Montag, 23. Februar 2015

Bombe an Bord der „Steiermark“: Österreichs erste Konfrontation mit internationalem Terrorismus

Gekürzte Fassung erschienen in profil, Nr. 9/2015, 34 f.

Vor 45 Jahren, am 21. Februar 1970, wurde Österreich zum ersten Mal mit dem Nahostterror konfrontiert: An Bord eines AUA-Flugs explodierte eine Bombe. Die Notlandung gelang, aber am selben Tag ließ ein weiterer Anschlag eine Maschine der Swiss Air abstürzen.

Es ist 10.47 Uhr: Die AUA-Caravelle „Steiermark“ befindet sich nach Start in Frankfurt am Main gerade einmal acht Minuten in der Luft und hat im Steigflug eine Höhe von 3.000 m über dem Odenwald erreicht. 33 Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern befinden sich an Bord – die Destination ist Wien. Was dann geschieht, schildert die „Kronen Zeitung“ anderntags so: „Die Stewardessen servierten Kaffee und Erfrischungen, als plötzlich eine heftige Explosion die Maschine erschüttert. Einen Augenblick später leuchte das Schild ‚Bitte anschnallen und nicht rauchen‘ auf. Der Kabinendruck hatte rapide nachgelassen, die Passagiere klagten über Ohrenschmerzen“. Flugkapitän Herbert Till, damals 35 Jahre alt, meldete über den Bordlautsprecher, dass die Druckkabine  defekt geworden sei und man deswegen nach Frankfurt zurückkehre. Tatsächlich war im vorderen Frachtraum  eine Bombe detoniert und hatte ein etwa 80 x 50 cm großes Loch in den Rumpfwand des Flugzeugs gerissen. Trotz des erheblichen Schadens gelang es Till und seinem Ko-Pilot Walter Haslinger die „Steiermark“ notzulanden. Alle an Bord befindlichen Personen kamen mit dem Schrecken davon. Durch das ruhige und besonnene Verhalten der Crew hatte es keine Panik gegeben - "lediglich eine Frau weinte und sagte immer wieder: 'Hoffentlich stürzen wir nicht ab'" ("Die Presse").

„Goodbye everybody“ – die Tragödie von Würenlingen
Dieser 21. Februar 1970 sollte trotzdem zu einem schwarzen Tag werden  – denn, nur knapp zwei Stunden nach der Explosion an Bord  des AUA-Flugs stürzte die Swiss Air Maschine „Basel Land“ in den Unterwald westlich von Würenlingen (Schweizer Kanton Aargau). Alle 47 Insassen – 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder – fanden den Tod. Ausgelöst wurde die Katastrophe ebenfalls durch eine Bombenexplosion. Diese hatte im Unterschied zum Vorfall an Bord der „Steiermark“ verheerende Folgen gehabt: Im Frachtraum hatte sich ein Brandherd entwickelt, der sich durch rasch ausbreitete. Dichter Rauch nahm den Piloten die Sicht auf die Instrumente. Der letzte verzweifelte Funkspruch an den Tower in Zürich-Kloten lautete: "Goodbye everybody". Die Maschine ging schließlich in einer steilen Linkskurve in den Sturzflug über und raste mit 770 Stundenkilometer in den Wald. Der anschließende Feuerball von 30 Tonnen Kerosin ließ Passagiere und Flugzeug regelrecht verglühen.
Denkmal am Absturzort in Würenlingen (Quelle: Wikimedia Commons)
Passagiere und Crew der „Steiermark“ hatten dagegen großes Glück: Wäre die in einem Postsack versteckte Bombe nicht an der äußeren Wand, sondern in der Mitte des Frachtraums gelegen, dann wäre ein Absturz womöglich nicht zu vermeiden gewesen. Pilot Till gab gegenüber der „AZ“ an: „Je höher das Flugzeug steigt, umso größer wird der Druckunterschied zwischen Innenraum und Außenwelt. Dadurch wäre auch das Leck im Rumpf des Flugzeugs größer geworden, da die Druckwelle bei der Explosion stärker gewesen wäre. In einem solchen Fall hätten auch alle Bemühungen, das Flugzeug zum Landen zu bringen, nichts genützt. Die Caravelle wäre unweigerlich in die Tiefe gezogen worden.“

Die zufällige Lage des Bombenpakets in der Nähe der Außenbeplankung und die Abschirmung zum Flugzeugsinneren durch dichte Zeitungsbündel waren verantwortlich dafür, dass sich die Explosion nicht ähnlich fatal wie bei der Swiss Air auswirkte. Ein weiterer glücklicher Umstand war, dass die schwer beschädigte "Steiermark" noch nicht die normale Flughöhe von 8.000 m erreicht hatte, als der Höhenmesser die Explosion auslöste - andernfalls wäre es zu der von Till beschriebenen Implosion gekommen.

Erkenntnisse aus den Ermittlungsakten
Die Ermittlungen in der Schweiz und der BRD ergaben bald, dass es sich um den bis dahin schwersten Terroranschlag gegen die Zivilluftfahrt handelte: Ein Kommando der PFLP-GC (Volksfront zur Befreiung Palästinas, Generalkommando) hatte die Bomben in Radioapparaten eingebaut – mit einem Höhenmesser des Typs Altimeter 50 M als Auslöser. Anschließend wurden diese in zwei Paketen in Frankfurt am Main bzw. in München aufgegeben – als Luftpost nach Israel. Doch weil die El-Al am 21. Februar 1970 nicht flog, wurde die Paketpost kurzerhand umgeleitet und gelangte so durch die damals lückenhaften Kontrollen jeweils an Bord der Maschinen „Steiermark“ bzw. „Basel Land“.

Im Schlussbericht der Sicherungsgruppe Bonn-Bad Godesberg, der im Wiener Staatsarchiv in Kopie vorliegt, heißt es dazu: „Es ist wahrscheinlich, dass der Anschlag nicht der Maschine der österreichischen Luftfahrtgesellschaft AUA, sondern einem Linienflug der israelischen Luftfahrtgesellschaft El-Al gegolten hat. Diese Maschine flog laut Flugplan Februar 1970 als einziges israelisches Flugzeug an Samstagen (21.2.1970) von Frankfurt/M. nach Tel Aviv. Die Tatsache, dass aus postökonomischen Gründen mit diesem Flugzeug keine Pakete befördert wurden, blieb Außenstehenden, zu denen auch die Tatverdächtigen zu rechnen sind, verborgen.“ Genauso verhielt es sich im Falle der Swiss Air – das für Israel bestimmte Postgut, in dem sich das Bombenpaket befanden, hätte ursprünglich mit einer El-Al-Maschine befördert werden sollen, stellten die Ermittler fest: „Der planmäßige Flug fiel am 21. 2. 1970 aus. Die Post wurde daher auf die SWISS AIR-Maschine SR 551 umdirigiert und in Zürich in das später abgestürzte Flugzeug verladen.“ Bei dem Zwischentransport der Fracht München-Zürich war noch nichts passiert, „da die Innenräume der Maschine auf Bodendruck gehalten wurden und die SR 551 auf dem Flug von München nicht die Höhe erreicht, in der bei der später abgestürzten SR 330 die Detonation erfolgte“.

Kreisky: „Illusion der Terroristen zerstören“
Der Doppelanschlag und vor allem die vielen Toten in Würenlingen bedeuteten Anfang der 1970er Jahre einen großen Schock: Mit einem Mal war der Nahostkonflikt bedrohlich näher gerückt. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden umgehend verschärft, wie die „Presse“ berichtete: „In Wien hat Polizeipräsident Holaubek angeordnet, dass alle israelischen und arabischen Vertretungen, Flugbüros und sonstige gefährdete Objekte von der Zentralstreife des Wiener Sicherheitsbüros in die Überwachung einbezogen werden.“ Im Fokus der „Sicherheitsoffensive“ befand sich insbesondere der Flughafen Wien-Schwechat: „Diese Maßnahmen sehen unter anderem vor, dass alle startenden und landenden Maschinen der nahöstlichen Fluggesellschaften von Funkwagen mit schwerbewaffneten Polizisten von und zur Piste geleitet werden. Außerdem werden die Zufahrtsstraßen zum Schwechater Flughafen und das Gebäude im Süden des Flugplatzes verschärft überwacht.“ Hinsichtlich einer politischen Reaktion Österreichs meinte der damalige Oppositionsführer Bruno Kreisky: „Ich kann mir denken, dass man sich den Schweizern anschließt, sofern es nicht Überlegungen gibt, dass sich Österreich nicht in den Vordergrund schieben sollte. Aber man muss die Illusion der Terroristen zerstören, mit solchen Methoden die Staaten in die Knie zwingen zu können.“

Strafverfolgung gescheitert
Verantwortlich für die Anschläge war eine der damals berüchtigtsten palästinensischen Terrorgruppen: Die PLFP-GC. Gegründet 1963 von Achmed Jibril hatte sich die Organisation nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 der kommunistisch orientierten PLFP angeschlossen. Diese hatte weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen, indem sie ab Ende der1960er Jahre damit begann, westliche Passagierflugzeuge zu entführen. Schon 1968 spaltete sich Jibril wieder ab. Seine PLFP-GC ging daraufhin einen Schritt weiter: Am 18. Februar 1969 feuerten vier Attentäter 62 Schüsse auf eine El-Al-Maschine auf dem Flugfeld des Züricher Flughafens Kloten. Der Co-Pilot kam dabei ums Leben, während einer der Terroristen von einem israelischen Sicherheitsmann erschossen wurde.

Im Falle der Bombenexplosionen an Bord der AUA und Swiss-Flüge entkamen die Attentäter: Der damals 29jährige Sufian Kaddoumi  und der 43jährige Badawi Mousa Jawher konnten sich rechtzeitig nach Jordanien absetzen. Zwei Helfer wurden in der BRD festgenommen, aber im Juni 1970 in den Nahen Osten abgeschoben. Kaddoumi, laut den Ermittlern der „Kopf“ des Unternehmens, hatte zwischen Anfang Jänner 1961 bis Jänner 1962 in der Wiener Porzellangasse als Untermieter gewohnt und sich gute Deutschkenntnisse angeeignet. Angeblich war er schon damals als „politischer Fanatiker“ aufgefallen. Für die Tat musste sich Kaddoumi nie verantworten – laut der Staatsanwaltschaft Frankfurt, die in der BRD noch immer ein Strafverfahren führt, soll er 1996 im Alter von 55 Jahren gestorben sein.

In der Schweiz sind die Untersuchungen zum Absturz bei Würenlingen längst eingestellt worden – wie die „Neue Züricher Zeitung“ im Dezember 2014 meldete, dürften die Ermittlungen im Sand verlaufen sein, weil „erpresserische Drohungen“ erfolgten: „Bei einem Verzicht auf die Strafverfolgung Kaddoumis und seines Komplizen sollten im Gegenzug die Schweiz und die Fluggesellschaft Swissair von weiteren Terroranschlägen verschont bleiben. Sogar von der Zahlung angeblicher ‚Schutzgelder‘ ist verschiedentlich die Rede.“ Auch die drei überlebenden Attentäter von Zürich-Kloten waren schon Anfang Oktober 1970 freigelassen worden – im Austausch für Passagiere eines Swiss Air Flugs, den die PLFP nach Jordanien entführt hatte. Das Fazit der „Neuen Züricher Zeitung“ ist daher bitter: „Es macht ganz den Anschein, als hätte die Schweiz die Gerechtigkeit auf dem Altar sogenannt höherer Interessen geopfert.“ Achmed Jibril und seine PLFP-GC wiederum kämpfen noch heute an der Seite des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien.
"Hjacker Sunday", 6. September 1970: Die PLFP entführte mehrere internationale Flüge nach Jordanien, darunter eine Swiss Air-Maschine (Quelle: Wikimedia Commons)