Samstag, 26. Dezember 2015

"Kriegserklärung an die Menschheit": Der Schwechater Flughafen-Anschlag vor 30 Jahren

Am 27. Dezember 1985 richteten Terroristen auf dem Wiener Flughafen ein Blutbad an. In der „Kronen Zeitung“ meinte Ernst Trost: „Der Terror kennt keine Grenzen, keine Neutralität, sein Kriegsschauplatz ist überall, sein Opfer kann jeder sein.“ Vertraut klingt auch der Kommentar von Thomas Chorherr in der „Presse“: „Wir haben die neue Kriegserklärung einer internationalen Mörderbande miterlebt, gerichtet an die zivilisierte Menschheit.“  Jener schrankenlose Terrorismus hatte begonnen, mit der wir auch heute konfrontiert sind.

Getroffen wurde der Ostteil des Terminals – um 9.07 Uhr war dort am Schalter 3 und 4 der Checkin für den El-Al-Flug LY 364 nach Tel Aviv voll im Gang. In unmittelbarer Nähe wurden am Schalter 7 und 8 Passagiere für einen Lauda Air-Flug nach Heraklion abgefertigt. Circa 200 Menschen waren vor Ort. Die 25jährige Romana G. hörte plötzlich „einen Krach, eine Detonation und einen Schuss. Danach viel schwarzen Rauch. Die Leute sind zu Boden gefallen oder haben sich zu Boden geworfen, das habe ich nicht unterscheiden können. Irgendjemand hat gerufen, ‚niederlegen’. Ich habe mich hinter dem Schalter versteckt. Gesehen habe ich nicht sehr viel. Ich blieb liegen, bis es ganz still war. Dann habe ich mich aufgerichtet und habe gesehen, dass viele Leute verletzt waren.“

Ein Glück im Unglück war, dass die nervösen Angreifer eine der Handgranaten geworfen hatten, ohne vorher den Splint herauszuziehen. Es waren Terroristen der berüchtigten palästinensischen Abu-Nidal-Organisation: Der 26jährige Abdel Aziz Merzoughi, der 23jährige Mongi Ben Abdollah Saadaoui und der 25jährige Tawfik Ben Ahmed Chaovali. Im Deckungsbereich eines Stiegenaufgangs griffen sie nach ihren Kalaschnikow-Sturmgewehren, die sie in Reisetaschen verborgen mitgetragen hatten. Dann feuerten sie in Richtung der sich beim El-Al-Schalter befindlichen Personen und hinauf auf die Empore, wo sich Überwachungspersonal befand. Saadaoui verschoss insgesamt ein Magazin, sein Kamerad Chavovali beide Munitionsbehälter.

Ort des Anschlags im Jahr 2010 (Foto: Autor)

Die 26jährige Elisabeth Kriegler wurde tödlich getroffen – ebenso wie der burgenländische Lehrer Eckehard Karner (50) und der 25jährige Israeli Ely Jana. Insgesamt mussten 39 Personen im Krankenhaus behandelt werden. Da man gesetzlich nur zur Einrichtung einer Erste-Hilfe-Station verpflichtet gewesen sei, gab es in Schwechat keine Rettungsstation für eine schnelle Versorgung der vielen Verletzten. Lediglich drei Krankenschwestern – eine davon im fünften Monat schwanger – standen unmittelbar zur Verfügung. Erst nach 12 Minuten nach der Schießerei kamen die ersten Ambulanzwagen aus Schwechat. Knapp vorher waren zwei Ärzte, ebenfalls von dort, zur Stelle. Es dauerte insgesamt eine Dreiviertelstunde bis alle Verletzten in Spitäler gebracht oder ärztlich behandelt worden waren.

Dass der Anschlag nicht noch weitere Opfer forderte, war vor allem der raschen Reaktion der El-Al-Sicherheitsleute zu verdanken, die mit ihren Dienstpistolen sofort zurückschossen. Während Saadaoui in die linke Brustseite getroffen wurde, erlitt Chaovali einen Bauchdurchschuss und eine Oberschenkelverletzung. Merzoughi bekam schon auf der Stiege einen Treffer in den Hals, worauf er zu Sturz kam. Einer der El-Al-Sicherheitsleute gab an, eineinhalb Magazine verschossen zu haben (ein Magazin fasst 13 Patronen): „Während ich auf die Angreifer schoss, bemerkten mich diese und schossen in meine Richtung. […] Während ich das Feuer erwiderte hatte ich den Eindruck, dass ich zumindest einen der Angreifer getroffen habe.“

Für ausreichend Polizeipräsenz am Flughafen war eigentlich gesorgt: Ein Alarmzug der Sondereinheit „Kranich“ war über das gesamte Gebäude verteilt, ferner noch drei Hundeführer. Außerdem waren mehrere Kriminalbeamte in Zivil dort postiert. Als dann die Handgranten plötzlich detonierten und die Schießerei losging, war nur ein Polizist in der Lage zurückzuschießen. Gedeckt hinter einem Pfeiler schoss der Beamte das Magazin seiner FN-Dienstwaffe auf die Angreifer leer.

Von diesem Stiegenaufgang aus eröffneten die Terroristen das Feuer (Foto: Autor)
Obgleich unkoordiniert, ließ das heftige Abwehrfeuer die Terroristen schnell den Rückzug antreten. „Woher die Schüsse kamen, weiß ich nicht“, berichtete Saadaoui später: „Doch wurde ich bereits zu diesem Zeitpunkt im Bereich der linken Brustseite von einem Projektil getroffen. Auch die beiden anderen wurden in diesem Moment durch Schüsse verletzt. Wir nahmen die Maschinenwaffen samt den Magazinen vollends aus den Reisetaschen und verzogen uns über die Treppe wieder zurück zur Ankunftshalle.“ Wie die überlebenden Attentäter später gegenüber der Polizei angaben, hatten sie eigentlich beabsichtigt, „möglichst viele Israelis umzubringen und dabei eigene Verletzungen oder gar den Tod in Kauf zu nehmen“ – „sie hätten auch mit dieser Einstellung die Tat durchgeführt, jedoch sei es in Folge von Panikreaktionen zu dem Fluchtversuch gekommen. Grundsätzlich sei eine Flucht keinesfalls vorbereitet oder auch nur geplant gewesen.“

Wie sich der langjährige Leiter der Kriminalabteilung am Flughafen Schwechat, Alfred Rupf, erinnert, hatte vor dem Anschlag niemand mit so einer Bedrohung gerechnet: „Natürlich kann jeden Tag etwas passieren. Aber konkrete Hinweise gab es keine. Es war so ähnlich wie 1975, als die OPEC-Minister entführt worden sind. Da hat ja auch vorher niemand daran geglaubt. Die Terroristen suchen sich Ziele aus, wo es am leichtesten geht und die den größtmöglichen Erfolg versprechen. Und da waren Rom und wir prädestiniert. Der Punkt, wo die El-Al abgefertigt wurde, war sehr ungünstig, weil ein Stiegenaufgang in der Nähe war, über den die Terroristen dann auch gekommen sind. Oben war eine Rampe, über die ein Fahrzeug durch die Fassade hätte krachen können. Und es gab eine Empore, von der man aus beobachten konnte, wo die Leute standen. Wir waren damals der Meinung, uniformierte Beamte wären für die Terroristen leicht auszuschalten, weshalb wir Kriminalbeamte in Zivil eingereiht haben. Was wir nicht bedacht haben, die Terroristen haben nur die Uniformierten gesehen und gedacht, es wäre einfach. Das Problem war auch, dass man in der Halle nicht zurückschießen konnte, ohne jemanden zu gefährden. Sowohl die Kriminalbeamten als auch die El Al-Sicherheitsleute hatten Kleinkaliberpistolen. Das war eine unzureichende Bewaffnung. Es hat sich gezeigt, dass die Terroristen so in Rage waren, dass sie ihre zahlreichen Verletzungen zunächst gar nicht bemerkt haben."

Die Attentäter flüchteten nun rechtsseitig durch einen Ausgang, der zum Parkplatz vor dem Sondergastraum führte. In der nahegelegenen Tiefgarage hielt Chaovali einen ihm entgegenkommenden schwarzen Mercedes an, setzte sich auf den Beifahrersitz und bedrohte den Lenker durch das Vorzeigen einer entsicherten Handgranate. „Ich nötigte ihn zu fahren und glaube dies in arabischer Sprache getan zu haben. Er setzte seine Fahrt fort, sprang aber kurz danach für mich überraschend aus dem Fahrzeug und ich rutschte infolge auf den Fahrersitz und chauffierte den Wagen weiter. Dabei hielt ich in einer Hand immer noch die entsicherte Handgranate. Nach kurzer Fahrt bemerkte ich meine beiden Mitkämpfer und nahm sie in das Fahrzeug auf.“ Man saß zu dritt auf den vorderen Sitzen – Chaovali am Steuer, Saadaoui in der Mitte und Merzoughi in der Nähe der Beifahrertür. Sie wollten das Flughafengelände so rasch als möglich verlassen, aber das gelang ihm nicht auf Anhieb – Chaovali fuhr einmal im Kreis und fand dann die Ausfahrt Richtung Nordost. Währenddessen wurden sie von der Flughafenrampe aus von den nachgeeilten El-Al-Sicherheitsleuten beschossen. Außerdem nahmen drei Polizeiwagen ihre Fährte auf und schlossen rasch auf.

Der erste Wagen wurde von Gruppeninspektor Peter P. gesteuert. Im Interview mit dem Autor schilderte er die Erlebnisse: „Ich befand mich gerade auf Streifenfahrt, da kam der Alarmruf. Zwei andere Polizeiautos waren hinter mir. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was sich abspielt. Auf der Rampe zur Abflughalle angekommen, sind mir die El-Al-Sicherheitsleute entgegengekommen. Die wollten den Terroristen schon mit ihren Privatautos nachfahren. Ich habe ihren Chef gekannt, und er ist sofort zu mir reingesprungen und hat gesagt. Go, Go!

Wir fahren die Rampe runter und da sehe ich wie ein Fahrzeug vom C-Parkplatz herauskommt und sich querstellt. Der Israeli hat gesagt: This car! This car! Die Terroristen haben auf uns das Feuer eröffnet. Warum mein Wagen nicht getroffen wurde, weiß ich nicht. Ich vermute, weil es ein verdecktes Fahrzeug ohne Blaulicht war und deshalb nicht als Polizeiauto wahrgenommen worden war. Die Terroristen sind dann weitergefahren. In der Kurve sehe ich, wie aus dem Taxi etwas rausfliegt und herumkullert. Es war eine Handgranate. Ich bin nach rechts in eine BP-Tankstelle eingebogen, um der Explosion auszuweichen.

Bei der fünf bis sechsminütigen Verfolgung auf der B9 hat ein ständiger Schusswechsel stattgefunden. Als der israelische Sicherheitsmann neben mir seine Waffe leergeschossen hatte, habe ich ihm meine FN gegeben. Auch die hat er verfeuert, inklusive Reservemagazin. Tatsache ist, dass aus meinem Wagen zusammen 50 Schuss rausgegangen sind. An dem Mercedes der Terroristen haben wir später 18 Einschüsse gezählt.

Wir sind mehrfach beschossen, weshalb ich im Zick-Zack gefahren bin. Das Gute war, die Täter sind vorne in einer Reihe gesessen und waren dementsprechend eingeengt. Außerdem hatten sie nur mehr eine Kalaschnikow. Dafür brauchte sich der Schütze nicht rauszubeugen. Er hat sich einfach umgedreht und durch die kaputte Heckscheibe gefeuert. Mein Glück war, dass die Terroristen nur mehr wenig Munition und deswegen auf Einzelfeuer umgestellt hatten. Ich habe das Mündungsfeuer immer wieder aufblitzen sehen.

Plötzlich sind die Täter stehen geblieben, und sie sind links und rechts rausgesprungen. Sie sind auf die gegenüberliegende Seite gerannt, haben zwei Fahrzeuge gestoppt und Geiseln genommen. Wir haben ebenfalls angehalten, der Israeli ist raus und war weg. Munition hatte ich keine mehr. Ich habe mich mit meinem Diensthund vorgetastet und gesehen, wie einer der Palästinenser einer Frau das Messer angehalten hat. Der andere hat die Insassen mit der Kalaschnikow bedroht. In der Zwischenzeit ist ein Mann mit einem Sturmgewehr als Verstärkung nachgekommen. Ich habe gesagt: „Gib her.“ Da steigt plötzlich der dritte, schon schwer verletzte Terrorist [Merzoughi], aus und kommt auf mich zu. Da er keine aggressive Handlung gesetzt hat, habe ich einen Feuerstoß ins Parkett reingelassen. Daraufhin ist er in die Knie gegangen. Da sehe ich, dass er in der rechten Hand eine Granate hält. Einer meiner Kollegen ist sofort nach vorne und hat den Palästinenser mit einem Tritt in die Halsgegend niedergestreckt. Fünf Minuten später war der Mann tot. Seine Mitkämpfer haben sich zur selben Zeit ergeben, sie waren von den Verletzungen geschwächt.“

Auf Nachfrage, wie er das Erlebte verkraftet habe, antwortete P.: „Sie brauchen für das Ganze ausgesuchte Leute, die eine gewisse Einstellung zu dem Beruf mitbringen. Nachdenken, was passieren kann, darf man nicht, sondern man muss reagieren, wenn es kracht und scheppert. Dafür sind wir da. Mir persönlich ist das Zimperlein erst am nächsten Tag gekommen, als das Erlebte 100fach vor mir abgelaufen ist. Ich hatte großes Glück und bin dem Tod mehr als einmal von der Schaufel gesprungen.“

Die genauen Hintergründe des Schwechater Anschlags sind bis heute nicht wirklich geklärt. Am selben Tag des Schwechater Anschlags griff ein weiteres Abu-Nidal-Kommando den Flughafen Rom an. Hier verübten die Terroristen ein wahres Massaker. Es gab 16 Tote und 99 Verletzte, vor allem US-Passagieren gegolten. Von daher lag ein Zusammenhang mit akuten Spannungen zwischen der Reagan-Administration und dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi auf der Hand. Letzterer galt als Sponsor von Terroristen wie Abu Nidal, war aber dem österreichischen Altbundeskanzler Bruno Kreisky freundschaftlich verbunden. Wie passte da die Tragödie von Schwechat ins Bild? Antworten gibt ein Dokument in der Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Demnach gab es „hausgemachte“ Gründe: Und zwar hatte Abu Nidal schon 1981 Terror in Österreich verbreitet. Der Wiener Verkehrsstadtrat Heinz Nittel wurde vor seiner Wohnung erschossen; wenige Monate später wurde die Wiener Synagoge überfallen. Es gab zwei Tote und 21 Verletzte. Grund dafür war Kreiskys Unterstützung für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), von der sich der radikale Abu Nidal abgespalten hatte. Zwei Killer und der „Führungsoffizier“ Bahij Y. konnten verhaftet werden. Vor allem letzteren wollte Abu Nidal freibekommen. Als Geheimverhandlungen Ende 1985 zu nichts führten, drohte seine Organisation mit Vergeltung.

Das veranlasste Kreisky, sich persönlich einzuschalten. Am 12. Dezember 1985, etwas mehr als zwei Wochen vor dem Anschlag in Schwechat, rief er einen Vertrauten an – den damaligen OECD-Botschafter in Paris, Georg Lennkh. Diesen beauftragte er mit einer streng vertraulichen Mission – nämlich Abu Nidals „Dienstherrn“ Gaddafi um Hilfe zu bitten. Das Treffen fand am 16. Dezember 1985 um 11.15 Uhr statt – nicht wie üblich im Beduinenzelt des Staatschefs, sondern im Tiefparterre einer Kaserne in Tripolis. Gaddafi erschien im „olivgrünen Fliegerkampfanzug“. Lennkh bat ihn laut Gesprächsnotiz, „seinen Einfluss geltend zu machen“. Ansonsten würde sich der als palästinenserfreundlich geltende Kreisky in einer „schwierigen Situation“ wiederfinden und kaum mehr im Nahostkonflikt Partei ergreifen können – „aber auch die österr. Bundesregierung befinde sich in einer gefährlichen Lage […].“ Dieser versprach, alles zu unternehmen, „was in seiner Macht stehe“.

Der Anschlag ereignete sich trotzdem. Anfang Jänner 1986 – wenige Tage nach den Schüssen in Schwechat – erhielt Kreisky eine „Botschaft der libysch-arabischen Führung“. Darin stand zu lesen: „Als ihr Gesandter österreichische Informationen überbracht hatte, dass die Gruppe Abu Nidal Anschläge in Wien plant, sind wir unmittelbar danach von dem Ereignis auf dem Wiener Flughafen überrascht worden, bevor ein Kontakt mit ihm zustande gebracht werden konnte.“ Tatsächlich hatten sich die Terroristen vom syrischen Bekaa-Tal aus auf den Weg gemacht. Denn auch das Regime von Hafiz al-Assad zählte damals zu den Unterstützern von Abu Nidal. Wien hatten die Attentäter erst wenige Tage vor dem Anschlag erreicht – daher war es gut möglich, dass sie nicht mehr zurückzupfeifen waren. 

Montag, 21. Dezember 2015

Tage des Schreckens: 40 Jahre nach der OPEC-Geiselnahme in Wien

Nie zuvor und nie wieder danach befanden sich so viele hochrangige Politiker in den Händen von Terroristen: Die Geiselnahme während der Ministerkonferenz der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) in Wien am 21. Dezember 1975 nimmt bis heute eine Sonderstellung in der Geschichte des modernen Terrorismus ein. Ein sechsköpfiges Kommando, angeführt von dem damals 26jährigen Venezolaner Ilich Ramirez Sanchez (besser bekannt als „Carlos“), hatte insgesamt 62 Geiseln genommen, darunter 11 Erdölminister. Es gab drei Tote zu beklagen – einen österreichischen Polizisten, einen irakischen Leibwächter und einen libyschen Delegierten. Bundeskanzler Bruno Kreisky handelte schließlich die Ausreise des Terrorkommandos und eines Teils der Geiseln nach Algerien aus, wo die Minister nach einem nervenaufreibenden Hin- und Herflug zwischen Tripolis und Algier am 23. Dezember 1975 auch freikamen. Der „Coup“ von Wien erregte damals weltweite Aufmerksamkeit. Kürzlich meinte der Journalist und zeitweilige Agent des Bundesnachrichtendiensts (BND), Wilhelm Dietl: „Der Terroranschlag auf die OPEC-Konferenz war eine der größten Medienkampagnen aller Zeiten – also, man kann das vergleichen mit 9/11.“

Ehemaliger Sitz des OPEC-Generalsekretariats (Foto: Autor)
 Die OPEC-Geiselnahme war eine bedeutende Wegmarke in der Entwicklung moderner terroristischer Gewalt: Im Unterschied zum „älteren“ Terrorismus mit seinen primär nationalen Bezügen wurde der Anschlag in Wien transnational vorbereitet, organisiert und durchgeführt. Verantwortlich zeichnete das PLFP-Special Command, eine palästinensische Splittergruppe unter dem Kommando von Wadi Haddad, der heute als „Pate“ des modernen Terrorismus gilt. Neben Carlos und zwei eigenen Leuten hatte Haddad zwei deutsche Linksextremisten – Gabriele Kröcher-Tiedemann und Hans Joachim-Klein – angeworben. Hinzu kam noch Carlos Stellvertreter Anis Naccache, der eigentlich zur „Fatah“ von Jassir Arafat gehörte und diese insgeheim auf dem Laufenden hielt. Haddad wollte mit der Aktion mediale Aufmerksamkeit auf das „Palästinenserproblem“ lenken. Noch wichtiger waren allerdings geheime Machenschaften: Einerseits ging es um Geldbeschaffung, andererseits war die Geiselnahme eine Folge des Machtkampfes innerhalb der OPEC. Denn der eigentliche Auftraggeber und Initiator war der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi. Dieser wollte die Preispolitik des Kartells beeinflussen und benutzte Haddads PLFP-Special Command als Stellvertreterstreitmacht, um Druck auf seine Gegner – Saudi-Arabien und den Iran –auszuüben.

Das Terrorkommando kam mit der Straßenbahn
Kurz vor 11.30 Uhr langten die Terroristen mit der Ring-Straßenbahn fast direkt vor den Sitz des OPEC-Generalsekretariats am Dr. Karl-Lueger-Ring Nr. 10 (seit 2012 Universitätsring) an. Gut, dass die Tram an diesem Sonntagvormittag fast leer war. Denn die Gruppe bot ein „lustiges Bild“, erinnerte sich Hans Joachim-Klein: Carlos mit seinen lateinamerikanischen Zügen und der in Wien gekauften Baskenmütze auf dem Kopf, der kleingewachsene „Jussef“, ein „Vollblutaraber“, und der Rest in dicken Jacken, um darunter Waffen zu verbergen: „Wir konnten uns deshalb kaum bewegen, und genauso sah es aus.“ In Adidas-Sporttaschen wurden Maschinenpistolen, Handgranaten, Plastiksprengstoff, Sprengkapseln und für jeden eine Packung Amphetamine zum Wachbleiben mitgeführt. Es war also kein Wunder, dass nicht nur der Schaffner „guckte“.

Die OPEC war im Juli 1965 von Genf nach Wien übersiedelt – man hatte sich in den ersten zwei Stockwerken eines Hochhauses direkt gegenüber der Hauptuniversität eingemietet. Die Ministerkonferenz war bereits seit einer Stunde im Gange. Da am Ergebnis der Besprechungen großes Medieninteresse herrschte, befanden sich ca. 30 Journalisten vor Ort. Das machte die Situation vor dem Gebäude und im Hausflur „sehr unübersichtlich“ und erleichterte den Terroristen ihr Vorgehen. Vor allem spielte ihnen in die Hände, dass die Sicherheitsvorkehrungen generell lax gehandhabt wurden. Bundeskanzler Kreisky räumte Anfang 1976 vor dem Nationalrat ein, dass man auf österreichischer Seite einen „entscheidenden Fehler“ gemacht habe: Die OPEC wurde für die am „wenigsten gefährdete Institution“ gehalten, weil damals bereits bekannt war, dass einige der Mitgliedsstaaten zu den Förderern des internationalen Terrorismus zählten. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Organisation – auch sie selber kam übrigens zu dem Schluss – kein Sicherheitsrisiko darstellt. Da haben wir geirrt“, so Kreisky.

Heutige Ansicht des Foyers (Foto: Autor)
An jenem Sonntagvormittag war direkt vor dem Eingang in das OPEC-Gebäude ein einzelner Polizeibeamter positioniert, der aber nur die Zu- und Abfahrt regelte. In den Räumlichkeiten der OPEC versahen zwei Staatspolizisten Dienst: Der 60jährige Anton Tichler, der zwei Monate vor der Pensionierung stand und der 59jährige Josef Janda. Die Anweisung an sie lautete, im Gefahrenfall möglichst nicht von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, sondern Meldung zu machen. Mit Funkgeräten dafür waren sie allerdings nicht ausgestattet. Der einzige zusätzliche Sicherheitsmann, ein gebürtiger Iraker, war bei der OPEC beschäftigt und versah den Dienst unbewaffnet.

„Is the conference still working?“
Unter den genannten Gegebenheiten war es für die Terroristen ein leichtes, ein Treffen von hochrangigen – teils hochgefährdeten – Persönlichkeiten zu überfallen. An dem Posten vor dem Gebäude war das Kommando zielstrebig vorbeigegangen: „Die Herrschaften haben freundlich gegrüßt, ich glaube, sie haben Grüß Gott gesagt oder Guten Tag, Herr Inspektor. Ich hatte keinen Auftrag, die Leute zu kontrollieren. Das ist ja auch so schnell gegangen.“ Im Foyer passierten die Terroristen dann eine wartende Journalistenrunde. Jemand fragte: „Is the conference still working?“ Ein französischer Reporter erinnerte sich: „Ich habe gesagt: ‚Ja’; da sind sie hineingegangen, und einige Sekunden später habe ich Schüsse gehört.“ Im Konferenzsaal dachte der saudische Erdölminister Ahmed Yamani zuerst, die unbekannten Angreifer müssten Europäer sein, die gewaltsam gegen die Erhöhung der Ölpreise protestierten: „Ich dachte, sie kommen, um an uns Rache zu nehmen.“

Im Stiegenhaus des ehemaligen OPEC-Gebäudes (Foto: Autor)
Der genaue Ablauf der nachfolgenden Ereignisse ist bis heute umstritten – fest steht nur, dass es den Terroristen gelang, die Räumlichkeiten unter ihre Kontrolle zu bekommen und dabei 62 Geiseln – darunter 11 Erdölminister – zu nehmen. Die Attacke wurde brutal durchgeführt. Wovon mit einiger Sicherheit ausgegangen werden kann, ist, dass „Nada“ – also Gabriele Kröcher-Tiedemann – den Staatspolizisten Tichler erschoss, als dieser Hilfe holen wollte. Laut Zeugenaussagen tötete Kröcher-Tiedemann kurz darauf auch den Leibwächter des irakischen Erdölministers Saces al Khafazi. Dieser hatte die zierliche Frau in ein Handgemenge verwickelt. Die Leiche des dritten Opfers – das libysche Delegationsmitglied Jussuf Izmirili – wurde erst im Zuge der Tatbestandsaufnahme am 22. Dezember 1975 im Zimmer Nr. 105 aufgefunden. Der Vater zweier kleiner Kinder war durch zwei Einschüsse in den Kopf und fünf Einschüsse in den Rücken getötet worden. In diesem Fall war Carlos der Täter – als er das Bürozimmer kontrollieren wollte, hatte er sich plötzlich Izmirili gegenüber gesehen und nach einer kurzen Rangelei geschossen.

„Das war eine Anti-Geisel-Truppe“
Insgesamt drei Notrufe waren aus dem OPEC-Gebäude abgesetzt worden. Um 11.50 Uhr traf das Einsatzkommando (EKO) der Bundespolizeidirektion Wien am Schauplatz ein. Das EKO bestand gerade einmal aus acht Beamten, die mit Stahlhelmen aus Wehrmachtsbeständen, Maschinenpistolen und zwei schusssicheren Westen ausgerüstet waren. Es handelte sich durchwegs um ältere, beleibte Männer. Man hatte sie bewusst ausgewählt, weil sie als erfahren galten. Deshalb würden sie in gefährlichen Situationen ruhig bleiben und nicht gleich den Abzug ihrer Waffe bedienen. Moderne Bedrohungen wie Geiselnahmen durch Terroristen hatten bei der Konzeption des EKO noch keine Rolle gespielt.

Die Polizisten stürmten über die Treppe in den ersten Stock und versuchten von dort aus in das Foyer einzudringen. Angeführt wurden sie von dem 52jährigen Großvater und zu 42 Prozent kriegsversehrten Kurt Leopolder. Bei ihrem Vorgehen machten die Polizisten solchen Lärm, dass die Geiselnehmer auf den Vorstoß längst vorbereitet waren. Terrorist Klein nannte sie später in seinen Memoiren „Wiener Djangos“: „Das war keine Anti-Terrorismus-Truppe, das war eine Anti-Geisel-Truppe mit Suizidabsichten.“ Beim anschließenden kurzen, aber intensiven Feuergefecht erhielt Klein einen Bauchschuss, während Leopolder einen Treffer im Gesäß abbekam („In Oasch hobn’s mi gschossn. Oba den Hund hob i dawischt“). Der Polizist sollte sich von der Verletzung nicht mehr erholen und blieb teilweise gelähmt. 1976 bekam Leopolder eine Medaille, 5.000 Schilling Überbrückungshilfe und wurde pensioniert. Die OPEC bezahlte ihm monatlich 2.600 Schilling. Am 15. Juli 1984 verstarb er 61jährig an den Spätfolgen. Weitere Vorstöße unterblieben. 

Die Polizei beschränkte sich infolge darauf, das Gebäude hermetisch abzuriegeln. Das war auch notwendig, denn in unmittelbarer Nähe versammelten sich rasch mehrere Hundert Schaulustige. Ein anwesender Reporter von „profil“ registrierte bald gereizte Stimmung: „Die Kälte macht die Menge unruhig und ungläubig. Ein Schreier meint: ‚Vielleicht san de hinten bei dem Haus wieda außegangan und mir woatn umasunst.“ Bei einer anderen Absperrung bei der Mölkerbastei schwang ein weißhaariger Mann große Reden: „Geht’s loßts mi durch, damit endlich a Ruah is. I wor bei de Husarn. I weiß, wie mas mocht.“

Schauplatz des Feuergefechts zwischen Terroristen und Polizei (Foto: Autor)
„Das Spiel der Mächtigen“
Um 16.27 Uhr – fanden sich im Bundeskanzleramt die Mitglieder der Bundesregierung zu einem „Sonderministerrat“ ein. Kreisky befand sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Rückreise aus seinem Winterurlaub, den er eben erst angetreten hatte: Am Morgen des 21. Dezember 1975 war er mit dem Schlafwagen aus Wien in Lech am Arlberg eingetroffen. Kaum hatte er sich dort zum Frühstück gesetzt, kam ein Anruf. Es war Pressesprecher Johannes Kunz, der über die Ereignisse informierte. „Da hab ich mir halt gleich einen Hubschrauber bestellt und bin nach Salzburg geflogen. Die Dinger sind ja saukalt, und laut war’s auch und windig. Dös is nix für mich mit so nem Radl in der Luft. Von da bin ich mit einer richtigen Maschine nach Wien geflogen. Der Urlaub jedenfalls war hin“, erzählte Kreisky später einem Reporter des „Stern“.

Gleich zu Beginn wurde der „Sonderministerrat“ informiert, dass anders als ursprünglich entschieden, die Vorstellung „Das Spiel der Mächtigen“ wie geplant stattfinden könne – weil das Burgtheater weit genug vom Tatort entfernt sei. Dringender stand eine andere Frage im Raum: Sollte das Kommuniqué der Geiselnehmer wie gefordert über den ORF veröffentlicht werden? Kreisky wurde nicht vor 18.00 Uhr zurückerwartet und man wollte seine Ankunft eigentlich abwarten. Die Forderung der Terroristen lautete aber, ihre Botschaft müsse um 17.30 Uhr gesendet werden – ansonsten würden weitere Menschen sterben. Herta Firnberg war schließlich die erste, die offen ihre Meinung sagte: „Ich bin dafür, dass die Proklamation im ORF verlesen wird.“ Und so geschah es auch – mit etwas Verzögerung ging Kreiskys Kabinettschef Friedrich Gehart um 18.22 Uhr auf den Radioprogrammen Ö1 und Ö3 auf Sendung und verlas den in Französisch abgefassten Text, was fast zwanzig Minuten dauerte. Ansonsten verlangten die Terroristen, dass am Folgetag um 07.00 Uhr eine DC-9 bereitstehen solle. Ein Bus mit geschlossenen Vorhängen müsse sie und die Geiseln zum Flughafen bringen.

In der Zwischenzeit war Kreisky eingetroffen und wurde im Bundeskanzleramt von einem Knäuel von Journalisten empfangen. „Wie sehen Sie die Lage?“, wurde der Bundeskanzler gefragt. Dutzende Mikrophone waren auf ihn gerichtet, während Staatspolizisten mühsam einen Weg bahnten. „Ich muss erst prüfen“, hieß es von Kreisky kurz, dann verschwand er im Sitzungssaal. Dort gab er die Linie vor: „Ich möchte […] jetzt schon sagen, dass es für mich klar ist, dass morgen früh alle ausgeflogen werden. Eine andere Lösung hat überhaupt keinen Sinn. Wie sollte die denn ausschauen? Was will man noch riskieren?“ Als Zieldestination für die Terroristen kam bereits Algerien in Betracht: Außenminister Abd al-Aziz Bouteflika hatte sich „zu einem frühen Zeitpunkt“ aus Paris gemeldet und Landegenehmigung erteilt. Auf Basis der Gegebenheiten umriss Kreisky die weitere strategische Vorgangsweise: „Erstens müssen die Geiseln ihrer Teilnahme an dieser Expedition zustimmen. Zweitens steht als Ort der Destination Algerien fest und drittens werden die österreichischen Staatsbürger freigelassen.“ Die Tatsache, dass das OPEC-Generalsekretariat exterritoriales Gelände war, ermöglichte es Kreisky die Krise zu „internationalisieren“. Durch Einbeziehung der diplomatischen Vertreter der OPEC-Mitgliedstaaten wurde die Verantwortung für das Leben der Geiseln möglichst breit gestreut und so Druck von Österreich weggenommen.

Der ehemalige Konferenzsaal, in dem die Geiseln festgehalten wurden (Foto: Autor)
Die praktischen Details der Abwicklung der Geiselkrise hielt die Runde bis spätnachts in Atem. Hinsichtlich des Transports zum Flughafen Schwechat war es nicht so leicht, den Bus mit Vorhängen zu beschaffen. Der Generaldirektor der Post, Alfred Schlegel, erklärte Verkehrsminister Erwin Lanc, keinen solchen Bus zu haben: „Meine Antwort darauf: dann lassen sie halt welche montieren – und wenn sie es selber machen müssen. Und so geschah es.“ Außerdem musste das Schicksal des im Wiener AKH schwer verletzt liegenden Terroristen Klein in die Überlegungen miteinbezogen werden. Carlos hatte ultimativ seine Mit-Ausreise am nächsten Tag gefordert, obwohl dies nach Auskünften der Ärzte für den jungen Mann den Tod bedeutete. Kleins Zustand stabilisierte sich schließlich und der kurdische Arzt Wiriya Rawenduzy erklärte sich bereit, den Verletzten während des Flugs nach Algier zu betreuen. Die Sauerstoff-Flaschen, die man für das Beatmungsgerät mit an Bord nehmen musste, waren alles andere als ungefährlich: Im Grunde war damit eine „Sechshunderter-Sauerstoffbombe“ an Bord, wie die AUA warnte.

„Mehr erreicht, als angenommen“
Nach Mitternacht stellte Kreisky fest, dass alle notwendigen Vorkehrungen getroffen waren. Auch die Botschafter der OPEC-Staaten hatten noch einmal, jeder auf seine Art, eine Erklärung abgegeben, „in der sie sich ihrerseits nicht nur bereit erklären, unseren Vorschlägen zuzustimmen, sondern deren Realisierung wünschen.“ Die Sitzung wurde vom Bundeskanzler schließlich um 01.07 Uhr geschlossen. Pünktlich um 01.10 Uhr kam Kreisky zum letzten Mal in den kleinen Ministerratssaal, wo die Journalisten versammelt waren. Mit vor Müdigkeit roten Augen verkündete er: „Wir haben eine einvernehmliche Lösung gefunden, die die Zustimmung der Bundesregierung sowie die Zustimmung aller OPEC-Führer hat.“ Zufrieden meinte Kreisky in Hinblick auf die freizulassenden OPEC-Angestellten: „Da haben wir doch mehr erreicht, als wir angenommen haben.“

Am nächsten Morgen, dem 22. Dezember 1975, war in Schwechat eine DC-9 mit der Flugnummer OS 5950 bereitgestellt. Es handelte sich um das dienstälteste Flugzeug der AUA-Flotte, um den Schaden bei etwaigem Verlust so gering, als möglich zu halten. Um 08.45 Uhr traf der Bus ein – die in Österreich ansässigen Angestellten waren zuvor, wie gefordert, freigegangen. Aber Carlos und sein Kommando hatten immer noch 35 Personen – 11 Minister sowie 19 Delegierte und Mitarbeiter – in seiner Gewalt. Das Einsteigen in die DC-9 zog sich bis um 09.06 Uhr hin. Quasi zum Abschluss ging Carlos noch einmal die Gangway herunter und streckte dem anwesenden Innenminister Rösch die Hand hin; „Es tut mir leid, dass ich Österreich als Schauplatz wählen musste. Lassen Sie Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky schön grüßen…“ Rösch ergriff die ausgestreckte Hand, und der Skandal war perfekt.

Damit war die weitere Lösung des Geiseldramas zumindest kein österreichisches Problem mehr. In Algier angekommen, gab Carlos die Direktive aus, weiter nach Tripolis zu fliegen. Doch offenbar galt die Abmachung mit Gaddafi nicht mehr – die Terroristen wurden nicht willkommen geheißen und mussten schließlich am 23. Dezember 1975 nach Algier zurückfliegen. Der Mord an dem libyschen Delegierten soll Gaddafi verärgert haben. Der algerische Außenminister Bouteflika wiederum machte klar, dass die Maschine gestürmt werden würde, wenn die Terroristen jetzt nicht aufgäben. Gegen Zahlung eines Lösegelds – die Schätzungen reichen bis 50 Millionen Dollar – war Carlos letztlich bereit, die verbliebenen 12 Geiseln freizulassen.

Ungenügende Aufarbeitung
Eine effektive Strafverfolgung der Terroristen wurde vernachlässigt. Nach einem Auslieferungsbegehren an Algerien, erhielt Österreich am 9. Jänner 1976 die Antwort, das Terrorkommando habe das Staatsgebiet bereits verlassen. Kreisky gab sich damit zufrieden: Die algerische Seite habe selbst Bedingungen akzeptieren müssen und verlangt, „dass man das in Österreich verstehe“. Und das tat man – denn die Regierung war zu sehr besorgt, das Land könnte als Standort für internationale Organisationen Schaden erleiden. War doch der Spatenstich zum Bau der UNO-City erst 1973 erfolgt. Von daher wollte man die guten Beziehungen zu arabischen Staaten nicht aufs Spiel setzen – etwa in der Auslieferungsfrage oder durch zu eifrige Nachforschungen.

1989 kam es zum ersten Verfahren mit Bezug auf die Geiselnahme: In Köln wurde Kröcher-Tiedemann der Prozess gemacht – dieser endete mit einem blamablen Freispruch, unter anderem deswegen weil die Tatortaufnahme in Wien hastig verlaufen war. Grund für die Eile war damals Druck seitens der OPEC gewesen: Das Kartell war an Ermittlungen gegen einige seiner wichtigsten Mitgliedstaaten nicht wirklich interessiert. Denn bis heute halten sich Gerüchte, wonach Libyen auch vom Irak und Algerien indirekt unterstützt wurde. 2000 folgte ein weiteres Verfahren gegen Klein in Deutschland – zu neun Jahren Haft verurteilt, konnte dieser bereits 2003 wieder das Gefängnis verlassen.

Österreich dagegen hatte es stets vermieden, ein OPEC-Verfahren an sich zu ziehen. Als Carlos 1994 im Sudan verhaftet und an Frankreich ausgeliefert wurde, flog lediglich ein Untersuchungsrichter zu einer Vernehmung nach Paris. Diese musste aber gleich nach Beginn wegen der unkooperativen Haltung von Carlos abgebrochen werden. Als dieser dem österreichischen Richter zum Abschied die Hand hinstreckte, weigerte sich dieser zuzugreifen. Er wolle sich nicht derselben Kritik aussetzen, wie Innenminister Rösch fast 20 Jahre zuvor. Jedenfalls wurde Carlos wegen terroristischer Vergehen in Frankreich zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt – die OPEC-Geiselnahme spielte dabei keine Rolle. Stellvertreter Naccache saß in den 1980er Jahren ebenfalls in französischer Haft, ehe ihm ein Deal mit dem Iran die Freiheit brachte. Er lebt heute als Geschäftsmann in Beirut. Von den übrigen zwei palästinensischen Kommandomitgliedern hatte man nicht einmal die wirklichen Namen ermitteln können.

Konsequenzen
Als Antwort auf die zunehmende terroristische Bedrohung reagierte Österreich mit einem Bündel an Maßnahmen, die polizeilicher, aber vor allem außenpolitischer Natur waren. Letztere zielten darauf ab, den Nahostkonflikt präventiv zu entschärfen. Denn aufgrund seiner Rolle als Schleuse bei der jüdischen Emigration von Osteuropa nach Israel war Österreich zwangsläufig involviert. Im Nachhinein bestand für Kreisky der Beweis für die Richtigkeit seiner Politik darin, dass 15 Jahre hindurch 300.000 russische Juden über Österreich nach Israel ausgewandert seien – „ohne, dass jeden Monat in Schwechat eine Bombe explodiert ist“. Auch das Manko im Sicherheitsapparat konnte Ende der 1970er Jahre mit der Aufstellung des Gendarmerieeinsatzkommandos (heute EKO Cobra) behoben werden.

Freilich gelang es nicht, den nahöstlichen Terror von Österreich fernzuhalten. Entscheidend dafür war, dass die guten Kontakte zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und radikale Kräfte wie die Abu-Nidal-Gruppe auf den Plan riefen. Diese wollte moderierende Einflüsse von außen mit Terror abschrecken. 1981 und 1985 kam es insgesamt zu drei blutigen Attentaten in Wien. Es spricht für Kreiskys Standfestigkeit, dass er seine Linie auch gegen diesen Druck beibehielt. Spätestens Ende der 1980er Jahre erfolgte mit dem Wechsel des Außenamts zur ÖVP eine grundsätzliche Neuorientierung hin zu europäischen Belangen. Und mit dem Ende des Kalten Krieges endete auch die Welle jenes Terrors, in die die OPEC-Geiselnahme einzuordnen ist. Heute sieht sich Österreich, so wie andere westliche Staaten auch, mit der Herausforderung durch den radikal-islamistische Terrorismus konfrontiert. Aber wie das historische Beispiel zeigt, war schon vieles damals angelegt: Die Medienfixierung des Terrorismus und seine zunehmende Internationalisierung. Im Unterschied zu 1975 braucht es heute keine Organisationen oder Sponsoren mehr. Es genügt bereits ein „lone wolf“, und die Möglichkeiten der Massenkommunikation haben sich exorbitant gesteigert. 

Literaturtipp: 
"Tage des Schreckens. Die OPEC-Geiselnahme 1975 und der moderne Terrorismus"
http://www.amazon.de/dp/B018NX2AHQ/ref=cm_sw_r_tw_dp_i88Cwb141G8T0

Siehe dazu auch:
Markus Sulzbacher, 40 Jahre OPEC-Überfall: Terror auf der Insel der Seligen", in: Der Standard, 21. 12. 2015, http://derstandard.at/2000027845448/40-Jahre-OPEC-Ueberfall-Terror-auf-der-Insel-der-Seligen

Mittwoch, 9. Dezember 2015

Neues Buch: „Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus“

Nie zuvor und nie wieder danach befanden sich so viele hochrangige Politiker in den Händen von Terroristen: Die Geiselnahme während der Ministerkonferenz der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) in Wien am 21. Dezember 1975 nimmt bis heute eine Sonderstellung in der Geschichte des modernen Terrorismus ein. Ein sechsköpfiges Kommando, angeführt von dem damals 26jährigen Venezolaner Ilich Ramirez Sanchez (besser bekannt als „Carlos“), hatte insgesamt 62 Geiseln genommen, darunter 11 Erdölminister. Es gab drei Tote zu beklagen – einen österreichischen Polizisten, einen irakischen Leibwächter und einen libyschen Delegierten. Thomas Riegler rekonstruiert anhand von Dokumenten und Zeitzeugeninterviews den spektakulären Fall und setzt diesen in den Kontext österreichischer Sicherheitspolitik bzw. heutiger Bedrohungen.

LINK zum Buch: 
Auszug aus der Einleitung
Der „Coup“ von Wien erregte weltweite Aufmerksamkeit. Bezugnehmend auf andere Terroranschläge und Geiselnahmen in den Jahren davor, meinte das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Eine israelische Olympiamannschaft in München, ein amerikanischer Botschafter in Khartum, ein deutscher Lufthansa-Jet in Aden – o.k., das waren bei einiger Gedankenakrobatik Feindobjekte. Aber elf Ölminister, am 4. Advent im molligen Wien am Konferenztisch von Arabern kollektiv gekapert – das war Aberwitz-Kidnapping, Fantasia, trotz blutigem Anfang und kläglichem Ende.“  Dem britischen Journalisten David A. Yallop zufolge hatte Carlos, gemessen an der Finanzkraft, die die 11 Erdölminister repräsentierten, „die reichste Gruppe von Geiseln der bisherigen Weltgeschichte in seine Gewalt gebracht.“

Die OPEC-Geiselnahme war in vielerlei Hinsicht eine bedeutende Wegmarke in der Entwicklung moderner terroristischer Gewalt: Im Unterschied zum „älteren“ Terrorismus mit seinen primär nationalen Bezügen wurde der Anschlag in Wien als „Joint Venture“ grenzübergreifend vorbereitet, organisiert und durchgeführt. Ganz bewusst wurde mediale Aufmerksamkeit auf das „Palästinenserproblem“ gelenkt. Noch wichtiger waren allerdings geheime Machenschaften: Einerseits ging es um Geldbeschaffung für palästinensische Gruppen, andererseits war die Geiselnahme eine Folge des Machtkampfes innerhalb der OPEC. Vor allem Libyen unter Muammar al-Gaddafi wollte die Preispolitik beeinflussen und benutzte die Terroristen als Stellvertreterstreitmacht, um Druck auf seine Gegner – Saudi-Arabien und den Iran –auszuüben. Insofern steht die OPEC-Geiselnahme für instrumentalisierten Terrorismus, der vor allem eine Botschaft zwischen staatlichen Akteuren kommunizierte. 

Während sich die Bedeutung staatlicher Sponsoren im gegenwärtigen radikal-islamistischen Terrorismus deutlich verringert hat, haben sich Aspekte der „Transnationalität“ weiter herauskristallisiert: Internationale Agenda und Ideologie, multinationale Mitgliedschaft, Einbindung in globale Netzwerkstrukturen und medial gesteigerte Schockeffekte. Vieles kann allerdings als Weiterentwicklung älterer Medienstrategien und Kooperationsmechanismen begriffen werden. Zwar ist es richtig, dass der Islamische Staat (IS), der spätestens seit 2014 große Teile des Irak und Syriens kontrolliert, frühere Gruppen in Sachen territorialer Kontrolle, militärischer Stärke, Gewaltintensität, Inszenierung und eigenen Einkommensquellen übertrifft. Aber dieser Vorsprung stellt, wie Loretta Napoleoni betont, „keine genetische Mutation dar“, sondern resultiert aus der Fähigkeit des IS, „sich dem schnell verändernden Umfeld in einer globalisierten Welt anzupassen“.  Schon in den 1970er und 1980er Jahren bildeten die palästinensischen Organisationen ein transnationales Netzwerk, das verschiedenste Gruppen mit unterschiedlicher Agenda unter dem Deckmantel des „Antiimperialismus“ verband.  In vielerlei Hinsicht waren die 1970er Jahre sogar ein „goldenes Zeitalter“ des Terrorismus – während etwa in den USA in dieser Zeitspanne 184 Menschen getötet und 600 verletzt wurden, gab es zwischen 2001 und Mitte 2015 74 Todesopfer.

Der größte Unterschied zwischen dem „alten“ und „neuen“ Terrorismus besteht jedoch in den völlig veränderten Rahmenbedingungen: „Der ‚alte’ Terrorismus“, so der deutsche Zeithistoriker Wolfgang Kraushaar, „war zweifellos ein Terrorismus im Zeitalter des Kalten Krieges. Er ist jedoch nicht nur allgemein vom Kontext des Ost-West-Konflikts, sondern in einer besonders zugespitzten Form vom Spannungsfeld des Nahen Ostens geprägt worden.“  Anders als bei den heutigen amorphen Netzwerken dominierten in den 1970er und 1980er Jahren durchorganisierte Kaderorganisationen mit fixen Basen und abgestuften Hierarchien.  Selbstmordattentate kamen erst im libanesischen Bürgerkrieg in den 1980er Jahren auf und blieben bis zum 11. September 2001 vereinzelt. Der neuartige Terrorismus, der sich nach den Anschlägen in New York und Washington herauskristallisierte, ist einerseits ein „Produkt“ der Globalisierung, was sich in seiner multinationalen Ausrichtung, der Rolle des Internets als virtuelle Rekrutierungs- und Ausbildungsstätte sowie der Medienfixierung seiner Aktionsformen widerspiegelt; andererseits dominiert radikaler Fundamentalismus, wo vor einigen Jahrzehnten noch säkulare Orientierung vorherrschte. Auch hat der moderne radikal-islamische Terrorismus demonstriert, dass er kaum mehr Sponsoring benötigt. Ausbildungslager befinden sich in Bürgerkriegsgebieten, anstatt wie noch in den 1970er und 1980er Jahren von gewissen Staaten protegiert oder geduldet zu werden. Und schließlich haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten potenziert: Die OPEC-Geiselnehmer mussten noch die Verlesung einer maschinengetippten Botschaft im Radio erzwingen. Diese Differenzen machen deutlich, dass die Vergleichsmöglichkeiten mit der Gegenwart begrenzt sind.

Der Überfall auf die OPEC-Ministerkonferenz ist im historischen „Gedächtnis“ der Zweiten Republik haften geblieben – auch weil es sich bei Carlos um einen der „schillerndsten“ terroristischen Gewalttäter der 1970er und 1980er Jahre handelte. Sein Gesicht stand für den Terror jener Jahre, der sich vor allem in Flugzeugentführungen und Anschlägen von palästinensischen Gruppen in Westeuropa ausdrückte.  Über Carlos, der 1994 im Sudan verhaftet wurde, sind gerade im deutsch- und englischsprachigen Raum zahlreiche Biografien  veröffentlicht worden.

Im Rahmen von „Tage des Schreckens“ werden die Hintergründe und der Ablauf der Ereignisse auf Basis von Primärquellen rekonstruiert. Der wichtigste Bestand hierzu befindet sich in der 1984 gegründeten Wiener Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA), das den politischen und persönlichen Nachlass von Bruno Kreisky umfasst. Abgesehen von polizeilichen Ermittlungsakten und außenpolitischen Dokumenten befindet sich darunter auch das detaillierte Tagebuch von Josef Staribacher (1921-2014), das dieser über seine Amtszeit als Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie (1970 bis 1983) führte. Aus diesen Aufzeichnungen eröffnet sich ein subjektiver, aber auch einzigartiger Einblick in das innere Funktionieren der Regierung Kreisky. Schon 1976 hatte das Bundeskanzleramt das Weißbuch „Die Vorfälle vom 21/22. Dezember 1975. Ein Dokumentationsbericht“ veröffentlicht. Dieses enthält neben der offiziellen Erklärung Kreiskys zur OPEC-Geiselnahme vor dem Nationalrat (27. Jänner 1976) eine detaillierte Chronologie sowie Berichte zu den Verhandlungen am Schauplatz und der Tatbestandsaufnahme.

Von besonderer Bedeutung sind weiters Erkenntnisse aus drei bundesdeutschen Gerichtsverfahren gegen Beteiligte an der OPEC-Geiselnahme – Gabriele Kröcher-Tiedemann (Köln, 1990), Hans-Joachim Klein (Frankfurt am Main, 2000/2001) sowie Sonja Suder (Frankfurt, 2012/2013). Relevante Dokumente aus dem Archiv der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der DDR (BStU) bzw. aus dem Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖSTA/AdR) runden das Bild ab. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Zeitzeugenberichte: Für dieses Buch berichtete unter anderem der Bundesminister außer Dienst, Erwin Lanc, über seine Teilnahme am Sonderministerrat zur OPEC-Geiselnahme. Erstmals ausführlich äußerte sich der Sohn des getöteten Staatspolizisten, Gerhard Tichler, über seinen jahrzehntelangen Kampf für Gerechtigkeit. Und mit dem ehemaligen Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Gert Rene Polli, stellte ein ausgewiesener Experte Bezüge zur aktuellen Situation her.

Zu den wichtigsten Ergebnissen zählen:
1. Die Geiselnahme der Erdölminister war eine komplexe Operation, die von terroristischen Kräften im Verbund mit staatlichen Akteuren geplant und durchgeführt wurde. Neben Libyen dürften weitere arabische Staaten eine wichtige Rolle im Hintergrund gespielt haben.

2. Die Tatsache, dass die Terroristen relativ einfach in das OPEC-Generalsekretariat eindringen konnten, offenbart gravierende Schwächen und Fehleinschätzungen auf Seiten der Behörden – und dass obwohl Österreich in den Jahren davor bereits mit terroristischer Gewalt konfrontiert war. Das Fehlen eines polizeilichen Spezialverbandes wirkte sich nachteilig aus. Auch bei der abschließenden Tatortaufnahme und Spurensicherung unterliefen Fehler, die die gesamte weitere Aufklärung negativ beeinflussen sollten.

3. Das politische Krisenmanagement von Bruno Kreisky verlief im Großen und Ganzen erfolgreich. Allerdings zeigt sich die übergeordnete Priorität, so rasch als möglich zur Tagesordnung zurückzukehren: Alle Forderungen der Geiselnehmer wurden erfüllt, bei der Abwicklung kam es mehrmals zu Pannen.

4. Eine effektive Strafverfolgung der Terroristen wurde vernachlässigt. Österreich war vor allem besorgt, als Standort für internationale Organisationen Schaden zu erleiden. Von daher wollte man die guten Beziehungen zu arabischen Staaten nicht aufs Spiel setzen – etwa in der Auslieferungsfrage oder durch weitere Nachforschungen. Bis heute hat kein Verfahren zur OPEC-Geiselnahme vor einem österreichischen Gericht stattgefunden.

5. Schon vor dem Anschlag hatte Österreich wirtschaftliche Kontakte zu Libyen geknüpft, die sich Ende der 1970er Jahre weiter vertieften. Daran änderten auch Hinweise, wonach das Regime von Muammar al-Gaddafi in die OPEC-Geiselnahme verwickelt war, nichts. Im Gegenteil, Kreisky sollte den libyschen Machthaber stets in Schutz nehmen, wenn es um die Terrorismusproblematik ging.

6. Als Antwort auf die terroristische Bedrohung reagierte Österreich mit einem Bündel an Maßnahmen, die polizeilicher, aber vor allem politischer Natur waren – um den Nahostkonflikt präventiv zu entschärfen und so für mehr Sicherheit zu sorgen.

Montag, 30. November 2015

Als der „Prinz von Marbella“ im 1. Bezirk mit Waffen dealte

Wer würde gleich hinter noblen Wiener Ringstraßen-Palais Hansen, unweit von der Börse, ein Zentrum des internationalen Waffenhandels vermuten? Genauso war es, als ab Mai 1983 in der Zelinkagasse Nr. 2 die „Alkastronic Handelsgesellschaft m.b.H“ residierte. Laut Registereintrag war der Firmenzweck: „Handel mit Waren aller Art, insbesondere mit elektronischen Bauelementen.“ Tatsächlich handelte es sich um einen Umschlagplatz für Waffen – betrieben vom damals führenden „Lord of War“, Monzer Al-Kassar. Eng mit dem Assad-Clan verbunden, war der 1945 geborene Syrer eine der schillerndsten Figuren der Waffenhändlerszene. Wegen seiner dortigen millionenteuren Villa war er auch als „Prinz von Marbella“ bekannt.

Vor 30 Jahren, am 10. Dezember 1985, läutete eine Razzia das Ende der Alkastronic ein. Die Staatspolizei fand genug Belege, dass die Firma „hauptsächlich in der Vermittlung von Waffengeschäften tätig ist“. Und diese Deals, die Al-Kassar von Wien aus einfädelte, hatten es in sich: Zu seinem Kundenkreis zählte beispielsweise die portugiesische Firma „Defex“, die zu einem Netzwerk gehörte, das auf dem Höhepunkt des ersten Golfkriegs den Iran mit Waffen belieferte. Die Machenschaften kosteten US-Präsident Ronald Reagan beinahe die zweite Amtszeit. Die illegalen Irangeschäfte hatten einerseits dazu gedient, Geiseln aus Teheran freizubekommen – andererseits wurden Gewinne daraus an die nicaraguanischen „Contras“ weitergeleitet, um so den Kommunismus in Lateinamerika zurückzudrängen. Die Wiener Alkastronic hatte ihren Teil dazu beigetragen: So waren Anfang 1985 1.024 Kisten per Luftfracht von Warschau an die Defex in Lissabon gegangen. Darin befanden sich 1.000 Panzerabwehrraketen und Munition. Ein kurz danach abgeschlossener Vertrag mit einem „Mohammed Merbati“ sah vor, 5.000 TOW-Lenkraketen zum Stückpreis von 9.000 Dollar gleich „bis iranischen Flughafen“ zu liefern. Zum Kundenkreis der Alkastronic zählten weiters die Pariser Firma „Luchaire“ sowie der britische Waffenhändler John Knight, die ebenfalls den Iran aufrüsteten. Resümee der Staatspolizei: „Ein Großteil der Lieferungen ging in den Iran, wobei dies jedoch durch ein anderes Abnehmerland verschleiert wurde. Weitere Abnehmer waren Panama, Honduras, Ägypten und Yemen.“

Aber auch der internationale Terrorismus profitierte: Zwei Rechnungen, vom 9. März und vom 3. April 1984, betrafen Geschäfte mit der Warschauer SAS Trading Company. Ohne dass es die Ermittler wussten, handelte es sich um den kommerziellen „Arm“ der Abu Nidal Organisation (ANO). Diese hatte 1981 zwei blutige Anschläge in Österreich verübt. Am 9. März 1984 wurden der SAS Company 553 Pistolen sowie eine „größere Anzahl Munition“ in Rechnung gestellt. Der Gesamtbetrag machte 228.560 Dollar aus. Eine zweite Rechnung vom 3. April 1984 lautete auf 20.000 Stück 7,65 mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur. In diesem Fall war der Gesamtbetrag 9.980 Dollar.

All diese Waffengeschäfte Al Kassars waren legal – denn die Ware war nicht physisch aus oder durch Österreich gegangen. Herkunftsland war vielmehr das kommunistische Polen. Dort hatte sich die vom militärischen Geheimdienst kontrollierte Firma MSH Czenzin nach neuen Absatzmärkten umgesehen. Ihr wichtigster privater Geschäftspartner war Al Kassar, der gleichzeitig auch als Verkaufsagent fungierte. 1983 begründete man gemeinsam die Alkastronic – das neutrale Österreich mit seinem liberalen Handelsrecht war dafür die perfekte Plattform. In Wien gehörte Al Kassar eine zweistöckige Wohnung in der Döblinger Kaasgrabenstraße. „Sein unübersehbarer Reichtum und seine oft bekundete Absicht, viel Geld in Österreich zu investieren, öffneten ihm die Herzen der Prominenz“, befand damals „profil“. Das ging so weit, dass Vizekanzler und Handelsminister Norbert Steger (FPÖ) mit Verweis auf Empfehlungsschreiben von Steyr und Hirtenberger die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft unterstützte. Daraus wurde aber nichts. „Hände weg von Al-Kassar“, warnte Innenminister Karl Blecha und begründete dies mit „gewissen Indizien“ gegen den Syrer.

Anteilseigener bei der Alkastronic waren neben Al Kassar und seinem Bruder Ghassan die polnischen Militärgeheimdienstler Henryk Majorczyk und Tadeusz Koperwas. Die Recherchen des Historikers Przemysław Gasztold-Seń vom Warschauer Institute of National Rememberance zeigen, dass diese bald dahinter kamen, dass Al Kassar auch in den Drogenhandel verstrickt war. Zumindest zahlte sich das Ganze für sie persönlich aus: Während das Monatsgehalt in Polen Anfang der 1980er Jahre 20-30 US-Dollar betrug, verdienten Majorczyk und Koperwas im selben Zeitraum 1.030 Dollar. Kein Wunder also, dass sie sich mit dem Spionieren in Österreich zurückhielten und lieber Informanten unter den Waffenhändlern rekrutierten. Beide kauften sich teure Autos und nahmen diese später nach Polen mit.

Ende 1985 wurde es für die Alkastronic eng – Al Kassar wurde bei seinen Aufenthalten in Wien auf Schritt und Tritt beschattet. Die Maßnahme war aber nicht wirklich erfolgreich, wie sich ein Zeitzeuge, der langjährige Leiter der Kriminalpolizei am Flughafen Wien Schwechat, Alfred Rupf, erinnert: „Al Kassar war sich der Überwachung bewusst, dies ist so weit gegangen, dass er sich den Spaß gemacht hat und uns angerufen und seine Ankunft mitgeteilt hat, um uns seine Observierung zu erleichtern.“ Einige der zuständigen Beamten kleideten sich nach dem Vorbild des von Al Pacino verkörperten New Yorker Cops in „Serpico“ (1973). Was für Ermittlungen im Drogenmilieu passte, war nicht zwangsläufig die beste Wahl für das Beschatten eines Mannes, der in Luxushotels abstieg. Nach einem Monat Telefonüberwachung kam es am 10. Dezember 1985 schließlich zu der eingangs erwähnten Hausdurchsuchung. Der Verdacht bestand, Al Kassar und seine Geschäftspartner würden unter Deckmantel der Alkastronic einer palästinensischen Terrorgruppe „Waffen beschaffen und diese Waffengeschäfte durch Suchtgifthandel finanzieren“. Die zuständige Untersuchungsrichterin meinte jedoch im Nachhinein: „Die ganze Sache hat viel gekostet wegen der Übersetzungen. Einen Beweis für eine strafbare Handlung haben wir nicht gefunden.“ Die Alkastronic wurde trotzdem geschlossen. Konsequenzen für die Beteiligten gab es keine. Allerdings hatten die beiden Polen Probleme zurück in der Heimat. Laut den Recherchen von Gasztold-Seń wurde Majorczyk zur Last gelegt, dass er zu wenige Informationen geliefert hatte und der Geheimdienst brach seine Beziehung zu ihm ab. Koperwas wiederum wurde unter Beobachtung gestellt – wegen des Verdachts, die österreichische Seite könnte ihn als „Quelle“ rekrutiert haben. Später nahm er seine Tätigkeit für Czenzin wieder auf.

Trotz des Aus für die Alkastronic war Al-Kassar gleich wieder im Geschäft – diesmal mit der verstaatlichten Industrie. Die VOEST-Alpine war 1979 umfassend in die Waffenproduktion eingestiegen. Auf der Suche nach Absatzmärkten für das Vorzeigeprodukt, die Noricum-Haubitze (GHN-45), hatte man sich im Konfliktherd Nahost verstrickt. An Jordanien verkauften Haubitzen waren in den kriegsführenden Irak gelangt. 1984 erzwang auch der Iran, beliefert zu werden. Da diese Exporte nach geltender Rechtslage illegal waren, musste zunächst Libyen als Scheinabnehmer herhalten. Als es auch hier einen Lieferstopp gab, suchte man nach Alternativen. Und in dieser Situation wurden die Verstaatlichten-Manager bei dem ausgezeichnet vernetzten Al Kassar vorstellig, um falsche Endverbraucher-Papiere zu besorgen. „Gebeten ist untertrieben. Sie haben mich angefleht – bei Ihnen sagt man: Auf den Knien sind sie gekommen mit der Bitte, zu helfen, ihre marode Industrie wieder in Schwung zu bringen. Von Tausenden Arbeitslosen war die Rede“, erzählte Al Kassar 1990 der Illustrierten „Basta“. Gegen Bezahlung einer fünf prozentigen Provision vermittelte Al-Kassars in Warschau angesiedelte „Overseas Company“ Anfang 1986 das „Argentiniengeschäft“ über 18.000 Granaten, die in Wirklichkeit in den Iran gingen. Weitere 41,7 Millionen Schilling kassierte die Firma für ein argentinisches Endverbraucherzertifkat, das eine Kanonenlieferung an den Iran verschleierte. Und schließlich schob Al Kassar 1986/87 Czenzin als Abnehmer für 50.000 Sprenggranaten, Treibladungssätze und Treibpatronen vor.

Als der Noricum-Skandal publik wurde, blieb Al-Kassar unbehelligt. Die für ihn zuständige Einsatzgruppe für die Bekämpfung des Terrorismus (EBT) berichtete 1988: „Von Seiten des Gerichtes sind trotz ausführlicher Information keine Schritte gegen Al Kassar Monzer beabsichtigt.“ Sein Verhalten sei das eines „Ausländers im Ausland und fällt aus diesem Grund nicht unter die österr. Strafgerichtsbarkeit“. Obwohl seit Anfang 1988 ein Aufenthaltsverbot gegen ihn bestand, war der Syrer ab und zu nach Wien gekommen. Dort feierte er Feste im legendären „Club 45“ von Udo Proksch, den er als „lustigen Kautz“ schätzte. In dessen Schlepptau schaffte es Al-Kassar sogar an das Spitalsbett von Außenminister Leopold Gratz. Zu holen war in Österreich freilich nichts mehr. Al-Kassar musste sich anderweitig umsehen. Anfang der 1990er Jahren schmuggelte er trotz UN-Embargo Waffen in die Bürgerkriegsstaaten am Balkan. Danach wurde es längere Zeit still um ihn. Doch 2007 ging Al-Kassar in eine gut vorbereitete Falle: Jene kolumbianischen Guerilleros, denen er in Madrid Boden-Luft-Raketen und Granatwerfer verkaufen wollte, stellten sich als verdeckte US-Fahnder heraus. Ein New Yorker Gericht verurteilte ihn anschließend zu 30 Jahren Haft. Die so erfolgreiche „Operation Legacy“ war ein Warnsignal an all die Waffenhändler vom Schlag Al-Kassars: Ihr seid nicht länger unantastbar!

Hinweis: Eine gekürzte Version ist am 29. November 2015 in "Die Presse" erschienen

Montag, 23. November 2015

Terror bekämpft man, „indem man seine Ursachen beseitigt“: Bruno Kreiskys präventive Antiterror-Politik

Nach den Anschlägen von Paris im November 2015 wurde dem Terrorismus von neuem der Krieg erklärt – obgleich sich der 2001 proklamierte US-amerikanische „Global War on Terror“ in einer Sackgasse verfahren hat. Umso wichtiger erscheint daher die Diskussion alternativer Strategien – ein bemerkenswertes Beispiel stellt die präventive Antiterrorpolitik von Bruno Kreisky (österreichischer Bundeskanzler 1970-1983) dar, wenn gleich sich diese nur beschränkt auf die aktuelle Situation umlegen lässt. Auf den Punkt gebracht, ging es Kreisky darum, Terror zu bekämpfen, indem man der Gewalt die politischen und sozialen Wurzeln entzieht.

Das Übel an der „Wurzel“ packen
Kreisky hat Terrorismus stets in Hinblick auf diese Ursachen analysiert. Er folgte einer wertfreien Definition durch den kenianischen Autor Ali Mazrui (1933-2014) aus dem Jahr 1985, wonach Terrorismus eine Form der Kriegsführung sei, die entweder durch Individuen oder durch Regierende ausgeübt wird, um politische Ziele zu erreichen. Kreisky hielt diese Definition für richtig – Terrorismus diene dem Ziel „sich Gehör zu verschaffen, wenn man anderswo ungehört bleibt; er leistet einen gewissen Beitrag dazu, eine Sache zu fördern. Die unmittelbare Absicht des Terrors ist es, in Verbindung mit der Öffentlichkeit, Angst zu verbreiten.“

Für Kreisky gab es zwei Arten solcher Gewalt: Den „Terrorismus um seiner selbst willen“ –
bezogen beispielsweise auf den westdeutschen oder italienischen Linksextremismus – lehnte er ab: „Mit dem Terror provoziert man in der Demokratie nur den Terror von der anderen Seite. Wenn man das will, dann muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dass man die Demokratie beseitigen und eine Diktatur haben will.“ Auf der anderen Seite gab es für Kreisky eine Form von Terrorismus, die er zwar auch nicht billigte, aber mit einem gewissen Maß an Verständnis begegnete. „Terror ist eine der politischen Waffen des Untergrunds, der Illegalität. Sie sind grausam, ich lehne sie ohne Einschränkungen ab. […] Es gibt aber Diktaturen, in denen Untergrundbewegungen um die Freiheit und die Demokratie kämpfen, und das auch gelegentlich mit dem Mittel des Terrorismus.“ Diese Gewalt, so Kreisky, stehe oft „am Anfang“ einer späteren politischen Bewegung oder einer danach respektablen staatsmännischen Karriere. An dieser Stelle erinnerte Kreisky immer wieder gerne an den Friedennobelpreisträger Menachem Begin und dessen Zeit als jüdischer Untergrundkämpfer.

Vergeltungsstrategie hat Eskalation gebracht
In der Frage, wie man der terroristischen Bedrohung am effektivsten begegnen solle, vertrat Kreisky konsequent den Standpunkt, dass man diese eben präventiv an der „Wurzel“ anpacken müsse. Dies hätte sich vor allem in Bezug auf den nationalistisch-separatistisch Terrorismus gezeigt. Eine rein auf polizeiliche/militärische Gegengewalt hin ausgerichtete Antiterrorstrategie lehnte er dagegen ab. Die Rettung von Menschenleben bei Geiselnahmen hatte für Kreisky absoluten Vorrang - auch gerade nach der Erfahrung jenes Blutbads, das die Befreiungsaktion für die israelischen Sportler bei der Olympiade in München 1972 gefordert hatte. Ein Jahr später, als Österreich zum ersten Mal direkt mit dem Nahostterrorismus konfrontiert wurde, erlaubte Kreisky den Abflug von zwei palästinensischen Attentätern, um das Leben von drei russischen Juden zu retten. Auch 1975 stellte Kreisky dem Terrorkommando von Carlos Ramirez Sanchez, genannt „der Schakal“, eine AUA-Maschine zur Verfügung, um die Sicherheit der der als Geiseln genommenen Erdölminister und OPEC-Angestellten nicht zu gefährden. Vor dem Nationalrat hielt Kreisky danach fest: „Die Bekämpfung des Terrors durch absolute Verweigerung der Forderungen der Terroristen hat in den seltensten Fällen zur Kapitulation der Terroristen geführt, vielmehr oft zu schweren und furchtbaren zusätzlichen Opfern. Im Übrigen hat die Vergeltungsstrategie gegen den Terrorismus sogar seine Eskalation gebracht.“

Konträr zu Kreisky steht beispielsweise das Handeln von Helmut Schmidt im Falle der Konfrontation mit der RAF. 1977 blieb Schmidt hart, als die Gruppe den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführte. Und er ließ eine entführte Lufthansa-Boeing im somalischen Mogadischu gewaltsam befreien. Kreisky billigte letzteres Vorgehen nicht – wegen des Risikos für die Geiseln. Überhaupt stellte er zur Diskussion, ob eine Regierung das Recht habe, „das Leben von Geiseln zu gefährden, indem sie gegenüber Forderungen von Terroristen hart bleibt beziehungsweise gegen die Terroristen mit Gewalt vorgeht“. Kreisky hielt in diesem Zusammenhang fest: „Meiner Überzeugung nach hat keine Regierung dieses Recht.“

Gibt es Grundursachen für Terrorismus oder nicht?
Mit seiner Ablehnung von Gegengewalt/Kompromisslosigkeit zugunsten von Prävention hat Kreisky in einem „verminten“ Diskurs Stellung bezogen. Im Wesentlichen prallen hier, damals wie heute, zwei Schulen aufeinander: Auf der einen Seite jene, die wie Kreisky ökonomische, politische und soziale Grundursachen für Terrorismus betonen – und auf der anderen Seite jene Debattenteilnehmer, für die Terror quasi losgelöst von objektiven Ursachen existiert und die sich primär mit der Bekämpfung des Phänomens beschäftigen. Letztere Schule hat in den vergangenen drei Jahrzehnten stetig an Überhand gewonnen.

Im Widerspruch dazu sucht eine zweite Denkrichtung die Debatte über das Verhältnis von Grundursachen und Terrorismus. Die britische Forscherin Louise Richardson etwa betonte 2007: „Die häufigsten Erklärungen für Terrorismus lauten, er sei entweder das Werk von verrückten Einzelgängern oder von kriegslüsternen Staaten, aber die besten Erklärungen liegen nicht auf diesen Ebenen, sondern auf der der Gesellschaften, die Terrorismus hervorbringen.“ Terroristische Handlungen können demnach am Besten in ihrem spezifischen Kontext erklärt werden - jenen politischen, sozialen und ökonomischen Umständen, die als „Nährboden“ die Anwendung von Gewalt im Namen von Nationalismus, Revolution oder Religion legitimieren bzw. ein radikalisierendes Gesamt-Klima schaffen.

Kreiskys Herangehensweise ist in diesem Zusammenhang ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, Terrorismus primär als Ausdruck politischer und sozialer Missstände aufzufassen. Anstatt jede Wechselbeziehung von vornherein in Abrede zu stellen, begriff Kreisky terroristische Gewalt und Politik als voneinander abhängig. Für ihn waren die Vertreibung der Palästinenser, die Zustände in den Flüchtlingslagern, die militärischen Vorstöße Israels in das Nachbarland Libanon und das Fehlen einer international anerkannten Vertretung der Palästinenser verantwortlich für die Entstehung, Eskalation und Fortdauer des Nahostterrorismus. Als der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi 1982 Österreich als erstes westliches Land besuchte, hielt Kreisky beim Empfang im Bundeskanzleramt am 11. März 1982 eine Tischrede: „Es ist ohne Zweifel richtig, dass wir in einer Zeit leben, in der politisch motivierte Terroraktionen immer wieder stattfinden. Wir verabscheuen diese Aktionen zutiefst und bekämpfen sie mit allen Mitteln. Ein Mittel, sie zu verhindern, besteht darin, dass man die Ursachen, die zum Terror führen, beseitigt. Man bekämpft also das Phänomen des Terrors am wirksamsten mit politischen Mitteln, indem man seine Ursachen beseitigt. Wir verstehen darunter, dass die legitimen Rechte von Völkern und Minderheiten, so auch die der Palästinenser, Anerkennung finden müssen.“

Legitime Sicherheitsinteressen Israels mag Kreisky vergleichsweise vernachlässigt haben. Auch konnte er mit seiner Initiative keine De-Radikalisierung erreichen, da beim Nahostterrorismus weitere Faktoren ins Spiel kamen, die er nicht in der Hand hatte: Die Machtinteressen lokaler Akteure wie Irak, Libyen und Syrien sowie der übergeordnete Konflikt zwischen West und Ost im Kalten Krieg. An diesem Punkt zeigt sich, wie schwierig ein solches Eingehen auf Grundursachen tatsächlich ist – weil dadurch immer auch größere Machtzusammenhänge und Interessen berührt werden, die jeder Veränderung des Status Quo feindlich gegenüberstehen. Dies mag auch der Hauptgrund sein, warum eine solche Vorgangsweise kaum gewählt, sondern Terrorismus mit dem traditionellen Arsenal der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beantwortet wird.

Kreisky, Arafat und die PLO
Kreiskys präventives Vorgehen war keineswegs erfolglos: Als Leiter der Fact Finding Mission der Sozialistischen Internationale hatte Kreisky als erster westlicher Staatsmann festgehalten, dass eine Friedenlösung im Nahen Osten ohne Einbeziehung der Palästinensischen Befreiungsorganisation unmöglich sei. Er erkannte der PLO eine politische Dimension zu und öffnete wichtigen Raum und Möglichkeiten zur Entfaltung der moderaten Kräfte innerhalb der Organisation. Auf lange Sicht gesehen, schwächte das den Einfluss der Radikalen und trug wesentlich dazu bei, dass Jassir Arafat nach seinem Auftritt vor der UNO 1974 weiter politisch anerkannt wurde. Kreisky ging noch einen Schritt weiter: 1979 sollte Österreich als erster Staat die PLO diplomatisch legitimierten. Im selben Jahr empfing Kreisky Arafat in Wien und es kam zum legendären gemeinsamen Treffen mit Willy Brandt.

Der überwiegende Teil von Kreiskys Vermittlungsbemühungen spielte sich diskret hinter den Kulissen ab. So fungierte der Bundeskanzler ab 1976 als Schirmherr von zunächst geheimen Gesprächen zwischen israelischen Friedensaktivisten und dem PLO-Sondergesandten Issam Sartawi. Im Jahr darauf war Kreisky Gastgeber für ein Geheimtreffen: Sartawi und der berüchtigte „rote Prinz“, Ali Hassan Salameh, diskutierten mit einem westdeutschen Behördenvertreter u. a. eine mögliche palästinensische Hilfeleistung bei der Fahnung nach RAF-Mitgliedern, die sich in den Nahen Osten zurückgezogen hatten. Im Mai 1979 gelang es Kreisky weiters, einen geheimen Kanal zwischen der PLO und der amerikanischen Regierung herzustellen, indem er Sartawi mit dem US-Botschafter in Österreich, Milton A. Wolf, zusammenbrachte. Ein weiteres Zeichen setzte Kreisky, indem Österreich als erster westlicher Staat die PLO 1980 offiziell anerkannte.

Kreisky ließ auch keine Gelegenheit aus, vor allem Arafat vor den negativen Auswirkungen des Terrorismus zu warnen: Die Gewalt würde den Palästinenser die mühsam aufgebaute Sympathie rauben. So ermahnte Kreisky den PLO-Führer 1979: „Ich finde diesen plötzlichen Anstieg in palästinensischer Terroraktivität äußerst schädlich für die palästinensische Sache. Es macht es schwieriger für mich, den Kreis der palästinensischen Unterstützer zu erweitern und meine vorangegangenen Anstrengungen schon jetzt zunichte.“ Das Vertrauensverhältnis zu Arafat wurde immer wieder auch schweren Belastungsproben unterzogen: 1981 flog ein illegaler Waffenschmuggel der PLO auf. Zwei Jahre später wurde Issam Sartawi von der gegnerischen Abu Nidal-Gruppe ermordet – was nach Kreiskys Empfinden nur möglich war, weil Arafat seine schützende Hand zurückgezogen hatte.

International hatte Kreiskys Nahostpolitik Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre einen schweren Stand. Im Kontext des Kalten Krieg sperrten sich etwa die USA gegen Verhandlungen, selbst innerhalb der Sozialistischen Internationale war die Unterstützung bestenfalls verhalten. Allerdings gelang es, die Europäische Gemeinschaft mit der Erklärung von Venedig (1980) als Akteur im Nahostkonflikt einzubringen. Der israelische Präsident Shimon Peres, der Kreisky zeitlebens hart kritisierte, lobte diesen rückblickend im Jahr 2010: Der Bundeskanzler habe dazu beigetragen, dass sich Arafat konzilianter verhalten habe.

Sicherheit für Österreich
Das wichtigste Motiv der präventiven Anti-Terrorpolitik war jedoch, Sicherheit für Österreich zu schaffen. 1981 argumentierte Kreisky, dass das Land eben wegen der guten Kontakte zur PLO lange vom Terror verschont geblieben sei – obwohl Österreich wegen seiner Transitfunktion für die jüdische Emigration aus Osteuropa immer besonders gefährdet war. Über Österreich emigrierte mehr als eine Viertelmillion sowjetischer Juden und der Großteil begab sich nach Israel, was wiederum in der arabischen Welt als demographische Stärkung der israelischen Position angesehen wurde - und extremistischen Gruppen ein Motiv lieferte, Anschläge in Österreich zu begehen (so etwa im Falle der Geiselnahme von Marchegg/Schönau 1973). Kreisky ließ damals zwar das Transitlager Schönau schließen, aber die Emigration ging weiter.

Österreich sollte vom Nahostterrorismus nicht verschont bleiben, wenn gleich die Intensität im Vergleich zu anderen Ländern niedriger blieb. Der Mord an Stadtrat Heinz Nittel und die Anschläge gegen die Wiener Synagoge im Jahr 1981 sowie gegen El-Al-Passagiere auf dem Flughafen Schwechat im Jahr 1985 zielten nicht mehr direkt gegen die Emigration. Vielmehr handelte es sich um einen innerpalästinensischen Konflikt, der auch auf österreichischem Boden ausgetragen wurde. Die für die Terrorakte verantwortliche Gruppe Al Assifa („Der Sturm“) unter Führung von Sabri al-Bana, genannt „Abu Nidal“ („Vater des Kampfes“), bekämpfte nämlich die aus ihrer Sicht zu kompromissbereite Führung der PLO. Eben weil Österreich Arafats Linie unterstützte, wurde es wie andere PLO-freundliche Länder vom Terror der Al Assifa heimgesucht. Letztere bediente damit auch die Interessen ihrer staatlichen Sponsoren – Irak, Syrien und Libyen – die die westliche „Einmischung“ in den Nahostkonflikt aus den unterschiedlichsten Motiven zurückdrängen wollten.

Es ist nicht so, dass Kreisky mit seiner Nahostpolitik Österreich eine Welle von Attentaten bescherte, wie etwa die ÖVP damals behauptete – stattdessen trifft es zu, von einem Fall von „Blowback“ zu sprechen. Dieser Terminus, aus der Fachsprache von Geheimdiensten, bezeichnet negative, unbeabsichtigte und unvorhergesehene Konsequenzen, die sich aus einer bestimmten politischen Vorgangsweise ergeben können. Im österreichischen Fall bestand der Blowback darin, dass das Land von einer Terrorkampagne der extremistischen Hardliner getroffen wurde – denen zudem die enge Sicherheits-Kooperation zwischen der PLO und den österreichischen Behörden ein Dorn im Auge war. Darüber hinaus mag Kreiskys jüdische Identität und die Tatsache, dass er für das Existenzrecht Israels eintrat, die vehemente Gegnerschaft Abu Nidals hervorgerufen haben.

„Der Terror denkt nicht so wie in den Wirtshäusern“
Als der „Kurier“ einige Wochen nach dem Schwechater Anschlag etwas provokant fragte, ob seine „Befassung mit dem Nahost-Problem“ erst die „Flügelkämpfer der Palästinenser“ nach Österreich „gezogen“ habe, antwortete dieser: „Unsinn. Der Terror kennt andere Gesetze, der denkt nicht so wie in den Wirtshäusern.“ Der Beweis für die Richtigkeit seiner Politik sei, dass 15 Jahre lang 300.000 russische Juden über Österreich nach Israel ausgewandert seien – „ohne, dass jeden Monat in Schwechat eine Bombe explodiert ist“. Überhaupt helfe Gewalt gegen diese Gruppe nichts, „man muss eine Gesprächssituation herbeiführen“. Auf den ungläubigen Einwand des Journalisten, dass mit „manchen Leuten“ offenbar nicht vernünftig geredet werden könne, entgegnete Kreisky: „Ich rede mit dem Teufel, wenn ich dadurch etwas Positives erreiche."

Auch wenn die Bilanz letztlich gemischt bleibt, so verdient die präventive Ausrichtung der österreichischen Antiterrorpolitik Beachtung: Bruno Kreisky hat das Eingehen auf die politischen und sozialen Ursachen von terroristischer Gewalt betont und ist dieser Devise mit seiner Nahostpolitik gefolgt. Eine Rückbesinnung auf diese Form der Terrorbekämpfung – nämlich der Gewalt den Nährboden und damit auch die Legitimation zu entziehen – ist angesichts der Krise militärisch dominierter Antiterrorpolitik aktueller denn je. Konkret wäre es in Europa notwendig, nicht nur bloße Symptombekämpfung vorzunehmen, sondern Maßnahmen für mehr Chancengleichheit und für bessere Bildung marginalisierter Bevölkerungsgruppen zu setzen. Genauso geht es um mehr Fokus auf verdeckte Ermittlungen, Infiltration, Aussteiger-Programme und Deradikalisierung statt auf Massenüberwachung und Militarisierung der öffentlichen Sicherheit.