Mittwoch, 18. September 2013

Interview mit Dr. Klaus Albrecht Schröder, 12. 9. 2013

Bei der Bombenexplosion in der Saline in Ebenee am 23. September 1963 wurde der damals 36jährige Rittmeister Albrecht Schröder schwer verletzt - ein Gespräch mit seinem Sohn, dem heutigen Direktor der Albertina. 

Quelle: www.arbeiterzeitung.at
Wie hat das Attentat das Leben Ihrer Familie verändert?


Ich habe meinen Vater ein halbes Jahr lang nicht gesehen und nicht mitbekommen, was da geschehen ist. Meine Mutter hat das von uns völlig ferngehalten, uns beschützt vor diesem sehr dramatischen Einschnitt. Wir haben nur gehört, mein Vater ist schwer verletzt. Meine Mutter war dann viele Monate nicht da, sie war Tag und Nacht beim meinem Vater. Er lag eingewickelt im Spital. Man wusste nicht, kommt er durch oder nicht und wenn ja, in welcher Gestalt – blind, taub oder schwerst versehrt. Das hat sie von uns völlig ferngehalten. Obwohl das alles in den Medien war, durften wir keine Zeitung lesen, kein Fernsehen sehen. Wir waren sehr mit uns beschäftigt und konfrontiert mit den ärgsten Gerüchten – ich bin zum Beispiel in die Klasse gekommen und meine Mitschüler haben gesagt: ‚Ich habe gehört, Dein Vater ist aufgeschlitzt worden’ – alles absurde Gerüchte. Als wir meinen Vater zum ersten Mal im Spital besucht haben, hat man dann schon gemerkt hat, dass er auf einem Auge wieder sehen wird. Wie es dann weitergehen würde, war aber auch zu diesem Zeitpunkt noch offen.

Erst sehr viel später bin ich mit dem Ereignis immer wieder direkt konfrontiert worden. So etwa als ich den ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ nachgelesen und darin eine Widmung gefunden habe. Mein Vater hat nämlich ab 1964 am Tag des überlebten Attentats einen zweiten Geburtstag gefeiert. Und da hat ihm meine Mutter dieses Buch geschenkt. Später bin ich noch einmal intensiv damit konfrontiert worden, als ich gleich nach der Mittelschule im Landesinvalidenamt gearbeitet habe – das war 1975 und da wurde gerade das neue Gesetz zur Wiedergutmachung von Verbrechensopfern verabschiedet. Zufälligerweise habe ich als ersten Akt den der Witwe von Gruber [Inspektor Kurt Gruber wurde bei der Bombenexplosion getötet] bekommen, von dem letztendlich nur der Handabdruck auf der Wange meines Vater geblieben ist.


Was ist am 23. September 1963 genau passiert?
An den Tag, an dem das passiert ist, kann ich mich erinnern, als ob es gestern gewesen wäre – weil er natürlich ganz einschneidend war. Die politische Dimension, wie es eigentlich dazu gekommen ist, hat sich mir erst viel später erschlossen. Meine Mutter, die sehr resolut war, wenn wir uns irgendwie weh getan haben, wollte – als der Anruf gekommen ist, dass eine Bombe explodiert ist und mein Vater gleich abgeholt wird – nicht, dass er hinfährt. Als Chef der Kriminalabteilung blieb ihm aber keine Wahl, auch weil sich Innenminister Franz Olah angesagt hatte. Deswegen trug er an diesem warmen Spätherbsttag auch einen dicken grauen Anzug, aus dem ich später eine Skihose geschnitten bekommen habe. Und deswegen sind hunderte Splitter direkt vor dem Herzen stecken geblieben – das war das Glück dieses dicken Anzugs. Gruber dagegen trug nur wegen des heißen Tags nur ein Hemd und hatte keine Chance, als die Bombe detonierte.

Das zweite Glück im Unglück, das mein Vater hatte, war, dass er in diesem Augenblick gerade den Sonnenstand beobachtete und die Splitter daher von unten kamen. Interessanterweise ist das Auge auf der geschwärzten Gesichtshälfte – wo auch der Handabdruck des Gruber zu sehen war – wieder sehend geworden. In das andere ist ein Splitter eingedrungen. Glück hatte mein Vater auch, weil er nicht ohnmächtig wurde – sonst wäre er nach der Explosion in der ausgetretenen Sole ertrunken. Stattdessen konnte er auf allen vieren aus dem Auffangbecken herausklettern. Dann war noch etwas Unglück dabei – bei einem dritten Beamten, der nicht so schwer verletzt wurde, war die Verletzung der Augen gleich zu sehen – und so wurde er gleich in die Augenklinik gebracht, während man meinen Vater nach Linz gefahren hat. Da hat Olah beste medizinische Versorgung veranlasst – durch einen Augenspezialisten, der auch das Augenlicht auf einer Seite gerettet hat. Der Arzt hat dann später erzählt: Man hat ihn angerufen, dass er sofort kommen muss und die Polizei fuhr ihn mit 200 Sachen nach Linz, weshalb ihm noch im OP die Beine zitterten. Der konnte gar nicht operieren, so durcheinander war er momentan. Insgesamt musste mein Vater 42 Operationen über sich ergehen lassen.

Woran ich mich heute noch sehr genau erinnere – nachdem mein Vater an diesem Morgen gegangen war, habe ich mit meiner Mutter aufgeräumt. Da hat sie ein schwarz gerahmtes Bild meines Vaters gefunden. Da sagte sie: „Das müssen wir umrahmen – da sieht der Vater ja aus, als ob er tot ist.“

Sind Sie mit der juristischen Aufarbeitung des Falls zufrieden?
Ich hab mir dazu die Meinung meines Vaters angeeignet: Einige Jahre nach dem Anschlag, als einige der Attentäter zu kurzen Strafen verurteilt wurden, habe ich meinen Vater gefragt, ob er das nicht für eine schreiende Ungerechtigkeit hält. Er hat gesagt: Ich war da nicht gemeint, das waren politische Terrorakte, hier ist Staatspolitik betrieben worden. Er hat das nie irgendjemanden, glaube ich, krumm genommen. Das waren politische Kämpfe, in deren Mündungsfeuer einmal ganz kurz auch die Familie Schröder oder mein Vater geraten ist.

Mein Vater war 15 Jahre lang Chef der Kriminalabteilung, er hat in dieser Zeit nur einen Fall nicht klären können. Er war zuständig für die Sicherheit des Kennedy-Schärf-Treffens (1961) und sehr populär. Zwei Jahre nach dem Attentat ist er in Frührente gegangen, hat dann Rechtswissenschaften studiert und wurde Anwalt. Er ist 2003 an einem Herzinfarkt verstorben, nicht in Folge des Attentats.


Montag, 16. September 2013

„Hände weg von den Carabinieri!“

Langfassung des Artikels aus "profil", Nr. 38/2013

Vor 50 Jahren wurde Österreich von Terroranschlägen erschüttert. Italienische Neofaschisten übten blutige Vergeltung für Südtirolattentate. Eine Recherche in ein vergessenes Kapitel Zeitgeschichte.

Johann Gaig hatte zuerst gedacht, es handle sich um einen „Lausbubenstreich“. Der Wagenführer der Feuerkogelseilbahn in Ebensee war um 07.05 Uhr in die Talstation eingefahren. Als die Gondel zum Stillstand kam, fiel plötzlich ein „Gegenstand“ vom Dach auf den Betonboden: Ein Wecker mit zersprungenem Glas, verbunden mit einer Sprengladung. Gaig ließ seine Passagiere – fünf Schulkinder und einen Erwachsenen rasch aussteigen und schnitt später auf Anordnung eines Gendarmen die Leitung zwischen Wecker und Batterie durch. Der Bombenfund am 23. September 1963 hatte noch einmal Schlimmeres verhütet – denn wäre der Sprengkörper wie beabsichtigt, um etwa 14 Uhr, explodiert, „wäre eine Katastrophe unvermeidlich gewesen“, hieß es damals in der „AZ“. Die Wucht der Explosion hätte Trag- und Zugseil zerrissen und die Gondel in die Tiefe stürzen lassen. Glück im Unglück. Denn Terrorserie, die Österreich an diesem Herbsttag erschütterte, war nicht vorüber.

Quelle: www.arbeiter-zeitung.at
 Schon um 06.10 Uhr früh hatte es zum ersten Mal „geknallt“: Das Löwendenkmal, in einer unübersichtlichen Kurve der Uferstraße zwischen Ebensee und Traunkirchen gelegen, flog in die Luft. Große Brocken des ohnehin morschen Sandsteins wurden bis zu 30 Meter weit auf die Fahrbahn geschleudert – „nur infolge eines glücklichen Zufalls“, so ein Untersuchungsbericht, kam dabei niemand zu Schaden. Dann – um 10.20 Uhr – folgte der dritte und letzte Akt des Dramas: In der Saline Ebensee hatten Arbeiter an den Solebehältern V und VIII zwei Hohlhaftladungen entdeckt, die mit einem tickenden Wecker verbunden waren. Einer der bald eingetroffenen Gendarmen, der Spurensicherer Kurt Gruber, nahm die abgeschnittene Zündschnur eines Sprengsatzes in die Hand und sagte noch: „Das stimmt was net!“ Da schoss plötzlich eine Stichflamme hoch, gefolgt von einer kilometerweit hörbaren Detonation. Der 42jährige Gruber war auf der Stelle tot, seine Kollegen Johann Winkler und Albrecht Schröder, Vater des jetzigen Albertina-Direktors, erlitten schwere Verletzungen. Neun weitere Personen wurden leicht verletzt.


Die Bomben von Ebensee sind heute praktisch vergessen – anhand Hunderter Seiten originaler Ermittlungsunterlagen, zum ersten Mal freigegebener Dossiers der Staatspolizei sowie italienischer Quellen werden die damaligen Ereignisse minutiös rekonstruiert.


1963 hatte ein Konflikt in unmittelbarer Nachbarschaft endgültig auf Österreich selbst übergegriffen – die Auseinandersetzung um Südtirol. Seit zwei Jahren schon führte der Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) den Kampf für Selbstbestimmung mit zunehmend terroristischen Mitteln. Dabei erhielten die „Bumser“, wie sie in Österreich verharmlosend genannt wurden, viel Unterstützung nördlich des Brenners – Waffen, Sprengstoff und Geld. Umso verbitterter war man daher in Italien, als sich der BAS-Terror verschärfte. Österreich wurde vorgeworfen, zu wenig zu tun, um die Verbindungslinien zu kappen – und damit den Terror erst recht zu ermöglichen. Vieldeutig erklärte 2005 ein pensionierter italienischer Geheimdienstoffizier im Dokumentarfilm „Bombenjahre“: „Ich war immer überzeugt und habe es auch dem Minister gegenüber gesagt: ‚Ich weiß nicht, wann der Südtirolterrorismus endet, aber ich weiß, wo er endet – er endet in Österreich.’“ Waren die Ebensee-Attentate Teil einer ausgeklügelten Strategie, um Wien zu zwingen, endlich effektiv gegen die „Bumser“ vorzugehen?

Ebensee (Quelle: Wikimedia Commons)
Dass die Spuren der Ebenseeattentäter nach Italien führten, dafür hatten sich zahlreiche Hinweise gefunden. Am Tag nach den Anschlägen erstattete Innenminister Franz Olah im Ministerrat Bericht. In dem Protokoll heißt es: „Es ist überall erhöhte Bereitschaft angeordnet: Kraftfahrzeuge, Wasserwerke, Brücken. Ich glaube, dass man die Maßnahmen einige Zeit aufrechterhalten soll. Ich würde eine Aufhebung nicht befürworten. Es könnte sein, dass sie (die Attentäter, Anm.) damit rechnen, sie seien schon fort und wiederholen das.“ Handelsminister Fritz Bock sorgte sich um die Europabrücke bei Innsbruck: Diese sei zwar so massiv, „dass nichts geschehen kann, aber Arbeiter könnten durch eine Bombenexplosion verletzt werden“. Vizekanzler Bruno Pittermann sprach sich dafür aus, dass man nicht schon eine Beschuldigung „in der Richtung auf eine bestimmte Herkunft der Täter konkretisieren“ sollte. „Das weiß man aber, dass es voraussichtlich nicht Österreicher waren“, gab Olah zurück. An den Tatorten verstreut hatten sich Ausweise einer italienischen Studentenverbindung gefunden – „Hände weg von den Carabinieri!“ lautet der drohende Aufdruck. Verdächtig aufgefallen waren außerdem vier Männer in einem graugrünen Fiat 1100. „Die Täter waren Italiener“, wusste die Kronen Zeitung schon 24 Stunden später. Herausgeber Hans Dichand, alias „Cato“, warnte dass „die vernarbten Wunden aus zwei Weltkriegen“ nun aufbrechen und eine „wirkliche Feindschaft gegen Italien“ entstehen könnte.

Feuerkogelseilbahn heute (Foto: Autor)
Die Beweisstücke von Ebensee passten zu zwei weiteren Anschlägen, die schon länger zurücklagen. Um 04.15 Uhr, am 1. Oktober 1961, hatten die Druckwellen einer Detonation die Fensterscheiben in Innsbruck vibrieren lassen. Auf dem nahe gelegenen Berg Isel war das Andreas-Hofer-Denkmal vom Sockel gesprengt worden. Die zwei Meter hohe Bronzefigur des Tiroler Freiheitshelden lag rücklings auf dem Boden – laut „Neues Österreich“ wies der Zeigefinger der ausgestreckten Hand dabei „nach Süden, Richtung Brenner…“ Sichergestellt wurden auch hier 20 Blanko-Mitgliedsausweise – so wie später in Ebensee.

Ein zweites Attentat, das in dieses Muster passte, war am 18. August 1962 gerade noch verhindert worden: Auf dem Sockel des sowjetischen Heldendenkmals am Wiener Schwarzenbergplatz war Polizisten etwas Verdächtiges aufgefallen: In fünf Meter Höhe, auf dem Denkmalsockel, lag eine dunkle Leinentasche. Als der herbeigeholte Sprengstoffsachverständige dieses herunterholte war schon „bei flüchtiger Betrachtung“ festzustellen, dass sich darin Sprengpatronen, eine Zündschnur und ein tickender Wecker befanden. Die funktionstüchtige „Höllenmaschine“ wurde umgehend entschärft – wären die 5 kg TNT explodiert, wäre der 12 Meter hohe Denkmalsobelisk eingestürzt. Bei der Spurensuche fand man erneut 29 Studentenausweise – diesmal mit dem kryptischen italienischen Aufdruck „Liberta per Berlino“ (Freiheit für Berlin).

Quelle: www.arbeiter-zeitung.at
Die Bomben von Ebensee waren also Teil einer Attentatsserie, die seit zwei Jahren Österreich erschütterte. Ungeachtet der zahlreichen Indizien verdächtigten die Behörden aber Einheimische und zwar aus dem Umfeld des BAS. Der Verdacht begründete sich auf einen Fund nach dem Berg Isel-Anschlag: Eine Rasierklinge der Marke „Aufbau“. Eine gleichnamige Gruppe innerhalb der Südtiroler Volkspartei hatte nur am 30. September 1961, also am Vortag der Bombenexplosion, ein Manifest gegen den Terror veröffentlicht. War das Attentat also eine Warnung des BAS an die Adresse der Gemäßigten? Dann gab es da noch Zeugen, die einen zwei Meter großen Mann am Tatort gesehen haben wollten – für die Ermittler passte die Beschreibung auf den Nordtiroler Kurt Welser, der den BAS seit den Anfangstagen mit Sprengstoff beliefert hatte und selbst über eine fundierte Ausbildung verfügte.

Hinweise, die in eine andere Richtung wiesen, wurden ausgeblendet: Der Sachverständige Alois Massak vermutete schon Anfang 1962, dass beim Berg Isel-Anschlag ein Zünder „mit militärischem Charakter“ verwendet worden war – und dieser italienischer Herkunft sei. Auch Massaks Untersuchung der Ebenseer Bomben ergab, dass es sich um „für militärische Zwecke speziell hergestellte Sprengladungen“ aus reinem TNT handelte. Darüber hinaus waren die verwendeten Weckeruhren italiensche Fabrikate, ebenso wie der elektrische Spezialzünder,  der „von den italienischen Genietruppen verwendet wird“. Trotzdem war man im Justizministerium „seit der ersten Erhebungen“ der Ansicht, „dass die Täter in den Kreisen der Gruppe um Kurt Welser, Dr. Burger, Kienesberger und Genossen zu suchen seien“. Da der BAS-Mann Peter Kienesberger während der Tatzeit in Haft gewesen war und auch der rechtsradikale Universitätsdozent Norbert Burger nicht in Frage kam, konzentrierte sich der Verdacht voll auf Welser. Sein Alibi, am Tag des Anschlags mit Frau und Kind auf einer Tiroler Almhütte übernachtet zu haben, war alles andere als stichhaltig. Welser wurde am 24. Mai 1965 verhaftet – nur um vier Wochen später wieder freigelassen zu werden, da seine Angaben nicht widerlegt werden konnten.


Quelle: www.arbeiter-zeitung.at
Die Spur gegen Welser war absichtlich gelegt worden – und zwar von einem illustren Kreis von Rechtsextremisten, der innerhalb der BAS-Unterstützerszene für den italienischen Geheimdienst spionierte. Am 25. März 1964, wenige Wochen vor Welsers Verhaftung, hatte im „Wilden Mann“ in Innsbruck eine Zusammenkunft stattgefunden. Es ging darum, Belastungsmaterial gegen Welser zu sammeln. Einer der Teilnehmer, Gerhard Neuhuber, erklärte, dass man im Innenministerium wisse, „dass nicht Italiener, sondern BAS-Leute am Werk gewesen seien“. Es existiere ein Foto, dass Welser einen Tag vor den Anschlägen in Ebensee zeige. Außerdem würden die verwendeten Zündmittel aus einem alten Lager der Wehrmacht bei Salzburg stammen. Quelle für diese Informationen war Neuhubers Chef bei der „Legion Europa“, einer rechtsradikalen Kleingruppe: Der 1928 geborene Journalist Alfred („Fred“) Borth. Laut einem Dossier der Staatspolizei unterhielt dieser „Beziehungen und Kontakte zu nationalistischen Organisationen in Italien, Belgien, Deutschland und Großbritannien. Vor allem aber war der umtriebige Journalist ein Mann der Geheimdienste: Borth war nicht nur Konfident der Staatspolizei, sondern machte sich für den italienischen Abschirmdienst SIFAR an Georg Klotz, einen der wichtigsten BAS-Führer, heran. Borth bot Klotz seine Hilfe an und traf ihn regelmäßig – Berichte darüber meldete er wöchentlich nach Rom. Nach den Anschlägen in Ebensee versuchten Borth und sein Umfeld, den Verdacht auf Welser zu lenken – „damit unser Kreis aus der Sache herausgehalten wird, was nur mehr so geht“, wie ein Beteiligter in einem Protokoll notierte. Neuhuber wurde beauftragt, auszuforschen, ob jemand „in den Kreisen um Welser“ einen Volvo, Mercedes oder VW fuhr – weil der Südtirolaktivist damit angeblich in Ebensee vor Ort war. 

Tatsächlich war alles ganz anders gelaufen: 1991 ergab sich aus Aufzeichnungen eines italienischen Neonazis, dass Borth mit den eigentlichen Tätern von Ebensee direkt in Kontakt war. In Verona habe Borth mit italienischen und ausländischen Rechten sowie einem hohen Geheimdienstoffizier zusammengesessen, um eine gemeinsame Vorgangsweise in Südtirol zu koordinieren. Datiert wurde das Treffen auf 1964. Nur wenige Monate später, im Februar 1965, wurde die Rolle von Borths Gesprächspartnern offenbar: Bei einer Razzia in Mailand wurden vier junge Neofaschisten – Giorgio Massara, Sergio Poltronieri, Luciano Rolando und Franco Panizza – verhaftet. Der Haupttäter, der 27jährige Massara, war bei dem Veroneser Treffen dabei gewesen. In seiner Wohnung fanden sich zahlreiche Beweisstücke: Tagebuchaufzeichnungen, Situationspläne, Lichtbilder und die hinlänglich bekannten Studentenausweise. Er habe es als unerträglich empfunden, dass eine große Nation wie Italien durch Terror bedroht werde, rechtfertigte sich Massara. Deswegen habe er sich zu Vergeltungsmaßnahmen entschlossen. Bei einem anderen Verhafteten wurde zudem ein Wiener Stadtplan sichergestellt, auf dem das Sowjetdenkmal angezeichnet war. Außerdem ergab die nachträgliche Durchsicht der Hotelbücher, dass Massara sich am Vorabend des Anschlagsversuchs gemeinsam mit den drei Kameraden das Zimmer Nr. 6 des Hotels „Am Augarten“ geteilt hatte.


Löwendenkmal Ebensee (Foto: Autor)
Die italienische Justiz beeilte sich nicht, gegen die Attentäter vorzugehen: Sie wurden zunächst einmal auf freien Fuß gesetzt und dann dauerte es bis 1969 ehe der Prozess begann. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bis auf Franco Panizza bereits alle Angeklagten ins Ausland abgesetzt. Panizza erklärte vor Gericht nur so viel: „Die Angelegenheit betraf die Verteidigung des Staatsgebiets. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Massara kassierte neun Jahre Haft, verstarb aber kurz darauf. Die anderen Urteile wurden herabgesetzt – zwei der Täter verbüßten einen Teil, der Rest wurde ihnen erlassen. Die Hintermänner des Terrors blieben im Dunklen – allerdings kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Neofaschisten bestens mit den Geheimdiensten vernetzt waren. So fand sich ein Hinweis auf eine „Aktion Österreich“, die logistisch unterstützt wurde. Befohlen haben soll alles der berüchtigte Carabinieri -General Giovanni De Lorenzo, der 1964 einen Staatsstreich plante und über insgesamt 157.000 Italiener Spitzeldossiers anlegen ließ. De Lorenzo befürchtete eine „Algerisierung“ Südtirols, das Ausbrechen eines Aufstands, weshalb für ihn alle Mittel gerechtfertigt waren. Der ursprünglich verdächtigte Kurt Welser wiederum erlebte die Rehabilitierung nicht mehr: Er verunglückte am 15. August 1965 bei einer Bergtour in der Schweiz tödlich.

Hotel "Am Augarten", Wien - hier logierten die Attentäter (Foto: Autor)
Auch nach den Ebenseer Bomben gab es beträchtliche Spannungen zwischen Wien und Rom. Als 1966 drei italienische Beamte auf der Steinalm den Tod fanden, plante der Militärgeheimdienst SID Vergeltungsattentate in Österreich. Zwei Spezialisten für Sabotage wurden nach Südtirol versetzt. Dort gab ihnen Admiral Eugenio Henke persönlich den Auftrag, potentielle Ziele ins Auge zu fassen. Eine entsprechende Liste mit 30 Einträgen wurde in einem Kuvert übergeben. Es blieb bei einem Planspiel.


Löwendenkmal Ebensee (Foto: Autor)
Dafür wurden die geheimdienstlichen Manöver unvermindert fortgesetzt: Der Militärhistoriker Hubert Speckner hat kürzlich Belege dafür vorgelegt, dass das Anschlag auf der Porzescharte 1967 manipuliert war: Vier Carabinieri starben, ein Soldat wurde verletzt – aber eben nicht durch eine Sprengfalle des BAS wie lange Zeit angenommen. Es könnte sich um Opfer eines Unfalls bei Verminungsübungen gehandelt haben, die dann an den präparierten Tatort geschafft wurden. Jedenfalls nutzte Italien das „Massaker“, um Österreich außenpolitisch unter Druck zu setzen. Die  Assoziierungs-Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurden blockiert, bis Wien bereit war, scharf gegen die „Bumser“ vorzugehen. Bereits Mitte Juli 1967 wurde das Bundesheer entsandt, um die Grenze zu Südtirol abzuriegeln. Schon länger ging die Justiz verstärkt gegen BAS-Aktivisten vor. Geschworenengerichte fällten aber ähnlich milde Urteile wie sie auch auf der anderen Seite der Grenze gegen die Ebensee-Attentäter verhängt worden waren. Es dauerte bis 1969 ehe bei den Verhandlungen zum „Südtirol-Paket“ der Durchbruch erzielt und der Konflikt durch eine Autonomielösung entschärft wurde.

In Italien sollten die teils illegalen Aktivitäten ein Nachspiel haben: Mit Bomben Chaos zu schaffen und falsche Spuren zu legen, wurde zur Handschrift einer rechten Terrorwelle, die das Land bis in die frühen 1980er Jahre erschütterte. Mit dieser „Strategie der Spannung“ sollte eine Machtergreifung der starken kommunistischen Partei verhindert werden – notfalls per Militärputsch. Involviert waren einige jener Offiziere, die vorher in Südtirol den Terrorismus mit schmutzigen Mitteln bekämpft hatten – und wahrscheinlich auch in Österreich zuschlagen ließen.

Ansicht Ebensee (Quelle: Wikimedia Commons)