In der Stiftung Bruno
Kreisky-Archiv findet sich eine „Information für Herrn Bundeskanzler“ vom 6. Dezember
1979. Darin wird über das erste Schlüsselereignis in der Geschichte des radikal-islamistischen
Terrorismus berichtet – die Besetzung der Großen Moschee in Mekka durch rund 500
Kämpfer am 20. November 1979. Die Angreifer brachten die heiligste Stätte des
Islam in ihre Gewalt und nahmen mehrere Tausend Pilger als Geiseln.
Erst nach langwierigen und verlustreichen Kämpfen gelang es
nach mehr als zweiwöchiger Besetzung unter Mitwirkung einer französischen Anti-Terroreinheit
die überlebenden Aufständischen zur Aufgabe zu zwingen. Die Renovierung
der Moschee wurde anschließend dem Bauunternehmen von Osama Bin Ladens Vater,
Muhammad, übertragen. Bin Laden selbst wurde durch die Ereignisse wesentlich
beeinflusst. Ebenso verstärkte die Besetzung die Versuche des saudischen
Königshauses, den radikalen Islamismus durch Zugeständnisse ruhigzustellen.
Anbei das Dokument,
das an Bundeskanzler Bruno Kreisky adressiert war, im Wortlaut – betreffend „Die
Rebellion in der Großen Moschee in Mekka; Bedeutung und Interpretation“:
„1. Die Rebellion in der Großen Moschee von Mekka, die am
20. November d. J. mit der Stürmung des Gebäudes durch mehrere Hundert mit
modernsten Waffen ausgerüstete Fedayin begann, konnte erst mehr als zwei Wochen
später (4. Dezember) durch den konzentrierten Einsatz der saudi-arabischen
Armee (die u. a. auch Panzer und schwere Waffen verwendete) niedergeworfen
werden. Während sich der Aufstand bis 25. November in den oberen Stockwerken
und Türmen der Moschee halten konnte, fand der Rest der Kämpfe in den mehr als
270 Räume umfassenden Keller der Moschee statt, wobei auch Wasser und Giftgas
gegen die Rebellen eingesetzt wurde.
2. Nach offiziellen Angaben wurden bei den Kämpfen 75 Rebellen
und 60 Armeeangehörige getötet, 200 Soldaten verwundet; 170 Rebellen – darunter
ihr militärischer Führer Zuhaiman Al-Oteiba – wurden gefangengenommen. Der
religiöse Führer des Aufstandes, Muhammad Ibn Abdullah Quathani, der sich zum ‚Mahdi’
erklärt hatte, fiel in den Kämpfen, doch wurde sein Leichnam erst am Mittwoch,
5. Dezember, identifiziert. […]
5. Aus dem Umstand, dass sich der Angriff hegen den
heiligsten Ort des Islams, nämlich die Große Moschee von Mekka, nicht aber
gegen Zentren staatlicher Macht gerichtet hat, sowie aus anderen Indizien
(Auftreten eines Mahdi) wurde vorerst der Schluss gezogen, dass die Rebellion
vorwiegend religiösen Ursprungs sei. Diesen Eindruck versucht auch die
saudi-arabische Regierung zu erwecken, die von den Aufständischen stets als ‚Renegaten’
spricht, die die heiligsten Stätten des Islams entweiht hätten.
6. Dass mit dem Aufstand aber auch die weltliche Macht
Saudi-Arabiens getroffen werden sollte, zeigt schon der Umstand, dass sein
Beginn zu dem Zeitpunkt erfolgte, an dem König Kahled zum Gebet in der Großen
Moschee erwartet wurde.
7. Obwohl über die soziale und regionale Herkunft der
Angreifer wenig bekannt ist, deuten viele Anzeichen darauf hin, dass sie sich
in wesentlichen aus Angehörigen von Stämmen (Oteiba, Quathani) rekrutierten,
aus denen sich bisher die Kerntruppe der saudi-arabischen Armee (Nationalgarde)
zusammengesetzt hat. Manche Beobachter vermuten sogar, dass einzelne Angehörige
der Nationalgarde selbst an dem Aufstand teilgenommen haben. Unter den
Angreifern befanden sich auch Angehörige anderer Nationalitäten (Jemeniten, Pakistaner,
Ägypter), doch dürfte ihr Anteil gering gewesen sein.
8. Es lässt sich daher mit einer Sicherheit sagen, dass der
Aufstand in der Großen Moschee nicht das Werk religiöser Sekten war, sondern
von Kernschichten der saudi-arabischen Gesellschaft ausgegangen ist.
9. Von diesen, u. a. wahabitischen Kernschichten ist in den
letzten Jahren eine zunehmende Strömung der Unzufriedenheit angesichts des
westlichen, konsumorientierten Lebensstils der saudi-arabischen Führungseliten
zu registrieren, der durch das äußere Festhalten an der strengen Tradition des
wahabitischen Islams nur mühsam verdeckt wird. […]
11. Die Ereignisse in Mekka zeigen jedenfalls, dass sich
auch in Saudi-Arabien eine politisch-religiöse Opposition regt, die allerdings
einen Kristallisationspunkt wie im Iran noch nicht gefunden hat. Auf diese
Ereignisse wird die saudi-arabische Regierung aber ohne Zweifel zu reagieren
haben und die Grundlinien der saudi-arabischen Politik können von diesen
Entwicklungen nicht unbeeinflusst bleiben.“