Mittwoch, 29. Oktober 2014

Der Ostblock und der internationale Terrorismus

Das Thema Terrorismus spielte vor allem in der Spätphase des Kalten Krieges eine wichtige Rolle in der weltanschaulichen Auseinandersetzung zwischen den Machtblöcken. Spätestens ab Ende der 1970er Jahre wurde die Sowjetunion von Teilen der angloamerikanischen und israelischen Publizistik verstärkt als die geheime Macht hinter dem „internationalen Terrorismus“ angeklagt. So wie der kommunistische Feind eine monolithische Einheit bildete, waren demnach auch die Aktivitäten von terroristischen Gruppen auf ein einziges Gravitationszentrum zurückzuführen – die Sowjetunion. Von dort aus würde nicht nur das Vordringen des Marxismus in der Dritten Welt gesteuert, sondern auch die Terrorakte im Nahen Osten und Westeuropa. 

Am einflussreichsten in dieser Hinsicht war die Publikation The Terror Network (1981) der US-amerikanischen Journalistin Claire Sterling. Ihre Kernthese: Über Mittelsmänner wie die palästinensische Radikale oder „Satelliten“ wie Kuba, Südjemen oder Libyen würde Moskau eine „furchterregende Geheimarmee“, bestehend aus praktisch allen linksradikalen Terrorgruppen, logistisch unterstützen bzw. sie unterwandern. „Der Hauptwert der Terroristen für den Kreml lag in ihrem energischen Bemühen, die demokratischen Gesellschaften zu schwächen und zu demoralisieren, zu verwirren, zu demütigen, in Angst zu versetzen, zu lähmen und wenn möglich zu demontieren“, so Sterling .
PLO-Delegation besucht 1971 Ost-Berlin (Quelle: Wikimedia Commons)
Während diese Auseinandersetzung vor allem mit ideologischer Schlagseite und wenig Faktenorientierung geführt wurde, ist das komplexe Verhältnis von Warschauer Pakt-Staaten und terroristischen Gruppen seit 1989 deutlicher geworden. Zwischen wem genau solche Beziehungen bestanden, welcher Art diese waren und wie sie sich über die Zeit veränderten, dazu steht die Forschung laut dem Politikwissenschaftler Christopher Daase aber „noch ganz am Anfang“. Im angelsächsischen Diskurs dagegen wurde die Kooperation zwischen osteuropäischen Geheimdiensten und Terrorgruppen kontinuierlich herausgestrichen. Was die genauen Mechanismen und Modalitäten dieser Zusammenarbeit betrifft, so ist jedenfalls weiterer Aufklärungsbedarf gegeben.

Keine faktische Kontrolle über den Terrorismus
Klar ist zumindest, dass Moskau nicht die einzige Quelle allen terroristischen Übels war, so wie es die Reagan-Regierung Anfang der 1980er Jahre propagandistisch überspitzt dargestellt hatte. Gleichzeitig war die Sowjetmacht auch kein untätiger Beobachter. Die UdSSR unterstützte nicht nur „nationale Befreiungsbewegungen“ in Asien, Afrika und Lateinamerika, sondern auch terroristische Gruppen im Nahen Osten und in Nordirland. Diese substantielle Rolle kam aber keiner faktischen Kontrolle über den Terrorismus gleich. Die Gruppen behielten ihre Autonomie und waren keine verlängerten Arme der sowjetischen Außenpolitik.

Genau dieser Umstand geht beispielsweise aus einer CIA-Analyse zur „Rolle des Sowjetblockes im Internationalen Terrorismus“ hervor, die man 1986 dem Minister für Staatssicherheit Erich Mielke in einer deutschsprachigen Übersetzung zur „Kenntnisnahme“ vorgelegte: „Die sowjetische Führung betrachtet seit längerem den Terrorismus sowie politische Gewalt allgemein als grundsätzlich legitimes Mittel zur Verfolgung und Förderung sowjetischer Interessen.“ Zwei Erscheinungsformen an Unterstützung wurden unterscheiden: Einerseits die zum Teil offene Unterstützung für sogenannte Befreiungsbewegungen, „sie sich terroristischer Mittel bedienen (z.B. PLO [Palestine Liberation Organization], ANC [African National Congress])“. Andererseits die „verdeckte und meist indirekte Unterstützung für extremistische und revolutionäre Gruppen ohne politische Legitimation durch Moskaus Verbündete im SOWB [Sowjetblock] und der 3. Welt“. Der Terrorismus in Westeuropa erhalte jedoch keine Hilfe, „selbst wenn man in Moskau hierzu offenbar Bedenken hat, da der destabilisierende Faktor innerhalb der NATO aus sowjetischer Sicht positiv zu bewerten ist“. Eine direkte Hilfe für westeuropäische Terroristen werde jedoch „als zu hohes Risiko angesehen“: „Jede Verwicklung darin ist lediglich kontraproduktiv.“ Im Nahen Osten dagegen leiste die UdSSR „offene Hilfe mittels Ausbildung, Waffen, Finanzmittel sowie nachrichtendienstlicher Informationen“. Aber auch an dieser Stelle hielt der Bericht fest: „Die Aktivitäten der einzelnen Gruppen werden nicht von Moskau dirigiert. Die UdSSR vermeidet direkte Kontakte zu Abu Nidal/Carlos Gruppe, jedoch erfolgt eine direkte Hilfe durch DDR/UVR [Ungarische Volksrepublik]/Rumänien/Bulgarien/VRP [Volksrepublik Polen].“ Angeblich würden Trainingslager für Terrorgruppen aus dem Nahen Osten und der Dritten Welt in der UdSSR existieren: „Von insgesamt 5 – 6 erkannten Lagern werden einige direkt vom KGB/GRU  unterhalten, andere befinden sich in regulären Ausbildungseinrichtungen der UdSSR-Streitkräfte.“ Die Sowjetunion würde weiters den Terrorismus nachrichtendienstlich durchdringen – „durch Werbung von Gruppenmitgliedern als Informanten“: „Wegen der eigenen Zurückhaltung in der Führung und Zielauswahl will Moskau wenigstens indirekt die Kontrolle und Kenntnis von Vorhaben usw. erhalten.“

Für eine direkte Rolle der UdSSR an den „Schalthebeln“ des internationalen Terrorismus gibt es wenige Belege. Vor allem handelt es sich um Angaben von Überläufer aus östlichen Geheimdiensten, die mit quellenkritischem Vorbehalt zu betrachten sind. So berichtete der tschechische General Jan Sejna, der 1968 in die USA flüchtete, von einem KGB-Ausbildungslager in einem Waldgebiet bei Karlovy Vary (Karlsbad), wo ausgesuchte Terroristen aus Europa und der Dritten Welt gedrillt wurden . Der rumänische Generalleutnant Ion Pacepa, der 1978 überlief, beschrieb in seinem Memoiren (Red Horizons, 1987) abenteuerlich anmutende Hilfeleistungen seines Dienstes für die PLO, den libyschen Oberst Gaddafi sowie Illich Ramirez Sanchez, genannt „Carlos der Schakal“. 1990 veröffentlichte der britische Historiker Christopher Andrew 1990 gemeinsam mit dem ehemaligen KGB-Offizier Oleg Gordiewsky eine Geschichte der Auslandsoperationen des sowjetischen Geheimdienstes. Darin heißt es einschränkend, dass der KGB war zwar nicht der „Kopf des Terrorismus im Nahen Osten“ gewesen sei, „doch unschuldig war er deshalb beileibe nicht“: „Die Moskauer Zentrale missbilligte zwar Angriffe gegen zivile Ziele, wusste aber sehr wohl, dass einige Freiheitskämpfer in Balaschika  tatsächliche oder potentielle Terroristen waren. Ebenso wussten sie von ihren Agenten in der PLO, dass Verbindungsoffiziere der PLO und die Botschaften Syriens, Libyens und anderer Länder in Moskau und weiteren osteuropäischen Hauptstädten bei der Vorbereitung einiger terroristischer Operationen halfen.“

Wadi Haddad, ein KGB-Agent
1999 präsentierte wiederum Andrews, diesmal in Zusammenarbeit mit dem Ex-KGB-Oberst Wassili Mitrochin das „Das Schwarzbuch des KGB“. Dieses basierte auf Kopien sowjetischer Geheimdienstunterlagen, die Mitrochin in seiner Funktion als Archivar beiseite geschafft hatte.
Aus einem dieser Dokumente geht hervor, dass Wadi Haddad, Anführer der Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PLFP) und „Pate“ des internationalen Terrorismus, seit 1970 vom KGB unter dem Decknamen „NATIONALIST“ als Agent geführt wurde. Geheimdienstchef Juri Andropow berichtete an Premierminister Leonid Breschnew: „Die Natur unserer Beziehung zu W. Haddad versetzt uns in die Lage, die externen Operationen der PLFP bis zu einem gewissen Grad zu kontrollieren, in einer für die Sowjetunion günstigen Weise Einfluss zu nehmen und durch Kräfte der Organisation unter Einhaltung der notwendigen konspirativen Geheimhaltung aktive Maßnahmen zur Unterstützung unserer Interessen ausführen zu lassen.“  Einem weiteren Dokument von 1975 zufolge, soll der KGB der PLFP „mit Hilfe eines Aufklärungsschiffes der Seekriegsflotte der UdSSR“ in den neutralen Gewässern des Golfes von Aden 58 Maschinenpistolen, 50 Pistolen, darunter zehn mit Schalldämpfer ausgestattet sowie 34.000 Schuss Munition übergeben haben. Dokumentiert sind weiters Beziehungen zwischen der UdSSR und der Abu-Nidal-Organisation (ANO), die sich 1974 von der PLO abgespalten hatte und bis Ende der 1980er Jahre zahlreiche Attentate mit zivilen Opfern verübte. Aus einem Bericht des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) von 1987 geht hervor, dass die Sowjetunion zur ANO „seit Jahren inoffizielle Kontakte, insbesondere über den Militärattaché der Botschaft in Damaskus“ unterhalte. Der gute Draht zur ANO dürfte vor allem der Beschaffung von Militärtechnik gedient haben.

Terroristische Präsenz in Osteuropa 
Andropows Entscheidung, Haddads PLFP für „Sonderoperationen“ zu verwenden, markierte jedenfalls einen Wendepunkt in der Geschichte des KGB: „In Zukunft sollten andere Nachrichtendienste des Ostblocks dem sowjetischen Beispiel folgen und terroristische Gruppen benutzen oder ihren Einsatz stillschweigend in Kauf nehmen.“  Die Satellitenstaaten in Osteuropa, die DDR, Ungarn, CSSR, Polen, Bulgarien, Jugoslawien und Rumänien ließen sich auf enge Beziehungen zu Terroristen ein bzw. tolerierten deren Präsenz. Es gab einen „direkten Draht“ zu mehreren nahöstlichen Organisationen, darunter die ANO, die PLFP und die Carlos-Gruppe. Aber auch westliche Gruppen profitierten: Erst kürzlich wollten Tschechische Ermittler Hinweise darauf gefunden haben, dass Mitglieder der italienischen Roten Brigaden, die 1978 an der Entführung von Aldo Moro beteiligt waren, in der bereits erwähnten Anlage in Karlsbad trainiert wurden . Die CSSR war darüber hinaus ein wichtiger Produzent des Plastiksprengstoff „Semtex”. Einer der wichtigsten Abnehmer war Libyen, das große Mengen an seine palästinensischen Verbündeten weitergab, die es wiederum terroristischen Gruppen zur Verfügung stellten.

Nur in einigen Fällen gaben sozialistische Länder terroristische Anschläge selbst in Auftrag: 1981 bestellte der rumänische Diktator Nicolai Ceausescu ein Attentat der Carlos-Gruppe gegen Radio Free Europe in München. Aufgrund eines schweren operationellen Fehlers explodierte die 15kg-Bombe jedoch nicht vor den rumänischen, sondern vor den tschechoslowakischen Büros. Acht Mitarbeiter wurden zum Teil schwer verletzt. Häufiger kam es vor, dass Terroristen in Warschauer Pakt-Staaten Stützpunkte etablierten und dabei mit den Geheimdiensten dieser Länder kooperierten: Ein gutes Beispiel hierfür ist die Präsenz von Abu Nidal in Polen. Er reiste 1981 mit engsten Familienangehörigen und seinen Adjutanten zum ersten Mal in das Land und blieb dort bis 1985/1986. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern lebte Abu Nidal in der Kleinstadt Pabianice in Zentral-Polen in einer von insgesamt drei Villen, die von der polnischen Geheimpolizei bewacht wurden. 

Bekannt ist auch, dass die DDR von 1980 an zehn „Aussteiger“ der „zweiten Generation“ der RAF aufnahm und diese mit neuen Namen, Wohnungen und Beschäftigung versorgte. Das führte auch dazu, dass die aktiven Mitglieder um Unterstützung ansuchten: Von 1980 bis 1982 wurden RAF-Leute von MfS-Spezialkräften unter anderem in der Handhabung von Raketenwerfern ausgebildet. Dieses Training stand offenbar in Zusammenhang mit dem terroristischen Angriff auf NATO-Kommandeur, US-General Frederick Kroesen am 15. September 1981. Bislang herrscht jedoch Unklarheit, ob das Trainingsschießen vor oder nach dem erfolglosen Anschlag stattfand. Wie Tobias Wunschik betont, ging diese „RAF-Stasi-Connection“ jedoch schon 1983/84 „teilweise in die Brüche“: Aus Furcht vor außenpolitischen Komplikationen tendierte zu das MfS danach zu einer vorsichtigeren Linie. Terroristen wurden angehalten, sich in der DDR konspirativ zu bewegen, außerdem sei die Unterstützung des internationalen Terrorismus ab 1984 „deutlich vermindert“ worden.

Ehemaliger Sitz der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (Quelle: Wikimedia Commons)

Die DDR und die Palästinenser
Am Beispiel der DDR wird auch deutlich, wie die Kontakte osteuropäischer Staaten zu Befreiungsbewegungen wie der PLO abliefen : Anfang April 1979 schlug der leitende Offizier des PLO-Geheimdienstes RASD, Abu Hisham, dem MfS vor, „eine umfassendere, offizielle Zusammenarbeit mit strategischem Charakter in allen politischen und Sicherheitsfragen“ herzustellen. Der Vorstoß erfolge im Auftrage des RASD-Leiters Abu Iyad und sei mit PLO-Führer Jassir Arafat abgestimmt: Letzterer könne solche Fragen bzw. „davon abgeleitete Probleme“ aufgrund seiner Funktion „nicht persönlich ansprechen“. Auch die PLO-Vertretung in Ost-Berlin müsse aus dieser Angelegenheit „völlig herausgehalten“ werden, stellte Hisham fest. Der Emissär schlug dem MfS folgende „Problemkreise“ vor, die man in diesem Rahmen diskutieren sollte: „a) Informationen über Interessen der USA und Israels in Westeuropa. b) Unterstützungsanliegen für Aufenthalte von Angehörigen der ‚PLO-Sicherheit’ in der DDR zur Realisierung von Aufgaben, was noch mit der DDR gesondert abzustimmen wäre. c) Durchführung von Lehrgängen auf den Gebieten der allgemeinen Sicherheit, Ausbildung an Handfeuerwaffen, Einsatz von Sprengkörpern, Durchführung von Sonderaktionen. d) Hilfe bei der Beschaffung nicht näher bezeichneter technischer und elektronischer Ausrüstungen. e) Bereitstellung von Handfeuerwaffen und Sprengkörpern und Hilfe bei deren Beförderung nach Westeuropa.“  Wie aus einem Schreiben eines DDR-Armeegenerals an den polnischen Innenminister hervorgeht, besuchte im August 1979 eine Delegation unter Führung Abu Iyads zwecks Finalisierung Ost-Berlin. Vereinbart wurde: „ 1. Den Austausch politischer und politisch-operativer Informationen; 2. Unterstützung der PLO-Sicherheit durch Ausbildungen; 3. gemeinsame Anstrengungen zum Schutz der DDR und sozialistischen Staatengemeinschaft gegen feindlich-negative Kräfte der internationalen Terrorszene.“  Wie weit diese Kooperation ging, verdeutlicht ein Protokoll über ein Treffen zwischen Abu Hisham und MfS-Offizieren am 1. Februar 1980: Demnach informierte Hisham über „Absichten der PLO, Anschläge gegen Personen und Einrichtungen der BRD durchzuführen“. Weil man jedoch keine Aktivitäten durchführen, „die nicht auch im Interesse der DDR liegen“, fragte Hisham nach: „Ist die DDR an vorgenannten Aktionen interessiert?“ Die Antwort der MfS-Delegation laut Protokoll: „Das MfS mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der PLO. Das betrifft auch Entscheidungen über bestimmte Aktionen.“ Abu Hisham fragte dann: „Können der PLO Informationen über Personen und Objekte in der BRD zur Durchführung von Aktionen übergeben werden?“ Aus dem Dokument geht hervor: „Informationen über bestimmte Personen wurden der Vereinigten PLO-Sicherheit übergeben.“

MfS-General Markus Wolf, der in die Kontakte eng eingebunden war, gab in seinen Memoiren an, dass „jede Seite suchte ihren Vorteil“ suchte: Während die Palästinenser an Ausrüstung und Ausbildungsmaßnahmen interessiert waren, war das MfS bemüht, „Informationen über die USA und ihre Verbündeten zu erhalten, über ihre strategischen Pläne, ihre Waffensystems und geheimdienstlichen Aktivitäten“. Wolfs Autobiografie war zuerst 1997 auf Englisch erschienen und darin finden sich auch Passagen, die in der deutschsprachigen Ausgabe fehlen – so etwa das Eingeständnis, dass man sich seitens des MfS im Klaren war, dass die an Palästinenser vermittelte Expertise auch an „terroristische Kommandos“ für den Kampf gegen Israel weitergegeben werden konnte. Während die PLO zu damaligen Zeitraum bereits von der UNO als legitime Vertreterin der palästinensischen Interessen anerkannt wurde, unterhielt das MfS darüber hinaus auch enge Kontakte zu Gruppen, die im Westen als terroristisch verurteilt wurden – bestes Beispiel hierfür ist die Abu-Nidal-Organisation (ANO). Wie aus einem Vermerk der Abteilung XXII vom 25. Mai 1987 hervorgeht, waren Angehörige der ANO häufig Gäste des ostdeutschen Geheimdiensts, zwecks ideologischer, aber auch operationeller Weiterbildung: 1984/1985 fanden drei mehrwöchige Grundlehrgänge in Sachen Marxismus-Leninismus für insgesamt 41 Abu-Nidal-Leute im „Objekt X“ der Juristischen Hochschule des MfS statt. Zwischen dem 15. April und dem 23. Juli 1985 – wenige Monate vor den ANO-Anschlägen gegen die Flughäfen von Rom und Wien – wurde weiters auf dem Gelände des „Objekts 74“, in einem abgelegenen Waldstück bei Frankfurt an der Oder, eine „spezielle Ausbildungsmaßnahme“ für 11 Abu-Nidal-Leute organisiert.

Keine Warnung vor Attentaten im Westen
Verbindungen, wie es das MfS zur PLO und anderen palästinensischen Gruppen unterhielt, zahlten sich für die osteuropäischen Staaten vor allem in indirekter Form aus: Man gelangte so an wertvolle nachrichtendienstliche Erkenntnisse, westliche Waffen und Technologie, während der Klient durch Rückzugsgebiete, Training und einfachen Transit in sozialistische Länder und Westeuropa profitierte. Ein wichtiges Motiv für die Ostblockstaaten war es, ihr Territorium von möglichen Sicherheitsrisiken abzuschotten. Die Gefahr von Vergeltungsakten seitens terroristischer Gruppen im Falle einer aktiven Vorgangsweise gegen sie wurde sehr ernst genommen.

Für den Fall, dass diese Akteure Anschläge in Westeuropa begingen, so bestand die Hauptsorge darin, in irgendeiner Form kompromittiert zu werden. Aber während die Ost-Geheimdienste oftmals über detaillierte Kenntnisse von geplanten Attentate verfügten, wurde manchmal nichts getan, um deren Ausführung zu verhindern: 1983 gab ein MfS-Offizier konfiszierten Sprengstoff zurück, der dann für den Bombenanschlag gegen das Maison de France in West-Berlin benutzt wurde . Im Falle des La Belle-Attentats am 5. April 1986, bei dem drei Menschen getötet und 200 verletzt wurden, wusste das MfS mindestens 16 Tage im Voraus Bescheid, dass libysche Agenten die West-Berliner Diskotheke sprengen wollten, aber es gab keine Warnung. Einer der Attentäter war sogar ein Informant des MfS und hatte über den jeweiligen Stand der Vorbereitungen berichtet. Seine Führungsoffiziere hatten auch auf politische und operative Schritte zur Verhinderung des Anschlags gedrängt, doch die MfS-Führung soll schließlich einen Freibrief erteilt haben. Das Wissen über geplante Terrorakte sei einfach „wichtiger als die Verhinderung von Anschlägen“ gewesen. Auch Markus Wolf bestätigte, dass die verantwortlichen libyschen Diplomaten der zuständigen „Terrorabwehr“ des MfS (Abteilung XXII) bekannt waren: „Aktiven Terroristen Unterschlupf zu gewähren, das war nicht weniger gefährlich als mit offenem Feuer zu hantieren. Doch entweder unterschätze die Abteilung XXII mitsamt Minister Mielke die Gefahr, oder die beargwöhnten Gäste waren aus dem Ruder gelaufen und entzogen sich immer mehr der Überwachung.“

Attentate waren für den Sowjetblock nützlich
Könnte es aber nicht auch sein, dass der Terror Kalkül war? Vor allem die linksterroristische Attentatswelle, die Mitte der 1980er Jahre in Westeuropa einsetzte und sich primär gegen die NATO und westliche Rüstungspolitik richtete, fiel mit einer „heißen“ Phase des Kalten Krieges zusammen. Anfang 1985 proklamierten die RAF und die französische Action Directe eine gemeinsame „antiimperialistische“ Front, die „Angriffen gegen die multinationalen Strukturen der Nato, gegen Basen und Strategen“ durchführte. Mehrere Rüstungsmanager, die auch im Zusammenhang mit der 1983 gestarteten US-Strategic Defense Initiative (SDI) standen, wurden ermordet: Ernst Zimmermann (1985), Karl Heinz Beckurts (1986) sowie der Diplomat Gerold von Braunmühl (1986). Generalbundesanwalt Kurt Rebmann nannte diese Attentate eine „koordinierte Offensive“ gegen den Westen und SDI im Speziellen. In Frankreich und Italien wurden Offiziere und SDI-Berater Rene Audran (1985) und Licio Giorgieri (1987) getötet. Davor schon hatte die RAF 1979 und 1981 Anschläge gegen die US-Befehlshaber der NATO durchgeführt und 1984 erfolglos versucht, eine Autobombe vor der NATO-Schule in Oberammergau zu zünden. Im Jahr darauf forderte eine Explosion auf der Rhein-Main Air Base zwei Todesopfer. Auch was das spätere Attentat gegen den Sprecher Alfred Herrhausen (1989) angeht, so gibt es Vermutungen, die RAF wäre nur aufgrund der vorangegangenen Ausbildung durch das MfS zu so einem präzisen Schlag im Stande gewesen. Bislang fehlen jedoch Beweise für eine solche aktive Beteiligung. Der US-amerikanische Autor Peter Schweitzer bezeichnete es jedenfalls als kurios, dass die linksterroristischen Gruppen, die zuvor kapitalistische Symbole und den westlichen Imperialismus angegriffen hatten, so konzentriert gegen SDI-Ziele vorgingen. Zweifellos habe der Sowjetblock die Attentate als nützlich betrachtet.

Die Destabilisierung des Westens durch den Terrorismus war grundsätzlich im Interesse des Ostblocks. Für die sozialistischen Länder bedeutete das ein Mittel, um gewaltsame Konflikte im Westen anzuheizen oder auszunutzen, ohne das Risiko von US-Vergeltungsschlägen oder einer direkten militärischen Konfrontation einzugehen. Es gab aber rote Linien, die beachtet wurden: Als palästinensische Terroristen einen Lufthansa-Jet 1977 entführten und den Südjemen anflogen, telefonierte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit seinem Ostberliner Amtskollegen, Oskar Fischer: Danach wies dieser den DDR-Botschafter in Aden an, „die Regierung der Volksrepublik Jemen zu bitten, bei der Beilegung des Geiseldramas zur Rettung der Menschenleben ‘ein kooperatives Verhalten zu zeigen’“. Zur gleichen Zeit suchte Bonn auch Kontakt zur Sowjetunion: Botschafter Valentin Falin sagte zu, im Südjemen für die Bundesregierung zu intervenieren, während der Abteilungsleiter des Außenministeriums in Moskau, Alexander Boradenko, höhere Stellen informierte. Tatsächlich verweigerte Südjemen die Landeerlaubnis und den weiteren Verbleib der entführten Maschine, was den ursprünglichen Plan Luftpiraten zunichtemachte.

"Rote Linien", die nicht überschritten wurden
Auch in anderen Fällen zeigte der Ostblock Terroristen klare Grenzen auf: Carlos, dessen Präsenz für die westlichen Dienste ein offenes Geheimnis darstellte und dadurch seine Gastgeber kompromittierte, wurde schließlich hinausgeworfen: 1984 wiesen ihn die DDR und Ungarn aus, 1985 brach die CSSR ihre Verbindungen zu seiner Gruppe ab. Genauso gab es Fälle, wo der Sowjetblock Fahndungen westlicher Behörden unterstützte: So ließ Bulgarien im Juni 1978 zu, dass Angehörige des westdeutschen BKA auf ihrem Territorium, in dem Badeort Nessebar, drei Angehörige der „Bewegung 2. Juni“ verhafteten, darunter Till Meyer: „Moskau soll den Wink gegeben haben, die Aktion des BKA zu dulden. […] Die Politiker und die Medien der westlichen Welt, allen voran die der USA, geißelten täglich Moskau als das ‚Hinterland des internationalen Terrorismus, Drahtzieher, Wegbereiter, Helfershelfer [...].’“ Als Beweis seiner „Lauterkeit“, so Meyer, habe das sozialistische Lager die paar westdeutschen Linksradikalen kurzerhand als „Bauernopfer“ ausgeliefert. Als nach einem Tipp westdeutscher Fahnder auch die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hoffmann, Peter-Jürgen Boock und Rolf-Clemens Wagner ebenfalls 1978 im kroatischen Zagreb festgesetzt wurden, ließen die jugoslawischen Behörden die RAF-Truppe aufgrund von Interventionen palästinensischer Gruppen aber wieder frei. Zum Schutz vor weiterer Verfolgung durch das BKA wurden die Deutschen im November 1978 mit jemenitischen Pässen ausgestattet und nach Aden ausgeflogen.

Diskrete Kontakte zwischen Ost und West
Außerdem dürfte es anlassbezogene, diskrete Kontakte zwischen Ost und West gegeben haben, um etwaige Terroranschläge im Vorfeld zu verhindern: So wurde das MfS 1986 von einem befreundeten Dienst, wahrscheinlich dem KGB, darüber informiert, dass sich „die Amerikaner“ gemeldet hätten: Es gebe konkrete Hinweise, dass eine terroristische Aktion der Abu Nidal-Organisation gegen die Internationale Verlagsmesse in Düsseldorf vom 2. bis 15. Mai 1986 bevorstehe. An der Messe würden einige bekannte westliche Politiker, darunter der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, teilnehmen. Außerdem hätten die US-Emissäre durchblicken lassen, „daß ihren Erkenntnissen zufolge im vergangenen Jahr das Auftauchen Abu Nidals in ‚einigen Ländern des Warschauer Vertrages‘ festgestellt worden sei“. Daher sei es im gemeinsamen Interesse, alle „Möglichkeiten zur Einflussnahme“ auf palästinensische Gruppen zu nutzen, „um die Realisierung irgendwelcher Terroraktionen in Europa zu verhindern“. Mielke erteilte seinen Untergebenen Markus Wolf und Gerhard Neiber daraufhin folgende Anweisung: „Ich empfehle, entsprechend den Vorschlägen der Freunde unsere Möglichkeiten zu nutzen, um den Standpunkt der Freunde durchzusetzen zu helfen. Es sollten auch Grüße vom Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, an Y. Arafat mit der Bitte übermittelt werden, darauf Einfluss zu nehmen, daß solche terroristische Aktionen, von welcher Seite sie auch immer geplant sein sollten, nicht durchgeführt werden.“  Offenbar wurden terroristische Machenschaften gegen den Westen nur unter der Bedingung toleriert, dass es zu keiner wesentlichen Verschiebung im Mächtegleichgewicht von Ost und West kam. Aber wie Markus Wolf in seinen Memoiren anmerkte, dachte Mielke darüber hinaus sehr wohl über eine unterstützende Rolle von Terrorgruppen im Kriegsfalle nach.

Gekürzter Auszug aus: Thomas Riegler, "Es muss ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein." Warschauer Pakt-Staaten und Terrorismusbekämpfung am Beispiel der DDR - erschienen in: Johannes Hürter (Hrsg.), Terrorismusbekämpfung in Westeuropa, Berlin/Boston 2014.