Ein
Zufallsfund in Wien-Lainz lüftet eines der letzten Geheimnisse des Kalten
Krieges in Österreich. Ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, wurde 2014 ein
umfangreiches Waffen- und Sprengstoffdepot der britischen Armee geöffnet – aber erst jetzt lassen
sich Hintergrund und Funktion bestimmen.
Eine beschaulich
ruhige ehemalige Kleingartenanlage in Wien-Lainz am Rande des Hörndlwalds: Wer
würde ausgerechnet hier eines der letzten Geheimnisse des Kalten Krieges in
Österreich vermuten? Genau das trat am 14. Juni 2014 zutage: Eine zugezogene
Familie hatte sich daran gemacht, in einem verwucherten
Schrebergarten neu zu bauen. Das Wochenendhäusen der Vorbesitzerin war bereits geschliffen. Unter der Beton-Grundfläche in zwei Meter Tiefe stieß der Bagger plötzlich auf Wellblech. Als darunter stark
verrostete Metallkisten und Patronen zum Vorschein kamen, war es
für die herbeigerufene Polizei ihrerseits an der Zeit, den Entminungsdienst zu
verständigen. Die „sachkundigen
Organe“ bargen schließlich mehrere Dutzend kg Sprengstoff, acht bis zehn
Munitionsbehälter, Sprengschnurrollen, in Plastik eingeschweißte Zünder und spezielle Exemplare für die Sabotage von Eisenbahnlinien (Fog Signal Igniter), Sten Mk6-Maschinenpistolen, FN-Pistolen, Bajonette, Stangenmagazine, Leukoplast
sowie einen Erste-Hilfe-Kit mit Skalpellen, Injektionsnadeln und gläsernen Medizin-Fläschchen.
Vor allem die Waffen befanden sich in erbärmlichen Zustand – lediglich in Holzkisten verpackt hatte die Lagerung in dem rotlehmigen und Hangwasser führenden Boden nicht gut getan. Die besser geschützte Munition war immer noch schussfertig. Und es bestand Explosionsgefahr – der Baggerfahrer hatte laut den zwischenzeitlich nervös gewordenen Entschärfern sogar Glück gehabt. Niemand durfte die „Rostleichen“ anfassen. Die Druckzünder beispielsweise waren immer noch scharf und hätten mit einer größeren Sprengstoffmenge auch heutige Lokomotiven zum Entgleisen gebracht. Die Bergung ging aber ohne Zwischenfälle zu Ende. Laut offizieller Auskunft vom Bundesministerium für Landesverteidigung wurden die „230 kg Kriegsmaterial“ anschließend vernichtet.
Vor allem die Waffen befanden sich in erbärmlichen Zustand – lediglich in Holzkisten verpackt hatte die Lagerung in dem rotlehmigen und Hangwasser führenden Boden nicht gut getan. Die besser geschützte Munition war immer noch schussfertig. Und es bestand Explosionsgefahr – der Baggerfahrer hatte laut den zwischenzeitlich nervös gewordenen Entschärfern sogar Glück gehabt. Niemand durfte die „Rostleichen“ anfassen. Die Druckzünder beispielsweise waren immer noch scharf und hätten mit einer größeren Sprengstoffmenge auch heutige Lokomotiven zum Entgleisen gebracht. Die Bergung ging aber ohne Zwischenfälle zu Ende. Laut offizieller Auskunft vom Bundesministerium für Landesverteidigung wurden die „230 kg Kriegsmaterial“ anschließend vernichtet.
In Wien-Lainz gefunden: Zünder, Sprengschnur, Munitionsbehälter und Medizin-Flasche (von o. nach u. - Quelle: privat) |
In Tageszeitungen wurde am 16. Juni 2014 kurz über den Fund von "Briten-Kriegsmaterial" berichtet: "Eine Metallkiste mit Munition, Bayonetten und zwei Pistolen." Tatsächlich war die Ausbeute viel umfangreicher und auch keiner der üblichen Zufallsfunde aus dem 2. Weltkrieg. Das zeigte schon die
Zusammensetzung: Sprengstoff und Zubehör für Sabotage sowie die
ikonische „Sten Gun“, der sich Spezialeinheiten und der antifaschistische
Widerstand gerne bedient hatten. Eindeutig zu bestimmen war alles durch den „Broad Arrow“
– einem heraldisches Zeichen, mit dem britischer Regierungsbesitz ausgewiesen
wird. Dieses Zeichen fand sich sowohl auf den Munitionskisten als auch auf den
Medizinfläschchen. Somit scheidet der 2. Weltkrieg als „Ursprung“ aus – vielmehr
war das Lainzer Depot Teil von Vorbereitungen für den Fall, dass aus dem Kalten
Krieg ein „heißer“ geworden wäre. Das lässt sich mit Rückgriff auf vormals geheime
Unterlagen im Wiener Staatsarchiv belegen.
Vorbereitung
auf den „Tag X“
Eines der wenigen erhaltenen Artefakte - Medizinfläschen mit dem "Broad Arrow" (Foto: Autor) |
Französischer Partisan mit Sten Gun 1944 (Quelle: Wikimedia Commons) |
Ende der 1940er
Jahre schien eine Invasion der Roten Armee jederzeit möglich. Hatten doch die
Sowjets 1948 Berlin abgeriegelt und die Macht in Ungarn sowie der
Tschechoslowakei an sich gerissen. 1950 entbrannte der Koreakrieg. Die immensen
Spannungen, die sich zwischen den Supermächten aufbauten, spürte man im
besetzten Nachkriegsösterreich besonders stark: Hier stießen Ost und West
unmittelbar aufeinander, eine Teilung des Landes oder ein Putsch lagen in der
Luft. In dieser Situation koordinierte die CIA in ganz Westeuropa ein dichtes
Netz von Guerilla- und Partisaneneinheiten auf, das unter den Bezeichnungen
„stay behind“ oder „Gladio“ (Deckname der italienischen Formation) geläufig
geworden ist.
Dafür rekrutierte
Agenten sollten im Kriegsfall hinter der Front aktiv werden. Ihre Aufgaben: Sabotage,
Informationsbeschaffung und Durchschleusen von VIPs, abgeschossenen Piloten und
Kriegsgefangenen. Damit am „Tag X“ alles bereit war, wurden Erddepots mit
Waffen, Sprengstoff, Funkgeräten und anderer Ausrüstung angelegt. In Österreich
wurden 1996 65 dieser geheimen Lager nach entsprechender Information durch die
USA lokalisiert – 33 in Oberösterreich, 27 in Salzburg und fünf in der
Steiermark. Das Kriegsmaterial hätte für bis zu 1.000 Mann gereicht. Weniger
bekannt ist dagegen, dass auch die britische Besatzungsmacht solche
Vorkehrungen traf – und zwar schon zu einem früheren Zeitpunkt als die USA. Vielleicht
schon 1946/47 oder Anfang der 1950er Jahre legten die Briten in ihrer Zone Waffen-
und Ausrüstungslager an und zwar fast ausschließlich in Kärnten. Es gab nur
eine besondere Ausnahme – das nun gefundene Versteck in Wien-Lainz am Rande des
britischen Sektors.
Einsatzgebiet
Kärnten
Britische Kommando-Soldaten 1942 in Frankreich (Quelle: Wikimedia Commons) |
Simon Preston, in
den 1950er und 1960er Jahren Mitglied des britischen Auslandsgeheimdienstes
MI6, gab 1996 der „Presse“ ein Interview. Er wäre im Falle einer militärischen
Konfrontation mit dem Fallschirm über Österreich abgesprungen. 1952 führte
Preston eine Mission nach Kärnten: „Wir waren vier Soldaten und hatten die
Aufgabe, sechs geheime Waffendepots anzulegen.“ Pro Lager gab es einen
österreichischen Verbindungsmann. Dieser hätte die Aufgabe gehabt, die
britischen Agenten im Ernstfall zu den Verstecken zu führen.
Erst 2014 hat der
norwegische Historiker Olav Riste neue Belege veröffentlicht, wonach gerade
britische Stellen kurz nach Kriegsende 1945 besorgt waren, dass es in
Westdeutschland und Österreich zu sowjetischen Umsturzversuchen kommen könnte.
Deshalb wurde die Installierung von Untergrund-Widerstandsnetzen in den britischen
Besatzungszonen empfohlen. Im Oktober 1945 gaben die Stabschefs eine
entsprechende Direktive heraus, wonach das Special Operations Executive (SOE)
eine Organisation aufbauen sollte, die im Notfall schnell einsatzbereit wäre.
Dafür sei es notwendig ein klandestines Kontakt- und Kommunikationsnetz
vorzubereiten.
Das SOE war eine Sondereinheit
für Einsätze hinter feindlichen Linien und hatte zwischen 1940 und 1946 Bestand. Priorität für das SOE, dessen Know-how
bald in neuen Formationen aufging, hatten jene Länder, die bereits früh unter sowjetische
Kontrolle zu fallen drohten, also
Österreich und die BRD. Darüber hinaus befand sich gerade die britische
Besatzungszone (Kärnten, Osttirol und Steiermark ohne Salzkammergut) in einer
prekären Lage. Kurz nach Kriegsende 1945 war es zu gefährlichen Spannungen mit
Jugoslawien gekommen, die erst 1948/49 abflauten, als Tito mit Stalin brach.
Danach kam es für die Alliierten darauf an, die strategisch wichtige Laibacher
Pforte – die Landverbindung zwischen Oberitalien, Südösterreich und Jugoslawien
– gegen einen Vorstoß der Roten Armee zu halten. Die Depots in Kärnten dürften
daher vor allem solchen Szenarien geschuldet gewesen sein. Zeitzeuge Preston wiederum
hielt es für möglich, dass Waffen aus den Verstecken im Rahmen des Ungarnaufstandes
1956 tatsächlich zum Einsatz kamen. Er selbst war im Oktober 1956 als Agent in
Budapest gewesen.
1959:
Die ersten Depots werden entdeckt
SOE-Agenten (3. und 4. von rechts) mit französischen Partisanen 1944 (Quelle: Wikimedia Commons) |
Im Unterschied zu
den US-Lagern, die erst in den 1990er Jahren Gegenstand einer öffentlichen
Kontroverse wurden, flogen die britischen Pendants relativ früh auf. Am 18.
Dezember 1959 wurden im Waldkogelgebiet nahe der Ortschaft Baierberg (Gemeinde
Guttaring) mehrere mit Wellblech eingefasste Waffenbunker entdeckt – die
Gendarmerie war darauf aufmerksam geworden, weil Einheimische in Uniformstücken
herumgelaufen waren. Es handelte sich um US-amerikanische Waffen, Munition und
Sprengstoff, Bekleidung, Verpflegung und Sanitätsmaterial. Angelegt worden
waren die Depots von britischen Soldaten, die sich 1952 für drei Wochen in dem
Gebiet aufgehalten hatten. Im Rahmen von Nachforschungen gab ein pensionierter
Kärntner Gendarmerieoffizier 1960 Auskunft: „Die
Bunker sind damals im Rahmen eins Manövers der britischen Truppen angelegt
worden, wobei das Manövergelände für den Zutritt fremder Personen gesperrt
worden sei. […] Während ein ähnliches Lager bei Arnoldstein, welches jedoch nur
Munition enthalten habe, noch vor dem Abzug der britischen Besatzungsmacht
geräumt wurde, seien die Bunker im Waldkogelgebiet offenbar vergessen worden.“
Hinweise
aus Großbritannien
Nach diesem ersten
Fund hatte die Nachrichtengruppe des Bundesministeriums für Landesverteidigung
(BMfLV), Vorläufer des heutigen Heeresnachrichtenamts, insgeheim ermittelt. Man
setzte sich mit den britischen Behörden in Verbindung, um herauszufinden, ob noch
weitere Waffenlager bestünden. Der britische Militärattaché in Wien begab sich daraufhin
nach London und richtete am 10. Februar 1960 aus, dass die „entsprechenden
Pläne“ im Laufe der „nächsten Tage“ in Wien eintreffen würden: „Er übermittelte gleichzeitig das Ersuchen
des britischen Militärischen Nachrichtendienstes, die Entleerung der Bunker
tunlichst unauffällig vorzunehmen und Presseveröffentlichungen nach Möglichkeit
zu verhindern.“
Die Heeresgeheimdienstler
fügten die Puzzlestücke zusammen und analysierten bereits Ende Jänner 1960
zutreffend: „Die Anlage derartiger Depots
wurde im Zuge vorsorglicher Räumungsmaßnahmen von besonders ausgebildeten
Sonderkommanden in allen besetzten europäischen Ländern für den Fall der
notwendigen Räumung vorgenommen. Die Depots hatten den Zweck, nach der Räumung der
betreffenden Gebiete den dortigen Widerstandsgruppen hinter der feindlichen
Front, bzw. den mit Flugzeugen abgesetzten eigenen Agenten bei dem Aufbau von
Partisanen- (Untergrund-) bewegungen das notwendige Ausrüstungsmaterial zu
bieten. Es ist als sicher anzunehmen, dass das jetzt in Kärnten aufgefundene
britische Depot die gleiche Bestimmung hatte, umso mehr, als auch der
US-Nachrichtendienst auf dem Gebiete der heutigen DDR nach der gleichen Methode
bereits ähnliche Depots vorsorglich anlegte. “ Damit könnte das Project
LCSTART gemeint sein, mit dem die CIA ab dem 21. Februar 1952 hinter dem
Eisernen Vorhang in der DDR ein Programm für Sabotageeinheiten und andere
paramilitärische Aktivitäten laufen hatte. Vorgesehen war eine weitere
Operation mit dem Codenamen TEMPER zum Aufbau von Flucht- und
Evakuierungsrouten bzw. zur Bildung eines Kerns für langfristigen Widerstand.
Zu beiden Projekten sind bislang keine Unterlagen freigegeben worden.
Waffen
von „Südtirol-Aktivisten“ entwendet?
Britischer Korporal mit Sten Gun im März 1945 (Quelle: Wikimedia Commons) |
Im Juli 1965 kam es
erneut zu einem öffentlichen Aufschrei: Nach „vertraulichen Mitteilungen aus
der Bevölkerung“ wurde in einem
aufgelassenen Bergwerksstollen in der Nähe von Windisch-Bleiberg ein Depot
sichergestellt, dessen Inhalt aber geplündert worden war. „Aus den erbrochenen
Kisten konnte der Schluss gezogen werden, dass mindestens 30 Gewehre, einige
Tausend Schuss MP- und Gewehrmunition sowie größere Mengen Sprengstoff in die
Hand unbefugter Personen gelangt waren“, heißt es in einem Bericht der Sicherheitsdirektion
Kärnten.
Der Verdacht kam auf, „Südtirol-Aktivisten“ könnten sich bedient
haben. Die Staatspolizei schaltete sich ein und löste den Fall innerhalb von
drei Monaten: Schüler der Fachschule für Handfeuerwaffen in Ferlach hatten die
Waffen entwendet und teilweise weiterverkauft. Für die Kärntner Behörden war
dies alles andere als ein Lausbubenstreich: „Im
Interesse der inneren Sicherheit des Staates muss unbedingt verhindert werden,
dass noch weitere Waffen- und Sprengstoffdepots von Unbefugten ausgeplündert
werden. […] In welch dunklen Kanäle diese Waffen fließen könnten, ist gar nicht
abzusehen. Unter den Schülern der bezeichneten Fachschule befinden sich
zahlreiche deutsche Staatsangehörige, bei denen auf Grund ihrer größtenteils betont
nationalen Einstellung eine Verbindung zu den Südtirol-Aktivisten keineswegs
auszuschließen wäre.“
Meldung der Arbeiter-Zeitung vom 31. 7. 1965 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at) |
Die Stellen in
Klagenfurt drängten das Innenministerium dazu, „ganz offiziell“ mit dem
Verteidigungsministerium in Kontakt zu treten und „mit allem Nachdruck“ auf
eine Herausgabe „allenfalls“ vorhandener Pläne und Informationen zu verlangen: „Der ho. Sicherheitsdirektion zur Kenntnis
gekommene Informationen besagen, dass die ehemalige britische Besatzungsmacht
alle von ihr im Bundesland Kärnten über die Ausrüstungs- und Waffendepots
angelegten Pläne nach dem Abzug im Jahre 1955 den österreichischen Bundesheer
übergeben haben soll. […] Offenbar hat das Bundesministerium für
Landesverteidigung die Lage dieser Depots bisher deshalb geheim gehalten, um
nicht Großbritannien gegenüber Jugoslawien auszuspielen und den Verdacht
aufkommen zu lassen, dass Großbritannien sich für einen allfälligen Konflikt
mit Jugoslawien vorbereitet habe. Eine Geheimhaltung ist jedoch jetzt
keineswegs mehr am Platze, weil die Existenz derartiger Lager auf Grund der
inzwischen in Guttaring und im heutigen Sommer wiederum in Windisch-Bleiberg
gemachten Entdeckungen weitgehend bekannt ist.“
Fast
20 größere Waffenlager in Kärnten
Kommando-Training in Schottland 1941 (Quelle: Wikimedia Commons) |
Am 16. November
1965 war es soweit: Vertreter des Innenministeriums und der Nachrichtengruppe trafen sich zu einer Besprechung, wobei letztere eröffneten,
dass bereits 17 Lager „ausgeforscht und entleert“ worden waren. Das Lager in
Windisch-Bleiburg sei ebenfalls bekannt gewesen, „doch sind die Gründe, warum
dieses Lager nicht rechtzeitig entleert worden war, hier nicht bekannt“. Die
Heeresspione klärten zudem auf, dass noch weitere 11 Lager existierten, die
noch nicht geräumt worden seien. Aufgelistet wurden drei „Waffen-, Munitions-
und Sprengmitteldepots“, sechs „Überlebendenlager, die lediglich aus „einem
Mundvorrat, einer Pistole und einer Flasche Cognac“ bestanden sowie ein
Lebensmittel- und Bekleidungsdepot bzw. ein Nachrichtendepot. Alle befanden
sich bis auf eine Ausnahme – das Lager in Wien-Lainz – in Kärnten.
Rechnet man die unbedeutenden Klein-Verstecke weg, so waren dort insgesamt fast 20 größere Waffenlager angelegt worden – und zwar in Hüttenberg, Guttaring, St. Gertraud, Wieting, St. Oswald, Diex, Krumpendorf und Windisch-Bleiberg. Allerdings liegen nur von vier Lagern Inhaltsverzeichnisse vor. Demnach waren neben umfangreichen Munitions- und Sprengstoffvorräten Waffen unterschiedlichster Herkunft gebunkert worden, darunter Lee-Enfield-Gewehre, Sten-Maschinenpistolen und kanadische M-35-FN-Pistolen, die in der Folgezeit von Offizieren und Unteroffizieren der Nachrichtengruppe als Dienstwaffen weiterverwendet wurden. In Klagenfurt konnte jedenfalls ein Schlussstrich gezogen werden – am 7. Dezember 1965 wurde vermerkt: „Es ist nunmehr anzunehmen, dass keine weiteren Lager der britischen Besatzungsmacht in Kärnten bestehen.“
Rechnet man die unbedeutenden Klein-Verstecke weg, so waren dort insgesamt fast 20 größere Waffenlager angelegt worden – und zwar in Hüttenberg, Guttaring, St. Gertraud, Wieting, St. Oswald, Diex, Krumpendorf und Windisch-Bleiberg. Allerdings liegen nur von vier Lagern Inhaltsverzeichnisse vor. Demnach waren neben umfangreichen Munitions- und Sprengstoffvorräten Waffen unterschiedlichster Herkunft gebunkert worden, darunter Lee-Enfield-Gewehre, Sten-Maschinenpistolen und kanadische M-35-FN-Pistolen, die in der Folgezeit von Offizieren und Unteroffizieren der Nachrichtengruppe als Dienstwaffen weiterverwendet wurden. In Klagenfurt konnte jedenfalls ein Schlussstrich gezogen werden – am 7. Dezember 1965 wurde vermerkt: „Es ist nunmehr anzunehmen, dass keine weiteren Lager der britischen Besatzungsmacht in Kärnten bestehen.“
Das
vergessene Lager in Wien-Lainz
Damit stellt sich
abschließend die Frage, warum das Wiener Depot bis 2014 Bestand hatte. Aufschluss
darüber gibt ein Aktenvermerk vom 17. November 1965. Darin heiß es: „Die Anlegung dieses Lagers durch die
britische Besatzungsmacht wurde durch einen Österreicher geduldet, der auf dem
bezüglichen Grundstück ein Einfamilienhaus besitzt. Das Waffendepot wurde so
angelegt, dass es erst nach Beseitigung einer Betonmauer zugänglich ist. Eine
Gefahr des Auffindens durch Unbefugte besteht nicht. Das BMfLV übernimmt die
Verantwortung, dass Unbefugte nicht zu dem Waffenlager gelangen und dieses
anlässlich eines zu erwartenden Umbaues des Einfamilienhauses in den nächsten
ein bis zwei Jahren auch tatsächlich geräumt wird.“
Nicht alle Details
stimmen hier: Tatsächlich befand sich das Objekt – ein ebenerdiges, kleines Wochenendhäuschen
– seit 1952 im Besitz einer alleinstehenden Frau, die 2010 im Alter von 91 Jahren
verstorben ist. In der Nachbarschaft kursieren bis heute Gerüchte, wonach sie
im Innenministerium Karriere gemacht
habe, was sich nicht belegen lässt. Ihr ebenfalls verschiedener Bruder hatte im
2. Weltkrieg bei den Gebirgsjägern gedient und war danach
Bundesheer-Reserveoffizier. Ob er jene Person sein könnte, die im Dokument
genannt wird, lässt sich ebenfalls nicht nachweisen. Die Gegebenheiten am Fundort passen jedenfalls zu der Beschreibung: Die Beton-Platte, auf dem das Häuschen stand, war größer als dessen Grundfläche und zweigeteilt - im vorderen Bereich fand sich ein Metalldeckel mit Griff, der einen darunterliegenden engen Schacht verschloss. Dieser wiederum war mit Ziegelsteinen ausgemauert und verfügte selbst über einen dünnen Beton-Boden. Darunter waren schließlich die mit Wellblech abgedeckten Waffen und der Sprengstoff. Aus dieser Anordnung ist zu schließen, das das Lager "zuerst" da war - als dieser Geländeabschnitt noch bewaldet und nicht parzelliert war. Betonfläche und Häuschen wurden nachträglich darüber errichtet und das Geheimnis so gewahrt. Dazu passt auch, dass die Besitzerin zeitlebens keinen Wasser-, Kanal- und Stromanschluss vornehmen ließ.
Das Depot in Wien-Lainz ist wahrscheinlich in den späten 1940er Jahren angelegt worden, als die Besorgnis über sowjetische Absichten bei britischen Stellen besonders ausgeprägt war. Diesen Befund legt der Inhalt nahe - die aufgefundenen Waffen und der Sprengstoff waren vom Typus her im 2. Weltkrieg im Einsatz gewesen. Nach Erschließung des Geländes wenige Jahre später fand man offenbar eine pragmatische Lösung, indem das Wochenendhäuschen einer vertauenswürdigen Person über dem Versteck errichtet wurde. Anders als angekündigt wurde das Depot auch später nicht geräumt - vielleicht befürchtete man zu viel Aufsehen oder wollte abwarten.
Der Fundort - der Deckel zum Schacht ist rechts im Vordergrund der Betonfläche zu sehen (Quelle: privat) |
Das Depot befand
sich hier – im schwer einzusehenden „Außenposten“ der Kleingartensiedlung – an
einem „perfekten“ Platz. Das wird deutlich, wenn man die nähere Umgebung
miteinbezieht. Dort fallen einige neuralgischer Punkte ins Auge: So hätte ein
Sabotagetrupp etwa die Verbindungsbahn im Wien-Tal sprengen
können. Was heute Teil des S-Bahnnetzes ist, verband bis 2010 die West- und
Südbahn bzw. die Süd- und Nordbahn. Ein weiteres lohnenswertes Ziel könnte die
ursprünglich als Stadtautobahn konzipierte Schrutkagasse dargestellt haben,
eine wichtige Süd-West-Achse. Vom Versteck war es außerdem nicht weit zu
wichtigen britische Stellen – einem Lazarett im heutigen Geriatriezentrum am
Wienerwald, der Fasangartenkaserne (heute: Maria-Theresienkaserne) und dem
Hauptquartier des britischen Hochkommissars in Schönbrunn. Nah war auch der
Gegner – der Lainzer Tiergarten, der sich im Westen an den Hörndlwald
anschließt, war Teil des sowjetischen Sektors mit der Hermesvilla als
nächsten Stützpunkt. Ebenso in sowjetischer Hand war die „Friedensstadt“, eine
Siedlung gleich auf der gegenüberliegenden Seite des Hörndlwalds.
Wie sich die Sabotageaktionen
in der Realität abgespielt haben könnten, kann man in „Der totale Widerstand.
Kleinkrieg für jedermann“ nachlesen. Das 1957 vom Schweizer Major Hans von Dach
konzipierte Handbuch gibt detaillierte Anleitungen für den „letzten und
äußersten Verzweiflungskampf“ gegen eine Besatzungsarmee: Die Bildung von Zellen,
die richtige Bewaffnung, die Kommunikation über „tote Briefkästen“ oder das Verhalten
bei Verhör und Folter. Der „totale Widerstand“ wurde international zum
Bestseller und inspirierte auch Guerillaorganisationen, Rechtsextremisten und
linksradikale Terrorgruppen wie die Rote Armee Fraktion. Und – ein Exemplar von
„Der totale Widerstand“ wurde in einem britischen stay behind-Depot in der BRD
gefunden – als Handlungsanleitung. So heißt es beispielsweise im Abschnitt
„Angriff auf das Eisenbahnnetz“:
Ebenfalls erhalten geblieben: Ein Bajonett (Quelle: Autor) |
„Auf
offener Strecke werden die Geleise immer in einer Kurve gesprengt. Gründe:
-
Gebogene Schienen sind schwerer zu ersetzen als gerade.
-
In Kurven entgleisen Züge leichter (Zentrifugalkraft!).
-
Das Zugspersonal vermag Breschen im Schienenstrang später und schlechter zu
erkennen als auf gerader Strecke.
-
Sprenge immer den äußeren Strang. So treibt die Zentrifugalkraft den
heranbrausenden Zug an der Zerstörungsstelle leichter aus den Schienen und
wirft die Trümmer gleichzeitig auf das Nebengeleise. Fahrtrichtung der Züge im
regulären Verkehr: Links.“
Britische Kommandos sabotieren ein Eisenbahngleis in Korea 1951 (Quelle: National Archives and Records Administration/Wikimedia Commons) |