Nie zuvor
und nie wieder danach befanden sich so viele hochrangige Politiker in den
Händen von Terroristen: Die Geiselnahme während der Ministerkonferenz der
Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) in Wien am 21. Dezember 1975
nimmt bis heute eine Sonderstellung in der Geschichte des modernen Terrorismus
ein. Ein sechsköpfiges Kommando, angeführt von dem damals 26jährigen
Venezolaner Ilich Ramirez Sanchez (besser bekannt als „Carlos“), hatte
insgesamt 62 Geiseln genommen, darunter 11 Erdölminister. Es gab drei Tote zu
beklagen – einen österreichischen Polizisten, einen irakischen Leibwächter und
einen libyschen Delegierten. Bundeskanzler Bruno Kreisky handelte
schließlich die Ausreise des Terrorkommandos und eines Teils der Geiseln nach
Algerien aus, wo die Minister nach einem nervenaufreibenden Hin- und Herflug
zwischen Tripolis und Algier am 23. Dezember 1975 auch freikamen. Der „Coup“
von Wien erregte damals weltweite Aufmerksamkeit. Kürzlich meinte der
Journalist und zeitweilige Agent des Bundesnachrichtendiensts (BND), Wilhelm
Dietl: „Der Terroranschlag auf die OPEC-Konferenz war eine der größten
Medienkampagnen aller Zeiten – also, man kann das vergleichen mit 9/11.“
Ehemaliger Sitz des OPEC-Generalsekretariats (Foto: Autor) |
Das
Terrorkommando kam mit der Straßenbahn
Kurz vor 11.30 Uhr langten die
Terroristen mit der Ring-Straßenbahn fast direkt vor den Sitz des
OPEC-Generalsekretariats am Dr. Karl-Lueger-Ring Nr. 10 (seit 2012
Universitätsring) an. Gut, dass die Tram an diesem Sonntagvormittag fast leer
war. Denn die Gruppe bot ein „lustiges Bild“, erinnerte sich Hans
Joachim-Klein: Carlos mit seinen lateinamerikanischen Zügen und der in Wien
gekauften Baskenmütze auf dem Kopf, der kleingewachsene „Jussef“, ein
„Vollblutaraber“, und der Rest in dicken Jacken, um darunter Waffen zu
verbergen: „Wir konnten uns deshalb kaum bewegen, und genauso sah es aus.“ In
Adidas-Sporttaschen wurden Maschinenpistolen, Handgranaten, Plastiksprengstoff,
Sprengkapseln und für jeden eine Packung Amphetamine zum Wachbleiben
mitgeführt. Es war also kein Wunder, dass nicht nur der Schaffner „guckte“.
Die OPEC war im Juli 1965 von
Genf nach Wien übersiedelt – man hatte sich in den ersten zwei Stockwerken
eines Hochhauses direkt gegenüber der Hauptuniversität eingemietet. Die
Ministerkonferenz war bereits seit einer Stunde im Gange. Da am Ergebnis der
Besprechungen großes Medieninteresse herrschte, befanden sich ca. 30
Journalisten vor Ort. Das machte die Situation vor dem Gebäude und im Hausflur
„sehr unübersichtlich“ und erleichterte den Terroristen ihr Vorgehen. Vor allem
spielte ihnen in die Hände, dass die Sicherheitsvorkehrungen generell lax
gehandhabt wurden. Bundeskanzler Kreisky räumte Anfang 1976 vor dem Nationalrat
ein, dass man auf österreichischer Seite einen „entscheidenden Fehler“ gemacht
habe: Die OPEC wurde für die am „wenigsten gefährdete Institution“ gehalten,
weil damals bereits bekannt war, dass einige der Mitgliedsstaaten zu den
Förderern des internationalen Terrorismus zählten. „Wir sind zu dem Schluss
gekommen, dass diese Organisation – auch sie selber kam übrigens zu dem Schluss
– kein Sicherheitsrisiko darstellt. Da haben wir geirrt“, so Kreisky.
Heutige Ansicht des Foyers (Foto: Autor) |
An jenem Sonntagvormittag war
direkt vor dem Eingang in das OPEC-Gebäude ein einzelner Polizeibeamter
positioniert, der aber nur die Zu- und Abfahrt regelte. In den Räumlichkeiten
der OPEC versahen zwei Staatspolizisten Dienst: Der 60jährige Anton Tichler,
der zwei Monate vor der Pensionierung stand und der 59jährige Josef Janda. Die
Anweisung an sie lautete, im Gefahrenfall möglichst nicht von der Schusswaffe
Gebrauch zu machen, sondern Meldung zu machen. Mit Funkgeräten dafür waren sie
allerdings nicht ausgestattet. Der einzige zusätzliche Sicherheitsmann, ein
gebürtiger Iraker, war bei der OPEC beschäftigt und versah den Dienst
unbewaffnet.
„Is the conference still
working?“
Unter den genannten Gegebenheiten
war es für die Terroristen ein leichtes, ein Treffen von hochrangigen – teils
hochgefährdeten – Persönlichkeiten zu überfallen. An dem Posten vor dem Gebäude
war das Kommando zielstrebig vorbeigegangen: „Die Herrschaften haben freundlich
gegrüßt, ich glaube, sie haben Grüß Gott gesagt oder Guten Tag, Herr Inspektor.
Ich hatte keinen Auftrag, die Leute zu kontrollieren. Das ist ja auch so
schnell gegangen.“ Im Foyer passierten die Terroristen dann eine wartende
Journalistenrunde. Jemand fragte: „Is the conference still working?“ Ein
französischer Reporter erinnerte sich: „Ich habe gesagt: ‚Ja’; da sind sie
hineingegangen, und einige Sekunden später habe ich Schüsse gehört.“ Im
Konferenzsaal dachte der saudische Erdölminister Ahmed Yamani zuerst, die
unbekannten Angreifer müssten Europäer sein, die gewaltsam gegen die Erhöhung
der Ölpreise protestierten: „Ich dachte, sie kommen, um an uns Rache zu nehmen.“
Im Stiegenhaus des ehemaligen OPEC-Gebäudes (Foto: Autor) |
Der genaue Ablauf der
nachfolgenden Ereignisse ist bis heute umstritten – fest steht nur, dass es den
Terroristen gelang, die Räumlichkeiten unter ihre Kontrolle zu bekommen und
dabei 62 Geiseln – darunter 11 Erdölminister – zu nehmen. Die Attacke wurde
brutal durchgeführt. Wovon mit einiger Sicherheit ausgegangen werden kann, ist,
dass „Nada“ – also Gabriele Kröcher-Tiedemann – den Staatspolizisten Tichler
erschoss, als dieser Hilfe holen wollte. Laut Zeugenaussagen tötete Kröcher-Tiedemann
kurz darauf auch den Leibwächter des irakischen Erdölministers Saces al
Khafazi. Dieser hatte die zierliche Frau in ein Handgemenge verwickelt. Die
Leiche des dritten Opfers – das libysche Delegationsmitglied Jussuf Izmirili –
wurde erst im Zuge der Tatbestandsaufnahme am 22. Dezember 1975 im Zimmer Nr.
105 aufgefunden. Der Vater zweier kleiner Kinder war durch zwei Einschüsse in
den Kopf und fünf Einschüsse in den Rücken getötet worden. In diesem Fall war
Carlos der Täter – als er das Bürozimmer kontrollieren wollte, hatte er sich
plötzlich Izmirili gegenüber gesehen und nach einer kurzen Rangelei geschossen.
„Das war
eine Anti-Geisel-Truppe“
Insgesamt drei Notrufe waren aus
dem OPEC-Gebäude abgesetzt worden. Um 11.50 Uhr traf das Einsatzkommando (EKO)
der Bundespolizeidirektion Wien am Schauplatz ein. Das EKO bestand gerade
einmal aus acht Beamten, die mit Stahlhelmen aus Wehrmachtsbeständen,
Maschinenpistolen und zwei schusssicheren Westen ausgerüstet waren. Es handelte
sich durchwegs um ältere, beleibte Männer. Man hatte sie bewusst ausgewählt,
weil sie als erfahren galten. Deshalb würden sie in gefährlichen Situationen
ruhig bleiben und nicht gleich den Abzug ihrer Waffe bedienen. Moderne
Bedrohungen wie Geiselnahmen durch Terroristen hatten bei der Konzeption des
EKO noch keine Rolle gespielt.
Die Polizisten stürmten über die Treppe in den
ersten Stock und versuchten von dort aus in das Foyer einzudringen. Angeführt
wurden sie von dem 52jährigen Großvater und zu 42 Prozent kriegsversehrten Kurt
Leopolder. Bei ihrem Vorgehen machten die Polizisten solchen Lärm, dass die
Geiselnehmer auf den Vorstoß längst vorbereitet waren. Terrorist Klein nannte
sie später in seinen Memoiren „Wiener Djangos“: „Das war keine
Anti-Terrorismus-Truppe, das war eine Anti-Geisel-Truppe mit Suizidabsichten.“
Beim anschließenden kurzen, aber intensiven Feuergefecht erhielt Klein einen
Bauchschuss, während Leopolder einen Treffer im Gesäß abbekam („In Oasch hobn’s
mi gschossn. Oba den Hund hob i dawischt“). Der Polizist sollte sich von der
Verletzung nicht mehr erholen und blieb teilweise gelähmt. 1976 bekam Leopolder
eine Medaille, 5.000 Schilling Überbrückungshilfe und wurde pensioniert. Die
OPEC bezahlte ihm monatlich 2.600 Schilling. Am 15. Juli 1984 verstarb er 61jährig
an den Spätfolgen. Weitere Vorstöße unterblieben.
Die Polizei beschränkte sich
infolge darauf, das Gebäude hermetisch abzuriegeln. Das war auch notwendig,
denn in unmittelbarer Nähe versammelten sich rasch mehrere Hundert
Schaulustige. Ein anwesender Reporter von „profil“ registrierte bald gereizte
Stimmung: „Die Kälte macht die Menge unruhig und ungläubig. Ein Schreier meint:
‚Vielleicht san de hinten bei dem Haus wieda außegangan und mir woatn
umasunst.“ Bei einer anderen Absperrung bei der Mölkerbastei schwang ein
weißhaariger Mann große Reden: „Geht’s loßts mi durch, damit endlich a Ruah is.
I wor bei de Husarn. I weiß, wie mas mocht.“
Schauplatz des Feuergefechts zwischen Terroristen und Polizei (Foto: Autor) |
„Das
Spiel der Mächtigen“
Um 16.27 Uhr – fanden sich im
Bundeskanzleramt die Mitglieder der Bundesregierung zu einem
„Sonderministerrat“ ein. Kreisky befand sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der
Rückreise aus seinem Winterurlaub, den er eben erst angetreten hatte: Am Morgen
des 21. Dezember 1975 war er mit dem Schlafwagen aus Wien in Lech am Arlberg
eingetroffen. Kaum hatte er sich dort zum Frühstück gesetzt, kam ein Anruf. Es
war Pressesprecher Johannes Kunz, der über die Ereignisse informierte. „Da hab
ich mir halt gleich einen Hubschrauber bestellt und bin nach Salzburg geflogen.
Die Dinger sind ja saukalt, und laut war’s auch und windig. Dös is nix für mich
mit so nem Radl in der Luft. Von da bin ich mit einer richtigen Maschine nach
Wien geflogen. Der Urlaub jedenfalls war hin“, erzählte Kreisky später einem
Reporter des „Stern“.
Gleich zu Beginn wurde der
„Sonderministerrat“ informiert, dass anders als ursprünglich entschieden, die
Vorstellung „Das Spiel der Mächtigen“ wie geplant stattfinden könne – weil das
Burgtheater weit genug vom Tatort entfernt sei. Dringender stand eine andere
Frage im Raum: Sollte das Kommuniqué der Geiselnehmer wie gefordert über den
ORF veröffentlicht werden? Kreisky wurde nicht vor 18.00 Uhr zurückerwartet und
man wollte seine Ankunft eigentlich abwarten. Die Forderung der Terroristen
lautete aber, ihre Botschaft müsse um 17.30 Uhr gesendet werden – ansonsten
würden weitere Menschen sterben. Herta Firnberg war schließlich die erste, die
offen ihre Meinung sagte: „Ich bin dafür, dass die Proklamation im ORF verlesen
wird.“ Und so geschah es auch – mit etwas Verzögerung ging Kreiskys Kabinettschef
Friedrich Gehart um 18.22 Uhr auf den Radioprogrammen Ö1 und Ö3 auf Sendung und
verlas den in Französisch abgefassten Text, was fast zwanzig Minuten dauerte. Ansonsten
verlangten die Terroristen, dass am Folgetag um 07.00 Uhr eine DC-9
bereitstehen solle. Ein Bus mit geschlossenen Vorhängen müsse sie und die
Geiseln zum Flughafen bringen.
In der Zwischenzeit war Kreisky
eingetroffen und wurde im Bundeskanzleramt von einem Knäuel von Journalisten
empfangen. „Wie sehen Sie die Lage?“, wurde der Bundeskanzler gefragt. Dutzende
Mikrophone waren auf ihn gerichtet, während Staatspolizisten mühsam einen Weg
bahnten. „Ich muss erst prüfen“, hieß es von Kreisky kurz, dann verschwand er
im Sitzungssaal. Dort gab er die Linie vor: „Ich möchte […] jetzt schon sagen,
dass es für mich klar ist, dass morgen früh alle ausgeflogen werden. Eine
andere Lösung hat überhaupt keinen Sinn. Wie sollte die denn ausschauen? Was
will man noch riskieren?“ Als Zieldestination für die Terroristen kam bereits
Algerien in Betracht: Außenminister Abd al-Aziz Bouteflika hatte sich „zu einem
frühen Zeitpunkt“ aus Paris gemeldet und Landegenehmigung erteilt. Auf Basis
der Gegebenheiten umriss Kreisky die weitere strategische Vorgangsweise:
„Erstens müssen die Geiseln ihrer Teilnahme an dieser Expedition zustimmen.
Zweitens steht als Ort der Destination Algerien fest und drittens werden die
österreichischen Staatsbürger freigelassen.“ Die Tatsache, dass das
OPEC-Generalsekretariat exterritoriales Gelände war, ermöglichte es Kreisky die
Krise zu „internationalisieren“. Durch Einbeziehung der diplomatischen Vertreter
der OPEC-Mitgliedstaaten wurde die Verantwortung für das Leben der Geiseln
möglichst breit gestreut und so Druck von Österreich weggenommen.
Der ehemalige Konferenzsaal, in dem die Geiseln festgehalten wurden (Foto: Autor) |
Die praktischen Details der
Abwicklung der Geiselkrise hielt die Runde bis spätnachts in Atem. Hinsichtlich
des Transports zum Flughafen Schwechat war es nicht so leicht, den Bus mit
Vorhängen zu beschaffen. Der Generaldirektor der Post, Alfred Schlegel,
erklärte Verkehrsminister Erwin Lanc, keinen solchen Bus zu haben: „Meine
Antwort darauf: dann lassen sie halt welche montieren – und wenn sie es selber
machen müssen. Und so geschah es.“ Außerdem musste das Schicksal des im Wiener
AKH schwer verletzt liegenden Terroristen Klein in die Überlegungen
miteinbezogen werden. Carlos hatte ultimativ seine Mit-Ausreise am nächsten Tag
gefordert, obwohl dies nach Auskünften der Ärzte für den jungen Mann den Tod
bedeutete. Kleins Zustand stabilisierte sich schließlich und der kurdische Arzt
Wiriya Rawenduzy erklärte sich bereit, den Verletzten während des Flugs nach
Algier zu betreuen. Die Sauerstoff-Flaschen, die man für das Beatmungsgerät mit
an Bord nehmen musste, waren alles andere als ungefährlich: Im Grunde war damit
eine „Sechshunderter-Sauerstoffbombe“ an Bord, wie die AUA warnte.
„Mehr
erreicht, als angenommen“
Nach Mitternacht stellte Kreisky
fest, dass alle notwendigen Vorkehrungen getroffen waren. Auch die Botschafter der
OPEC-Staaten hatten noch einmal, jeder auf seine Art, eine Erklärung abgegeben,
„in der sie sich ihrerseits nicht nur bereit erklären, unseren Vorschlägen
zuzustimmen, sondern deren Realisierung wünschen.“ Die Sitzung wurde vom
Bundeskanzler schließlich um 01.07 Uhr geschlossen. Pünktlich um 01.10 Uhr kam
Kreisky zum letzten Mal in den kleinen Ministerratssaal, wo die Journalisten
versammelt waren. Mit vor Müdigkeit roten Augen verkündete er: „Wir haben eine
einvernehmliche Lösung gefunden, die die Zustimmung der Bundesregierung sowie
die Zustimmung aller OPEC-Führer hat.“ Zufrieden meinte Kreisky in Hinblick auf
die freizulassenden OPEC-Angestellten: „Da haben wir doch mehr erreicht, als
wir angenommen haben.“
Am nächsten
Morgen, dem 22. Dezember 1975, war in Schwechat eine DC-9 mit der Flugnummer OS
5950 bereitgestellt. Es handelte sich um das dienstälteste Flugzeug der
AUA-Flotte, um den Schaden bei etwaigem Verlust so gering, als möglich zu
halten. Um 08.45 Uhr traf der Bus ein – die in Österreich ansässigen Angestellten
waren zuvor, wie gefordert, freigegangen. Aber Carlos und sein Kommando hatten
immer noch 35 Personen – 11 Minister sowie 19 Delegierte und Mitarbeiter – in
seiner Gewalt. Das Einsteigen in die DC-9 zog sich bis um 09.06 Uhr hin. Quasi zum Abschluss ging Carlos noch einmal die
Gangway herunter und streckte dem anwesenden Innenminister Rösch die Hand hin; „Es tut mir
leid, dass ich Österreich als Schauplatz wählen musste. Lassen Sie
Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky schön grüßen…“ Rösch ergriff die ausgestreckte Hand, und der
Skandal war perfekt.
Damit war die weitere Lösung des
Geiseldramas zumindest kein österreichisches Problem mehr. In Algier angekommen,
gab Carlos die Direktive aus, weiter nach Tripolis zu fliegen. Doch offenbar
galt die Abmachung mit Gaddafi nicht mehr – die Terroristen wurden nicht willkommen
geheißen und mussten schließlich am 23. Dezember 1975 nach Algier
zurückfliegen. Der Mord an dem libyschen Delegierten soll Gaddafi verärgert
haben. Der algerische Außenminister Bouteflika wiederum machte klar, dass die
Maschine gestürmt werden würde, wenn die Terroristen jetzt nicht aufgäben. Gegen
Zahlung eines Lösegelds – die Schätzungen reichen bis 50 Millionen Dollar – war
Carlos letztlich bereit, die verbliebenen 12 Geiseln freizulassen.
Ungenügende
Aufarbeitung
Eine effektive Strafverfolgung
der Terroristen wurde vernachlässigt. Nach einem Auslieferungsbegehren an
Algerien, erhielt Österreich am 9. Jänner 1976 die Antwort, das Terrorkommando habe
das Staatsgebiet bereits verlassen. Kreisky gab sich damit zufrieden: Die
algerische Seite habe selbst Bedingungen akzeptieren müssen und verlangt, „dass
man das in Österreich verstehe“. Und das tat man – denn die Regierung war zu
sehr besorgt, das Land könnte als Standort für internationale Organisationen
Schaden erleiden. War doch der Spatenstich zum Bau der UNO-City erst 1973
erfolgt. Von daher wollte man die guten Beziehungen zu arabischen Staaten nicht
aufs Spiel setzen – etwa in der Auslieferungsfrage oder durch zu eifrige Nachforschungen.
1989 kam es zum ersten Verfahren
mit Bezug auf die Geiselnahme: In Köln wurde Kröcher-Tiedemann der Prozess
gemacht – dieser endete mit einem blamablen Freispruch, unter anderem deswegen
weil die Tatortaufnahme in Wien hastig verlaufen war. Grund für die Eile war
damals Druck seitens der OPEC gewesen: Das Kartell war an Ermittlungen gegen
einige seiner wichtigsten Mitgliedstaaten nicht wirklich interessiert. Denn bis
heute halten sich Gerüchte, wonach Libyen auch vom Irak und Algerien indirekt
unterstützt wurde. 2000 folgte ein weiteres Verfahren gegen Klein in
Deutschland – zu neun Jahren Haft verurteilt, konnte dieser bereits 2003 wieder
das Gefängnis verlassen.
Österreich dagegen hatte es stets
vermieden, ein OPEC-Verfahren an sich zu ziehen. Als Carlos 1994 im Sudan
verhaftet und an Frankreich ausgeliefert wurde, flog lediglich ein
Untersuchungsrichter zu einer Vernehmung nach Paris. Diese musste aber gleich
nach Beginn wegen der unkooperativen Haltung von Carlos abgebrochen werden. Als
dieser dem österreichischen Richter zum Abschied die Hand hinstreckte, weigerte
sich dieser zuzugreifen. Er wolle sich nicht derselben Kritik aussetzen, wie
Innenminister Rösch fast 20 Jahre zuvor. Jedenfalls wurde Carlos wegen
terroristischer Vergehen in Frankreich zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt
– die OPEC-Geiselnahme spielte dabei keine Rolle. Stellvertreter Naccache saß
in den 1980er Jahren ebenfalls in französischer Haft, ehe ihm ein Deal mit dem
Iran die Freiheit brachte. Er lebt heute als Geschäftsmann in Beirut. Von den
übrigen zwei palästinensischen Kommandomitgliedern hatte man nicht einmal die
wirklichen Namen ermitteln können.
Konsequenzen
Als Antwort auf die zunehmende terroristische
Bedrohung reagierte Österreich mit einem Bündel an Maßnahmen, die
polizeilicher, aber vor allem außenpolitischer Natur waren. Letztere zielten
darauf ab, den Nahostkonflikt präventiv zu entschärfen. Denn aufgrund seiner Rolle
als Schleuse bei der jüdischen Emigration von Osteuropa nach Israel war
Österreich zwangsläufig involviert. Im Nachhinein bestand für Kreisky der
Beweis für die Richtigkeit seiner Politik darin, dass 15 Jahre hindurch 300.000
russische Juden über Österreich nach Israel ausgewandert seien – „ohne, dass
jeden Monat in Schwechat eine Bombe explodiert ist“. Auch das Manko im
Sicherheitsapparat konnte Ende der 1970er Jahre mit der Aufstellung des
Gendarmerieeinsatzkommandos (heute EKO Cobra) behoben werden.
Freilich gelang es nicht, den
nahöstlichen Terror von Österreich fernzuhalten. Entscheidend dafür war, dass
die guten Kontakte zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und radikale
Kräfte wie die Abu-Nidal-Gruppe auf den Plan riefen. Diese wollte moderierende
Einflüsse von außen mit Terror abschrecken. 1981 und 1985 kam es insgesamt zu
drei blutigen Attentaten in Wien. Es spricht für Kreiskys Standfestigkeit, dass
er seine Linie auch gegen diesen Druck beibehielt. Spätestens Ende der 1980er
Jahre erfolgte mit dem Wechsel des Außenamts zur ÖVP eine grundsätzliche
Neuorientierung hin zu europäischen Belangen. Und mit dem Ende des Kalten
Krieges endete auch die Welle jenes Terrors, in die die OPEC-Geiselnahme
einzuordnen ist. Heute sieht sich Österreich, so wie andere westliche Staaten
auch, mit der Herausforderung durch den radikal-islamistische Terrorismus
konfrontiert. Aber wie das historische Beispiel zeigt, war schon vieles damals
angelegt: Die Medienfixierung des Terrorismus und seine zunehmende
Internationalisierung. Im Unterschied zu 1975 braucht es heute keine
Organisationen oder Sponsoren mehr. Es genügt bereits ein „lone wolf“, und die
Möglichkeiten der Massenkommunikation haben sich exorbitant gesteigert.
Literaturtipp:
"Tage des Schreckens. Die OPEC-Geiselnahme 1975 und der moderne Terrorismus"
"Tage des Schreckens. Die OPEC-Geiselnahme 1975 und der moderne Terrorismus"
http://www.amazon.de/dp/B018NX2AHQ/ref=cm_sw_r_tw_dp_i88Cwb141G8T0
Siehe dazu auch:
Markus Sulzbacher, 40 Jahre OPEC-Überfall: Terror auf der Insel der Seligen", in: Der Standard, 21. 12. 2015, http://derstandard.at/2000027845448/40-Jahre-OPEC-Ueberfall-Terror-auf-der-Insel-der-Seligen
Siehe dazu auch:
Markus Sulzbacher, 40 Jahre OPEC-Überfall: Terror auf der Insel der Seligen", in: Der Standard, 21. 12. 2015, http://derstandard.at/2000027845448/40-Jahre-OPEC-Ueberfall-Terror-auf-der-Insel-der-Seligen