Freitag, 10. Oktober 2014

Leichtes Spiel für „Dritte Männer“: Ist Wien die „Welthauptstadt der Spionage“?

Gekürzte Version erschienen in: Die Zukunft, Nr. 9/2014, S. 42-46.

Seit Carol Reeds Klassiker „Der dritte Mann“ (1948) gilt Wien als eine Spionagestadt. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Zuletzt hat ein angeblicher geheimer Horchposten der National Security Agency (NSA) auf dem Dach des Wiener IZD-Towers und die Tatsache, dass ein „Maulwurf“ innerhalb des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND) sich mit amerikanischen Führungsoffizieren in Österreich traf, für Aufsehen gesorgt. Aber die Agenten bespitzeln sich nicht nur gegenseitig, sondern spionieren auch heimische Ziele aus: Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Forschung, Verteidigungspolitik und Energiewirtschaft. Deswegen hat das für die Abwehr zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in seinem alljährlichen Bericht wieder einmal Alarm geschlagen. Die Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Österreich sind „ungebrochen hoch“ und stellen die Fahnder vor „große Herausforderungen“: „Besonders bei Cyber-/Hack-Attacken tritt die Schwierigkeit auf, die eigentlichen Urheber ausfindig zu machen, da diese auf Grund der angewendeten Vorgehensweise nur schwer identifizierbar sind.“ Trotz der sich ständig weiterentwickelnden technischen Möglichkeiten habe die „herkömmliche“ Geheimdienstarbeit aber nicht an Bedeutung verloren: „Im Gegenteil: Klassische Spione mit großem Engagement für ihr Heimatland sind nach wie vor in einer überdurchschnittlichen Zahl im Einsatz und können eine Gefahr für die Sicherheit und Souveränität der Republik Österreich darstellen.“

„Die Schattenstadt. Was 7.000 Agenten über Wien aussagen“
Dass ausgerechnet das vergleichsweise als ruhig und „harmlos“ geltende Österreich einen solchen Stellenwert in der Halbwelt der Spionage einnimmt, überrascht die Öffentlichkeit immer wieder. Tatsächlich gibt es gewichtige Gründe für diese Entwicklung. Kürzlich hat der Enthüllungsjournalist Emil Bobi ein neues Buch vorgelegt – mit dem Titel „Die Schattenstadt. Was 7.000 Agenten über Wien aussagen“. Die zentrale Frage, der Bobi nachgeht, ist, warum eben gerade Wien zur „Welthauptstadt der Spionage“  geworden ist und noch heute als „globaler Umschlagplatz für Geheimdienstinformationen aller Art gilt“. Seine zentrale These lautet: „Der Grund ist nicht, wie immer behauptet wird, der Kalte Krieg und nicht die Attraktivität der Stadt, sondern: Der Wiener und sein Wesen. […] Geheimdienstler fühlen sich in seiner Gegenwart verstanden, geborgen, bedient. Sie treffen auf ein mentales Milieu, das ihnen bekannt erscheint und entgegenkommt. Denn mit Geheimnissen zu handeln, ist im tieferen Sinn eine der Urkompetenzen der Wiener Gesellschaft, die als Produkt ihrer besonderen politischen und psychosozialen Geschichte geradezu eine Volkskultur der Spionage hervorgebracht hat. Der Wiener ist ein Natur-Agent. Und seine Stadt ein wahres Schlaraffenland für Geheimdienstler.“ (S. 11/12)

„Vieles ist hier erlaubt, was anderswo nicht geht“
Bobi erklärt die Anziehungskraft Wiens für Spione also mentalitätsgeschichtlich. Die „rätselhaften Packeleien mit der Halbwelt“ seien Produkt einer traditionellen Überlebensphilosophie, die im Lichte der Realität ihre Berechtigung habe: „den Vorteil nehmen, anstatt sich der Konfrontation auszusetzen, mitkassieren, statt anzustreifen. Man kann ohnehin nichts ändern, die Obrigkeiten nicht brechen; aber man kann sein eigenes Auskommen arrangieren.“ (S. 23) Das neutrale Österreich habe somit einen auf den ersten Blick paradox anmutenden  Weg gefunden, für stabile Verhältnisse zu sorgen: Allen potentiellen „Unruhestiftern“ ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich wohlfühlen und ungestört ihren Aktivitäten nachgehen können – solange nichts „passiert“ und damit Österreichs eigen Sicherheit betroffen ist. Dazu hält Bobi fest: „Spione sind willkommen und gegen die eine oder andere Gegenleistung erfahren sie alles, was man hier weiß. Dafür wird die Stadt selbst verschont: Die Geheimdienste, die Mafia-Größen, die Großkriminellen, die terroristischen Schläfer und die anderen Schattenfiguren der Macht nutzen Wien als Ruheraum, bringen ihre Schäfchen ins Trockene, genießen das Bankgeheimnis und das einschlägige Verständnis der Stadt für ihre Zielgruppe. Ihren Organisationen ist es strikt verboten, in dieser Stadt aufzufallen oder gar Schießübungen zu veranstalten. Tatsächlich ist Wien, verglichen mit der Dichte der anwesenden einschlägigen Personen, unverhältnismäßig ruhig.“ (S. 137) In einem Interview für „Cicero“ hat Bobi seine Argumentation in Bezug auf die USA noch etwas zugespitzt: „Für die Amerikaner ist Wien so etwas wie ein europäisches Guantanamo, wo vieles erlaubt ist, was anderswo nicht geht. Die Amerikaner betreiben Guantanamo als quasi rechts-neutrales Gebiet, wo sie Dinge tun dürfen, die auf US-Staatsgebiet illegal wären. Im vorliegenden Fall dürfen sie in Österreich Dinge tun, die in Deutschland illegal wären.“

Laxe Strafen für Spionage
Was sind nun diese Standortfaktoren, die Spionage in Österreich so begünstigen? Das wichtigste Element ist die Rechtslage. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 20. April 1956 verbrieft, dass Spionagetätigkeit nur dann geahndet wird, wenn sie sich unmittelbar gegen Österreich richtet. Wer laut § 256 einen „Geheimen Nachrichtendienst zum Nachteil der Republik Österreich“ betreibt, muss höchstens mit drei Jahren Haft rechnen. Wer einen „militärischen Nachrichtendienst“ für einen fremden Staat betreibt (§ 319), kommt mit zwei Jahren davon. Noch 1961 hatte Justizminister Christian Broda vorgeschlagen, die gesetzlichen Bestimmungen „zum Schutz des inneren Friedens, gegen die Tätigkeit von ausländischen Nachrichtendienste in Österreich und gegen Werkspionage zum Schaden österreichischer Unternehmen“ entsprechend zu verschärfen. Doch in einer Ministerratssitzung im März 1962 lehnte die ÖVP eine Weiterleitung der geplanten Novelle an das Parlament ab. Der „Zeitpunkt für ihre Realisierung“ wurde als nicht „zweckmäßig“ erachtet. Als dann prompt Ende 1964 ein ostdeutscher Agentenring aufflog, mahnte die „Arbeiter-Zeitung“: „Das Risiko eines Geheimagenten in Österreich muss zumindest dem eines Autofahrers angeglichen werden, der sich in den Straßenverkehr begibt.“ Substanziell geändert hat sich aber bis heute nichts.

Ineffiziente Abwehr
Die Einhaltung dieser ohnehin laxen Bestimmungen wird nicht einmal besonders effektiv überwacht. Noch bis zur Gründung des Bundesamts für Verfassungschutz (BVT) im Jahr 2002 hatte die bis dahin zuständige Staatspolizei neben der „Wahrnehmung staatsfeindlicher Vorgänge“ noch zahlreiche weitere Aufgaben zu erfüllen: Schutz verfassungsgesetzlicher Einrichtungen, Personenschutz für den Bundespräsidenten und Mitglieder der Bundesregierung, Schutz von ausländischen Konsulaten und Staatsbesuchen sowie Überprüfung von Flüchtlingen und Asylwerbern. In Wien standen dafür Mitte der 1980er Jahre nur „etwa“ 120 Mann zur Verfügung, in den Bundesländern rund 20. So überrascht es auch nicht, dass ein Beamter damals zum „Kurier“ sagte, dass man ausländische Spione außen vorlasse: „Solange sie mit ihrer Tätigkeit Österreich aus dem Spiel lassen, ist uns das wurscht.“ An dieser Einstellung hat sich nichts geändert: Wie der Ex-BVT-Chef Rene Polli kürzlich kritisch angemerkt hat, ist an eine „effiziente Spionageabwehr“  nicht zu denken, auch weil diese politisch nicht gewollt sei.

„Stiller Partner“
Ein Kurswechsel sei deshalb so schwierig, weil Österreich in einem besonders neuralgischen Bereich – der Internet- und Telekommunikationsüberwachung – stillschweigend mit den USA kooperiert. Diese Zusammenarbeit reicht bis in den frühen Kalten Krieg zurück. Die Amerikaner waren nicht nur an der Aufstellung des heutigen Heeresnachrichtenamts  (HNA) federführend beteiligt, sondern sorgten auch für die technische Ausstattung. 1958 wurde auf der Königswarte bei Hainburg in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs eine Lauschstation eingerichtet. Weitere, meist kleinere Peilstationen wurden in Neulengbach und Großharras (Niederösterreich), Gols (Burgenland), Pirka bei Graz und Stockham bei Wels errichtet. Die österreichischen Horchstationen waren Teil einer Peilkette, die sich von Norwegen über Deutschland bis nach Italien zog. Während letztere Staaten NATO-Mitglieder waren, galt Österreich zumindest auf dem Papier als „neutral“. Die Anlagen wurden auf Kosten der USA ständig erneuert und waren laut „profil“ so leistungsstark, dass Tischgespräche in dem wenige Kilometer von Hainburg entfernten Bratislava belauscht werden konnten.

Auch heute noch ist Österreich ein diskreter Partner der NSA. Der US-Journalist Glenn Greenwald vermutet: „Man sammelt vielleicht gemeinsam Daten aus Afghanistan oder nimmt bestimmte Organisationen ins Visier.“ Im Visier der NSA dürfte sich weiters ein international relevanter Internetknoten befinden, der Vienna Internet Exchange (VIX). Über solche Knoten läuft der Großteil des weltweiten Datenverkehrs, was es leicht macht, in großem Stil Informationen abzusaugen. Deshalb ist sich Michael Sika, früherer Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, sicher, dass Wien für die USA nach wie vor ein „wichtiger Posten“ ist. Gegenüber Bobi gibt er an: „Aus österreichischer Sicht ist es mehr ein Geben als ein Nehmen. Die Amis haben überhaupt kein Gefühl dafür, anderen zu helfen, wenn sie selbst keinen Vorteil haben. Das HNA hat immer schon sehr erfolgreich spioniert und seine Erkenntnisse immer sehr brav weitergegeben.“

Begegnungsort mit „hoher Lebensqualität“
Während die politischen Vorgänge in Österreich für ausländische Geheimdienste nur mäßig  interessant sein dürften, so gibt es hier viel zu „holen“: Wien ist ein „Begegnungsort“ geblieben, zahlreiche internationale Organisationen haben  hier  ihren Sitz – angefangen von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), über die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) bis hin zur Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und der Organisation  für industrielle Entwicklung (UNIDO). Weiters sind hier wichtige Botschaftsstützpunkte angesiedelt: Neben dem Iran und Nordkorea (bis 2004 wickelte die „Golden Star“-Bank von Wien aus Geschäfte nordkoreanischer Firmen und Personen ab) verfügt Russland in der Donaustadt seit den 1980er Jahre über eine regelrechte „Stadt in der Stadt“ – eine der größten Vertretungen weltweit. Viele dieser Einrichtungen sind nicht nur auszuspähende Ziele, sondern auch selbst mit Spionen durchsetzt: Es wird geschätzt, dass die Hälfte der rund 17.000 in Wien akkreditierten Diplomaten Geheimdienstverbindungen unterhält. Auch in diesem Falle gibt es von politischer Seite kein Interesse, den status quo zu ändern. Max Edelbacher, früherer Chef des Wiener Sicherheitsbüros, vermutet in Hinblick auf die Verantwortlichen: „Sie nehmen das halt in Kauf, um Wien als diplomatische Drehscheibe aufrechtzuerhalten. Das hat auch ökonomische Effekte.“ An dieser Stelle spielen dann noch Faktoren wie das Bankgeheimnis, das die Alpenrepublik zu einem beliebten Ort für Geldwäsche und andere undurchsichtige Geschäfte gemacht hat. Und schließlich ist Wien von den geographischen Gegebenheiten ein „Tor“ nach Osteuropa und den Balkanraum sowie ein Verkehrsknotenpunkt mit vielen Direktflugverbindungen in den Nahen Osten.


Libysche Botschaft in Wien: In den 1970er und 1980er Jahren wurde über Verbindungen zum internationalen Terrorismus spekuliert (Foto: Autor)
Historische Anfänge
So richtig begonnen hatte die Geschichte der Spionagestadt Wien nach Kriegsende 1945: Damals richteten sich die Geheimdienste ein. Betrachtet man diese Entstehungsphase, dann bleibt von der Spionageromantik freilich wenig über. So war ursprünglich die Hauptaufgabe des in Österreich eingesetzten Counterintelligence Corps (CIC), des Geheimdiensts der US-Armee, gewesen, NS-Verbrecher zu jagen. Doch durch den Kalten Krieg verschob sich die Priorität schon innerhalb weniger Monate hin auf die Beobachtung der sowjetischen Besatzungsmacht. Österreich wurde ab diesem Zeitpunkt zu einem Bazar der Spione: Ein pensionierter CIA-Offizier beschrieb es anschaulich so: Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo, Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und faschistischer Organisationen aus Zentral- und Südeuropa hätten den Nachrichtendiensten fabrizierte Informationen feilgeboten, um die man sich dann gestritten hätte, „wie so viele Frauen in der Schnäppchenabteilung von Macy’s am Tag nach Weihnachten“.

Ein Bericht für die CIA von 1949 listet insgesamt 17 verschiedene nachrichtendienstliche Gruppen auf, die zu diesem Zeitpunkt in Österreich aktiv waren: Neben dem unter Anleitung von Maximilian Ronge im Aufbau befindlichen Militärgeheimdienst verfügten auch die Großparteien SPÖ und ÖVP über eigene Informations-Dienste ebenso wie die katholische Kirche. Hinzu kamen zwei jeweils für Großbritannien und Frankreich tätige Netzwerke. Fünf weitere dieser selbstständig operierenden und miteinander konkurrierenden Organisationen wurden von ehemaligen SD-Mitarbeitern, SS- und HJ-Angehörigen angeführt. Das CIC hatte seit1946 in diesen Kreisen rekrutiert: Eine Untersuchung des US-amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss, dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats anwarb und man über Tausende von Informanten verfügte. Für das CIC galt sprichwörtlich die Philosophie, wonach das Ziel, die Mittel heiligt. Die Mitgliedschaft in der SS oder einer anderen NS-Organisation war kein Kriterium, um als Informant abgelehnt zu werden. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal nützte jedenfalls diese Schwäche aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich aus der Kooperation mit den westlichen Diensten zu ziehen. Letztere wiederum schnitten sich ins eigene Fleisch: Denn die „braune“ Vergangenheit machte erpressbar. Und auf diese Weise wurden beispielweise im BND hochrangige Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und richteten beträchtlichen Schaden an.


CIC-Netzwerk "Montgomery" für Spionage hinter dem Eisernen Vorhang (Quelle: www.foia.cia.gov)

NS-Verbrecher in amerikanischen Diensten
In Österreich gibt es zahlreiche Beispiele für diese unheilige Allianz: Wilhelm Höttl, ehemals SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im Ausland-Sicherheitsdienst (SD).  Nach Kriegsende 1945 machte Höttl eine erstaunliche zweite Karriere: als Autor, honoriger Gründer des Privatrealgymnasiums in Bad Aussee und, wegen seines Spezialwissens über Ungarn und den Balkanraum, als Spion verschiedener Geheimdienste. Deswegen entließ die US-Armee Höttl im Dezember 1947 und verweigerte seine Auslieferung an eines der österreichischen Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen.  Schon 1948/49 führte Höttl im Auftrag des CIC ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Gemeinsam mit den ehemaligen Waffen SS-Angehörigen Erich Kernmayer  und Karl Kowarik  installierte er für das CIC Field Office Gmunden Anfang Juli 1948 zwei Agenten-Netzwerke, die schon ein Jahr später aufgelöst wurden. Über Monate seien keine Information übermittelt worden, die sich nicht als unrichtig, als Gerücht oder als aus Zeitungen abgeschrieben erwiesen. Trotzdem war Höttl auch danach noch für die Organisation Gehlen (Vorgänger des BND) und den französischen Geheimdienst tätig.

Villa in Altmünster bei Gmunden: Als Hauptquartier für ein Netzwerk von W. Höttl genutzt (Foto: Autor)
In den 1970er Jahren erinnerte sich Höttl folgendermaßen an seine Zeit beim CIC: „Die Amerikaner hatten sich überhaupt nicht dafür interessiert, wo der Mann vorher war, ob er bei der Waffen-SS oder bei der Allgemeinen SS gewesen war. Er hätte genauso gut ein Treblinka- oder Auschwitz-Mann sein können, das war denen ganz gleich […]. Nach der ersten Hasswelle von Nürnberg, die 1946 abebbte, begann schon 1947 die Fraternisierung speziell mit der SS, weil sie als verlässlichste Waffe angesehen wurde.“ Weitere „Quellen“ des CIC in Österreich waren unter anderem Otto von Bolschwing, ein enger Mitarbeiter von Adolf Eichmanns oder Jan Robert Verbelen: Der 1947 wegen Mordes an belgischen Widerstandskämpfern zum Tode verurteilte SS-Offizier führte für das CIC bis 1957 das Wiener Netz „Herbert“, vor allem um die KPÖ auszuspionieren. Anschließend arbeitete Verbelen noch bis 1955 für die CIC-Abteilung in München, um danach noch für die österreichische Staatspolizei als Informant tätig zu sei.

Letzte Ruhestätte von W. Höttl auf dem Friedhof von Altaussee (Foto: Autor)
„Alles längst ausgekundschaftet“
Wien verlor seine Wichtigkeit als Spionagedrehscheibe zu keinem Zeitpunkt des Kalten Krieges: Die Nähe zum Eisernen Vorhang prädestinierten die Stadt als Ausgangspunkt für Geheimoperation, „Schleusungen“ und Kontaktstelle für Agenten beider Lager. „profil“ berichtete 1973: „Amerikanische CIA-Männer erkunden von Wien aus die Lage in die CSSR und in Ungarn; den Russen dient die Alpenrepublik als Ausbildungsgebiet für Agenten, die ihre Fäden weiter nach dem Westen spinnen. Tschechische wie ungarische Geheimdienste kundschaften aus, wie die westlichen Dienste ihre Kontakte nach dem Osten knüpfen. Und die Hausherrn – Österreichs Staatspolizisten –, die hier und dort ein bisserl mithorchen können, machen mit allen Seiten ihre umstrittenen Geschäfte.“ Ernsthafter Schaden für Österreich wurde schon damals nicht befürchtet. Die Sicherheitsbehörden, so der „Kurier“ 1983, gingen davon aus, dass „alles, was bei uns des Auskundschaftens wert wäre, längst ausgekundschaftet ist und es den Geheimdiensten bloß noch darum geht, sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten“. Laut Grolig hatte die Staatspolizei Mitte der 1980er Jahre rund 6.000 „einschlägige“ Personen registriert, darunter zirka 40 Prozent des Personals östlicher und einen geringeren Prozentsatz jenes westlicher diplomatischer Vertretungen. Doch die „Dunkelziffer“ wurde als doppelt so hoch angenommen. Österreich sei ein „bequemes Land für Treffen mit westdeutsche Quellen“ gewesen, bestätigte 2003 Markus Wolf, der zwischen 1952 und 1986 die „Hauptverwaltung Aufklärung“ der Stasi leitete, im Nachhinein. „Wir konnten mit Diplomatenpässen einreisen, auch war es auf Grund des großen Fremdenverkehrs leicht.“

Chef der Stasi-Auslandsspionage Markus Wolf (Quelle: Wikimedia Commons)
„Ruheraum“ auch für Terroristen, Stützpunkt der Ost-Mafia
Wenn man seitdem über die „Stadt der Spione“ spricht, sollte man andere Akteure der „Schattenwelt“ nicht außer Acht lassen – Terroristen zum Beispiel: Mitglieder der Roten Armee Fraktion hielten sich in den 1980er Jahren und Anfang der 1990er Jahre immer wieder in Wien auf. Österreich fungierte als Transitland, um nach Anschlägen in der BRD nach Skandinavien, in Ost-Blockstaaten oder in den Libanon weiterzureisen – je nachdem, wo sich die Gruppe gerade besonders sicher fühlte. Nur einmal kam es zu einer größeren Operation westdeutscher Terroristen in Österreich selbst – die Entführung von Walter Palmers durch die „Bewegung 2. Juni“ 1977. Die daran beteiligte Inge Viett schrieb bezeichnenderweise in ihren Memoiren: „Wien ist keine Stadt für revolutionäre Aktivitäten. Es ist eine Stadt für Agenten, Ganoven, für Spießbürger und ihre Politiker, gerade richtig für die Entführung eines Industriellen.“ Die meisten Anschläge wurden aber in den 1970er und 1980er Jahren von arabischen Gruppen verübt, wenn gleich Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch glimpflich davonkam. Wie das Beispiel der Abu Nidal Organisation zeigt, wurde auch der Bankenplatz Wien ausgiebig genutzt. Um das „Terrorgeld“, das seit 2000 auf Konten der Bank Austria eingefroren ist, wird immer noch vor Gericht gestritten.

Österreich, so sind sich Experten sicher, wird nach wie vor als „Ruheraum“ für sogenannte „Schläfer“ (Personen, die darauf warten, für einen Terroranschlag aktiviert zu werden) verwendet. Und auch für den Jihad wird hierzulande mobilisiert –  nach Angaben des Innenministeriums vom August 2014 kämpfen mittlerweile bereits 130 Personen aus Österreicher als Jihadisten im Ausland, sind von dort zurückgekehrt oder auf dem Weg zu Kriegsschauplätzen. Die Möglichkeiten des BVT dagegen einzuschreiten, sind begrenzt – sofern nicht ein strafrechtlicher Verdacht vorliegt, müssen sich die Verfassungsschützer aufs Überwachen beschränken. Liegen nach maximal neun Monaten keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr oder eine bevorstehende Straftat vor, müssen alle gesammelten Daten gelöscht werden.

Damit nicht genug ist Wien schon seit den 1990er Jahren ein wichtiger Stützpunkt der organisierten Kriminalität: „Fast alle kriminellen Bosse, die heute in Russland im Kampf um die Macht der Oligarchen mitmischen, hatten oder haben Residenzen an der schönen blauen Donau“, meint dazu der deutsche Experte Jürgen Roth. Die österreichischen Behörden ließen auch in diesem Fall gewähren. Man behielt das rege Kommen und Gehen im Auge – für ein aktives Einschreiten fehlte die Rechtfertigung und Anfragen bei osteuropäischen Stellen verliefen in der Regel ergebnislos.


Wien, Zelinkagasse: In den 1980er Jahren Firmensitz des Waffenhändlers Monzer Al-Kassar (Foto: Autor)
Wenn man dann doch einmal Farbe bekennen muss
Obgleich es quasi die Essenz des österreichischen Weges ist, sich in all diese Machenschaften nicht einzumischen, bleibt manchmal kein anderer Ausweg, als Farbe zu bekennen. In diesen haarigen Situationen macht die Republik aber keine besonders gute Figur: Als sich 2007 eine junge Ukrainerin unter ungeklärten Umständen auf dem Grundstück der Wiener Villa von Saif Gaddafi (dem Sohn des gestürzten libyschen Diktators) lebensgefährlich verletzte, reiste dieser nur wenige Stunden später ab – an Bord des Jets eines österreichischen Bauunternehmers. 2011 wurde dann ein mit Interpol-Haftbefehl gesuchter ehemaliger KGB-Offizier am Wiener Flughafen verhaftet. Nach massiven Interventionen der russischen Botschaft wurde Mikhail Golovatov freigelassen, was diplomatische Verstimmungen mit Litauen zur Folge hatte. In einer ähnlich gelagerten Causa, rund um den unter Mordverdacht stehenden kasachischen Ex-Botschafter Rakhat Aliyev, verweigerte Österreich 2007 und 2011 dessen Auslieferung. Um die guten wirtschaftliche Kontakte mit Kasachstan nicht zu stören, wurde Aliyev aber aufgefordert, Österreich zu verlassen. Er tat dies mit einem eigens für ihn ausgestellten Fremdenpass und hielt sich in Malta auf – bis er 2014 nach einer freiwilligen Rückkehr verhaftet wurde.

„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“
Um damit abschließend noch einmal auf Bobis Buch zurückzukommen: Es gibt Städte, die sich mit der Wiener Situation vergleichen lassen. So ist Genf in der neutralen Schweiz nicht nur der Sitz des Roten Kreuzes und ein wichtiger UNO-Standort, sondern darüber hinaus eine Spielwiese für Rohstoffhändler, Waffenschieber und Terroristen. Offenbar begünstigt das Zusammenspiel von Geografie, Mentalität und lang gewachsener historischer und sozialer Strukturen das Entstehen von „Hotspots“ für alle möglichen halbseidenen oder gar kriminellen Aktivitäten. Der wichtigste Faktor bleibt aber das simple sich Nichteinmischen-Wollen auf politischer Ebene, solange es den eigenen Interessen dienlich ist – oder anders ausgedrückt: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Eine alles andere als sympathische Strategie, die aber bislang relativ erfolgreich gefahren wurde. Wer mehr darüber erfahren will, was den Wiener Fall so speziell macht, ist bei Bobi gut aufgehoben.