Donnerstag, 26. Dezember 2013

Die „Wiener Residentur“ der Staatssicherheit – Mythos und Wirklichkeit, Teil I

Erschienen in: JIPSS (Journal for Intellligence, Propaganda and Security Studies), Nummer 2/2013, S. 89-113. http://www.acipss.org/wp-content/uploads/Jipss_V7N2_extract.pdf

Auszug:

Bis heute handelt es sich um eine der abenteuerlichsten Geschichten aus Schattenwelt des Kalten Krieges in Österreich:  Die sogenannte „Wiener Residentur“. Eine Gruppe Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) soll Ende der der 1970er Jahre das Hochtechnologie-Programm der DDR mit embargogesperrten Informationen und Know-how aus dem Westen „gefüttert“ haben. Schon in den 1980er Jahren sprachen britische und US-amerikanische Journalisten deswegen von den Wiener „Technobanditen“, die dem Westen im Kalten Krieg durch illegalen Technologietransfer großen Schaden zugefügt hätten. Bislang konnte jedoch nur spekuliert werden: Hat die Wiener Residentur in dieser Form tatsächlich existiert? Was genau wurde verraten? Und wer war darin verwickelt - Udo Proksch? Szenewirt Rudi Wein?

Die Beantwortung dieser Fragen gestaltet sich vor allem aufgrund der dürftigen Quellenlage schwierig. So ist der Aktenbestand im Wiener Staatsarchiv, der die Ermittlungsakten der Staatspolizei enthält, noch bis mindestens in die 2020er Jahre gesperrt. Viele der Unterlagen des MfS sind dagegen in der Berliner Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) für die Forschung zugänglich – jedoch klaffen gerade im Bestand der für Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) große Lücken. Die HVA hatte sich in den Wirren der Wende 1989/1990 ein Sonderrecht ausgehandelt: Während alle anderen MfS-Abteilungen ab Januar 1990 aufgelöst wurden, betrieb die HVA bis Juni 1990 ihre Abwicklung selbst. Sie nutzte die Gelegenheit und vernichtete ihr Archiv fast vollständig. Auch die Karteikarten der HVA wurden aus der Zentralen Personenkartei des MfS entfernt. Zumindest ein Quellenbestand, der erhalten blieb und 1998 entschlüsselt wurde, ermöglicht Rückschlüsse auf die Wiener Residentur: Die „SIRA“-Datenbank, auch das „Pharaonengrab“ („Der Spiegel“) genannt. Bei SIRA – dem „System zur Informationsrecherche der HVA“ handelt es sich um das Inhaltsverzeichnis der gesamten Auslandsspionage von 1969 bis 1987, insgesamt 180.564 Datensätze. Aufgelistet sind die Decknamen der Inoffiziellen Mitarbeiter im Westen sowie Zeitpunkt, Art, Umfang und „Benotung“ der von ihnen gelieferten Informationen. Da die Dokumente, auf die sich diese Angaben beziehen, aber zum Großteil nicht mehr existieren, ist der Aussagewert beschränkt. Zumindest ermöglicht die Auswertung der relevanten SIRA-Daten zur Wiener Residentur eine Übersicht Art und Umfang der an die HVA gelieferten Informationen und werden deshalb im Rahmen dieses Artikels erstmals aufbereitet.

Was die bislang erschienene Literatur zur Wiener Residentur betrifft, so ist vor allem Hans Pretterebners Buch „Der Fall Lucona“ (1989) herauszustreichen, das zum Teil auf vorangegangene Recherchen durch den „Wochenpresse“-Journalisten Gerhard Freihofner aufbaut. Allerdings ist Pretterebners Argumentation nicht nur wegen der deutlichen politischen Schlagseite bis heute umstritten und daher nur bedingt als zeithistorische Quelle geeignet. Darüber hinaus hat vor allem der ehemaligen MfS-Offizier Werner Stiller, der 1979 die Causa rund um die Wiener Residentur ins Rollen brachte, im Rahmen seiner Memoiren ("Im Zentrum der Spionage“, 1986)  sowie in „Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten“ (2010) auf die Ereignisse Bezug genommen. Stiller gilt bis heute als „die einzige westliche Quelle von Bedeutung in der Stasi“. Von ihm stammt auch die Bezeichnung „Wiener Residentur“ – weder das MfS, noch die Beteiligten selbst verwendeten diese.

Abgesehen von der Sekundärliteratur und den SIRA-Daten baut dieser Artikel vor allem auf Interviews mit Zeitzeugen – darunter Werner Stiller. Was die inhaltliche Gliederung betrifft, so wird zunächst auf die Rahmenbedingungen eingegangen: Die Bedeutung von Technologietransfers im Kalten Krieg und die daraus resultierenden Konflikte zwischen Österreich und den USA in den 1980er Jahren. Danach wird der Kenntnisstand zur Wiener Residentur vorgestellt – ergänzt durch die neuen Informationen aus den Zeitzeugen-Interviews und der SIRA-Abfrage durch den Autor im Jahr 2011.

Weitere Infos folgen....