Das
Thema Terrorismus spielte vor allem in der Spätphase des Kalten Krieges eine
wichtige Rolle in der weltanschaulichen Auseinandersetzung zwischen den
Machtblöcken. Spätestens ab Ende der 1970er Jahre wurde die Sowjetunion von
Teilen der angloamerikanischen und israelischen Publizistik verstärkt als die
geheime Macht hinter dem „internationalen Terrorismus“ angeklagt. So wie der
kommunistische Feind eine monolithische Einheit bildete, waren demnach auch die
Aktivitäten von terroristischen Gruppen auf ein einziges Gravitationszentrum
zurückzuführen – die Sowjetunion. Von dort aus würde nicht nur das Vordringen
des Marxismus in der Dritten Welt gesteuert, sondern auch die Terrorakte im
Nahen Osten und Westeuropa.
Am einflussreichsten in dieser Hinsicht war die
Publikation The Terror Network (1981) der US-amerikanischen Journalistin Claire
Sterling. Ihre Kernthese: Über Mittelsmänner wie die palästinensische Radikale
oder „Satelliten“ wie Kuba, Südjemen oder Libyen würde Moskau eine
„furchterregende Geheimarmee“, bestehend aus praktisch allen linksradikalen
Terrorgruppen, logistisch unterstützen bzw. sie unterwandern. „Der Hauptwert
der Terroristen für den Kreml lag in ihrem energischen Bemühen, die
demokratischen Gesellschaften zu schwächen und zu demoralisieren, zu verwirren,
zu demütigen, in Angst zu versetzen, zu lähmen und wenn möglich zu
demontieren“, so Sterling .
PLO-Delegation besucht 1971 Ost-Berlin (Quelle: Wikimedia Commons) |
Während
diese Auseinandersetzung vor allem mit ideologischer Schlagseite und wenig
Faktenorientierung geführt wurde, ist das komplexe Verhältnis von Warschauer
Pakt-Staaten und terroristischen Gruppen seit 1989 deutlicher geworden.
Zwischen wem genau solche Beziehungen bestanden, welcher Art diese waren und
wie sie sich über die Zeit veränderten, dazu steht die Forschung laut dem
Politikwissenschaftler Christopher Daase aber „noch ganz am Anfang“. Im
angelsächsischen Diskurs dagegen wurde die Kooperation zwischen osteuropäischen
Geheimdiensten und Terrorgruppen kontinuierlich herausgestrichen. Was die
genauen Mechanismen und Modalitäten dieser Zusammenarbeit betrifft, so ist
jedenfalls weiterer Aufklärungsbedarf gegeben.
Keine faktische Kontrolle über den Terrorismus
Klar ist
zumindest, dass Moskau nicht die einzige Quelle allen terroristischen Übels
war, so wie es die Reagan-Regierung Anfang der 1980er Jahre propagandistisch
überspitzt dargestellt hatte. Gleichzeitig war die Sowjetmacht auch kein
untätiger Beobachter. Die UdSSR unterstützte nicht nur „nationale
Befreiungsbewegungen“ in Asien, Afrika und Lateinamerika, sondern auch
terroristische Gruppen im Nahen Osten und in Nordirland. Diese substantielle
Rolle kam aber keiner faktischen Kontrolle über den Terrorismus gleich. Die Gruppen
behielten ihre Autonomie und waren keine verlängerten Arme der sowjetischen Außenpolitik.
Genau
dieser Umstand geht beispielsweise aus einer CIA-Analyse zur „Rolle des
Sowjetblockes im Internationalen Terrorismus“ hervor, die man 1986 dem Minister
für Staatssicherheit Erich Mielke in einer deutschsprachigen Übersetzung zur
„Kenntnisnahme“ vorgelegte: „Die sowjetische Führung betrachtet seit längerem
den Terrorismus sowie politische Gewalt allgemein als grundsätzlich legitimes
Mittel zur Verfolgung und Förderung sowjetischer Interessen.“ Zwei
Erscheinungsformen an Unterstützung wurden unterscheiden: Einerseits die zum
Teil offene Unterstützung für sogenannte Befreiungsbewegungen, „sie sich
terroristischer Mittel bedienen (z.B. PLO [Palestine Liberation Organization],
ANC [African National Congress])“. Andererseits die „verdeckte und meist
indirekte Unterstützung für extremistische und revolutionäre Gruppen ohne
politische Legitimation durch Moskaus Verbündete im SOWB [Sowjetblock] und der
3. Welt“. Der Terrorismus in Westeuropa erhalte jedoch keine Hilfe, „selbst
wenn man in Moskau hierzu offenbar Bedenken hat, da der destabilisierende
Faktor innerhalb der NATO aus sowjetischer Sicht positiv zu bewerten ist“. Eine
direkte Hilfe für westeuropäische Terroristen werde jedoch „als zu hohes Risiko
angesehen“: „Jede Verwicklung darin ist lediglich kontraproduktiv.“ Im Nahen
Osten dagegen leiste die UdSSR „offene Hilfe mittels Ausbildung, Waffen,
Finanzmittel sowie nachrichtendienstlicher Informationen“. Aber auch an dieser
Stelle hielt der Bericht fest: „Die Aktivitäten der einzelnen Gruppen werden
nicht von Moskau dirigiert. Die UdSSR vermeidet direkte Kontakte zu Abu
Nidal/Carlos Gruppe, jedoch erfolgt eine direkte Hilfe durch DDR/UVR
[Ungarische Volksrepublik]/Rumänien/Bulgarien/VRP [Volksrepublik Polen].“
Angeblich würden Trainingslager für Terrorgruppen aus dem Nahen Osten und der
Dritten Welt in der UdSSR existieren: „Von insgesamt 5 – 6 erkannten Lagern
werden einige direkt vom KGB/GRU
unterhalten, andere befinden sich in regulären Ausbildungseinrichtungen
der UdSSR-Streitkräfte.“ Die Sowjetunion würde weiters den Terrorismus
nachrichtendienstlich durchdringen – „durch Werbung von Gruppenmitgliedern als
Informanten“: „Wegen der eigenen Zurückhaltung in der Führung und Zielauswahl
will Moskau wenigstens indirekt die Kontrolle und Kenntnis von Vorhaben usw.
erhalten.“
Für eine
direkte Rolle der UdSSR an den „Schalthebeln“ des internationalen Terrorismus
gibt es wenige Belege. Vor allem handelt es sich um Angaben von Überläufer aus
östlichen Geheimdiensten, die mit quellenkritischem Vorbehalt zu betrachten
sind. So berichtete der tschechische General Jan Sejna, der 1968 in die USA
flüchtete, von einem KGB-Ausbildungslager in einem Waldgebiet bei Karlovy Vary
(Karlsbad), wo ausgesuchte Terroristen aus Europa und der Dritten Welt gedrillt
wurden . Der rumänische Generalleutnant Ion Pacepa, der 1978 überlief,
beschrieb in seinem Memoiren (Red Horizons, 1987) abenteuerlich anmutende
Hilfeleistungen seines Dienstes für die PLO, den libyschen Oberst Gaddafi sowie
Illich Ramirez Sanchez, genannt „Carlos der Schakal“. 1990 veröffentlichte der
britische Historiker Christopher Andrew 1990 gemeinsam mit dem ehemaligen
KGB-Offizier Oleg Gordiewsky eine Geschichte der Auslandsoperationen des
sowjetischen Geheimdienstes. Darin heißt es einschränkend, dass der KGB war
zwar nicht der „Kopf des Terrorismus im Nahen Osten“ gewesen sei, „doch
unschuldig war er deshalb beileibe nicht“: „Die Moskauer Zentrale missbilligte
zwar Angriffe gegen zivile Ziele, wusste aber sehr wohl, dass einige
Freiheitskämpfer in Balaschika
tatsächliche oder potentielle Terroristen waren. Ebenso wussten sie von
ihren Agenten in der PLO, dass Verbindungsoffiziere der PLO und die Botschaften
Syriens, Libyens und anderer Länder in Moskau und weiteren osteuropäischen
Hauptstädten bei der Vorbereitung einiger terroristischer Operationen halfen.“
Wadi Haddad, ein KGB-Agent
1999
präsentierte wiederum Andrews, diesmal in Zusammenarbeit mit dem Ex-KGB-Oberst
Wassili Mitrochin das „Das Schwarzbuch des KGB“. Dieses basierte auf Kopien
sowjetischer Geheimdienstunterlagen, die Mitrochin in seiner Funktion als
Archivar beiseite geschafft hatte.
Aus
einem dieser Dokumente geht hervor, dass Wadi Haddad, Anführer der
Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PLFP) und „Pate“ des internationalen
Terrorismus, seit 1970 vom KGB unter dem Decknamen „NATIONALIST“ als Agent
geführt wurde. Geheimdienstchef Juri Andropow berichtete an Premierminister
Leonid Breschnew: „Die Natur unserer Beziehung zu W. Haddad versetzt uns in die
Lage, die externen Operationen der PLFP bis zu einem gewissen Grad zu
kontrollieren, in einer für die Sowjetunion günstigen Weise Einfluss zu nehmen
und durch Kräfte der Organisation unter Einhaltung der notwendigen konspirativen
Geheimhaltung aktive Maßnahmen zur Unterstützung unserer Interessen ausführen
zu lassen.“ Einem weiteren Dokument von
1975 zufolge, soll der KGB der PLFP „mit Hilfe eines Aufklärungsschiffes der
Seekriegsflotte der UdSSR“ in den neutralen Gewässern des Golfes von Aden 58
Maschinenpistolen, 50 Pistolen, darunter zehn mit Schalldämpfer ausgestattet
sowie 34.000 Schuss Munition übergeben haben. Dokumentiert sind weiters
Beziehungen zwischen der UdSSR und der Abu-Nidal-Organisation (ANO), die sich
1974 von der PLO abgespalten hatte und bis Ende der 1980er Jahre zahlreiche
Attentate mit zivilen Opfern verübte. Aus einem Bericht des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) von 1987 geht
hervor, dass die Sowjetunion zur ANO „seit Jahren inoffizielle Kontakte,
insbesondere über den Militärattaché der Botschaft in Damaskus“ unterhalte. Der
gute Draht zur ANO dürfte vor allem der Beschaffung von Militärtechnik gedient haben.
Terroristische Präsenz in Osteuropa
Andropows
Entscheidung, Haddads PLFP für „Sonderoperationen“ zu verwenden, markierte
jedenfalls einen Wendepunkt in der Geschichte des KGB: „In Zukunft sollten
andere Nachrichtendienste des Ostblocks dem sowjetischen Beispiel folgen und
terroristische Gruppen benutzen oder ihren Einsatz stillschweigend in Kauf
nehmen.“ Die Satellitenstaaten in
Osteuropa, die DDR, Ungarn, CSSR, Polen, Bulgarien, Jugoslawien und Rumänien
ließen sich auf enge Beziehungen zu Terroristen ein bzw. tolerierten deren
Präsenz. Es gab einen „direkten Draht“ zu mehreren nahöstlichen Organisationen,
darunter die ANO, die PLFP und die Carlos-Gruppe. Aber auch westliche Gruppen
profitierten: Erst kürzlich wollten Tschechische Ermittler Hinweise darauf
gefunden haben, dass Mitglieder der italienischen Roten Brigaden, die 1978 an
der Entführung von Aldo Moro beteiligt waren, in der bereits erwähnten Anlage
in Karlsbad trainiert wurden . Die CSSR war darüber hinaus ein wichtiger
Produzent des Plastiksprengstoff „Semtex”. Einer der wichtigsten Abnehmer war
Libyen, das große Mengen an seine palästinensischen Verbündeten weitergab, die
es wiederum terroristischen Gruppen zur Verfügung stellten.
Nur in
einigen Fällen gaben sozialistische Länder terroristische Anschläge selbst in
Auftrag: 1981 bestellte der rumänische Diktator Nicolai Ceausescu ein Attentat der
Carlos-Gruppe gegen Radio Free Europe in München. Aufgrund eines schweren
operationellen Fehlers explodierte die 15kg-Bombe jedoch nicht vor den
rumänischen, sondern vor den tschechoslowakischen Büros. Acht Mitarbeiter
wurden zum Teil schwer verletzt. Häufiger kam es vor, dass Terroristen in
Warschauer Pakt-Staaten Stützpunkte etablierten und dabei mit den
Geheimdiensten dieser Länder kooperierten: Ein gutes Beispiel hierfür ist die
Präsenz von Abu Nidal in Polen. Er reiste 1981 mit engsten Familienangehörigen
und seinen Adjutanten zum ersten Mal in das Land und blieb dort bis 1985/1986.
Gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern lebte Abu Nidal in der Kleinstadt
Pabianice in Zentral-Polen in einer von insgesamt drei Villen, die von der polnischen
Geheimpolizei bewacht wurden.
Bekannt
ist auch, dass die DDR von 1980 an zehn „Aussteiger“ der „zweiten Generation“
der RAF aufnahm und diese mit neuen Namen, Wohnungen und Beschäftigung
versorgte. Das führte auch dazu, dass die aktiven Mitglieder um Unterstützung
ansuchten: Von 1980 bis 1982 wurden RAF-Leute von MfS-Spezialkräften unter
anderem in der Handhabung von Raketenwerfern ausgebildet. Dieses Training stand
offenbar in Zusammenhang mit dem terroristischen Angriff auf NATO-Kommandeur,
US-General Frederick Kroesen am 15. September 1981. Bislang herrscht jedoch
Unklarheit, ob das Trainingsschießen vor oder nach dem erfolglosen Anschlag stattfand.
Wie Tobias Wunschik betont, ging diese „RAF-Stasi-Connection“ jedoch schon
1983/84 „teilweise in die Brüche“: Aus Furcht vor außenpolitischen
Komplikationen tendierte zu das MfS danach zu einer vorsichtigeren Linie. Terroristen
wurden angehalten, sich in der DDR konspirativ zu bewegen, außerdem sei die
Unterstützung des internationalen Terrorismus ab 1984 „deutlich vermindert“ worden.
Ehemaliger Sitz der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (Quelle: Wikimedia Commons) |
Die DDR und die Palästinenser
Am
Beispiel der DDR wird auch deutlich, wie die Kontakte osteuropäischer Staaten
zu Befreiungsbewegungen wie der PLO abliefen : Anfang April 1979 schlug der
leitende Offizier des PLO-Geheimdienstes RASD, Abu Hisham, dem MfS vor, „eine
umfassendere, offizielle Zusammenarbeit mit strategischem Charakter in allen
politischen und Sicherheitsfragen“ herzustellen. Der Vorstoß erfolge im
Auftrage des RASD-Leiters Abu Iyad und sei mit PLO-Führer Jassir Arafat
abgestimmt: Letzterer könne solche Fragen bzw. „davon abgeleitete Probleme“
aufgrund seiner Funktion „nicht persönlich ansprechen“. Auch die PLO-Vertretung
in Ost-Berlin müsse aus dieser Angelegenheit „völlig herausgehalten“ werden,
stellte Hisham fest. Der Emissär schlug dem MfS folgende „Problemkreise“ vor,
die man in diesem Rahmen diskutieren sollte: „a) Informationen über Interessen
der USA und Israels in Westeuropa. b) Unterstützungsanliegen für Aufenthalte
von Angehörigen der ‚PLO-Sicherheit’ in der DDR zur Realisierung von Aufgaben,
was noch mit der DDR gesondert abzustimmen wäre. c) Durchführung von Lehrgängen
auf den Gebieten der allgemeinen Sicherheit, Ausbildung an Handfeuerwaffen,
Einsatz von Sprengkörpern, Durchführung von Sonderaktionen. d) Hilfe bei der
Beschaffung nicht näher bezeichneter technischer und elektronischer
Ausrüstungen. e) Bereitstellung von Handfeuerwaffen und Sprengkörpern und Hilfe
bei deren Beförderung nach Westeuropa.“
Wie aus einem Schreiben eines DDR-Armeegenerals an den polnischen
Innenminister hervorgeht, besuchte im August 1979 eine Delegation unter Führung
Abu Iyads zwecks Finalisierung Ost-Berlin. Vereinbart wurde: „ 1. Den Austausch
politischer und politisch-operativer Informationen; 2. Unterstützung der
PLO-Sicherheit durch Ausbildungen; 3. gemeinsame Anstrengungen zum Schutz der
DDR und sozialistischen Staatengemeinschaft gegen feindlich-negative Kräfte der
internationalen Terrorszene.“ Wie weit
diese Kooperation ging, verdeutlicht ein Protokoll über ein Treffen zwischen
Abu Hisham und MfS-Offizieren am 1. Februar 1980: Demnach informierte Hisham
über „Absichten der PLO, Anschläge gegen Personen und Einrichtungen der BRD
durchzuführen“. Weil man jedoch keine Aktivitäten durchführen, „die nicht auch
im Interesse der DDR liegen“, fragte Hisham nach: „Ist die DDR an vorgenannten
Aktionen interessiert?“ Die Antwort der MfS-Delegation laut Protokoll: „Das MfS
mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der PLO. Das betrifft auch
Entscheidungen über bestimmte Aktionen.“ Abu Hisham fragte dann: „Können der
PLO Informationen über Personen und Objekte in der BRD zur Durchführung von
Aktionen übergeben werden?“ Aus dem Dokument geht hervor: „Informationen über
bestimmte Personen wurden der Vereinigten PLO-Sicherheit übergeben.“
MfS-General
Markus Wolf, der in die Kontakte eng eingebunden war, gab in seinen Memoiren
an, dass „jede Seite suchte ihren Vorteil“ suchte: Während die Palästinenser an
Ausrüstung und Ausbildungsmaßnahmen interessiert waren, war das MfS bemüht,
„Informationen über die USA und ihre Verbündeten zu erhalten, über ihre
strategischen Pläne, ihre Waffensystems und geheimdienstlichen Aktivitäten“. Wolfs
Autobiografie war zuerst 1997 auf Englisch erschienen und darin finden sich
auch Passagen, die in der deutschsprachigen Ausgabe fehlen – so etwa das
Eingeständnis, dass man sich seitens des MfS im Klaren war, dass die an
Palästinenser vermittelte Expertise auch an „terroristische Kommandos“ für den
Kampf gegen Israel weitergegeben werden konnte. Während die PLO zu damaligen
Zeitraum bereits von der UNO als legitime Vertreterin der palästinensischen
Interessen anerkannt wurde, unterhielt das MfS darüber hinaus auch enge
Kontakte zu Gruppen, die im Westen als terroristisch verurteilt wurden – bestes
Beispiel hierfür ist die Abu-Nidal-Organisation (ANO). Wie aus einem Vermerk
der Abteilung XXII vom 25. Mai 1987 hervorgeht, waren Angehörige der ANO häufig
Gäste des ostdeutschen Geheimdiensts, zwecks ideologischer, aber auch
operationeller Weiterbildung: 1984/1985 fanden drei mehrwöchige Grundlehrgänge
in Sachen Marxismus-Leninismus für insgesamt 41 Abu-Nidal-Leute im „Objekt X“
der Juristischen Hochschule des MfS statt. Zwischen dem 15. April und dem 23.
Juli 1985 – wenige Monate vor den ANO-Anschlägen gegen die Flughäfen von Rom
und Wien – wurde weiters auf dem Gelände des „Objekts 74“, in einem abgelegenen
Waldstück bei Frankfurt an der Oder, eine „spezielle Ausbildungsmaßnahme“ für
11 Abu-Nidal-Leute organisiert.
Keine Warnung vor Attentaten im Westen
Verbindungen,
wie es das MfS zur PLO und anderen palästinensischen Gruppen unterhielt,
zahlten sich für die osteuropäischen Staaten vor allem in indirekter Form aus:
Man gelangte so an wertvolle nachrichtendienstliche Erkenntnisse, westliche
Waffen und Technologie, während der Klient durch Rückzugsgebiete, Training und
einfachen Transit in sozialistische Länder und Westeuropa profitierte. Ein
wichtiges Motiv für die Ostblockstaaten war es, ihr Territorium von möglichen
Sicherheitsrisiken abzuschotten. Die Gefahr von Vergeltungsakten seitens
terroristischer Gruppen im Falle einer aktiven Vorgangsweise gegen sie wurde
sehr ernst genommen.
Für den
Fall, dass diese Akteure Anschläge in Westeuropa begingen, so bestand die
Hauptsorge darin, in irgendeiner Form kompromittiert zu werden. Aber während
die Ost-Geheimdienste oftmals über detaillierte Kenntnisse von geplanten
Attentate verfügten, wurde manchmal nichts getan, um deren Ausführung zu
verhindern: 1983 gab ein MfS-Offizier konfiszierten Sprengstoff zurück, der
dann für den Bombenanschlag gegen das Maison de France in West-Berlin benutzt
wurde . Im Falle des La Belle-Attentats am 5. April 1986, bei dem drei Menschen
getötet und 200 verletzt wurden, wusste das MfS mindestens 16 Tage im Voraus
Bescheid, dass libysche Agenten die West-Berliner Diskotheke sprengen wollten,
aber es gab keine Warnung. Einer der Attentäter war sogar ein Informant des MfS
und hatte über den jeweiligen Stand der Vorbereitungen berichtet. Seine
Führungsoffiziere hatten auch auf politische und operative Schritte zur
Verhinderung des Anschlags gedrängt, doch die MfS-Führung soll schließlich
einen Freibrief erteilt haben. Das Wissen über geplante Terrorakte sei einfach
„wichtiger als die Verhinderung von Anschlägen“ gewesen. Auch Markus Wolf
bestätigte, dass die verantwortlichen libyschen Diplomaten der zuständigen
„Terrorabwehr“ des MfS (Abteilung XXII) bekannt waren: „Aktiven Terroristen
Unterschlupf zu gewähren, das war nicht weniger gefährlich als mit offenem
Feuer zu hantieren. Doch entweder unterschätze die Abteilung XXII mitsamt Minister
Mielke die Gefahr, oder die beargwöhnten Gäste waren aus dem Ruder gelaufen und
entzogen sich immer mehr der Überwachung.“
Attentate waren für den Sowjetblock nützlich
Könnte
es aber nicht auch sein, dass der Terror Kalkül war? Vor allem die
linksterroristische Attentatswelle, die Mitte der 1980er Jahre in Westeuropa
einsetzte und sich primär gegen die NATO und westliche Rüstungspolitik
richtete, fiel mit einer „heißen“ Phase des Kalten Krieges zusammen. Anfang
1985 proklamierten die RAF und die französische Action Directe eine gemeinsame
„antiimperialistische“ Front, die „Angriffen gegen die multinationalen
Strukturen der Nato, gegen Basen und Strategen“ durchführte. Mehrere
Rüstungsmanager, die auch im Zusammenhang mit der 1983 gestarteten US-Strategic
Defense Initiative (SDI) standen, wurden ermordet: Ernst Zimmermann (1985),
Karl Heinz Beckurts (1986) sowie der Diplomat Gerold von Braunmühl (1986).
Generalbundesanwalt Kurt Rebmann nannte diese Attentate eine „koordinierte
Offensive“ gegen den Westen und SDI im Speziellen. In Frankreich und Italien
wurden Offiziere und SDI-Berater Rene Audran (1985) und Licio Giorgieri (1987)
getötet. Davor schon hatte die RAF 1979 und 1981 Anschläge gegen die
US-Befehlshaber der NATO durchgeführt und 1984 erfolglos versucht, eine
Autobombe vor der NATO-Schule in Oberammergau zu zünden. Im Jahr darauf
forderte eine Explosion auf der Rhein-Main Air Base zwei Todesopfer. Auch was
das spätere Attentat gegen den Sprecher Alfred Herrhausen (1989) angeht, so
gibt es Vermutungen, die RAF wäre nur aufgrund der vorangegangenen Ausbildung
durch das MfS zu so einem präzisen Schlag im Stande gewesen. Bislang fehlen
jedoch Beweise für eine solche aktive Beteiligung. Der US-amerikanische Autor
Peter Schweitzer bezeichnete es jedenfalls als kurios, dass die
linksterroristischen Gruppen, die zuvor kapitalistische Symbole und den
westlichen Imperialismus angegriffen hatten, so konzentriert gegen SDI-Ziele
vorgingen. Zweifellos habe der Sowjetblock die Attentate als nützlich betrachtet.
Die
Destabilisierung des Westens durch den Terrorismus war grundsätzlich im
Interesse des Ostblocks. Für die sozialistischen Länder bedeutete das ein
Mittel, um gewaltsame Konflikte im Westen anzuheizen oder auszunutzen, ohne das
Risiko von US-Vergeltungsschlägen oder einer direkten militärischen Konfrontation
einzugehen. Es gab aber rote Linien, die beachtet wurden: Als palästinensische
Terroristen einen Lufthansa-Jet 1977 entführten und den Südjemen anflogen,
telefonierte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit seinem Ostberliner
Amtskollegen, Oskar Fischer: Danach wies dieser den DDR-Botschafter in Aden an,
„die Regierung der Volksrepublik Jemen zu bitten, bei der Beilegung des
Geiseldramas zur Rettung der Menschenleben ‘ein kooperatives Verhalten zu
zeigen’“. Zur gleichen Zeit suchte Bonn auch Kontakt zur Sowjetunion:
Botschafter Valentin Falin sagte zu, im Südjemen für die Bundesregierung zu
intervenieren, während der Abteilungsleiter des Außenministeriums in Moskau,
Alexander Boradenko, höhere Stellen informierte. Tatsächlich verweigerte Südjemen
die Landeerlaubnis und den weiteren Verbleib der entführten Maschine, was den
ursprünglichen Plan Luftpiraten zunichtemachte.
"Rote Linien", die nicht überschritten wurden
Auch in
anderen Fällen zeigte der Ostblock Terroristen klare Grenzen auf: Carlos,
dessen Präsenz für die westlichen Dienste ein offenes Geheimnis darstellte und
dadurch seine Gastgeber kompromittierte, wurde schließlich hinausgeworfen: 1984
wiesen ihn die DDR und Ungarn aus, 1985 brach die CSSR ihre Verbindungen zu
seiner Gruppe ab. Genauso gab es Fälle, wo der Sowjetblock Fahndungen
westlicher Behörden unterstützte: So ließ Bulgarien im Juni 1978 zu, dass
Angehörige des westdeutschen BKA auf ihrem Territorium, in dem Badeort
Nessebar, drei Angehörige der „Bewegung 2. Juni“ verhafteten, darunter Till
Meyer: „Moskau soll den Wink gegeben haben, die Aktion des BKA zu dulden. […]
Die Politiker und die Medien der westlichen Welt, allen voran die der USA,
geißelten täglich Moskau als das ‚Hinterland des internationalen Terrorismus,
Drahtzieher, Wegbereiter, Helfershelfer [...].’“ Als Beweis seiner
„Lauterkeit“, so Meyer, habe das sozialistische Lager die paar westdeutschen
Linksradikalen kurzerhand als „Bauernopfer“ ausgeliefert. Als nach einem Tipp
westdeutscher Fahnder auch die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hoffmann,
Peter-Jürgen Boock und Rolf-Clemens Wagner ebenfalls 1978 im kroatischen Zagreb
festgesetzt wurden, ließen die jugoslawischen Behörden die RAF-Truppe aufgrund
von Interventionen palästinensischer Gruppen aber wieder frei. Zum Schutz vor
weiterer Verfolgung durch das BKA wurden die Deutschen im November 1978 mit
jemenitischen Pässen ausgestattet und nach Aden ausgeflogen.
Diskrete Kontakte zwischen Ost und West
Außerdem
dürfte es anlassbezogene, diskrete Kontakte zwischen Ost und West gegeben
haben, um etwaige Terroranschläge im Vorfeld zu verhindern: So wurde das MfS
1986 von einem befreundeten Dienst, wahrscheinlich dem KGB, darüber informiert,
dass sich „die Amerikaner“ gemeldet hätten: Es gebe konkrete Hinweise, dass
eine terroristische Aktion der Abu Nidal-Organisation gegen die Internationale
Verlagsmesse in Düsseldorf vom 2. bis 15. Mai 1986 bevorstehe. An der Messe
würden einige bekannte westliche Politiker, darunter der ehemalige
US-Außenminister Henry Kissinger, teilnehmen. Außerdem hätten die US-Emissäre
durchblicken lassen, „daß ihren Erkenntnissen zufolge im vergangenen Jahr das
Auftauchen Abu Nidals in ‚einigen Ländern des Warschauer Vertrages‘
festgestellt worden sei“. Daher sei es im gemeinsamen Interesse, alle
„Möglichkeiten zur Einflussnahme“ auf palästinensische Gruppen zu nutzen, „um
die Realisierung irgendwelcher Terroraktionen in Europa zu verhindern“. Mielke
erteilte seinen Untergebenen Markus Wolf und Gerhard Neiber daraufhin folgende
Anweisung: „Ich empfehle, entsprechend den Vorschlägen der Freunde unsere
Möglichkeiten zu nutzen, um den Standpunkt der Freunde durchzusetzen zu helfen.
Es sollten auch Grüße vom Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des
Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, an Y. Arafat mit der Bitte
übermittelt werden, darauf Einfluss zu nehmen, daß solche terroristische
Aktionen, von welcher Seite sie auch immer geplant sein sollten, nicht
durchgeführt werden.“ Offenbar wurden
terroristische Machenschaften gegen den Westen nur unter der Bedingung
toleriert, dass es zu keiner wesentlichen Verschiebung im Mächtegleichgewicht
von Ost und West kam. Aber wie Markus Wolf in seinen Memoiren anmerkte, dachte
Mielke darüber hinaus sehr wohl über eine unterstützende Rolle von
Terrorgruppen im Kriegsfalle nach.
Gekürzter Auszug aus: Thomas Riegler, "Es muss ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein." Warschauer Pakt-Staaten und Terrorismusbekämpfung am Beispiel der DDR - erschienen in: Johannes Hürter (Hrsg.), Terrorismusbekämpfung in Westeuropa, Berlin/Boston 2014.