Samstag, 26. Dezember 2015

"Kriegserklärung an die Menschheit": Der Schwechater Flughafen-Anschlag vor 30 Jahren

Am 27. Dezember 1985 richteten Terroristen auf dem Wiener Flughafen ein Blutbad an. In der „Kronen Zeitung“ meinte Ernst Trost: „Der Terror kennt keine Grenzen, keine Neutralität, sein Kriegsschauplatz ist überall, sein Opfer kann jeder sein.“ Vertraut klingt auch der Kommentar von Thomas Chorherr in der „Presse“: „Wir haben die neue Kriegserklärung einer internationalen Mörderbande miterlebt, gerichtet an die zivilisierte Menschheit.“  Jener schrankenlose Terrorismus hatte begonnen, mit der wir auch heute konfrontiert sind.

Getroffen wurde der Ostteil des Terminals – um 9.07 Uhr war dort am Schalter 3 und 4 der Checkin für den El-Al-Flug LY 364 nach Tel Aviv voll im Gang. In unmittelbarer Nähe wurden am Schalter 7 und 8 Passagiere für einen Lauda Air-Flug nach Heraklion abgefertigt. Circa 200 Menschen waren vor Ort. Die 25jährige Romana G. hörte plötzlich „einen Krach, eine Detonation und einen Schuss. Danach viel schwarzen Rauch. Die Leute sind zu Boden gefallen oder haben sich zu Boden geworfen, das habe ich nicht unterscheiden können. Irgendjemand hat gerufen, ‚niederlegen’. Ich habe mich hinter dem Schalter versteckt. Gesehen habe ich nicht sehr viel. Ich blieb liegen, bis es ganz still war. Dann habe ich mich aufgerichtet und habe gesehen, dass viele Leute verletzt waren.“

Ein Glück im Unglück war, dass die nervösen Angreifer eine der Handgranaten geworfen hatten, ohne vorher den Splint herauszuziehen. Es waren Terroristen der berüchtigten palästinensischen Abu-Nidal-Organisation: Der 26jährige Abdel Aziz Merzoughi, der 23jährige Mongi Ben Abdollah Saadaoui und der 25jährige Tawfik Ben Ahmed Chaovali. Im Deckungsbereich eines Stiegenaufgangs griffen sie nach ihren Kalaschnikow-Sturmgewehren, die sie in Reisetaschen verborgen mitgetragen hatten. Dann feuerten sie in Richtung der sich beim El-Al-Schalter befindlichen Personen und hinauf auf die Empore, wo sich Überwachungspersonal befand. Saadaoui verschoss insgesamt ein Magazin, sein Kamerad Chavovali beide Munitionsbehälter.

Ort des Anschlags im Jahr 2010 (Foto: Autor)

Die 26jährige Elisabeth Kriegler wurde tödlich getroffen – ebenso wie der burgenländische Lehrer Eckehard Karner (50) und der 25jährige Israeli Ely Jana. Insgesamt mussten 39 Personen im Krankenhaus behandelt werden. Da man gesetzlich nur zur Einrichtung einer Erste-Hilfe-Station verpflichtet gewesen sei, gab es in Schwechat keine Rettungsstation für eine schnelle Versorgung der vielen Verletzten. Lediglich drei Krankenschwestern – eine davon im fünften Monat schwanger – standen unmittelbar zur Verfügung. Erst nach 12 Minuten nach der Schießerei kamen die ersten Ambulanzwagen aus Schwechat. Knapp vorher waren zwei Ärzte, ebenfalls von dort, zur Stelle. Es dauerte insgesamt eine Dreiviertelstunde bis alle Verletzten in Spitäler gebracht oder ärztlich behandelt worden waren.

Dass der Anschlag nicht noch weitere Opfer forderte, war vor allem der raschen Reaktion der El-Al-Sicherheitsleute zu verdanken, die mit ihren Dienstpistolen sofort zurückschossen. Während Saadaoui in die linke Brustseite getroffen wurde, erlitt Chaovali einen Bauchdurchschuss und eine Oberschenkelverletzung. Merzoughi bekam schon auf der Stiege einen Treffer in den Hals, worauf er zu Sturz kam. Einer der El-Al-Sicherheitsleute gab an, eineinhalb Magazine verschossen zu haben (ein Magazin fasst 13 Patronen): „Während ich auf die Angreifer schoss, bemerkten mich diese und schossen in meine Richtung. […] Während ich das Feuer erwiderte hatte ich den Eindruck, dass ich zumindest einen der Angreifer getroffen habe.“

Für ausreichend Polizeipräsenz am Flughafen war eigentlich gesorgt: Ein Alarmzug der Sondereinheit „Kranich“ war über das gesamte Gebäude verteilt, ferner noch drei Hundeführer. Außerdem waren mehrere Kriminalbeamte in Zivil dort postiert. Als dann die Handgranten plötzlich detonierten und die Schießerei losging, war nur ein Polizist in der Lage zurückzuschießen. Gedeckt hinter einem Pfeiler schoss der Beamte das Magazin seiner FN-Dienstwaffe auf die Angreifer leer.

Von diesem Stiegenaufgang aus eröffneten die Terroristen das Feuer (Foto: Autor)
Obgleich unkoordiniert, ließ das heftige Abwehrfeuer die Terroristen schnell den Rückzug antreten. „Woher die Schüsse kamen, weiß ich nicht“, berichtete Saadaoui später: „Doch wurde ich bereits zu diesem Zeitpunkt im Bereich der linken Brustseite von einem Projektil getroffen. Auch die beiden anderen wurden in diesem Moment durch Schüsse verletzt. Wir nahmen die Maschinenwaffen samt den Magazinen vollends aus den Reisetaschen und verzogen uns über die Treppe wieder zurück zur Ankunftshalle.“ Wie die überlebenden Attentäter später gegenüber der Polizei angaben, hatten sie eigentlich beabsichtigt, „möglichst viele Israelis umzubringen und dabei eigene Verletzungen oder gar den Tod in Kauf zu nehmen“ – „sie hätten auch mit dieser Einstellung die Tat durchgeführt, jedoch sei es in Folge von Panikreaktionen zu dem Fluchtversuch gekommen. Grundsätzlich sei eine Flucht keinesfalls vorbereitet oder auch nur geplant gewesen.“

Wie sich der langjährige Leiter der Kriminalabteilung am Flughafen Schwechat, Alfred Rupf, erinnert, hatte vor dem Anschlag niemand mit so einer Bedrohung gerechnet: „Natürlich kann jeden Tag etwas passieren. Aber konkrete Hinweise gab es keine. Es war so ähnlich wie 1975, als die OPEC-Minister entführt worden sind. Da hat ja auch vorher niemand daran geglaubt. Die Terroristen suchen sich Ziele aus, wo es am leichtesten geht und die den größtmöglichen Erfolg versprechen. Und da waren Rom und wir prädestiniert. Der Punkt, wo die El-Al abgefertigt wurde, war sehr ungünstig, weil ein Stiegenaufgang in der Nähe war, über den die Terroristen dann auch gekommen sind. Oben war eine Rampe, über die ein Fahrzeug durch die Fassade hätte krachen können. Und es gab eine Empore, von der man aus beobachten konnte, wo die Leute standen. Wir waren damals der Meinung, uniformierte Beamte wären für die Terroristen leicht auszuschalten, weshalb wir Kriminalbeamte in Zivil eingereiht haben. Was wir nicht bedacht haben, die Terroristen haben nur die Uniformierten gesehen und gedacht, es wäre einfach. Das Problem war auch, dass man in der Halle nicht zurückschießen konnte, ohne jemanden zu gefährden. Sowohl die Kriminalbeamten als auch die El Al-Sicherheitsleute hatten Kleinkaliberpistolen. Das war eine unzureichende Bewaffnung. Es hat sich gezeigt, dass die Terroristen so in Rage waren, dass sie ihre zahlreichen Verletzungen zunächst gar nicht bemerkt haben."

Die Attentäter flüchteten nun rechtsseitig durch einen Ausgang, der zum Parkplatz vor dem Sondergastraum führte. In der nahegelegenen Tiefgarage hielt Chaovali einen ihm entgegenkommenden schwarzen Mercedes an, setzte sich auf den Beifahrersitz und bedrohte den Lenker durch das Vorzeigen einer entsicherten Handgranate. „Ich nötigte ihn zu fahren und glaube dies in arabischer Sprache getan zu haben. Er setzte seine Fahrt fort, sprang aber kurz danach für mich überraschend aus dem Fahrzeug und ich rutschte infolge auf den Fahrersitz und chauffierte den Wagen weiter. Dabei hielt ich in einer Hand immer noch die entsicherte Handgranate. Nach kurzer Fahrt bemerkte ich meine beiden Mitkämpfer und nahm sie in das Fahrzeug auf.“ Man saß zu dritt auf den vorderen Sitzen – Chaovali am Steuer, Saadaoui in der Mitte und Merzoughi in der Nähe der Beifahrertür. Sie wollten das Flughafengelände so rasch als möglich verlassen, aber das gelang ihm nicht auf Anhieb – Chaovali fuhr einmal im Kreis und fand dann die Ausfahrt Richtung Nordost. Währenddessen wurden sie von der Flughafenrampe aus von den nachgeeilten El-Al-Sicherheitsleuten beschossen. Außerdem nahmen drei Polizeiwagen ihre Fährte auf und schlossen rasch auf.

Der erste Wagen wurde von Gruppeninspektor Peter P. gesteuert. Im Interview mit dem Autor schilderte er die Erlebnisse: „Ich befand mich gerade auf Streifenfahrt, da kam der Alarmruf. Zwei andere Polizeiautos waren hinter mir. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was sich abspielt. Auf der Rampe zur Abflughalle angekommen, sind mir die El-Al-Sicherheitsleute entgegengekommen. Die wollten den Terroristen schon mit ihren Privatautos nachfahren. Ich habe ihren Chef gekannt, und er ist sofort zu mir reingesprungen und hat gesagt. Go, Go!

Wir fahren die Rampe runter und da sehe ich wie ein Fahrzeug vom C-Parkplatz herauskommt und sich querstellt. Der Israeli hat gesagt: This car! This car! Die Terroristen haben auf uns das Feuer eröffnet. Warum mein Wagen nicht getroffen wurde, weiß ich nicht. Ich vermute, weil es ein verdecktes Fahrzeug ohne Blaulicht war und deshalb nicht als Polizeiauto wahrgenommen worden war. Die Terroristen sind dann weitergefahren. In der Kurve sehe ich, wie aus dem Taxi etwas rausfliegt und herumkullert. Es war eine Handgranate. Ich bin nach rechts in eine BP-Tankstelle eingebogen, um der Explosion auszuweichen.

Bei der fünf bis sechsminütigen Verfolgung auf der B9 hat ein ständiger Schusswechsel stattgefunden. Als der israelische Sicherheitsmann neben mir seine Waffe leergeschossen hatte, habe ich ihm meine FN gegeben. Auch die hat er verfeuert, inklusive Reservemagazin. Tatsache ist, dass aus meinem Wagen zusammen 50 Schuss rausgegangen sind. An dem Mercedes der Terroristen haben wir später 18 Einschüsse gezählt.

Wir sind mehrfach beschossen, weshalb ich im Zick-Zack gefahren bin. Das Gute war, die Täter sind vorne in einer Reihe gesessen und waren dementsprechend eingeengt. Außerdem hatten sie nur mehr eine Kalaschnikow. Dafür brauchte sich der Schütze nicht rauszubeugen. Er hat sich einfach umgedreht und durch die kaputte Heckscheibe gefeuert. Mein Glück war, dass die Terroristen nur mehr wenig Munition und deswegen auf Einzelfeuer umgestellt hatten. Ich habe das Mündungsfeuer immer wieder aufblitzen sehen.

Plötzlich sind die Täter stehen geblieben, und sie sind links und rechts rausgesprungen. Sie sind auf die gegenüberliegende Seite gerannt, haben zwei Fahrzeuge gestoppt und Geiseln genommen. Wir haben ebenfalls angehalten, der Israeli ist raus und war weg. Munition hatte ich keine mehr. Ich habe mich mit meinem Diensthund vorgetastet und gesehen, wie einer der Palästinenser einer Frau das Messer angehalten hat. Der andere hat die Insassen mit der Kalaschnikow bedroht. In der Zwischenzeit ist ein Mann mit einem Sturmgewehr als Verstärkung nachgekommen. Ich habe gesagt: „Gib her.“ Da steigt plötzlich der dritte, schon schwer verletzte Terrorist [Merzoughi], aus und kommt auf mich zu. Da er keine aggressive Handlung gesetzt hat, habe ich einen Feuerstoß ins Parkett reingelassen. Daraufhin ist er in die Knie gegangen. Da sehe ich, dass er in der rechten Hand eine Granate hält. Einer meiner Kollegen ist sofort nach vorne und hat den Palästinenser mit einem Tritt in die Halsgegend niedergestreckt. Fünf Minuten später war der Mann tot. Seine Mitkämpfer haben sich zur selben Zeit ergeben, sie waren von den Verletzungen geschwächt.“

Auf Nachfrage, wie er das Erlebte verkraftet habe, antwortete P.: „Sie brauchen für das Ganze ausgesuchte Leute, die eine gewisse Einstellung zu dem Beruf mitbringen. Nachdenken, was passieren kann, darf man nicht, sondern man muss reagieren, wenn es kracht und scheppert. Dafür sind wir da. Mir persönlich ist das Zimperlein erst am nächsten Tag gekommen, als das Erlebte 100fach vor mir abgelaufen ist. Ich hatte großes Glück und bin dem Tod mehr als einmal von der Schaufel gesprungen.“

Die genauen Hintergründe des Schwechater Anschlags sind bis heute nicht wirklich geklärt. Am selben Tag des Schwechater Anschlags griff ein weiteres Abu-Nidal-Kommando den Flughafen Rom an. Hier verübten die Terroristen ein wahres Massaker. Es gab 16 Tote und 99 Verletzte, vor allem US-Passagieren gegolten. Von daher lag ein Zusammenhang mit akuten Spannungen zwischen der Reagan-Administration und dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi auf der Hand. Letzterer galt als Sponsor von Terroristen wie Abu Nidal, war aber dem österreichischen Altbundeskanzler Bruno Kreisky freundschaftlich verbunden. Wie passte da die Tragödie von Schwechat ins Bild? Antworten gibt ein Dokument in der Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Demnach gab es „hausgemachte“ Gründe: Und zwar hatte Abu Nidal schon 1981 Terror in Österreich verbreitet. Der Wiener Verkehrsstadtrat Heinz Nittel wurde vor seiner Wohnung erschossen; wenige Monate später wurde die Wiener Synagoge überfallen. Es gab zwei Tote und 21 Verletzte. Grund dafür war Kreiskys Unterstützung für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), von der sich der radikale Abu Nidal abgespalten hatte. Zwei Killer und der „Führungsoffizier“ Bahij Y. konnten verhaftet werden. Vor allem letzteren wollte Abu Nidal freibekommen. Als Geheimverhandlungen Ende 1985 zu nichts führten, drohte seine Organisation mit Vergeltung.

Das veranlasste Kreisky, sich persönlich einzuschalten. Am 12. Dezember 1985, etwas mehr als zwei Wochen vor dem Anschlag in Schwechat, rief er einen Vertrauten an – den damaligen OECD-Botschafter in Paris, Georg Lennkh. Diesen beauftragte er mit einer streng vertraulichen Mission – nämlich Abu Nidals „Dienstherrn“ Gaddafi um Hilfe zu bitten. Das Treffen fand am 16. Dezember 1985 um 11.15 Uhr statt – nicht wie üblich im Beduinenzelt des Staatschefs, sondern im Tiefparterre einer Kaserne in Tripolis. Gaddafi erschien im „olivgrünen Fliegerkampfanzug“. Lennkh bat ihn laut Gesprächsnotiz, „seinen Einfluss geltend zu machen“. Ansonsten würde sich der als palästinenserfreundlich geltende Kreisky in einer „schwierigen Situation“ wiederfinden und kaum mehr im Nahostkonflikt Partei ergreifen können – „aber auch die österr. Bundesregierung befinde sich in einer gefährlichen Lage […].“ Dieser versprach, alles zu unternehmen, „was in seiner Macht stehe“.

Der Anschlag ereignete sich trotzdem. Anfang Jänner 1986 – wenige Tage nach den Schüssen in Schwechat – erhielt Kreisky eine „Botschaft der libysch-arabischen Führung“. Darin stand zu lesen: „Als ihr Gesandter österreichische Informationen überbracht hatte, dass die Gruppe Abu Nidal Anschläge in Wien plant, sind wir unmittelbar danach von dem Ereignis auf dem Wiener Flughafen überrascht worden, bevor ein Kontakt mit ihm zustande gebracht werden konnte.“ Tatsächlich hatten sich die Terroristen vom syrischen Bekaa-Tal aus auf den Weg gemacht. Denn auch das Regime von Hafiz al-Assad zählte damals zu den Unterstützern von Abu Nidal. Wien hatten die Attentäter erst wenige Tage vor dem Anschlag erreicht – daher war es gut möglich, dass sie nicht mehr zurückzupfeifen waren.