Montag, 23. Mai 2016

Papst-Attentat: Ein kleines Rädchen im Kriminalrätsel des Jahrhunderts

Vor 35 Jahren, am 13. Mai 1981, wurde Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz von einem Attentäter angeschossen. Die dabei verwendete Waffe stammte von einem Händler aus Österreich.

Grünau im Almtal, wenige Tage nach dem Papstattentat: Otto Tinter, ein 70jähriger Rentner, nimmt Abschied am Grab seiner Frau. Nach der Beerdigung bekommt er unerwarteten Besuch. Es ist ein Kriminalbeamter, der ihm ein Fernschreiben vorhält. Daraus geht hervor: Es war eine von Tinter verkaufte Pistole, mit der das Oberhaupt der katholischen Kirche schwer verletzt wurde. Worin besteht die Verbindung zwischen dem „Verbrechen des Jahrhunderts“ und einem biederen oberösterreichischen Pensionär? Tinter – ein ehemaliger Konstrukteur in der Waffenabteilung der Steyr-Werke – hatte nicht einfach einen ruhigen Lebensabend verbracht. Er kaufte und verkaufte Waffen. Unter anderem war jene Pistole der Marke FN Browning, Kaliber 9 mm, mit der der Papst lebensgefährlich verletzt wurde, durch Tinters Hände gegangen. Mit einer Konzession als Waffenhändler wäre das sogar legal gewesen. Aber Tinter hatte keine solche Genehmigung. Man hatte sie ihm verweigert, obwohl die zuständige Sicherheitsdirektion einen zuverlässigen Lebenswandel bescheinigte. Tinter hielt das nicht ab – auch weil er seine an Schizophrenie erkrankte Tochter zu versorgen hatte, begann er ab 1977 Pistolen eben illegal zu verkaufen. Insgesamt waren es 150 Stück.

Unter anderem orderte er am 9. Juli 1980 in der Schweiz 22 zerlegte Faustfeuerwaffen und legte dafür den Lieferschein des konzessionierten Kremser Händlers Horst Grillmayer vor: „Der Name ist in Zürich bekannt. Ich habe ihn nur verwendet, weil ich dadurch niedrigere Preise bekam.“ Unter den Pistolen, die anschließend auf dem Postweg an Tinter gingen war jene FN Browning – von der Fabrique Nationale im belgischen Herstal. Von dort war die Waffe an den Schweizer Generalrepräsentanten nach Neuchâtel gegangen, der sie wiederum an das Züricher Waffengeschäft Glaser weiterhandelte. Hier bezog Tinter schließlich die Pistole. Der Weg der Browning ließ sich anhand der nicht herausgefeilten Seriennummer leicht nachvollziehen. Tinter blieb freilich das letzte Glied in der Kette – wie die Pistole in die Hand des Attentäters, des damals 23jährigen Türken Ali Agca, kam, ist nur eines von vielen Rätseln rund um den Anschlag auf Johannes Paul II. Tinter behauptete zunächst, der geheimnisvolle Mann sei ein Schweizer gewesen, der für mehrere Pistolen 60.000 Schilling in Franken bezahlt habe. Danach beließ es Tinter bei Andeutungen: „Ich weiß, dass ein hoher Wiener Finanzbeamter die Waffe eine Zeitlang besessen hat. Der hat sie dann in einem Kaffeehaus an zwei Türken verkauft.“
Wenige Wochen vor dem Attentat wohnte Agca in der Wiener Jheringstraße (Foto: H. Niklas)
Tinter und Agca wurden einander 1985 beim Prozess in Sachen Papstattentat gegenübergestellt. Beide wollten einander nie begegnet sein. Agca gab an, die Browning im März 1981 in Wien erworben zu haben. Damals versteckte er sich mit einem falschen Pass auf dem Namen Joginder Singh für einige Wochen in der Jheringstraße Nr. 33. In einem TV-Interview 2010 bestätigte Agca noch einmal, die Waffe „mit eigenen Mitteln“ in Österreich besorgt zu haben. In den 1980ern Jahre hatte er zusätzlich den Namen Grillmayer genannt – offenbar deswegen, weil sich Tinter auch beim Verkauf des Namens seines bekannteren Kollegen bedient hatte, um mehr Profit herauszuschlagen. Grillmayer, der von alldem nichts gewusst haben will, war nämlich eine große „Nummer“ im Geschäft: Er sprach nicht nur Türkisch, sondern reiste häufig nach Syrien, Libyen, in die DDR und andere osteuropäische Staaten. Anfang 1983 war Grillmayer selbst in einen Skandal verwickelt: 308 Pistolen, sieben Scharfschützengewehre und Maschinenpistolen sowie 15.000 Schuss Munition waren am Grenzübergang Kleinhaugsdorf abgefangen worden. Grillmayer war einer der Hintermänner des Deals. Der Fall schlug solche Wellen, dass sich Innenminister Erwin Lanc bei einer Pressekonferenz dagegen verwahrte, „Österreich als einen Tummelplatz internationaler Waffenschieber“ hinzustellen.

Doch zurück zur Mordwaffe: Vom Typus her war die halbautomatische Browning für das Töten auf kurze Distanz eigentlich nicht geeignet – die damit verschossenen Vollmantel-Projektile hatten keine „mannstoppende Wirkung“. So war es dann auch am 13. Mai 1981 während der Generalaudienz auf dem Petersplatz. Agca legte über die Köpfe von Gläubigen hinweg auf den 61jährigen Papst an, als dieser in einem offenen, weißen Jeep vorbeigefahren wurde. Um 17.17 Uhr drückte Agca zwei Mal ab. Der Papst sackte in sich selbst zusammen – großkalibrige Projektile hätten ihn umgestoßen. Aus der Körperhaltung des Killers, die auf Film- und Fotoaufnahmen gut dokumentiert ist, haben Ballistiker geschlossen, dass Agca bewusst auf die Beine und den Unterleib des Pontifex gezielt hatte. Sprich: Der gut trainierte Killer schoss nicht, um zu töten, sondern um zu verwunden. Tatsächlich kämpften die Ärzte fast fünfeinhalb Stunden um das Leben von Johannes Paul II. Ein Geschoß hatte mehrere Dünndarmschlingen und einen Teil des Dickdarms zerfetzt und war danach neben der Wirbelsäule wieder ausgetreten. Lebenswichtige Organe waren aber verschont geblieben. Der Papst selbst erklärte sich seine Rettung so: „Eine Hand hat die Pistole gehalten, eine andere die Kugel gelenkt.“
In diesem "Papamobil" befand sich Johannes Paul II., als auf ihn geschossen wurde (Quelle: Wikimedia Commons/Jebulon)
Die Frage, wer die Hand des Schützen „gelenkt“ hat, ist auch nach mehr als drei Jahrzehnten offen. Denn so viel ist klar – Agca war ein Auftragstäter. Er gehörte zu den „grauen Wölfen“, der Vorfeldorganisation einer 1961 gegründeten rechtsextremen Partei. Ende der 1970er Jahre als sich die Konfrontation zwischen Rechts und Links in der Türkei zuspitze, waren die „grauen Wölfe“ in zahllose Morde verstrickt. So erschoss Agca 1979 einen regimekritischen Journalisten und entkam kurze Zeit später unter ungeklärten Umständen aus der Haft. Danach reiste er ins kommunistische Bulgarien ein und verbrachte dort angeblich 50 Tage. Dieser Aufenthalt wurde zum Ausgangspunkt der bis heute bekanntesten Theorie in Sachen Papstattentat: Nämlich, dass Agca vom Geheimdienst angeheuert wurde. Im Hintergrund habe der KGB die Fäden gezogen. Denn der stramm antikommunistische Johannes Paul II. unterstützte die Gewerkschaft Solidarność in seinem Heimatland Polen und galt deshalb als ernste Bedrohung. Agca selbst nannte 1982 Namen angeblicher bulgarischer Hintermänner. Aber der Prozess gegen sie endete 1986 in Freisprüchen aus Mangel an Beweisen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die „bulgarische Spur“ längst ein Eigenleben angenommen. Vor allem die Reagan-Administration propagandierte sie als Beleg dafür, dass Moskau die Quelle allen Übels sei. Heute ist die Spur „verblasst“, wie der ehemalige Untersuchungsrichter Rosario Priore meint. Und selbst der Pontifex bekundete bei einem Besuch in Sofia 2000, „niemals“ daran geglaubt zu haben.

Bleibt die „interne Spur“: Folgt man den Vertretern dieser These, so wollten innerkirchliche Gegner den Hardliner Johannes Paul II. stoppen. 2010 goss der notorische Selbstdarsteller Agca, der 19 abweichende Versionen zu seinen Hintermännern aufgetischt hat, auch hier Öl ins Feuer: Er bezichtigte den verstorbenen Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli der Kopf der Verschwörer gewesen zu sein. Wirklich auf den Grund gegangen ist man der „internen Spur“ nie – zu oft wurden Fragen der Ermittler mit dem Hinweis auf Souveränität des Vatikans abgeblockt.

Und schließlich ist da noch eine dritte Spur zu einem üblichen Verdächtigen: Der Mafia. Demnach wurde der Papst „bestraft“, weil Gelder des organisierten Verbrechens beim Zusammenbruch der Banco Ambrosiana verloren gegangen waren. Zuvor hatte dieses Mailänder Geldhaus gemeinsam mit der Vatikanbank eine undurchsichtige Rolle bei der Finanzierung der Solidarność gespielt. Auch in diesem Fall fehlen eindeutige Beweise. Wer auch immer das Attentat bestellte, es war letztlich ein Fehlschlag: Johannes Paul II. erholte sich schnell. Seine Entschlossenheit wurde durch die Überzeugung, mit himmlischem Beistand überlebt zu haben, erst recht angestachelt.

Und Otto Tinter? Das kleine Rädchen im „Verbrechen des Jahrhunderts“ wurde im Mai 1983 wegen seines umfangreichen privaten Waffenarsenals zu fünf Monaten bedingt verurteilt. Im Jahr darauf hagelte es noch eine saftige Geldstrafe wegen Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung. Antworten blieb Tinter bis zuletzt schuldig: „Ich bin 73 und zu 80 Prozent invalid. Ich kann mich nicht an alles erinnern.“

Hinweis: Geringfügig gekürzte Version ist am 22. Juni in der Presse am Sonntag erschienen.

Sonntag, 1. Mai 2016

Das „heiße Jahr“ 1961: Als sich der rechte Terror in Österreich zurückmeldete

Vor 55 Jahren erschütterte eine Welle von rechtsextremen Anschlägen Österreich. Nur durch Zufall gab es keine Opfer zu beklagen. Dafür wurden einige der symbolträchtigsten Institutionen der jungen Nachkriegsdemokratie getroffen: Mehrmals die Rückfront Parlaments und das Republikdenkmal. Zu den Zielen zählten auch ausländische Vertretungen. Hauptbezugspunkt der Attentäter war der Südtirolkonflikt – aber ihre mehrmonatige Kampagne zielte auch auf die Grundfesten der 2. Republik.

Es ist Sonntagabend, 30. April 1961: Um 22.45 Uhr erschüttert eine Detonation den Schmerlingplatz zwischen Parlament und Palais Epstein. An der Rückseite des Republikdenkmals ist ein Sprengsatz explodiert. Trümmer des Schaltkastens, von dem aus die Scheinwerfer bei einer Festbeleuchtung des Denkmals mit Strom versorgt werden, werden bis zu 50 Meter weit weggeschleudert. Fensterscheiben und zwei Oberlichten im Parlament gehen zu Bruch. Das Republikdenkmal trägt nur geringe Schäden davon. Dass es keine Toten oder Verletzten gab, ist dem Zufall geschuldet: Der traditionelle Fackelzug am Vorabend des 1. Mai war wegen Regens abgesagt worden – die Route der Kundgebung hätte am Explosionsherd vorbeigeführt.
Schäden am Republikdenkmal (re.) - Quelle: www.arbeiterzeitung.at
Drei Tage später tagt der Ministerrat: Innenminister Josef Afritsch (SPÖ) informiert die Bundesregierung: „Wir haben erfahren, dass bei der ganzen Bevölkerung größte Erregung besteht über diese Explosion. Wir werden alles unternehmen, den Täter greifbar zu machen. Immerhin war in den letzten Jahren Ruhe, und wir müssen das mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.“ Bundeskanzler Alois Gorbach (ÖVP) meint: „Hoffentlich gelingt es möglichst bald, der Täter habhaft zu werden.“ An dieser Stelle wirft Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) eine Vermutung bezüglich des Tathintergrunds ein: „Es wird mit den Anschlägen in Südtirol in Zusammenhang gebracht.“
Das Republikdenkmal heute (alle Fotos:  Autor)
Im Schatten des Südtirolkonflikts
55 Jahre danach ist der Anschlag auf das Republikdenkmal ungeklärt geblieben – aber Pittermann dürfte wohl richtig gelegen sein. Der damals virulente Südtirolkonflikt hatte einen Schatten auf die innenpolitische Lage in Österreich geworfen: Der Ende der 1950er Jahre gegründete „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) hatte sich der Forderung nach Selbstbestimmung verschrieben. Um die Öffentlichkeit auf die Probleme der deutschsprachigen Minderheit in Italien aufmerksam zu machen, beging der BAS Anfang 1961 erste „demonstrative“ Bombenanschläge in Südtirol gegen Rohbauten und Denkmäler. Schon bald steigerte sich die Aktivität. In der „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 wurden alleine 37 Strommasten gesprengt. Daraufhin wurden 24.000 Soldaten und 10.000 Carabinieri nach Südtirol verlegt. Es kam zu Massenverhaftungen und Folterungen von BAS-Leuten.

In Österreich stieß diese Entwicklung auf großes Echo: Vor allem auf deutschnationaler und rechtsextremer Seite wurde der „Freiheitskampf“ in Südtirol zum cause célèbre. Und hier war nicht nur der italienische Zentralstaat ein Feind, sondern auch die eigene Regierung, die man mit Gewalt zu mehr Engagement nötigen wollte. Darüber hinaus war Südtirol war ein passende Aufhänger für die Propagandierung eigener Inhalte und bündelte generelle Unzufriedenheit mit den Verhältnissen: Denn gerade Anfang der 1960er Jahre kam es in Österreich zu Prozessen gegen NS-Täter. Auf internationaler Ebene weckte das Verfahren gegen Adolf Eichmann große Aufmerksamkeit (11. April – 15 Dezember 1961). Weiters gab tiefsitzende Ressentiments wegen der als unrechtmäßig empfundenen „Entnazifierung“ Ende der 1940er Jahre. Gegenläufige Tendenzen – wie die Rehabilitierungen von „Ehemaligen“ in den 1950er Jahren – wurden dagegen ausgeblendet. Die noch ungefestigte österreichische Identität bei gleichzeitiger Tabuisierung der NS-Vergangenheit wirkte überhaupt tief in die Gesellschaft hinein.

Gerd Honsiks „Werwölfe“
Der Anschlag auf das Republikdenkmal war insofern nur der Auftakt für eine mehrmonatige Terrorkampagne, die von verschiedenen Akteuren vorangetrieben wurde. Die meisten Aktionen gingen auf das Konto des „Werwolf“ – einer Kleingruppe um den damals 20jährigen Gerd Honsik. Bis heute ist er eine der zentralen Führungspersonen der Neonazi-Szene und verurteilter Holocaust-Leugner. 1961 war Honsik ein Schulabbrecher aus zerrütteten Verhältnissen: Der Vater war 1944 in Italien gefallen – angeblich wurde der Mutter die Witwen- und Waisenrente versagt. „Seit dieser Zeit besteht in mir der Hass gegen diese derzeitige österreichische Marionettenregierung“, bekundete Honsik gegenüber der Staatspolizei. Sein ganzes Bestreben, sei darauf gerichtet gewesen, „das bestehende österreichische Staatsgefüge mit meinen, wenn auch bescheidenen Kräften zu vernichten zu trachten“. Laut Aussage eines Mitbeteiligten sprach Honsik immer wieder davon, „irgendwelche Aktionen“ zu unternehmen, „um die österreichischen Politiker zu zwingen, in der Außenpolitik einen härteren Kurs [gegenüber Italien] einzuschlagen und auch vor Gewalttaten nicht zurückzuschrecken“.

Neben Günther Pfeifer, Rainer Burghardt und Peter Melzer war noch ein weiteres notorisch bekanntes Mitglied der rechtsextremen Szene involviert: Der 1941 geborene Günther Kümel hatte ähnlich wie Honsik früh seinen Vater verloren. Die „sehr national“ eingestellte Mutter dekorierte sogar den Weihnachtsbaum mit Bäckerei in Runenform. Kümel war ab 1956/57 Mitglied im „Bund Heimattreuer Jugend“ und wechselte nach dessen Auflösung zum „Ring Freiheitlicher Jugend“. 1961 inskribierte er an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät. Vier Jahre später, am 31. März 1965, schlug Kümel dann während der Demonstration gegen den deutschnationalen Hochschulprofessor Taras Borodajkweycz den Antifaschisten Ernst Kirchweger nieder. Dieser starb an den Verletzungen – das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik. Kümel zog es danach vor, im Ausland unterzutauchen – allerdings taucht sein Name seit 2000 wieder in einschlägigen Foren auf.

1961 unternahmen Honsiks „Werwölfe“ fast ein halbes Jahr lang kleinere Sprengstoff- und Schussattentate gegen symbolisch wichtige Einrichtungen: Mehrmals wurden selbstgefertigte Sprengkörper zur Detonation gebracht – und zwar vor der italienischen Botschaft (28. Mai), vor dem Büro der Fluggesellschaft Alitalia (25. Juli), vor dem Parlament (in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli), vor der US-amerikanischen Botschaft (17. August) und der Rückfront des Parlamentsgebäudes (ebenfalls 17. August). Weiters wurden am 8. Oktober bzw. in der Nacht vom 27. auf den 28. November auf die Fassade der italienischen Botschaft sowie erneut auf die Parlaments-Rückfront mehrere Revolver- und Pistolenschüsse abgegeben. Einer der Täter hatte jeweils aus dem fahrenden Auto gefeuert.
Die betroffene Rückfront des Parlaments in der Reichsratsstraße
Diese Taktik hatte man sich offenbar von der Organisation de l’armée secrète (OAS) abgeschaut. 1961/62 kämpfte diese für ein französisches Algerien – unter anderem verbreiteten die Delta Kommandos der OAS Terror, indem sie aus Autos völlig wahllos das Feuer auf arabische Passanten eröffneten. Die Ereignisse in Wien verliefen dagegen unblutig und entbehrten nicht einer gewissen Komik – wie aus Schilderungen Honsiks bei einer Einvernahme hervorgeht. So heißt es beispielsweise zum Attentat am 8. Oktober 1961: „Wir fuhren mit meinem Wagen in die Magazinstraße und starb mir der Motor dort ab. Da der Wagen trotz Anschieben nicht ansprang, ließen wir ihn vorerst in der Magazinstraße stehen und gingen zu dem Würstelmann auf dem Rennweg, wo wir uns ‚Heiße‘ kauften. Nach einer Weile gingen wir wieder zum Wagen und setzten uns hin. […] Es gelang uns, den Wagen anzuschieben und sprang der Motor an. […] Während ich bei der Botschaft vorbeifuhr, gab mein Bekannter glaublich fünf Schüsse ab.“ Ein anderes Mal hielt Honsik ein Sprengstoffpaket mit brennender Lunte „zu lange“ fest. Die Folge waren Schmauchspuren im Gesicht und Brandwunden an der Hand und am rechten Fuß. Und im Falle des Alitalia-Anschlags sollte die Zünd-Flamme nicht ausreichen, um die Pappkartonwand des Sprengkörpers zu durchbrennen.
Die Alitalia befindet sich heute noch am Kärntner Ring
„Regierung durch Waffengewalt zurückzwingen“
Mehrmals wurden an den Tatorten Plakate mit Parolen zurückgelassen – vor der italienischen Botschaft wurde zum Beispiel ein mit Blockbuchstaben beschriebener Packpapierbogen gefunden: „Wir brauchen keine Regierung, die ihre Zeit damit totschlägt, sich vom Freiheitskampf in Südtirol zu distanzieren. […] Selbstbestimmung ist für das deutsche Volk gerade genug. Jetzt erst recht.“ Die jungen Rechtsterroristen versuchten auch bewusst, die Medien für ihre Sache einzuspannen. Einmal verständigten sie einen Redakteur der Zeitung „Express“ von der Hinterlegung eines Sprengkörpers, woraufhin sich dieser samt Fotograf rechtzeitig am Tatort einfand. Außerdem schaltete sich Honsik am 22. Dezember 1961 persönlich in die lebhafte öffentliche Debatte ein, indem er ein mit „Der Werwolf“ gezeichnetes Schreiben an den damaligen Kurier-Chefredakteur Hugo Portisch schickte. Unter anderem stand darin herausfordernd zu lesen: „Ich, der ich für sieben der in der letzten Zeit verübten gewaltsamen Demonstrationsakte verantwortlich bin, erkläre, dass ich bereit bin, mich der Staatspolizei zu stellen. Ich, der ich bekenne, in mühevoller, gefährlicher Arbeit eine bewaffnete Organisation aufgebaut zu haben mit dem Ziel die österreichische Regierung durch Waffengewalt auf den Weg der unverfälschten Demokratie zurückzuzwingen, den sie noch nie beschritten hat, bin bereit, dieses Bekenntnis vor jedem beliebigen Forum zu wiederholen.“

Honsik sollte zu einem solchen Schritt keine Gelegenheit mehr haben: Der Staatspolizei war schließlich der entscheidende Durchbruch gelungen. Und zwar hatten die Attentäter nach der Schussabgabe beim Parlament einen Karton mit der Aufschrift: „Die deutschen Burschenschaften werden kämpfen!“ liegengelassen. Daran war ein Couleurband der „Markomannia“ aufgeklebt gewesen. Der Hersteller konnte ausfindig gemacht, und diese Spur führte schließlich Ende Dezember 1961 zur Festnahme von Honsik und seiner Mittäter. Am 30. Mai 1962 wurden die Urteile gefällt: Honsik erhielt eine vierjährige Haftstrafe, sein „Adjutant“ Melzer kassierte zwei Jahre. Kümel und Burghardt wurden zu je 10 Monaten Arrest verurteilt, Pfeiffer zu sechs Monaten.
Die Fassade der italienischen Botschaft am Rennweg wurde beschossen
„Methoden der illegalen Nazis“
Der Staatsanwalt hatte zuvor gemahnt, die Taten würden an die „Methoden der illegalen Nazibewegung vor dem Jahre 1938“ erinnern. Und zwar war zwischen 1933 und 1938 mit Terroranschlägen ein Klima der Unsicherheit erzeugt worden, um so die braune Machtübernahme in Österreich vorzubereiten. Das Jahr 1961 dagegen war zumindest unblutig verlaufen – aber die Attentate versetzten die Zweite Republik gehörig in Unruhe. Ein Teil des Meinungsspektrums konstatierte infolge der Ereignisse: „Der nazistische Ungeist, […], ist also keineswegs überwunden und vergessen; noch immer sind faschistische Übeltäter am Werk, und nur die Polizei hindert sie daran, statt gegen die Toten weiter gegen die Lebenden vorzugehen“ („Arbeiter-Zeitung“, 25. November 1961). Andererseits wurden die Anschläge auch gerne als Taten von „Nazilausbuben“ bagatellisiert. Nach der Verhaftung von Honsik und seines Anhangs war beispielsweise in der „Kronen Zeitung“ zu lesen: „Wie sich nun zeigt, hat die Affäre keine echten politischen Akzente. Es handelt sich lediglich um die Aktionen krankhaft geltungsbedürftiger junger Leute.“ Das Hin- und Her bewog sogar den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Oswald Peterlunger, sich einzuschalten. Er sei der Ansicht, „dass in diesem Zusammenhange nicht mehr von Lausbubenstreichen gesprochen werden kann und darf“. Gleichzeitig solle aus „vereinzelten Handlungen“ keine „Hysterie“ erzeugt werden. Die Exekutive habe bewiesen, „mit subversiven Elementen oder Vereinigungen fertig zu werden“: So verwerflich die Taten einzelner seien, so könne von einer „ernsten Gefahr seitens faschistischer Elemente“ nicht gesprochen werden: „Österreich ist seit 1945 eines der ruhigsten und innenpolitisch ausgeglichendsten Länder in Europa.“ Und: „Wenn es den politischen Parteien seit dem Jahre 1945 zum Teile nicht gelungen ist, die Jugend, die immerhin schwerste Erlebnisse hinter sich hat, richtig anzusprechen, so geht dies nicht auf Konto der Polizei und Sicherheitsbehörden.“

Wie bereits erwähnt, ereigneten sich abgesehen von den Anschlägen der Honsik-Gruppe im „heißen Jahr“ 1961 noch zahlreiche weitere rechtsterroristische Taten in Wien: Die Explosion eines Böllers an der Einfahrt zur Rathausgarage (28. Mai) sowie einer Brandbombe vor einem italienischen Eissalon in der Alserstraße (13. September), die Detonation eines Sprengkörpers unter dem geparkten Auto eines Scala-Tenors auf Gastspiel in Wien (ebenfalls 13. September) sowie ein missglückter Molotow-Cocktail-Anschlag auf die Wohnung eines Staatsanwalts (20. November).

Neonazis intervenieren in Südtirol
Darüber hinaus intervenierten österreichische und deutsche Neofaschisten direkt im Südtirolkonflikt: Angestiftet vom Innsbrucker Universitätsdozenten Norbert Burger unternahmen im September 1961 vier österreichische und drei deutsche Studenten in mehreren italienischen Städten Anschläge mit Molotow-Cocktails. Eine weitere Gruppe beschädigte einen Strommast und beschoss einen Militärposten im Passeiertal. In der Wiener Bundesregierung läuteten deswegen die Alarmglocken. In der Sitzung des Ministerrats vom 12. September 1961 mahnte Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ): „Ich bin überzeugt, dass der Radikalismus nicht nachlassen wird, wenn die Verhandlungen wieder evasiv geführt werden, wird er wieder wachsen. Die Nachrichten sagen, dass die Verhörmethoden sich sehr verschärft haben. […] Die Täte der letzten Terrorakte sind zum Teil aus Österreich gekommen. […] In Südtirol ist es ein öffentliches Geheimnis, dass eine Schießerei in Passei von einer Gruppe durchgeführt wurde, die sich nach Österreich zurückgezogen hat; natürlich sind alle Gruppen in der Sache verwickelt. Ehemalige Nazi, Kommunisten und alle, die Unruhe haben wollen.“

Brisanterweise waren die Burger-Leute Ende 1959 von einem Ex-Untergebenen des Befehlshabers der SS-Spezialverbände, Otto Skorzeny, im Zillertal in der Handhabung von Sprengstoff ausgebildet worden. Skorzeny befand sich bis zum seinem Tod 1975 im franquistischen Spanien und war eine Anlaufstelle für Rechtsextremisten, darunter auch für Burger. Justizminister Christian Broda (SPÖ) klärte den Ministerrat auf: „Die Verbindungen von Burger gehen bis zu Skorzeny in Madrid. […] Skorzeny hat dann Burger weitergewiesen zu deutschen oder belgischen Quellen von Sprengstoffmaterial. Darüber haben die deutschen Behörden seit Monaten Kenntnis gehabt. Uns haben sie im August in Kenntnis gesetzt. Jetzt bekommen wir Niederschriften, die aus dem April stammen.“ Als Konsequenz wurde im Dezember 1961 die Burschenschaft „Olympia“, der Burger und einige der verhafteten Attentäter angehört hatten, vom Innenministerium aufgelöst (1973 sollte sich die Verbindung neu konstituieren). Burger floh zwischenzeitlich in die BRD und wurde 1967 gemeinsam mit 14 weiteren Angeklagten von einem Linzer Geschworenengericht freigesprochen. Ein Jahr später fasste er dann doch acht Monate aus. Man setzte ihn prompt auf freien Fuß, weil er die Strafe in der Untersuchungshaft bereits verbüßt hatte.

Neue Betätigungsfelder
In Südtirol hatte sich die Gewalt im Verlauf der 1960er gesteigert: Zwischen 1961 und 1967 starben 15 italienische Militärs, Polizisten und Zöllner. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier Aktivisten ums Leben. In Österreich kam es im Gegenzug 1961 (Sprengung des Andreas Hofer-Denkmals in Innsbruck) und 1963 (zwei Bombenattentate in Ebensee) zu Vergeltungsschlägen italienischer Neofaschisten. Ebenso wenig zu Ende war der Terror einheimischer Extremisten: Um 04.51 Uhr früh am 20. August 1966, vor 50 Jahren, detonierte eine 10kg-Bombe vor dem Alitalia-Büro am Kärntner Ring, das schon 1961 ein Ziel gewesen war. Das Geschäftsportal wurde zertrümmert. Die Druckwelle riss die Fensterstühle der umliegenden Häuser heraus und richtete noch in der tiefer gelegenen Opernpassage Verwüstungen an. Nur durch Zufall gab es keine Opfer zu beklagen – zum Zeitpunkt der Explosion war ein starker Gewitterregen niedergegangen, der Passanten anderswo zum Unterstellen zwang. Schon bald wurden die Täter ausgeforscht: Hannes Falk und Emanuel Kubart. Nach Aussage des letzteren wollten sie mit dem Anschlag gegen damals laufende Geheimverhandlungen zwischen Österreich und Italien protestieren.

Nachdem der Südtirolkonflikt 1969 schließlich auf diplomatischen Weg entschärft werden konnte, suchte sich der Rechtsextremismus neue Betätigungsfelder: Burger gründete 1967 die Nationaldemokratische Partei (NDP), um die sich zahlreiche Klein- und Wehrsportgruppen scharrten. In den 1980er Jahren waren Exponenten aus diesem Umfeld in eine Serie antisemitisch motivierter Bombenanschläge verwickelt. In den 1990er Jahren folgten dann der Briefbombenterror und das Attentat in Oberwart (1995) – mit vier Todesopfern bis heute der blutigste rechtsterroristische Anschlag in der Geschichte der 2. Republik. Hier dürfte mit Franz Fuchs ein Einzeltäter am Werk gewesen sein. Auch heute sendet die Szene deutliche Lebenszeichen aus: So wurde 2013 in Oberösterreich ein kriminelles Neonazi-Netzwerk zerschlagen („Objekt 21“). Zuletzt ist die Zahl der rechtsextrem und rassistisch motivierten Straftaten stark gestiegen. 2015 wurden insgesamt wurden 1.156 Fälle registriert, 54 Prozent mehr als noch im Vorjahr.