Dienstag, 19. August 2014

„Einen italienischen Offizier auf gut 2000 m sicher abknallen“

Einen interessanten Einblick in die Dynamik des Südtirolterrorismus ermöglicht ein neues Dokument von 1964, das der Autor kürzlich im österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik einsehen konnte. Es handelt sich um die Niederschrift der Einvernahme von Peter K., einem deutschen Journalisten, die im Zuge der Ermittlungen gegen die Mitglieder des Befreiungsasschuss Südtirol (BAS), Peter Kienesberger und Norbert Burger, angelegt wurde. Letzteren wurden Anschläge in Südtirol und Sprengstoffdiebstahl in Österreich zur Last gelegt. Während sie in Italien zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, erfolgte vor einem Linzer Geschworenengericht 1967 ein Freispruch.

Vor allem der 1929 geborene Burger konnte auf eine bemerkenswerte Laufbahn zurückblicken: 1944 hatte er sich mit 15 Jahren freiwillig zum Fronteinsatz gemeldet und angeblich an Erschießungen teilgenommen. Der begeisterte Burschenschafter gründete 1953 den Ring Freiheitlicher Studenten, studierte Rechtswissenschaften und brachte es zum Universitätsassistenten in Innsbruck. In den 1960er Jahren war Burger tief in den Südtirolterrorismus verstrickt. Von ihm rekrutierte junge Attentäter gingen 1961 auf den sogenannten „Kinderkreuzzug“, um den Terror nach Italien zu tragen. Die mitgeführten Molotowcocktails explodierten aber teilweise vorzeitig und verletzten einen der Aktivsten schwer. Später soll Burger in tödliche Attentate gegen italienische Züge und Bahnhöfe verwickelt gewesen sein. Seiner politischen Karriere tat dies keinen Abbruch: 1967 gründete Burger die Nationaldemokratische Partei (NDP), deren Programm im Wesentlichen mit dem Zielen der NSDAP übereinstimmte, wie der Verfassungsgerichtshof später feststellte. Bis zur behördlichen Auflösung 1988 war die NDP ein zentrales Sammelbecken der Rechten. Burger verstarb 1992 – nicht ohne als „aufrechter Mann“ und „beharrlicher Kämpfer für Deutschlands Ehre“ gewürdigt zu werden.
Bombenjahre in Südtirol: In der "Feuernacht" (1961) gesprengter Strommasten 
NATO-Sturmgewehre für den Südtirolterrorismus
In dem eingangs erwähnten Dokument gibt K. Auskunft über seine Informantentätigkeit für den italienischen Geheimdienst und darüber, was er insbesondere über Waffenlieferungen und Nachschub für den Südtirolterrorismus in Erfahrung bringen konnte:

K. hatte Anfang 1964 für das bayrische Fernsehen eine Reportage über den Südtirolkonflikt gedreht. Im Zuge dessen interviewte er nicht nur Landeshauptmann Silvio Magnago, sondern ließ sich auch einer BAS-Gruppe – darunter Burger – die Sprengung eines Stromastens demonstrieren. In Bozen wiederum sprach K. mit dem Leiter der politischen Abteilung der dortigen Quästur, Giovanni Peternell. Während eines anschließenden Aufenthalts in Rom setzte sich K. erneut mit Peternell in Verbindung und vereinbarte für den 2. Juni 1964 eine Unterredung: „Das Fazit dieser Aussprache mit Dr. Peternell war, dass mir erklärt wurde, dass es im Interesse des italienischen Geheimdienstes läge, dass ich weiter mit Dr. Burger Kontakt halte und mich nach Möglichkeit an seine Fersen hafte.“

K. nahm daraufhin wieder mit Burger in Innsbruck Verbindung auf – und erhielt ein ähnliches Angebot, wie zuvor von italienischer Seite: Nämlich, „in Südtirol aktiv zu werden sowie für den BAS ein Magazin für Sprengstoffe […] einzurichten.“ K. sagte „natürlich“ zu. Weiter heißt es in der Niederschrift: „Bei dieser Gelegenheit erklärte mir Burger auch, dass er dringend NATO-Sturmgewehre benötigen würde. Er sagte auch, er hätte eine Stelle in München, wo er Aussicht habe, derartige Gewehre zu bekommen, da er, wie er sagte, es satt habe, die Leute mit verschiedenen Kalibern und Waffen herumlaufen zu lassen. Auf meine Frage, weshalb es ausgerechnet NATO-Sturmgewehre sein müssten, sagte Dr. Burger, dass diese Waffe wegen der ausgezeichneten Zielsicherheit und Schussleistung bei seinen ‚Truppen‘ sehr beliebt wären. Diese seien vor allem dazu geeignet, die italienischen Carabinieri zu demoralisieren, da man mit einem gezielten Schuss einen italienischen Offizier auf gut 2000 m sicher abknallen könne.“

Bei einem anschließenden Aufenthalt in Salzburg hatte K. Gelegenheit, das Arsenal bei einem Freund Burgers in Augenschein zu nehmen: Im Geräte- und Vorratslager befanden sich laut K. „ca. 50 kg Donarit“ sowie Sprengkapseln. K. war weiters mit dabei, als Peter Kienesberger in München einen „Exilrussen“ aufsuchte, „der angeblich größere Mengen von Waffen und Sprengstoff beschaffen könnte“.  Bei dem Gespräch ging es um folgendes: „1. Forderung Kienesbergers an den Exilrussen, NATO-Sturmgewehre zu beschaffen, 2. Panzerfäuste, 3. Maschinengewehre. Weiterhin hatte er Interesse an TNT.“ Der Russe notierte sich das alles und versprach, deswegen mit einem Freund, einem US-amerikanischen Offizier bei der Heeresbeschaffung zu reden. Darüber hinaus bekundete der Mann sein Interesse, aktiv beim Sprengen von Brücken in Italien zu beteiligen und nannte dafür den Preis von 10.000 Dollar – woraufhin Kienesberger in „schallendes Gelächter“ ausbrach. K. war der Meinung, „dass es sich bei diesem Exilrussen um einen Mitarbeiter des CIC [Counterintelligence Corps, Geheimdienst der US-Armee] in München handelt.“

Nächster Stopp der Beschaffungstour war bei einem Bekannten Kienesbergers, einem Mann „mit  typisch bayrischem Aussehen“. Im Rahmen des Gesprächs in einer Münchner Gastwirtschaft war von „50.000 Schuss MP-Munition die Rede, die dieser Bayer offenbar schon beschafft hatte“. Nach der Rückfahrt nach Innsbruck fuhr K. noch gegen 02.00 Uhr auf den Brenner, wo er über den Leiter der Grenzwache Kontakt zu Peternell in Bozen herstellte, „wobei ich ihm meine weiteren Ermittlungen über Dr. Burger usw. mitteilte“. Darauf angesprochen, warum er sein "journalistisches Schweigen" gebrochen haben, gab K. an, dass er es nicht verantworten könne, "dass unschuldige Menschen wegen eines Freiheitskampfes, der einseitig von einer Gruppe geführt wird, ihr Leben lassen".