Freitag, 29. April 2016

„Dem Terror nicht beugen“: Das Attentat auf Heinz Nittel vor 35 Jahren

Am 1. Mai 1981, vor 35 Jahren, wurde der Wiener Stadtrat Heinz Nittel von Terroristen erschossen. Er ist bis heute der einzige Politiker der 2. Republik, der einem Anschlag zum Opfer gefallen ist. Mehr als drei Jahrzehnte nach den Schüssen in Hietzing herrscht in Österreich wieder Terrorangst. Die Explosionen in Brüssel am 22. März 2016 haben die Bedrohung unterstrichen, die nunmehr von Seiten radikaler Islamisten kommt. Auch wenn die Nittel-Mörder im Vergleich von einer säkularen Organisation stammten, so gibt es doch viele Parallelen zum Heute: Die Brutalität sowie das Kalkül, mit der Verbreitung von Angst und Schrecken einen Politikwechsel zu erzwingen. Der Tod Heinz Nittels stand insofern am Anfang einer längeren Periode von Gewalt, die das bis dahin als „Insel der Seligen“ bekannte Österreich nachhaltig erschütterte.
Gedenktafel am Turm des Wiener Rathauses (alle Fotos: Autor)
Es hat an diesem Freitag-Vormittag leicht geregnet: Um 06.45 Uhr ist Chauffeur Herbert R. in die Bossigasse in Wien-Hietzing bestellt. Dort sollt er seinen Chef, den Amtsführenden Stadtrat Heinz Nittel, von Zuhause abholen und zum Liebenbergdenkmal im 1. Bezirk bringen. Nittel und seine Gattin wollen sich anschließend in eine Gruppe von Straßenbahnern einreihen, um dann zum „Tag der Arbeit“ auf dem Rathausplatz einzuziehen. Doch soweit sollte es nicht kommen. Gegen 7 Uhr kommt Nittel – in grüner Joppe und einem „Bergsteigerhut“ – zum Wagen und nimmt am Beifahrersitz Platz. Man wartet noch auf Frau Nittel. Genau in diesem Moment fallen drei Pistolenschüsse aus nächster Nähe. Der Schütze hatte sich zuvor auf dem Gehsteig zwischen Bossigasse und dem Wohnhaus genähert und mit einer Pistole durch die Scheibe gefeuert. Nittel ist auf der Stelle tot. Der Chauffeur bleibt unverletzt und bekommt alles aus nächster Nähe mit: „Ich sah sofort, dass der Stadtrat am Kopf getroffen wurde. Er rutschte etwas seitlich zu mir und sein Kopf hing etwas nach der linken Seite. […] Noch während die Schüsse abgegeben wurden und ich das Fensterglas des Wagens zersplittern hörte, beugte ich mich tief nach vor, um gegen die Schüsse Deckung zu haben.“ Der geschockte Fahrer sieht noch einen Unbekannten, der sich eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte, weglaufen - „ganz locker, wie ein Jogger“.
Gedenkstein am Roten Berg - unweit vom Tatort
„Appartschik als Supermann“
Die Nachricht vom Tode des 51jährigen Stadtrates stieß auf ungläubiges Entsetzen. Auf dem Rathausplatz wurde gegen 08.10 Uhr mitten in den Mikrofonproben verlautbart: „Der heutige Maiaufmarsch der Wiener SPÖ ist abgesagt.“ Stattdessen fand eine improvisierte Trauerkundgebung statt. Während die Fahnen auf Halbmast wehten, erklärte Bürgermeister Leopold Gratz, dass es noch zu früh sei, „zu sagen oder auch zu vermuten, was hinter diesem unerklärlichen Mordanschlag steckt. Aber eines sollten wir mit aller Deutlichkeit jenen sagen, denen unser Land und unsere Demokratie am Herzen liegt: Erkennen wir, dass das eine Mahnung ist an alle, die in der politischen Auseinandersetzung die extreme Personalisierung und nicht nur die politische Gegnerschaft, sondern den politischen Hass erzeugen.“ Gratz spielte darauf an, dass Nittel in seiner Eigenschaft als Wiener Verkehrsstadtrat nicht unumstritten gewesen war. Eine von ihm befürwortete Flötzersteig-„Autobahn“ hatte Proteste hervorgerufen. Der Stadtrat erhielt Drohbriefe. Von diesen Querelen abgesehen galt Nittel als pragmatischer Macher. Der Nichtraucher, Anti-Alkoholiker und Präsident der Arbeiterfischer saß seit 1976 in der Stadtregierung. Ab 1979 war er für die Geschäftsgruppe Straße, Verkehr und Energie zuständig. profil-Journalist Alfred Worm bescheinigte Nittel einmal den „politischen Charme einer Großkläranlage“, streute dem „Realist(en) im sozialistischen Wiener Rathaus“ aber gleichzeitig Rosen: „Appartschik als Supermann“.

Warum nun ausgerechnet Nittel einem Mord zum Opfer gefallen war, darauf konnte sich zunächst niemand einen Reim machen. Bundeskanzler Bruno Kreisky dachte gar an ein Attentat der Wiener Unterwelt – auf der Mariahilfer Straße war er im Dienstwagen einmal selbst in einen Schusswechsel geraten. Der damalige Innenminister Erwin Lanc erinnert sich noch heute an die aufgeregte Stimmung: „Es ist alles Mögliche herumgeraten worden. Ein Kolumnist ist ganz aufgeregt zu mir gekommen: Da waren vorher einige Demonstrationen von 15- bis 17jährigen, die ‚keine Macht für Niemanden‘ gefordert haben. Und mir hat man den Vorwurf gemacht, dass ich nicht entsprechend dreinhauen habe lassen. Der Journalist hat mich gefragt: ‚Waren das nicht die?‘ Und ich habe gesagt, ‚das waren sie sicher nicht.‘ Daraufhin hat er geschrieben: ‚Was ist das für ein Innenminister, der weiß schon jetzt, wer es nicht war, er soll wissen wer es war.‘“
Auf seiner Flucht ließ der Mörder in dieser Hecke seine "NATO-Jacke" zurück
Kreiskys Nahostpolitik und ihre Feinde
Schon am 3. Mai 1981 war ein obskures Bekennerschreiben einer palästinensischen Terrorgruppe eingelangt, das in der Debatte lange bagatellisiert wurde. Dabei hatte die Spur Substrat: Der konfessionslose Nittel war ab 1978 Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft (ÖIG) und Mitbegründer des Jewish Welcome Service. Er trat für Solidarität mit Israel ein – was ihn mitunter in Gegensatz zu Kreisky brachte, der mit der Sache der Palästinenser sympathisierte. Dieses Engagement Kreiskys verfolgte auch das Ziel, präventiv Sicherheit zu schaffen. Denn als Transitland für die jüdische Emigration aus dem Sowjetblock nach Israel war Österreich damals in den Nahostkonflikt involviert: Mehrmals hatten arabische Terrorgruppen Geiselnahmen von Auswanderern geplant oder durchgeführt. Daher stärkte Kreisky dem als „gemäßigt“ geltenden Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO), Jassir Arafat, den Rücken.

1976 hatte der Bundeskanzler, von einer Nahost-Reise zurück, seine Strategie im Rahmen einer Pressekonferenz umrissen – es sei wesentlich, die PLO aus dem Untergrund „ins Licht der vollen Verantwortung“ zu holen: „Sie hat jetzt bei den Vereinten Nationen Beobachterstatus und kann nicht mehr ignoriert werden. In dem Maße, in dem sich eine solche Organisation aber Gehör verschaffen kann, ist für sie Terror nicht mehr notwendig.“ Von der OPEC-Geiselnahme habe sich die PLO ohnedies glaubwürdig distanziert: „Der Überfall sei von der sogenannten ‚Front der Ablehnung‘ begangen worden.“ In den darauffolgenden Jahren protegierte Kreisky einen geheimen Dialog zwischen PLO-Emissären und der israelischen Friedensbewegung. Er sorgte für die Vernetzung von PLO-Repräsentanten mit Entscheidungsträgern der Sozialistischen Internationale (SI) und fungierte als Gastgeber für die ersten Empfänge Arafats auf dem diplomatischen Parkett. Vor allem aber erkannte Österreich als erster westlicher Staat die PLO 1979 offiziell an, um damit eine internationale Vorbildwirkung zu entfalten. Auf diese Weise sollte es Arafat möglich sein, die innerlich zersplitterte PLO hinter einer friedlichen Lösung des Konfliktes zu vereinen und letztlich auch Terror von Österreich fernzuhalten.

Doch diese Rechnung ging nicht auf: Unterstützt von Syrien, Irak und Libyen wollte der PLO-Abtrünnige Sabri al-Bana – genannt Abu Nidal („Vater des Schreckens“) – jede Entspannung verhindern. Und deshalb traf sein stark antisemitisch motivierter Terror gerade auch Länder wie Österreich, die sich um Vermittlung bemühten. Seit Ende der 1970er Jahre befanden sich hier „Schläfer“ der Abu-Nidal-Organisation (ANO). Einer von ihnen war der 1960 in Bagdad geborene Husham Rajih. Auf der Suche nach „zionistischen Zielen“ in Österreich fiel Rajih am 24. Februar 1981 eine Kurzmeldung in der Arbeiter-Zeitung auf. Darin wurde über einen Tel Aviv-Besuch Nittels in seiner Eigenschaft als ÖIG-Präsident berichtet. Rajih verständigte seinen Führungsoffizier, der den Vorschlag an die Zentrale der Abu-Nidal-Organisation in Bagdad weiterleitete. Ungefähr nach einer Woche kam das ok. „Nittel“, so Rajih später bei einer Vernehmung, „war aus verschiedenen Gründen ein interessantes Ziel für uns, da er einerseits Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft war, weiters ein sozialistischer Politiker war, der nach unserer Ansicht der österreichischen Vermittlertätigkeit PLO-Israel einen Anteil hatte und zusätzlich seine internationale Bedeutung nicht so groß war, dass ein Negativeffekt wie ja allenfalls bei Kreisky zu befürchten war.“

Bevor Rajih zuschlug, hatte er die Lebensgewohnheiten Nittels ausgekundschaftet – weil ihm die Telefonauskunft zunächst keine Adresse geben wollte, besuchte er eine Bekannte an ihrem Büroarbeitsplatz. Dort nutzte Rajih eine Gelegenheit, um über das Firmen-Telefon anzurufen. Diesmal klappte es, und er bekam die Info. Der „Tag der Arbeit“ wurde dann von Rajih bewusst als passender Zeitpunkt für das Attentat ausgewählt, „weil wir annahmen, dass Nittel bei den diversen Maifeiern anwesend sein würde und daher irgendwann sein Haus verlassen musste.“ So war es dann auch.

„Warnung an Kreisky“
Am 25. Mai 1981 konnte das Nachrichtenmagazin profil mit einer sensationellen Meldung aufmachen. Das Magazin hatte nach Bekanntwerden des ersten Bekennerflugblattes eine freie Journalistin damit beauftragt, im Nahen Osten zu recherchieren. Über Quellen bei der PLO in Beirut gelang es Renate Possarnig, mit der ANO in Kontakt zu treten. Sie führte mit drei Mitgliedern in deren offiziellen Büro in Damaskus ein zweistündiges Interview. In dessen Verlauf bekannten sich die ANO-Leute zum Mord an Nittel: „Die Gründe, die uns veranlasst haben, diesen Mann hinzurichten, sind: Er hat Aktivitäten gegen die Palästinenser in Wien unternommen. Zweitens: Er hat Spionage gegen die Palästinenser betrieben. Drittens: Er hat die Rolle eines Vermittlers zwischen Personen in der Führung der PLO und den Zionisten übernommen. Nittel hat Zusammentreffen in Wien und außerhalb Wiens arrangiert. Das betrachten wir als aggressive Handlung.“ Possarnigs Gesprächspartner sprachen von einer „Warnung an Kreisky“ und kündigten an, auch den Bundeskanzler zu töten, falls dieser seine „Vermittlertätigkeit zwischen Israel und der PLO nicht einstellt“ – „Wenn er seine Verschwörungen gegen das palästinensische Volk nicht aufgibt, werden wir auch ihn umbringen.“

Lässt man die völlig abstrusen Rechtfertigungsversuche außer Acht, so war das Kalkül der Terroristen klar. Am 16. Juni 1981 berichtete Lanc der Regierung zum diesbezüglichen Ermittlungsstand: „Es ist jetzt eindeutig erwiesen, dass es sich um die Terrorgruppe Abu Nidal, die vom Irak gesponsert wurde, handelt. Die PLO hat Abu Nidal selbst zum Tode verurteilt. Der Irak hat sich dann auch von dieser Terrorgruppe zurückgezogen, deren Operationssitz und die Unterstützung finanzieller Art erfolgt jetzt in Syrien. Das erklärte Ziel ist es, PLO-Botschafter, Moderate, Arafat, Nittel und Kreisky zu ermorden. Nittel hat bei einer Pressekonferenz im Februar dieses Jahres in Israel mitgeteilt, dass es ihn freut, dass immer mehr wachsende Verhandlungsbereitschaft Israels zu einer friedlichen Lösung vorliegt. Genau aber eine friedliche Lösung will diese Terrorgruppe unter gar keinen Umständen.“ So notierte es ein Sitzungsteilnehmer, Handels- und Industrieminister Josef Staribacher, in sein Tagebuch.

Die erwähnte Drohung gegen das Leben Kreiskys war ernst – „seit Anfang Juni 1981 bestehen Informationen“, dass die ANO „ein Attentat gegen den österreichischen Bundeskanzler durchführen will“, heißt es in einem staatspolizeilichen Schreiben, das direkt an den Kabinettschef ging. Um „optimale Sicherheit“ auch im Bundeskanzleramt zu gewährleisten, würden seit dieser Zeit „verschärfte Kontrollen“ durchgeführt. Allerdings seien bei den Pressegesprächen im Anschluss an den Ministerrat auch Journalisten anwesend, die „unbekannt“ wären – und weil Kreisky dafür bekannt sei, „auf Tuchfühlung“ zu gehen, ergäben sich daraus „Probleme“. Daher wurden „ansteckbare Legitimationen“ angeregt. Aber nicht nur der Arbeitsplatz des Bundeskanzlers wurde gesichert, auch rund um dessen Privatwohnung in der Armbrustergasse zog man einen engen Kordon.
Die Kreisky-Villa in der Armbrustergasse heute
 Anschlag auf die Wiener Synagoge
Der Polizei ins Netz ging der Nittel-Attentäter Rajih am 29. August 1981 – als er gemeinsam mit dem 25jährigen Palästinenser Marwan Hassan versuchte, in den Wiener Stadttempel einzudringen. Wäre dies den beiden ANO-Leuten gelungen, hätten sie ein Massaker unter den Gläubigen angerichtet, die sich gerade zur Bar-Mizwah-Feier für den zwölfjährigen Sohn eines „Schöps“-Teilhabers versammelt hatten. Glück im Unglück war, dass die Tempelwächter das Tor noch geistesgegenwärtig verschlossen. Vor dem Gebäude wiederum hatte der anwesende „Schöps“-Besitzer seinen Leibwächter zurückgelassen hatten. Dieser 28jährige Mann schoss zurück, als die beiden Terroristen auf eine Menschenansammlung vor der Synagoge feuerten und Handgranaten warfen. Während sein Kollege schwer verletzt zusammenbrach, konnte Rajih noch ein paar Gassen weiter flüchten, bis ihn ein Polizist stellte. Die Opferbilanz betrug zwei Tote und 22 Verletzte. Ein paar Wochen später, am 28. Oktober 1981, klickten dann auch für den ANO-Führungsoffizier Bahij Younis in seinem Salzburger Versteck die Handschellen.
Die Synagoge in der Seitenstettengasse
Falls die Terroristen geglaubt hatten, sie könnten Kreisky zu einer Haltungsänderung zwingen, lagen sie falsch. Am 1. September 1981, wenige Tage nach dem Synagogenanschlag, protokollierte Staribacher folgende Aussage des Bundeskanzlers: „Obwohl er keine Vermittlerrolle anstrebt, denn dazu müssten ihn ja beide also auch die Israeli ersuchen. Er wird keine opportunistische Politik machen, er hält die Idee nicht dabei zu sein, sozusagen sich zu distanzieren falsch. […] Kreisky meint, was immer er gesagt hat, ist ihm auch recht, er will niemanden auf seine Politik binden, doch er wird sie wie bisher fortsetzen. Kreisky meint auch, die Regierungsmitglieder sollten darüber berichten, wenn sie sich damit nicht identifizieren können, ist es ihm auch recht, wenn man sozusagen schweigt. Für Österreich hat diese arabisch-freundliche Politik große wirtschaftliche Vorteile. Die Araber sind nicht nur mit zwei Drittel die Energielieferanten der Welt, sondern auch die größten Weltgeldgeber. Schon aus diesen wirtschaftlichen Gründen können die Araber daher nicht politisch unterlegen. Seine Politik sei nicht Rechthaberei und schon gar nicht Altersstarrsinn, sondern durch diese ökonomische, aber auch politische Situation begründet und werde fortgesetzt.“

„Ich werde mich nicht beugen“
Nicht viel anderes argumentierte Kreisky, als ihn ein Journalist provokant fragte, ob nicht die Nahostpolitik für den Tod von Nittel und der beiden Opfer des Synagogenanschlags verantwortlich sei: Eben weil er über gute Kontakte in den Nahen Osten verfüge, sei Österreich bislang vom Terror verschont geblieben: „Es gibt Hunderte Menschen, die heute am Leben sind, weil wir diese Politik betrieben haben. Vergessen Sie nicht, welche Bürde wir auf uns genommen haben, als wir uns bereit erklärten, russischen Juden die Ein- und Weiterreise zu ermöglichen.“ Den Einwand des Redakteurs, wonach dies wohl eine „Selbstverständlichkeit“ sei, ließ Kreisky nicht stehen: „Ja, aber den Umstand, dass es bisher keinen einzigen Toten gegeben hat – wobei ich nicht weiß, was die Zukunft bringen wird – , buche ich nicht zuletzt darauf, dass es dieses gute Verhältnis zur PLO gegeben hat.“ Der Zukunft sehe er allerdings „mit großer Besorgnis“ entgegen, mahnte Kreisky: „Wir stehen am Anfang einer neuen Terrorwelle“ und fügte im kämpferischen Ton hinzu: „Ich werde mich nicht beugen, ich weiche nicht der Gewalt“. Mit letzterem Hinweis meinte Kreisky seine eigene nahostpolitische Linie gegenüber der PLO, an der auch dann festzuhalten sei, „wenn damit gewisse Gefahren verbunden sind“ – „man kann nicht sozusagen den Extremisten recht geben und sich von ihnen einschüchtern lassen.“ Kreisky hielt hier auch Wort, wenngleich er Arafat zunehmend illusionslos gegenüberstand. Nach seinem Rücktritt 1983 wurde die aktive Nahostpolitik allerdings schrittweise aufgegeben. Mit dem Wechsel des Außenamts zur ÖVP (1987) erfolgte eine grundsätzliche Neuorientierung hin zu europäischen Belangen.

Ein ungesühnter Mord
Was im Falle der inhaftierten ANO-Attentäter weiters geschah, ist kein Ruhmesblatt für den Rechtsstaat: Anfang 1982 wurden Rajih und Hassan je zu Lebenslang verurteilt. Rajih, den man auch wegen des Mordes an Nittel angeklagt hatte, wurde hier „nur“ wegen Beihilfe verurteilt. Dass die Geschworenen zu diesem Schluss kamen, hing damit zusammen, dass Rajih sein ursprüngliches Geständnis widerrufen hatte („Ich habe lediglich die Tat selbst nicht getan“). Der Prozess gegen Younis musste gleich dreimal wiederholt werden – 1984 kassierte er wegen „entfernter Mittäterschaft“ 20 Jahre Haft. Hinter den Kulissen lief danach ein schmutziges Spiel ab: Abu Nidal wollte vor allem Younis freipressen. Ende 1985 griff seine Organisation den El-Al-Schalter in Wien-Schwechat an – wiederum starben vier Menschen und 39 wurden verletzt. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, vereinbarte man einen „Waffenstillstand“: Zwecks Betreuung „gefangener Kameraden“ wurde es der ANO erlaubt, unter strengster Geheimhaltung einen „Botschafter“ in Wien zu platzieren. Bis 1993 kamen abwechselnd fünf ANO-Leute. Die zugewiesene Wohnung, zuerst in der Koppstraße, dann in der Viaduktgasse und schließlich in der Geblergasse, wurde „rund um die Uhr“ überwacht. Anschläge ereigneten sich keine mehr. Auch gelang es, Forderungen nach vorzeitiger Entlassung von Younis auf die lange Bank zu schieben. Erst nachdem er zwei Drittel seiner Strafe abgesessen hatte, durfte er 1995 das Gefängnis verlassen. Rajih hingegen wurde 1994 an Belgien überstellt, weil er in Verdacht stand, dort einen PLO-Vertreter ermordet zu haben. Die Verdachtslage war dünn. Trotzdem wurde er ohne Bedingungen ausgeliefert. 1996 ging Rajih tatsächlich frei und tauchte prompt im Nahen Osten unter – der Mord an Heinz Nittel ist damit ungesühnt.
Eine der ANO-Wohnungen befand sich hier in der Vidaduktgasse
Heute: Schrankenloser Terror
Heute ist Österreich wieder vom Terror bedroht. Die Attentate der ANO waren war noch zum Teil von staatlichen Hintermännern gesteuert und sollten ein bestimmtes Ziel durchzusetzen – Österreich, davon abschrecken, sich für eine Friedenslösung in Nahost starkzumachen. In den mehr als drei Jahrzehnten seitdem ist Terrorismus zu einer Bedrohung für „alle“ geworden – niemand soll sich mehr sicher fühlen. Zuletzt wurden in Paris (2015) und Brüssel (2016) Menschenansammlungen im öffentlichen Raum zum Ziel konzertierter Attacken mit der Absicht wahllose Massenverluste anzurichten. Hier wird deutlich, in welchem Umfang sich der Terrorismus seit 1981 entgrenzt hat: Bei der Gewalt gibt es keine Beschränkung mehr, und das Kalkül dahinter hat sich zur Provokation eines apokalyptischen „Kriegs der Zivilisationen“ verschwommen.