimisch-nationalistischen Regierung von Präsident Alija Izetbegović. Auch Osama Bin Ladens Al Qaida stellte Kämpfer – der ehemalige Aktivist Ali Hamad meinte in einem Interview: „Al-Qaida war in Bosnien nicht an den dortigen Muslimen interessiert, sondern an der Eroberung einer Basis, von der aus sie weiter operieren konnte – so wie die USA weltweit ihre Stützpunkte haben. Einige Führer der westlichen Welt haben das durchaus registriert, aber nichts unternommen.“ Spätere Al Qaida-Attentäter sammelten in Bosnien Kampferfahrung – darunter der als „Mastermind” der Terroranschläge vom 11. September 2001 charakterisierte Kahild Sheikh Mohammed. Laut dem Experten Roland Jacquard entstand auf diese Weise eine Generation radikal-islamistischer Kämpfer, „die – obwohl jünger – genauso gut trainiert waren wie ihre Vorgänger. Und genau auf diesem Boden entwickelte sich die neue Internationale des Terrors, mit der wir es heute zu tun haben.“

Diplomatische Immunität
Bevor er nach Wien kam, fungierte Elfatih Hassanein lange als Osteuropa-Beauftragter der Nationalislamischen Front (NIF). Diese Partei beherrscht seit Ende der 1980er Jahre den Sudan und hat diesen in einen islamischen Staat auf Basis der Scharia umgewandelt. Zwischen 1991 und 1996 beherbergte das NIF-Regime Bin Laden nachdem dieser Saudi-Arabien verlassen hatte müssen.

Hassanein wurde im März 1992 in Österreich als sudanesischer Kulturattaché akkreditiert und mit einem Diplomatenpass ausgestattet, der ihm Schutz vor polizeilichen Ermittlungen einräumte. Seine Mission fasste der Sudanese so zusammen: „Bosnien muss schließlich ein muslimisches Bosnien werden, denn wenn dies nicht passiert, wäre der ganze Krieg umsonst gewesen, und wir hätten für nichts gekämpft.“ Noch 1992 stellte der bosnische Außenminister Haris Silajdzic eine Vollmacht für die TWRA aus, die die Eröffnung eines Kontos bei der GiroCredit ermöglichte, die mittlerweile in der Erste Bank aufgegangen ist. 1993 bestätigte Izetbegović noch einmal schriftlich, dass die TWRA das Vertrauen seiner Regierung genieße. Den Präsidenten soll Hassanein bereits 1964 in Belgrad kennengelernt haben.

Dass sich die TWRA ausgerechnet Wien als Zentrale erkor, sollte nicht weiters überraschen. Abgesehen von der geografischen Nähe und den historischen Beziehungen zu Bosnien, pflegte Österreich traditionell einen toleranten Umgang mit islamistischen Organisationen: Sowohl die Muslimbruderschaft als auch die Hizb ut-Tahir verfügen hier bis heute über eine starke Präsenz, die teilweise bis in die 1960er Jahre zurückreicht.

Nachschubkanal TWRA
Laut zahlreicher Untersuchungen war die TWRA einer der wichtigsten Nachschubkanäle, nachdem die UNO 1991 ein Waffenembargo für Jugoslawien verhängt hatte. Zwischen 1992 und 1995 sollen 350 Millionen US-Dollar nach Bosnien geflossen sein – wenigstens die Hälfte der Summe wurde aufgewendet, um Waffen zu kaufen und zu schmuggeln. Ursprünglich stammten die Finanzmittel aus dem Nahen und Mittleren Osten, darunter Länder wie Iran, Türkei, Brunei, Malaysia und Pakistan. Eng waren die Beziehungen auch zur Saudi High Commission for Relief of Bosnia and Herzegovina (SHC), die zwischen 1992 und 2001 alleine 600 Millionen US-Dollar bereitstellte – nominell für Hilfeleistungen und religiöse Zwecke.

Der Beauftragte der Bank, über die die TWRA-Transaktionen liefen, beschrieb den Faith Hassanei als „Gepäckträger“ von Präsident Izetbegović: „Wenn die bosniakische Regierung sagte, sie benötige Mehl, rannte er und beschaffte Mehl, wenn sie sagte, sie benötige Waffen, dann rannte er nach Waffen.“ In der Bank erinnerte man sich auch an einen saudi-arabischen Diplomaten, der in zwei Koffer fünf Millionen US-Dollar brachte.

Hasan Cengic, der als bosnischer Vize-Verteidigungsminister zahlreiche Waffendeals verhandelte, hatte einen Sitz im TWRA-Vorstand genauso wie der bosnische Botschafter in Wien, Husein Zivalj. Im Rahmen einer großen Aktion im September 1992 landeten Frachtflugzeuge aus Khartum im slowenischen Maribor. Die Fracht – 120 Tonnen an Sturmgewehren, Werfern, Minen und Munition – stammte aus ehemaligen sowjetischen Beständen in Osteuropa. Als humanitäre Hilfe deklariert wurden die Waffen per Helikopter nach Tuzla und Zeniza in Bosnien transportiert. Bei einer weiteren Nachschuboperation sollen leichte Waffen im Wert von 15 Millionen Dollar unter Mithilfe von UN-Soldaten nach Bosnien geschmuggelt worden sein. So überrascht es auch nicht, dass die TWRA 1996 von der Regierung in Sarajevo mit einer Goldmedaille für ihr Hilfsengagement ausgezeichnet wurde.

Keine rechtliche Handhabe vor 9/11
Wie kürzlich ein abtrünniges Al Qaida-Mitglied aussagte, sollen TWRA-Gelder auch Bin Ladens Truppe in Bosnien direkt zugute gekommen sein. Die TWRA finanzierte die 107 Mann starke Truppe bzw. half auf andere Art und Weise. Großzügige Unterstützung soll darüber hinaus von der SHC gekommen sein. Zacarias Moussaoui, der wegen Verwicklung in die Anschläge vom 11. September 2001 eine lebenslange Haftstrafe verbüßt, gab Ende 2014 an, für Al Qaida alle Spender in einer digitalen Datenbank erfasst zu haben: In diesem Zusammenhang nannte er auch die TWRA.
Auszug aus der Aussage Moussaouis
Obgleich westliche Dienste schon vor 9/11 einen guten Einblick in diese Machenschaften hatten, war damals keine ausreichende Handhabe gegeben, um effektiv einzuschreiten. Deshalb klingt in den Memoiren des damals zuständigen Antiterrorberaters im Weißen Haus, Richard A. Clarke viel Frustration durch: „Den europäischen und amerikanischen Geheimdiensten gelang es allmählich, die Finanzierung und Unterstützung der Mudschaheddin bis zu Bin Laden im Sudan und zu Einrichtungen, die bereits von den Mudschaheddin in Westeuropa selbst gegründet worden waren, zurückzuverfolgen. Die Kontakte zu der Moschee im Finsbury Park in London, zu dem islamischen Kulturzentrum in Mailand, zu der Third World Relief Agency mit Sitz in Wien. Sie führten auch zu der Benevolence International Foundation in Chicago und zu der International Islamic Relief Organization in Saudi-Arabien. Diese ‚wohltätigen Organisationen’ beschafften Gelder, Arbeitsplätze, Ausweise, Visa, Diensträume und andere Hilfsmittel für die internationale Brigade der arabischen Kämpfer in und um Bosnien. Westliche Regierungen, auch die amerikanische, fanden vor dem 11. September kein geeignetes juristisches Mittel, um gegen diese Organisationen vorzugehen.“

TWRA-Gründer musste 1994 Österreich verlassen
1994 musste Hassanein „wegen Missbrauchs der österreichischen Gastfreundschaft“ das Land verlassen. Am 5. September 1995 führten dann deutsche und österreichische Ermittler eine Razzia im Wiener Hauptquartier durch und beschlagnahmten zahlreiche Unterlagen. „Neben dem Waffenhandel wird die TWRA als Schlepperorganisation verdächtigt“, sagte ein Münchner Staatsanwalt. Außerdem soll die TWRA in den organisierten Ankaufs von hochwertigen, in deutschen Kaufhäusern gestohlenen Waren, verwickelt gewesen sein. Ungeachtet dessen soll die TWRA noch bis 1996 weitergearbeitet haben. Hassanein war zu diesem Zeitpunkt nach Istanbul verzogen, wo er auch nach dem Ende des Bosnienkriegs seinen Geschäften nachging. Die TWRA leitete daraufhin Bruder Sukarno Hassanein.

Literatur:
Herbert Lackner, Edith Meinhart und Adelheid Wölfl, Der Fundi-Fonds von Wien, in: profil Nr. 39/2001.
Jürgen Elsässer, Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan, St. Pölten 2005.
Peter Andreas, The Clandestine Political Economy of War and Peace in Bosnia, in: International Studies (2004) 48, 29-51.
David Weinberg, King Salaman’s Shady History, foreignpolicy.com, 27. 1. 2015