Gekürzte Version erschienen in: Die Zukunft, Nr. 9/2014, S. 42-46.
Seit Carol Reeds Klassiker
„Der dritte Mann“ (1948) gilt Wien als eine Spionagestadt. Daran hat sich bis
heute nichts geändert: Zuletzt hat ein angeblicher geheimer Horchposten der
National Security Agency (NSA) auf dem Dach des Wiener IZD-Towers und die Tatsache, dass ein
„Maulwurf“ innerhalb des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND) sich mit amerikanischen
Führungsoffizieren in Österreich traf, für Aufsehen gesorgt. Aber die Agenten
bespitzeln sich nicht nur gegenseitig, sondern spionieren auch heimische Ziele
aus: Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Forschung, Verteidigungspolitik und
Energiewirtschaft. Deswegen hat das für die Abwehr zuständige Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in seinem alljährlichen Bericht
wieder einmal Alarm geschlagen. Die Spionageaktivitäten ausländischer
Nachrichtendienste in Österreich sind „ungebrochen hoch“ und stellen die
Fahnder vor „große Herausforderungen“: „Besonders bei Cyber-/Hack-Attacken
tritt die Schwierigkeit auf, die eigentlichen Urheber ausfindig zu machen, da
diese auf Grund der angewendeten Vorgehensweise nur schwer identifizierbar
sind.“ Trotz der sich ständig weiterentwickelnden technischen Möglichkeiten habe
die „herkömmliche“ Geheimdienstarbeit aber nicht an Bedeutung verloren: „Im
Gegenteil: Klassische Spione mit großem Engagement für ihr Heimatland sind nach
wie vor in einer überdurchschnittlichen Zahl im Einsatz und können eine Gefahr
für die Sicherheit und Souveränität der Republik Österreich darstellen.“
„Die Schattenstadt. Was 7.000 Agenten über Wien
aussagen“
Dass ausgerechnet das
vergleichsweise als ruhig und „harmlos“ geltende Österreich einen solchen
Stellenwert in der Halbwelt der Spionage einnimmt, überrascht die
Öffentlichkeit immer wieder. Tatsächlich gibt es gewichtige Gründe für diese Entwicklung.
Kürzlich hat der Enthüllungsjournalist Emil Bobi ein neues Buch vorgelegt – mit
dem Titel „Die Schattenstadt. Was 7.000 Agenten über Wien aussagen“. Die zentrale
Frage, der Bobi nachgeht, ist, warum eben gerade Wien zur „Welthauptstadt der
Spionage“ geworden ist und noch heute
als „globaler Umschlagplatz für Geheimdienstinformationen aller Art gilt“. Seine
zentrale These lautet: „Der Grund ist nicht, wie immer behauptet wird, der
Kalte Krieg und nicht die Attraktivität der Stadt, sondern: Der Wiener und sein
Wesen. […] Geheimdienstler fühlen sich in seiner Gegenwart verstanden,
geborgen, bedient. Sie treffen auf ein mentales Milieu, das ihnen bekannt
erscheint und entgegenkommt. Denn mit Geheimnissen zu handeln, ist im tieferen
Sinn eine der Urkompetenzen der Wiener Gesellschaft, die als Produkt ihrer
besonderen politischen und psychosozialen Geschichte geradezu eine Volkskultur
der Spionage hervorgebracht hat. Der Wiener ist ein Natur-Agent. Und seine
Stadt ein wahres Schlaraffenland für Geheimdienstler.“ (S. 11/12)
„Vieles ist hier erlaubt, was anderswo nicht geht“
Bobi erklärt die
Anziehungskraft Wiens für Spione also mentalitätsgeschichtlich. Die „rätselhaften
Packeleien mit der Halbwelt“ seien Produkt einer traditionellen
Überlebensphilosophie, die im Lichte der Realität ihre Berechtigung habe: „den
Vorteil nehmen, anstatt sich der Konfrontation auszusetzen, mitkassieren, statt
anzustreifen. Man kann ohnehin nichts ändern, die Obrigkeiten nicht brechen;
aber man kann sein eigenes Auskommen arrangieren.“ (S. 23) Das neutrale
Österreich habe somit einen auf den ersten Blick paradox anmutenden Weg gefunden, für stabile Verhältnisse zu
sorgen: Allen potentiellen „Unruhestiftern“ ein Umfeld zu bieten, in dem sie
sich wohlfühlen und ungestört ihren Aktivitäten nachgehen können – solange
nichts „passiert“ und damit Österreichs eigen Sicherheit betroffen ist. Dazu
hält Bobi fest: „Spione sind willkommen und gegen die eine oder andere
Gegenleistung erfahren sie alles, was man hier weiß. Dafür wird die Stadt
selbst verschont: Die Geheimdienste, die Mafia-Größen, die Großkriminellen, die
terroristischen Schläfer und die anderen Schattenfiguren der Macht nutzen Wien
als Ruheraum, bringen ihre Schäfchen ins Trockene, genießen das Bankgeheimnis
und das einschlägige Verständnis der Stadt für ihre Zielgruppe. Ihren Organisationen
ist es strikt verboten, in dieser Stadt aufzufallen oder gar Schießübungen zu
veranstalten. Tatsächlich ist Wien, verglichen mit der Dichte der anwesenden
einschlägigen Personen, unverhältnismäßig ruhig.“ (S. 137) In einem Interview
für „Cicero“ hat Bobi seine Argumentation in Bezug auf die USA noch etwas zugespitzt:
„Für die Amerikaner ist Wien so etwas wie ein europäisches Guantanamo, wo
vieles erlaubt ist, was anderswo nicht geht. Die Amerikaner betreiben
Guantanamo als quasi rechts-neutrales Gebiet, wo sie Dinge tun dürfen, die auf
US-Staatsgebiet illegal wären. Im vorliegenden Fall dürfen sie in Österreich
Dinge tun, die in Deutschland illegal wären.“
Laxe Strafen für Spionage
Was sind nun diese
Standortfaktoren, die Spionage in Österreich so begünstigen? Das wichtigste
Element ist die Rechtslage. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 20.
April 1956 verbrieft, dass Spionagetätigkeit nur dann geahndet wird, wenn sie
sich unmittelbar gegen Österreich richtet. Wer laut § 256 einen „Geheimen
Nachrichtendienst zum Nachteil der Republik Österreich“ betreibt, muss
höchstens mit drei Jahren Haft rechnen. Wer einen „militärischen
Nachrichtendienst“ für einen fremden Staat betreibt (§ 319), kommt mit zwei
Jahren davon. Noch 1961 hatte Justizminister Christian Broda vorgeschlagen, die
gesetzlichen Bestimmungen „zum Schutz des inneren Friedens, gegen die Tätigkeit
von ausländischen Nachrichtendienste in Österreich und gegen Werkspionage zum
Schaden österreichischer Unternehmen“ entsprechend zu verschärfen. Doch in
einer Ministerratssitzung im März 1962 lehnte die ÖVP eine Weiterleitung der
geplanten Novelle an das Parlament ab. Der „Zeitpunkt für ihre Realisierung“ wurde
als nicht „zweckmäßig“ erachtet. Als dann prompt Ende 1964 ein ostdeutscher
Agentenring aufflog, mahnte die „Arbeiter-Zeitung“: „Das Risiko eines
Geheimagenten in Österreich muss zumindest dem eines Autofahrers angeglichen
werden, der sich in den Straßenverkehr begibt.“ Substanziell geändert hat sich
aber bis heute nichts.
Ineffiziente Abwehr
Die Einhaltung dieser ohnehin
laxen Bestimmungen wird nicht einmal besonders effektiv überwacht. Noch bis zur
Gründung des Bundesamts für Verfassungschutz (BVT) im Jahr 2002 hatte die bis
dahin zuständige Staatspolizei neben der „Wahrnehmung staatsfeindlicher
Vorgänge“ noch zahlreiche weitere Aufgaben zu erfüllen: Schutz
verfassungsgesetzlicher Einrichtungen, Personenschutz für den Bundespräsidenten
und Mitglieder der Bundesregierung, Schutz von ausländischen Konsulaten und
Staatsbesuchen sowie Überprüfung von Flüchtlingen und Asylwerbern. In Wien
standen dafür Mitte der 1980er Jahre nur „etwa“ 120 Mann zur Verfügung, in den
Bundesländern rund 20. So überrascht es auch nicht, dass ein Beamter damals zum „Kurier“ sagte, dass man ausländische Spione außen
vorlasse: „Solange sie mit ihrer Tätigkeit Österreich aus dem Spiel lassen, ist
uns das wurscht.“ An dieser Einstellung
hat sich nichts geändert: Wie der Ex-BVT-Chef Rene Polli kürzlich kritisch
angemerkt hat, ist an eine „effiziente Spionageabwehr“ nicht zu denken, auch weil diese politisch
nicht gewollt sei.
„Stiller Partner“
Ein Kurswechsel sei deshalb
so schwierig, weil Österreich in einem besonders neuralgischen Bereich – der Internet-
und Telekommunikationsüberwachung – stillschweigend mit den USA kooperiert. Diese
Zusammenarbeit reicht bis in den frühen Kalten Krieg zurück. Die Amerikaner waren
nicht nur an der Aufstellung des heutigen Heeresnachrichtenamts (HNA) federführend beteiligt, sondern sorgten
auch für die technische Ausstattung. 1958 wurde auf der Königswarte bei
Hainburg in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs eine Lauschstation
eingerichtet. Weitere, meist kleinere Peilstationen wurden in Neulengbach und
Großharras (Niederösterreich), Gols (Burgenland), Pirka bei Graz und Stockham
bei Wels errichtet. Die österreichischen Horchstationen waren Teil einer
Peilkette, die sich von Norwegen über Deutschland bis nach Italien zog. Während
letztere Staaten NATO-Mitglieder waren, galt Österreich zumindest auf dem
Papier als „neutral“. Die Anlagen wurden auf Kosten der USA ständig erneuert
und waren laut „profil“ so leistungsstark, dass Tischgespräche in dem wenige
Kilometer von Hainburg entfernten Bratislava belauscht werden konnten.
Auch heute noch ist Österreich
ein diskreter Partner der NSA. Der US-Journalist Glenn Greenwald vermutet: „Man
sammelt vielleicht gemeinsam Daten aus Afghanistan oder nimmt bestimmte
Organisationen ins Visier.“ Im Visier der NSA dürfte sich weiters ein
international relevanter Internetknoten befinden, der Vienna Internet Exchange
(VIX). Über solche Knoten läuft der Großteil des weltweiten Datenverkehrs, was
es leicht macht, in großem Stil Informationen abzusaugen. Deshalb ist sich Michael
Sika, früherer Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, sicher, dass
Wien für die USA nach wie vor ein „wichtiger Posten“ ist. Gegenüber Bobi gibt
er an: „Aus österreichischer Sicht ist es mehr ein Geben als ein Nehmen. Die
Amis haben überhaupt kein Gefühl dafür, anderen zu helfen, wenn sie selbst
keinen Vorteil haben. Das HNA hat immer schon sehr erfolgreich spioniert und
seine Erkenntnisse immer sehr brav weitergegeben.“
Begegnungsort mit „hoher Lebensqualität“
Während die politischen
Vorgänge in Österreich für ausländische Geheimdienste nur mäßig interessant sein dürften, so gibt es hier viel
zu „holen“: Wien ist ein „Begegnungsort“ geblieben, zahlreiche internationale Organisationen
haben hier ihren Sitz – angefangen von der Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), über die Organisation Erdöl
exportierender Länder (OPEC) bis hin zur Internationalen Atomenergiebehörde
(IAEA) und der Organisation für
industrielle Entwicklung (UNIDO). Weiters sind hier wichtige
Botschaftsstützpunkte angesiedelt: Neben dem Iran und Nordkorea (bis 2004
wickelte die „Golden Star“-Bank von Wien aus Geschäfte nordkoreanischer Firmen
und Personen ab) verfügt Russland in der Donaustadt seit den 1980er Jahre über
eine regelrechte „Stadt in der Stadt“ – eine der größten Vertretungen weltweit.
Viele dieser Einrichtungen sind nicht nur auszuspähende Ziele, sondern auch selbst
mit Spionen durchsetzt: Es wird geschätzt, dass die Hälfte der rund 17.000 in
Wien akkreditierten Diplomaten Geheimdienstverbindungen unterhält. Auch in
diesem Falle gibt es von politischer Seite kein Interesse, den status quo zu
ändern. Max Edelbacher, früherer Chef des Wiener Sicherheitsbüros, vermutet in
Hinblick auf die Verantwortlichen: „Sie nehmen das halt in Kauf, um Wien als
diplomatische Drehscheibe aufrechtzuerhalten. Das hat auch ökonomische
Effekte.“ An dieser Stelle spielen dann noch Faktoren wie das Bankgeheimnis,
das die Alpenrepublik zu einem beliebten Ort für Geldwäsche und andere
undurchsichtige Geschäfte gemacht hat. Und schließlich ist Wien von den
geographischen Gegebenheiten ein „Tor“ nach Osteuropa und den Balkanraum sowie
ein Verkehrsknotenpunkt mit vielen Direktflugverbindungen in den Nahen Osten.
Libysche Botschaft in Wien: In den 1970er und 1980er Jahren wurde über Verbindungen zum internationalen Terrorismus spekuliert (Foto: Autor) |
Historische Anfänge
So richtig begonnen hatte die
Geschichte der Spionagestadt Wien nach Kriegsende 1945: Damals richteten sich
die Geheimdienste ein. Betrachtet man diese Entstehungsphase, dann bleibt von
der Spionageromantik freilich wenig über. So war ursprünglich die Hauptaufgabe
des in Österreich eingesetzten Counterintelligence Corps (CIC), des
Geheimdiensts der US-Armee, gewesen, NS-Verbrecher zu jagen. Doch durch den
Kalten Krieg verschob sich die Priorität schon innerhalb weniger Monate hin auf
die Beobachtung der sowjetischen Besatzungsmacht. Österreich wurde ab diesem
Zeitpunkt zu einem Bazar der Spione: Ein pensionierter CIA-Offizier beschrieb
es anschaulich so: Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo,
Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und faschistischer Organisationen aus
Zentral- und Südeuropa hätten den Nachrichtendiensten fabrizierte Informationen
feilgeboten, um die man sich dann gestritten hätte, „wie so viele Frauen in der
Schnäppchenabteilung von Macy’s am Tag nach Weihnachten“.
Ein Bericht für die CIA von
1949 listet insgesamt 17 verschiedene nachrichtendienstliche Gruppen auf, die
zu diesem Zeitpunkt in Österreich aktiv waren: Neben dem unter Anleitung von
Maximilian Ronge im Aufbau befindlichen Militärgeheimdienst verfügten auch die
Großparteien SPÖ und ÖVP über eigene Informations-Dienste ebenso wie die
katholische Kirche. Hinzu kamen zwei jeweils für Großbritannien und Frankreich
tätige Netzwerke. Fünf weitere dieser selbstständig operierenden und
miteinander konkurrierenden Organisationen wurden von ehemaligen
SD-Mitarbeitern, SS- und HJ-Angehörigen angeführt. Das CIC hatte seit1946 in
diesen Kreisen rekrutiert: Eine Untersuchung des US-amerikanischen Office of
Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss, dass das CIC in Österreich
13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats anwarb und man über
Tausende von Informanten verfügte. Für das CIC galt sprichwörtlich die
Philosophie, wonach das Ziel, die Mittel heiligt. Die Mitgliedschaft in der SS
oder einer anderen NS-Organisation war kein Kriterium, um als Informant
abgelehnt zu werden. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal nützte jedenfalls
diese Schwäche aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich aus der
Kooperation mit den westlichen Diensten zu ziehen. Letztere wiederum schnitten
sich ins eigene Fleisch: Denn die „braune“ Vergangenheit machte erpressbar. Und
auf diese Weise wurden beispielweise im BND hochrangige Mitarbeiter von
östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und richteten
beträchtlichen Schaden an.
CIC-Netzwerk "Montgomery" für Spionage hinter dem Eisernen Vorhang (Quelle: www.foia.cia.gov) |
NS-Verbrecher in amerikanischen Diensten
In Österreich gibt es
zahlreiche Beispiele für diese unheilige Allianz: Wilhelm Höttl, ehemals
SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im Ausland-Sicherheitsdienst
(SD). Nach Kriegsende 1945 machte Höttl
eine erstaunliche zweite Karriere: als Autor, honoriger Gründer des
Privatrealgymnasiums in Bad Aussee und, wegen seines Spezialwissens über Ungarn
und den Balkanraum, als Spion verschiedener Geheimdienste. Deswegen entließ die
US-Armee Höttl im Dezember 1947 und verweigerte seine Auslieferung an eines der
österreichischen Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen. Schon 1948/49 führte Höttl im Auftrag des CIC
ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Gemeinsam mit den ehemaligen
Waffen SS-Angehörigen Erich Kernmayer
und Karl Kowarik installierte er für
das CIC Field Office Gmunden Anfang Juli 1948 zwei Agenten-Netzwerke, die schon
ein Jahr später aufgelöst wurden. Über Monate seien keine Information
übermittelt worden, die sich nicht als unrichtig, als Gerücht oder als aus
Zeitungen abgeschrieben erwiesen. Trotzdem war Höttl auch danach noch für die
Organisation Gehlen (Vorgänger des BND) und den französischen Geheimdienst
tätig.
Villa in Altmünster bei Gmunden: Als Hauptquartier für ein Netzwerk von W. Höttl genutzt (Foto: Autor) |
In den 1970er Jahren
erinnerte sich Höttl folgendermaßen an seine Zeit beim CIC: „Die Amerikaner
hatten sich überhaupt nicht dafür interessiert, wo der Mann vorher war, ob er
bei der Waffen-SS oder bei der Allgemeinen SS gewesen war. Er hätte genauso gut
ein Treblinka- oder Auschwitz-Mann sein können, das war denen ganz gleich […].
Nach der ersten Hasswelle von Nürnberg, die 1946 abebbte, begann schon 1947 die
Fraternisierung speziell mit der SS, weil sie als verlässlichste Waffe
angesehen wurde.“ Weitere „Quellen“ des CIC in Österreich waren unter anderem
Otto von Bolschwing, ein enger Mitarbeiter von Adolf Eichmanns oder Jan Robert
Verbelen: Der 1947 wegen Mordes an belgischen Widerstandskämpfern zum Tode
verurteilte SS-Offizier führte für das CIC bis 1957 das Wiener Netz „Herbert“,
vor allem um die KPÖ auszuspionieren. Anschließend arbeitete Verbelen noch bis
1955 für die CIC-Abteilung in München, um danach noch für die österreichische
Staatspolizei als Informant tätig zu sei.
Letzte Ruhestätte von W. Höttl auf dem Friedhof von Altaussee (Foto: Autor) |
„Alles längst ausgekundschaftet“
Wien verlor seine Wichtigkeit
als Spionagedrehscheibe zu keinem Zeitpunkt des Kalten Krieges: Die Nähe zum
Eisernen Vorhang prädestinierten die Stadt als Ausgangspunkt für
Geheimoperation, „Schleusungen“ und Kontaktstelle für Agenten beider Lager. „profil“
berichtete 1973: „Amerikanische CIA-Männer erkunden von Wien aus die Lage in
die CSSR und in Ungarn; den Russen dient die Alpenrepublik als
Ausbildungsgebiet für Agenten, die ihre Fäden weiter nach dem Westen spinnen.
Tschechische wie ungarische Geheimdienste kundschaften aus, wie die westlichen
Dienste ihre Kontakte nach dem Osten knüpfen. Und die Hausherrn – Österreichs
Staatspolizisten –, die hier und dort ein bisserl mithorchen können, machen mit
allen Seiten ihre umstrittenen Geschäfte.“ Ernsthafter Schaden für Österreich wurde
schon damals nicht befürchtet. Die Sicherheitsbehörden, so der „Kurier“ 1983,
gingen davon aus, dass „alles, was bei uns des Auskundschaftens wert wäre,
längst ausgekundschaftet ist und es den Geheimdiensten bloß noch darum geht, sich
über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten“. Laut Grolig hatte die
Staatspolizei Mitte der 1980er Jahre rund 6.000 „einschlägige“ Personen
registriert, darunter zirka 40 Prozent des Personals östlicher und einen
geringeren Prozentsatz jenes westlicher diplomatischer Vertretungen. Doch die
„Dunkelziffer“ wurde als doppelt so hoch angenommen. Österreich sei ein
„bequemes Land für Treffen mit westdeutsche Quellen“ gewesen, bestätigte 2003
Markus Wolf, der zwischen 1952 und 1986 die „Hauptverwaltung Aufklärung“ der
Stasi leitete, im Nachhinein. „Wir konnten mit Diplomatenpässen einreisen, auch
war es auf Grund des großen Fremdenverkehrs leicht.“
Chef der Stasi-Auslandsspionage Markus Wolf (Quelle: Wikimedia Commons) |
„Ruheraum“ auch für Terroristen, Stützpunkt der Ost-Mafia
Wenn man seitdem über die
„Stadt der Spione“ spricht, sollte man andere Akteure der „Schattenwelt“ nicht
außer Acht lassen – Terroristen zum Beispiel: Mitglieder der Roten Armee
Fraktion hielten sich in den 1980er Jahren und Anfang der 1990er Jahre immer
wieder in Wien auf. Österreich fungierte als Transitland, um nach Anschlägen in
der BRD nach Skandinavien, in Ost-Blockstaaten oder in den Libanon
weiterzureisen – je nachdem, wo sich die Gruppe gerade besonders sicher fühlte.
Nur einmal kam es zu einer größeren Operation westdeutscher Terroristen in
Österreich selbst – die Entführung von Walter Palmers durch die „Bewegung 2.
Juni“ 1977. Die daran beteiligte Inge Viett schrieb bezeichnenderweise in ihren
Memoiren: „Wien ist keine Stadt für revolutionäre Aktivitäten. Es ist eine
Stadt für Agenten, Ganoven, für Spießbürger und ihre Politiker, gerade richtig
für die Entführung eines Industriellen.“ Die meisten Anschläge wurden aber in
den 1970er und 1980er Jahren von arabischen Gruppen verübt, wenn gleich
Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch glimpflich
davonkam. Wie das Beispiel der Abu Nidal Organisation zeigt, wurde auch der Bankenplatz
Wien ausgiebig genutzt. Um das „Terrorgeld“, das seit 2000 auf Konten der Bank
Austria eingefroren ist, wird immer noch vor Gericht gestritten.
Österreich, so
sind sich Experten sicher, wird nach wie vor als „Ruheraum“ für sogenannte
„Schläfer“ (Personen, die darauf warten, für einen Terroranschlag aktiviert zu
werden) verwendet. Und auch für den Jihad wird hierzulande mobilisiert – nach
Angaben des Innenministeriums vom August 2014 kämpfen mittlerweile bereits 130
Personen aus Österreicher als Jihadisten im Ausland, sind von dort
zurückgekehrt oder auf dem Weg zu Kriegsschauplätzen. Die Möglichkeiten des BVT
dagegen einzuschreiten, sind begrenzt – sofern nicht ein strafrechtlicher
Verdacht vorliegt, müssen sich die Verfassungsschützer aufs Überwachen
beschränken. Liegen nach maximal neun Monaten keine Hinweise auf eine konkrete
Gefahr oder eine bevorstehende Straftat vor, müssen alle gesammelten Daten
gelöscht werden.
Damit nicht genug
ist Wien schon seit den 1990er Jahren ein wichtiger Stützpunkt der organisierten
Kriminalität: „Fast alle kriminellen Bosse, die heute in Russland im Kampf um
die Macht der Oligarchen mitmischen, hatten oder haben Residenzen an der
schönen blauen Donau“, meint dazu der deutsche Experte Jürgen Roth. Die
österreichischen Behörden ließen auch in diesem Fall gewähren. Man behielt das
rege Kommen und Gehen im Auge – für ein aktives Einschreiten fehlte die Rechtfertigung
und Anfragen bei osteuropäischen Stellen verliefen in der Regel ergebnislos.
Wenn man dann doch einmal Farbe bekennen
muss
Wien, Zelinkagasse: In den 1980er Jahren Firmensitz des Waffenhändlers Monzer Al-Kassar (Foto: Autor) |
Obgleich es quasi
die Essenz des österreichischen Weges ist, sich in all diese Machenschaften
nicht einzumischen, bleibt manchmal kein anderer Ausweg, als Farbe zu bekennen.
In diesen haarigen Situationen macht die Republik aber keine besonders gute
Figur: Als sich 2007 eine junge Ukrainerin unter ungeklärten Umständen auf dem
Grundstück der Wiener Villa von Saif Gaddafi (dem Sohn des gestürzten libyschen
Diktators) lebensgefährlich verletzte, reiste dieser nur wenige Stunden später
ab – an Bord des Jets eines österreichischen Bauunternehmers. 2011 wurde dann ein
mit Interpol-Haftbefehl gesuchter ehemaliger KGB-Offizier am Wiener Flughafen
verhaftet. Nach massiven Interventionen der russischen Botschaft wurde Mikhail
Golovatov freigelassen, was diplomatische Verstimmungen mit Litauen zur Folge
hatte. In einer ähnlich gelagerten Causa, rund um den unter Mordverdacht
stehenden kasachischen Ex-Botschafter Rakhat Aliyev, verweigerte Österreich
2007 und 2011 dessen Auslieferung. Um die guten wirtschaftliche Kontakte mit
Kasachstan nicht zu stören, wurde Aliyev aber aufgefordert, Österreich zu
verlassen. Er tat dies mit einem eigens für ihn ausgestellten Fremdenpass und hielt
sich in Malta auf – bis er 2014 nach einer freiwilligen Rückkehr verhaftet
wurde.
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht
nass“
Um damit
abschließend noch einmal auf Bobis Buch zurückzukommen: Es gibt Städte, die
sich mit der Wiener Situation vergleichen lassen. So ist Genf in der neutralen
Schweiz nicht nur der Sitz des Roten Kreuzes und ein wichtiger UNO-Standort,
sondern darüber hinaus eine Spielwiese für Rohstoffhändler, Waffenschieber und
Terroristen. Offenbar begünstigt das Zusammenspiel von Geografie, Mentalität
und lang gewachsener historischer und sozialer Strukturen das Entstehen von „Hotspots“
für alle möglichen halbseidenen oder gar kriminellen Aktivitäten. Der
wichtigste Faktor bleibt aber das simple sich Nichteinmischen-Wollen auf
politischer Ebene, solange es den eigenen Interessen dienlich ist – oder anders
ausgedrückt: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Eine alles andere
als sympathische Strategie, die aber bislang relativ erfolgreich gefahren
wurde. Wer mehr darüber erfahren will, was den Wiener Fall so speziell macht,
ist bei Bobi gut aufgehoben.