Nach
1945 wurde die Europaidee auch von neofaschistischen Denkern verfolgt. Ihr Werk
beeinflusst noch heute die Verbindungen zwischen Rechten und russischen
Kreisen. Eine besondere Rolle spielte ein österreichischer Ex-Nazi.
Die Costa del Sol
gilt gemeinhin als Urlauberparadies. Praktisch unbekannt ist dagegen ein
dunkles Kapitel Zeitgeschichte, das dem südspanischen Küstenstreifen den
Beinamen „Costa del Nazi“ eingebracht hat: Nach der Niederlage des 3. Reichs
hatten sich zahllose NS-Verbrecher hierher geflüchtet. Das faschistische Regime
von General Franco nahm sie mit offenen Armen auf und gewährte Schutz vor
Auslieferung. Anfang der 1950er Jahre gab es in Spanien schon eine regelrechte
Kolonie von 16.000 NS-Exilanten. Viele von ihnen – darunter der belgische
NS-Kollaborateur Leon Degrelle, der berüchtigte Wiener SS-Offizier Otto
Skorzeny oder der an der Niederschlagung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944
beteiligte Otto Ernst Remer verbrachten einen ruhigen Lebensabend.
Einige hochbetagte
Pensionäre sind noch übrig – so etwa in Benalmadena, wohin es vor einigen
Jahren auch den österreichischen Holocaustleugner Gerd Honsik hin verschlagen
hat: 97 Jahre alt dürfte der gebürtige Grazer Theodor Soucek mittlerweile sein.
Sein letztes Statement stammt von 2011. Aber wäre er mittlerweile verstorben,
hätte dies in einschlägigen Kreisen Wellen geschlagen.
Europa
als „Viertes Reich“
In der breiten
Öffentlichkeit ist Soucek schon lange schon in Vergessenheit geraten. Er hatte
den 2. Weltkrieg als Offizier mitgemacht – nach 1945 baute er ein
weitverzweigtes Fluchthilfenetz auf – für in alliierten Internierungslagern
einsitzende NS-Täter. 1947 wurde Souceks Organisation schließlich zerschlagen.
Er und einige Mitverschwörer wurden dafür zum Tode verurteilt, aber 1952 von
Bundespräsident Adolf Schärf begnadigt. In den darauffolgenden Jahren
verschrieb sich Soucek gemeinsam mit anderen Neofaschisten einem Projekt, das
unterschwellig bis heute nachwirkt: Der Schaffung eines vereinigten Europas als
„viertes Reich“. Diese Idee wurde praktisch parallel zu den Bestrebungen verfolgt,
die mit den Römischen Verträgen (1957) die Entwicklung zur heutigen
Europäischen Union anstießen.
Während des 2.
Weltkriegs hatten auf deutscher Seite Zehntausende europäische Freiwillige
gegen den „Bolschewismus“ gekämpft. Einer der ersten Versuche, dieses Potential
neu zu organisieren, fand am 12. Mai 1951 statt: Im schwedischen Malmö trafen
sich 60 Delegierte rechtsextremer Bewegungen aus ganz Westeuropa. Der Kongress
führte zu Bildung der Europäischen Sozialbewegung (ESB), mit nationalen Sektionen
in der BRD, Schweden, Norwegen, Dänemark, Niederlande, Belgien, Frankreich und
Österreich. Die verschiedenen Organisationen waren sich einig, dieses Europa
anti-parlamentarisch, autoritär und völkisch orientiert sein würde – als dritte
Kraft zwischen den Machtblöcken USA und UdSSR. Es blieb jedoch bei einem Erfolg
auf symbolischer Ebene, weil die ESB wegen ihrer „moderaten“ Haltung bald den
Rückhalt der eigenen Basis verlor und auf wackeligen finanziellen Beinen stand.
Theodor
Soucek: „Wir rufen Europa!“
Nun kam Soucek ins
Spiel: Anfang 1957 gründete er die Sozialorganische Ordnungsbewegung Europas
(SORBE) – wobei unter „sozialorganisch“ die „biologische art- und
schicksalsmäßige Verkettung“ des Individuums mit Familie und Volk zu verstehen
war. Das dazugehörige Programm verpackte Soucek 1956 in seinem schwülstigen
Buch „Wir rufen Europa. Vereinigung des Abendlandes auf Sozial-Organischer
Grundlage“. Darin hielt er fest, dass das „bolschewistische Russland“ vom
Ausgang des 2. Weltkriegs ungleich mehr profitiert habe, „als alle übrige
Welt“. Darüber hinaus habe der Osten „sein Konzept und seinen
Kristallisationspunkt“.
Der Westen dagegen
besitze nichts dergleichen: „Im Osten besitzt das Denken und Handeln der
Führenden und Geführten zielstrebige Richtung. Im Westen nicht“. Im
europäischen Raum habe sich bislang weder das „System Moskaus“ noch die
„Bereitwilligkeit zum Anschluss an den Dollar“ durchgesetzt. Und zwar, so
Soucek, weil der Instinkt „hellwach“ dafür sein, „ob man für die eigene oder
eine vermeintliche Freiheit arbeiten, kämpfen, opfern, bluten und sterben
soll“. Eben deshalb gebe es „kein besseres Losungswort als den Ruf: Für die
Freiheit Europas!“ Konkret stellte sich Soucek eine „Europaregierung“ mit Sitz
in Genf vor, in deren Souveränitätsbereiche Innenpolitik und Rechtsgestaltung,
Wirtschaft, Finanzen und Währung, Sicherheit und Wehrkraft, Außenpolitik sowie
Erziehung und Forschung fallen sollten. An der Spitze sollte ein auf fünf Jahre
gewählter und für diese Zeit unabsetzbarer „Präsident von Europa“ stehen.
„Europakongress“
in Salzburg
Am 7. und 8.
Dezember 1957 lud die SORBE im Salzburger Hotel Pitter zum „Europakongress“ –
„ca. 1.000 Personen“ waren gekommen, darunter Erwin Vollenweider, der 1951 die
Volkspartei der Schweiz gegründet hatte, und der französische Neofaschist und
Holocaust-Leugner Henri Rocques. Als man Mitte November 1958 eine
Nachfolgeveranstaltung abhalten wollte, handelte das Innenministerium. Über die
Intention der rechten Europa-Ideologen war man sich im Klaren: Es handle sich
um „fanatische Nationalisten und Antidemokraten“, „die unter dem Deckmantel
eines geeinten Europas ein neues Großdeutschland anstreben“, hieß es 1960.
SORBE wurde
aufgelöst, aber der Verfassungsgerichtshof gab einer dagegen eingelegten
Beschwerde statt. Der Verein sollte aber nicht mehr zur alten Stärke
zurückfinden. Nachdem sich Soucek ab 1962 wegen hoher Schulden ins Ausland
abgesetzt hatte, wurde SORBE zwei Jahre später endgültig aufgelöst. Soucek ließ
sich schließlich an der Costa del Sol nieder, wo es still um ihn wurde. Einem
bei einem schwedischen Verlag erschienenen Memoirenband von 2001 stellte er
bezeichnenderweise die Forderung nach Abschaffung des Verbotsgesetzes voran.
Jean
Thiriart und „Junges Europa“
Souceks Platz
innerhalb der Europa-Faschisten hatte damals der Belgier Jean Thiriart
eingenommen. Dieser hatte auf deutscher Seite als Fallschirmspringer gekämpft
und wurde dafür nach 1945 für drei Jahre inhaftiert. 1961 baute Thirart die
Sammelbewegung „Jeune Europe“ (Junges Europa, JE) mit Ableger in 13 Ländern
auf. Den dafür nötigen ideologischen Kitt lieferte Thiriart 1964 mit „Europa:
ein Weltreich von 400 Millionen Menschen“. Nur dieses „vierte Reich“ würde die
Hegemonie der Supermächte herausfordern können („gegen Bolschewismus und
Amerikanismus“).
In Österreich war
seit 1959 die „Legion Europa“ Teil von JE. „1. Legionsführer“ (Vereinsobmann)
und Gründer war Alfred („Fred“) Borth, über viele Jahrzehnte eine schillernde
Figur der rechten Szene. Gemäß Punkt b) der Satzungen bezweckte die Legion
Europa: „die Zusammenfassung aller europäisch denkenden Menschen zu einer
gemeinsamen Willensbildung und zur Einflussnahme auf das wirtschaftliche und
kulturelle Leben Europas. Er [der Verein] wird darüber hinaus für eine
europäische Wehrbereitschaft und eine sportliche Ertüchtigung seiner Menschen –
insbesondere der Jugend – eintreten.“
Innerhalb von JE
traten bald Risse zutage: 1963 endete eine Konferenz im Streit, der sich rund
um die Haltung zum Südtirolkonflikt entzündet hatte: Während die
deutschsprachigen Delegierten die Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen
forderten, sprachen sich Thiriart und die italienischen Vertreter dagegen aus,
weil dies der Einigkeit Europas schaden würde. Stattdessen traten sie für eine
Verhandlungslösung zwischen Italien und Österreich ein. Dies führte dazu, dass
zahlreiche Gruppen JE verließen. Borth ging auf Konfrontationskurs zu Thiriart,
informierte aber gleichzeitig die italienischen Dienste und die Staatspolizei über
die österreichische Südtirolszene.
„Er
ist am gleichen Tag zurückgeschickt worden“
Der Konflikt
zwischen Thiriart und seinen früheren Verbündeten trat zutage, als er 1966 zu
einer Pressekonferenz nach Wien kommen wollte, um die deutsche Übersetzung seines
Buchs "Das Vierte Reich: Europa" vorzustellen. Doch der Termin im
Hotel de France musste abgesagt werden, weil es eine Bombendrohung gab. In
einem eilig ausgesandten „Communiqué“ äußerte Thiriart einen Verdacht:
„Vor drei Jahren
hatte ich mehrere Österreicher aus meiner Organisation entfernt, die erst in
den Südtirol-Terror verwickelt waren und später mit neo-nationalsozialistischen
Kreisen Verbindung aufnahmen. Wahrscheinlich wollen diese sich heute rächen.“
Thiriarts
Aufenthalt in Österreich wurde jedenfalls auf höchster Regierungsebene
besprochen. Innenminister Franz Hetzenauer (ÖVP) informierte: „Wir haben die
Grenzorgane angewiesen gehabt, dem Mann die Einreise zu verwehren. Im Andrang
an der Grenze ist es ihm aber doch gelungen, einzureisen und er ist dann aber
doch nach Wien gekommen und wir haben ihn ausgeforscht. Eine Verweigerung der
Aufenthaltsgenehmigung ist im Zuge. Er ist am gleichen Tag zurückgeschickt
worden.“
Gedankenaustausch
mit den „Eurasiern“
Später fiel
Thiriart mit Beifallsbekundungen für den sowjetischen KGB, für die
palästinische PLFP und für linke Terrorgruppen wie die belgischen Cellules
Communistes Combattantes (CCC) auf. Genauso knüpfte er Kontakte zum
maoistischen China, zum Regime von Muammar al-Gaddafi und zu anderen Staaten
der „Dritten Welt“. Kurz vor seinem Tod hielt sich Thiriart 1992 zweimal in
Moskau auf und traf sich dort mit Angehörigen der neuen Kommunistischen Partei
der Russischen Föderation. Man überlegte eine strategische Achse beim Kampf
gegen die „Amerikanisierung“ Europas. Einer von Thiriarts Gesprächspartner war
der „Nationalbolschewist“ Aleksandar Dugin, heute eine der einflussreichsten
großrussischen Ideologen. Dugin träumt von einer von Moskau angeführten
„Eurasischen Union“ – als Gegenmodell zu „westlichem Nihilismus“ und
US-amerikanischer Hegemonie. Die von Soucek und Thiriat so gelegte Saat ist
innerhalb der letzten Jahre mehr und mehr aufgegangen, wenn auch unter anderen
geopolitischen Vorzeichen. EU-kritische Parteien in ganz Europa haben längst
enge Kontakte zu den „Eurasieren“ in Moskau geknüpft. So etwa die FPÖ, deren
Obmann Heinz-Christian Strache sich 2014 mit Dugin getroffen hat.
Ränkespiele
der Geheimdienste
Wenn heute rechte
Kleingruppen wie die „Identitären“ Dugins „Eurasismus“ und Vordenker wie
Thiriart wohlwollend reflektieren, wird ein Aspekt ausgeklammert: Es gibt
mittlerweile genügend Belege dafür, dass sich die Europa-Faschisten im Kalten
Krieg von westlichen Geheimdiensten einspannen ließ. So waren zahlreiche
Verbündete Thiriarts innerhalb des italienischen Neofaschismus Kader des
antikommunistischen „Gladio“-Netzwerks, das in den 1970er Jahren Italien mit
Bombenanschlägen destabilisierte. Dasselbe gilt übrigens für Borths „Legion
Europa“: 1990 erzählte der pensionierte Staatspolizist Leo Frank dem „Kurier“:
„Es gab bis 1970 in
Westeuropa eine antikommunistische Organisation, die sich ‚Legion Europa‘
nannte. Der österreichische ‚Legionsführer‘ was Fred Borth. Bei unseren
damaligen Nachforschungen haben wir oft Hinweise auf einen internationalen
Nachrichtendienst bekommen, der mit dieser ‚Legion‘ gegen die Kommunisten
arbeitet und in Österreich einen Ableger hat.“
Borth entgegnete
damals auf Nachfrage: „Unsere Diktion deckte sich zwar mit ‚Gladio‘ – es gab
auch eine Verbindung nach Italien – aber wir hatten keinerlei Geheimdienstverbindungen
und waren militärisch nie aktiv.“
Erwiesen ist
zumindest, dass Borth Hunderte Spitzelberichte geliefert hatte – und das gleich
an mehrere Geheimdienste. Auf diese Weise war auch die österreichische
Staatspolizei gut im Bilde: Laut einem Protokoll von 1963 meinte der Leiter des
Wiener Büros, Oswald Peterlunger, einsilbig: „Es bestehe ein Kreis von
Nationalen, der sich über ganz Europa erstrecke und deren Mitglieder zugeben,
Sprengstoffanschläge zu verüben.“ Diese Machenschaften sind noch kaum erforscht
– aber der rechte „Traum“ eines anti-liberalen Europa ist wahrscheinlich noch
nie so wirkungsmächtig wie heute.
HINWEIS:
Gekürzte Version ist am 20. November 2016 in „Die Presse am Sonntag“
erschienen.