Um 4.45 Uhr früh am
20. August 1966 detonierte eine 4-Kilo-Bombe vor dem Alitalia-Büro am Kärntner
Ring, das schon 1961 ein Ziel gewesen war. „Einer Detonation, die zunächst für
einen Blitzschlag gehalten wurde, folgte eine starke Staubwolke, gleichzeitig
wurde das Geräusch berstender Glasscheiben gehört", hieß es in der Arbeiter-Zeitung. Das Geschäftsportal wurde
zertrümmert und der entstandene Schaden mit zwei Millionen Schilling beziffert.
Die Druckwelle zerbarst weiters die Auslagen und Einrichtungen benachbarter
Geschäfte sowie die Verglasungen der Abgänge zur Opernpassage. Nur durch Zufall
gab es keine Opfer – zum Zeitpunkt der Explosion war ein starker Gewitterregen
niedergegangen und die Straßen waren dadurch „fast menschenleer“.
Der Tatort heute (Foto: Autor) |
Ein paar
Nachtschwärmer – ein schwedischer und ein norwegischer Student sowie ein Wiener
– hatten sich unter das Dach eines Ausgangs der Opernpassage gestellt. Zuerst
dachten sie, ein Blitz hätte in unmittelbarer Nähe eingeschlagen, aber dann
tanzten die beiden Studenten minutenlang und jubelten: „Uns ist nichts
geschehen, wir leben, wir leben, wir leben!“ Etwa zur selben Zeit hatte ein
Revierinspektor telefonisch Alarm gegeben: „Explosion bei der Opernkreuzung!“ Die
Ladung war vor dem Alitalia-Büro am Schnittpunkt des Gehsteigs und des
Schaufensterrahmens abgelegt worden – „da an dieser Stelle eine ca. 10 cm tiefe
und im Durchschnitt 35 cm große Mulde aufgerissen wurde“. Aus der Wahl des
Zeitpunkts und den Witterungsverhältnissen wurde geschlossen, „dass der
Sprengkörper kurzfristig gezündet wurde, so dass die Täter sowohl die
Gefährdung von Menschen verhindern, als auch sich selbst noch in Sicherheit
bringen konnten“.
Noch während die
Spurensicherung erfolgte, überprüfte man die Alibis eines als
„Rechtsextremisten und Terroristen bekannten Personenkreises“. Die erste
konkrete Spur in diese Richtung war einem Zufall zu verdanken, der sich nur
eine Stunde nach dem Bombenanschlag zutrug: Die 54jährige Besorgerin des Hauses
in der Lorenz-Mandl-Gasse 14 sah kurz vor sechs Uhr früh den ihr als
Spätaufsteher bekannten Mieter Emmanuel K. in einem weißen Arbeitsmantel aus dem
Kellereingang kommen. Der 22jährige machte einen verstört-überraschten
Eindruck. Stunden später versuchte K. der Hausbesorgerin einzureden, sich
getäuscht zu haben und wollte sie überreden, darüber nicht mit der Polizei zu
sprechen. Das machte diese erst recht stutzig. Sie teilte ihren Verdacht
Staatspolizisten mit, die gekommen waren, um Erhebungen durchzuführen. Denn K. zählte
zu jenem Personenkreis, der sofort nach dem Anschlag einvernommen wurde. Weil
sein Alibi der Überprüfung nicht standhielt, wurde er am 21. August 1966
verhaftet.
„Geheimliteratur
der Militärstaaten“
Bei der
anschließenden Hausdurchsuchung wurde neben Material zum Bau von Sprengkörpern
eine geringe Menge Sprengstoff sowie ein Zugzünder, Schwefelkohlenstoff,
Schwarzpulver, aber auch Geschoßhülsen gefunden. Darüber hinaus wurden
Handbücher „über die Herstellung und Anwendung von Sprengkörpern sowie eine umfangreiche
Literatur über das gesamte Sachgebiet der Sprengstoffe, Giftgase, den
Partisanenkrieg, die Pionierausbildung und ähnliche Werke sichergestellt“.
Diesen Umstand fand der Sachverständige des Innenministeriums bemerkenswert.
Denn die Druckwerke waren zum Teil nicht im Handel erhältlich, weil sie zur
„Geheimliteratur der Militärstaaten“ zählten. Hinweise auf eine Zugehörigkeit
K. zum Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) fanden sich nicht, dafür ein Ausweis der westdeutschen Organisation
des Bunds Heimattreuer Jugend (BHJ). Er war bereits im Januar und Februar 1963 an Bombenanschlägen auf das
Lokal der KPÖ auf dem Akkonplatz in Wien-Fünfhaus beteiligt gewesen. Einige
Zeit später deponierte er Sprengkörper in verschiedenen Telefonzellen. Dafür
war K. zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Er war bekannt als jemand, „der
sich geradezu leidenschaftlich mit der Herstellung von Sprengkörpern
beschäftigt, darüber hinaus durch seine Bekanntschaft mit Rechtsextremen
aufgefallen ist“.
Wahlhelfer bei
Franz Olah
Seit Ende 1964 war
K. FPÖ-Mitglied. Vor Beginn des Nationalratswahlkampfs 1966 war er dann als
Chauffeur des ehemaligen SPÖ-Innenministers Franz Olah tätig und engagierte
sich für dessen rechtspopulistische Demokratisch Fortschrittliche Partei (DFP).
Nach neuerlichen Einvernahmen und unter Vorhalt der Beweisergebnisse „bequemte“
sich K. schließlich zu dem Geständnis, „den Sprengkörper an den Tatort gebracht
und gezündet zu haben“. Nach „weiterer informativer Befragung“ gab er zu, dass
ihn ein Mittäter per PKW zum Tatort gebracht und anschließend wieder
weggefahren habe. Dieser Mann sei der 32jährige Hannes Falk gewesen – „doch
weigerte er sich unter Hinweis auf sein gegebenes Ehrenwort, eine
diesbezügliche Niederschrift zu unterschreiben“. Nach Rücksprache mit dem
Ersten Staatsanwalt gab dieser trotzdem seine Zustimmung zur „sofortigen“
Verhaftung Falks. Dieser leugnete nicht, K. zu kennen. Wenige Monate vor dem
Alitalia-Anschlag war Falk Geschäftsführer in der „Billateria“ in der
Singerstraße im 1. Bezirk geworden. K. war dort ebenfalls als Schankgehilfe
beschäftigt. Hingegen stritt Falk jede Beteiligung an dem Anschlag ab.
K. war Vollwaise;
sein Vater war im Zweiten Weltkrieg gefallen, die Mutter starb 1959. Einer
geregelten Beschäftigung ging der junge Mann in den Monaten vor der Tat nicht
nach. Dafür hatte K. eine ungewöhnliche Begabung als Sprengstoffbastler. Falk
hingegen hatte sich politisch im Hintergrund gehalten, „war aber der Polizei
seit Jahren als einer der gefährlichsten Rechtsextremisten bekannt“. Gemeinsam
mit K. und anderen Ex-BHJ-Angehörigen war Falk bei der Nationalratswahl 1966 in
den „Wahlhelfergruppen“ der DFP organisiert, die besonders zum „Saalschutz“
eingesetzt wurden.
„Verbindungen zum
Kreis. Dr. Burgers“
Die
Arbeiter-Zeitung skizzierte das Umfeld, in das die beiden Attentäter
eingebettet waren: „Es sind jene Gruppen, die sich einst um den wiederholt
verurteilten Konrad Windisch und den Grazer Eisenhändler Soucek, der später
nach Spanien und Südafrika flüchtete, gruppierten, sich als Führer
verschiedener neofaschistischer Aktivitäten hervortaten und schließlich bei
Olah Unterschlupf fanden. Querverbindungen dürften auch zu einzelnen Gruppen
innerhalb des umstrittenen ‚Österreichischen Turnerbundes‘ […] und zu dem Kreis
Dr. Burgers reichen“. Der spätere Gründer der Nationaldemokratischen Partei
(NDP) und in Italien verurteilte Südtirol-Attentäter Norbert Burger war damals
eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene in Österreich. In der Wohnung von
Falk war ein Schriftverkehr mit Burger gefunden worden, der belegte, „dass es
zwischen den beiden Meinungsverschiedenheiten gab, die derart ausarteten, dass,
nach Angabe des Falk, in einem der letzten Briefe Dr. Burger das
Antwortschreiben mit dem Götz-Zitat abschloss.“ Zwischen den beiden habe eine
„persönliche Abneigung“ geherrscht, erfuhr die Staatspolizei von einem
Bekannten Falks. Dieser gab an, Burger habe Falk misstraut: „Es wurde die
Meinung laut, dass Falk Kontakte zu den Italienern hatte. Außerdem wurde Falk
als nicht verlässlich angesehen. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, er sei
Polizeispitzel.“
„Idealist, kein
Revolutionär“
In der
Hauptverhandlung gab Falk nichts zu: „Man könne einen Menschen wohl so weit
bringen, dass der auf alles ja sage, doch ihn könne man nicht so weit bringen,
zu gestehen, er habe die Tat begangen.“ Falk erklärte lediglich: „Ich bin ein
Idealist, kein Revolutionär.“ Der Prozessbeobachter der Staatspolizei notierte:
„Im Verlaufe der Vernehmung erklärte Falk wiederholt, er habe zu dieser Tat
eine bestimmte Meinung, könne sie aber dem Gericht nicht sagen. Nach längerem
Zureden erklärte Falk, er habe anfänglich die Meinung gehabt, dass zwischen dem
K. als gewesenen Chauffeur des ehemaligen Ministers Olah und dem Bombenattentat
ein Zusammenhang bestehe. Heute vertritt er diese Meinung nicht mehr.“ Noch am
fünften Verhandlungstag blieb Falk dabei: „Ich wusste von Sprengstoff nichts
und habe mit Sprengstoff nie etwas zu tun gehabt.“ Unter den einvernommenen
Zeugen war auch Burger, der angab, K. erst bei einer Gegenüberstellung im
Landesgericht zum ersten Mal gesehen zu haben. Für den zweiten Angeklagten
hatte Burger nur harte Worte übrig: „Falk gehöre zu einem Personenkreis, der
immer dort zu sehen sei, wo etwas los ist. Falk sei deshalb suspekt, weil er
ein Freund des [Alfred] Borth sei, von dem bekannt ist, dass er ein Konfident
der Staatspolizei aber auch der Italiener sei.“ Er selbst habe K. „etwa drei
Wochen“ vor dem Attentat in einem Cafe in der Riemergasse mit Borth zusammen
gesehen. Bei dem Attentat habe „böser Wille“ vorgelegen – „man habe der
Südtirol-Sache schaden wollen“.
Protest gegen
Geheimverhandlungen
K. sagte aus, dass
sich der Anschlag gegen damals laufende Geheimverhandlungen zwischen Österreich
und Italien richtete: „In rechtsextremen Kreisen habe man die Ansicht
vertreten, dass Geheimverhandlungen über Südtirol der Sache ‚Südtirol‘ nicht
förderlich seien. Die Angeklagten seien deshalb auf die Idee gekommen, einen
Sprengstoffanschlag vorzunehmen, um die Öffentlichkeit auf die
Geheimverhandlungen aufmerksam zu machen.“ Konkret sei der Anschlag verübt
worden, „um dagegen zu protestieren, dass am 19.8.1966 gegen Mitternacht
zwischen Bundeskanzler Dr. Klaus und dem italien. Ministerpräsidenten Moro eine
Geheimzusammenkunft stattgefunden hat. Dabei wurde hauptsächlich die Sache
Südtirols besprochen und diese wieder benachteiligt. Um denen zu zeigen, dass
ihr Vorhaben nicht widerspruchslos zur Kenntnis genommen wird, war anfänglich
geplant, den Anschlag schon vor 24.00 Uhr durchzuführen.“ Aus
Sicherheitsgründen habe man jedoch noch abgewartet, bis das Gewitter seinen
Höhepunkt erreichte und so Gewähr gegeben war, dass es keine unschuldigen Opfer
geben würde. Später behauptete Falk, einen diesbezüglichen Tipp von einem
geheimnisvollen Unbekannten bekommen zu haben. Ein solcher Termin Klaus-Moro
findet sich im Kalendarium des Südtirol-Konflikts nicht – auch dementierte ein
Sprecher der italienischen Regierung Berichte, wonach geplant war, dass Moro in
Kürze auf Ischia mit Außenminister Lujo Tončić-Sorinj (ÖVP) zusammentreffen
würde.
Vieles blieb im
Dunkeln
Es gab allerdings
einen brisanten Termin, auf den sich der Anschlag vielleicht bezogen hat: Den
Beginn einer geheimen Sicherheitskooperation zwischen Österreich und Italien.
Am 16. August 1966 sprach der italienische Botschafter vor und unterbreitete
namens der römischen Regierung den Vorschlag „einer Zusammenkunft leitender
Sicherheitsfunktionäre“, die „möglichst bald“ stattfinden sollte. Das
Innenministerium erklärte sich dazu bereit und die italienische Seite bekundete
die Absicht, „einen Carabinierigeneral und einen Carabinierioberst“ zu
entsenden. Die weiteren Details wurden aber erst in der Ministerratssitzung am
23. August 1966, drei Tage nach dem Anschlag, besprochen. Wie dem auch sei –
die beiden Täter wurden des Verbrechens nach § 4 Sprengstoffgesetz schuldig
befunden: K. wurde zu sechs Jahren und Falk zu sieben Jahren „schweren,
verschärften Kerkers“ verurteilt. Ungereimtheiten blieben. So meinte der
Privatbeteiligtenvertreter kurz vor Prozessende, es falle ihm schwer, „nur an
die Schuld dieser beiden Angeklagten zu glauben. Er meinte, dass hinter dem
Attentat ein größerer Personenkreis stehe. Beide Angeklagten seien hinterhältig
und wollten nicht alles sagen.“
Hinweis: Anfang
2017 erscheint im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies
(JIPSS) eine Gesamtdarstellung der Frühphase von Rechtsterrorismus in
Österreich.