Einen interessanten Einblick in
die Dynamik des Südtirolterrorismus ermöglicht ein neues Dokument von 1964, das
der Autor kürzlich im österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik
einsehen konnte. Es handelt sich um die Niederschrift der Einvernahme von Peter
K., einem deutschen Journalisten, die im Zuge der Ermittlungen gegen die Mitglieder
des Befreiungsasschuss Südtirol (BAS), Peter Kienesberger und Norbert Burger,
angelegt wurde. Letzteren wurden Anschläge
in Südtirol und Sprengstoffdiebstahl in Österreich zur Last gelegt. Während
sie in Italien zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, erfolgte
vor einem Linzer Geschworenengericht 1967 ein Freispruch.
Vor
allem der 1929 geborene Burger konnte auf eine bemerkenswerte Laufbahn
zurückblicken: 1944 hatte er sich mit 15 Jahren freiwillig zum Fronteinsatz
gemeldet und angeblich an Erschießungen teilgenommen. Der begeisterte
Burschenschafter gründete 1953 den Ring Freiheitlicher Studenten, studierte
Rechtswissenschaften und brachte es zum Universitätsassistenten in Innsbruck.
In den 1960er Jahren war Burger tief in den Südtirolterrorismus verstrickt. Von
ihm rekrutierte junge Attentäter gingen 1961 auf den sogenannten
„Kinderkreuzzug“, um den Terror nach Italien zu tragen. Die mitgeführten
Molotowcocktails explodierten aber teilweise vorzeitig und verletzten einen der
Aktivsten schwer. Später soll Burger in tödliche Attentate gegen italienische
Züge und Bahnhöfe verwickelt gewesen sein. Seiner politischen Karriere tat dies
keinen Abbruch: 1967 gründete Burger die Nationaldemokratische Partei (NDP),
deren Programm im Wesentlichen mit dem Zielen der NSDAP übereinstimmte, wie der
Verfassungsgerichtshof später feststellte. Bis zur behördlichen Auflösung 1988
war die NDP ein zentrales Sammelbecken der Rechten. Burger verstarb 1992 –
nicht ohne als „aufrechter Mann“ und „beharrlicher Kämpfer für Deutschlands
Ehre“ gewürdigt zu werden.
Bombenjahre in Südtirol: In der "Feuernacht" (1961) gesprengter Strommasten |
NATO-Sturmgewehre für den
Südtirolterrorismus
In dem
eingangs erwähnten Dokument gibt K. Auskunft über seine Informantentätigkeit
für den italienischen Geheimdienst und darüber, was er insbesondere über
Waffenlieferungen und Nachschub für den Südtirolterrorismus in Erfahrung
bringen konnte:
K. hatte
Anfang 1964 für das bayrische Fernsehen eine Reportage über den
Südtirolkonflikt gedreht. Im Zuge dessen interviewte er nicht nur Landeshauptmann
Silvio Magnago, sondern ließ sich auch einer BAS-Gruppe – darunter Burger – die
Sprengung eines Stromastens demonstrieren. In Bozen wiederum sprach K. mit dem
Leiter der politischen Abteilung der dortigen Quästur, Giovanni Peternell.
Während eines anschließenden Aufenthalts in Rom setzte sich K. erneut mit
Peternell in Verbindung und vereinbarte für den 2. Juni 1964 eine Unterredung: „Das
Fazit dieser Aussprache mit Dr. Peternell war, dass mir erklärt wurde, dass es
im Interesse des italienischen Geheimdienstes läge, dass ich weiter mit Dr. Burger
Kontakt halte und mich nach Möglichkeit an seine Fersen hafte.“
K. nahm
daraufhin wieder mit Burger in Innsbruck Verbindung auf – und erhielt ein
ähnliches Angebot, wie zuvor von italienischer Seite: Nämlich, „in Südtirol
aktiv zu werden sowie für den BAS ein Magazin für Sprengstoffe […]
einzurichten.“ K. sagte „natürlich“ zu. Weiter heißt es in der Niederschrift: „Bei
dieser Gelegenheit erklärte mir Burger auch, dass er dringend NATO-Sturmgewehre
benötigen würde. Er sagte auch, er hätte eine Stelle in München, wo er Aussicht
habe, derartige Gewehre zu bekommen, da er, wie er sagte, es satt habe, die
Leute mit verschiedenen Kalibern und Waffen herumlaufen zu lassen. Auf meine
Frage, weshalb es ausgerechnet NATO-Sturmgewehre sein müssten, sagte Dr.
Burger, dass diese Waffe wegen der ausgezeichneten Zielsicherheit und
Schussleistung bei seinen ‚Truppen‘ sehr beliebt wären. Diese seien vor allem
dazu geeignet, die italienischen Carabinieri zu demoralisieren, da man mit
einem gezielten Schuss einen italienischen Offizier auf gut 2000 m sicher
abknallen könne.“
Bei
einem anschließenden Aufenthalt in Salzburg hatte K. Gelegenheit, das Arsenal
bei einem Freund Burgers in Augenschein zu nehmen: Im Geräte- und Vorratslager
befanden sich laut K. „ca. 50 kg Donarit“ sowie Sprengkapseln. K. war weiters
mit dabei, als Peter Kienesberger in München einen „Exilrussen“ aufsuchte, „der
angeblich größere Mengen von Waffen und Sprengstoff beschaffen könnte“. Bei dem Gespräch ging es um folgendes: „1. Forderung
Kienesbergers an den Exilrussen, NATO-Sturmgewehre zu beschaffen, 2.
Panzerfäuste, 3. Maschinengewehre. Weiterhin hatte er Interesse an TNT.“ Der
Russe notierte sich das alles und versprach, deswegen mit einem Freund, einem
US-amerikanischen Offizier bei der Heeresbeschaffung zu reden. Darüber hinaus
bekundete der Mann sein Interesse, aktiv beim Sprengen von Brücken in Italien
zu beteiligen und nannte dafür den Preis von 10.000 Dollar – woraufhin
Kienesberger in „schallendes Gelächter“ ausbrach. K. war der Meinung, „dass es
sich bei diesem Exilrussen um einen Mitarbeiter des CIC [Counterintelligence
Corps, Geheimdienst der US-Armee] in München handelt.“
Nächster
Stopp der Beschaffungstour war bei einem Bekannten Kienesbergers, einem Mann „mit typisch bayrischem Aussehen“. Im Rahmen des
Gesprächs in einer Münchner Gastwirtschaft war von „50.000 Schuss MP-Munition
die Rede, die dieser Bayer offenbar schon beschafft hatte“. Nach der
Rückfahrt nach Innsbruck fuhr K. noch gegen 02.00 Uhr auf den Brenner, wo er
über den Leiter der Grenzwache Kontakt zu Peternell in Bozen herstellte, „wobei
ich ihm meine weiteren Ermittlungen über Dr. Burger usw. mitteilte“. Darauf angesprochen, warum er sein "journalistisches Schweigen" gebrochen haben, gab K. an, dass er es nicht verantworten könne, "dass unschuldige Menschen wegen eines Freiheitskampfes, der einseitig von einer Gruppe geführt wird, ihr Leben lassen".