Die
Anschläge in Brüssel am 22. März 2016 haben von neuem die Bedrohung durch den
radikal-islamistischen Terrorismus unterstrichen. Aber was bedeutet dies
konkret für Österreich? Innenministerin Mikl-Leitner sprach von einer „abstrakte(n)
Gefährdung“. Ihr Sprecher sah „keine Auswirkungen auf den aktuellen
Lebensalltag“ gegeben. Dafür warnte der Direktor des Bundesamts für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling: „Wir können
uns da nicht ausnehmen. Die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist
hoch.“
Welche
Faktoren sprechen nur hierfür?
- Ein Sicherheitsrisiko stellt die dichte Präsenz von internationalen Organisationen in Wien dar. Auch ausländische Vertretungen könnten betroffen sein. Dagegen spricht, dass diese Objekte generell gut überwacht werden und daher wenig lohnenswerte Ziele sind. Realistisch sind auch Anschläge gegen kritische Infrastruktur – das Innenministerium soll eine diesbezügliche Liste von 192 gefährdeten Objekten erstellt haben.
- Es gibt in Österreich zwar keine vergleichbare „Hochburg“ wie in Molenbeek-Brüssel, aber Tendenzen in diese Richtung. Die radikal-islamistische Szene konzentriert sich im Wesentlichen auf Wien, Graz, Salzburg und Oberösterreich. Vor allem die Wiener Salafisten-Gemeinde gilt als Zentrale ähnlicher Gruppen auf dem Balkan, die von hier aus strategisch, logistisch und finanziell unterstützt werden.
- Das wahrscheinlich größte Risiko geht von den „Jihad-Rückkehrern“ aus: Bis Anfang 2016 zogen 259 Personen aus Österreich als Freiwillige in die Konfliktgebiete im Nahen Osten. 80 von ihnen sind bereits zurückgekehrt, 42 wurden getötet. Im westeuropäischen Vergleich liegt Österreich damit prozentuell im Verhältnis zur Bevölkerung gesehen auf den vordersten Plätzen. Wie sich zuletzt bei den Anschlägen in Paris und Brüssel (2015/16) gezeigt hat, spielen „Rückkehrer“ bei der Koordination und Anleitung eine zentrale Rolle. Darüber hinaus soll der Islamische Staat (IS) schon frühzeitig begonnen haben, Schläferzellen in mehreren europäischen Ländern und vor allem in der Türkei zu installieren. Diese ehemaligen Kämpfer sollen auf keiner Fahndungsliste aufscheinen.
- Zahlreiche Anschläge der jüngsten Vergangenheit wurden weiters von Jihad-Unterstützern begangen: Hierbei handelt es sich um ein oder mehrere Personen, die zuvor nicht im Nahen Osten gekämpft haben und oft aus Eigeninitiative handeln. Beispiele hierfür sind die Attentate in Ottawa (2014), Sydney (2014) oder in der französischen Region Midi-Pyrénées (2012). Nur in seltenen Fällen sind selbstradikalisierte Einzeltäter („lone wolf“) verantwortlich. So wurde der Attentäter von Kopenhagen (2015) von vier Personen unterstützt.
- Nachrichtendienstliche Mängel: Das BVT ist kein klassischer Geheimdienst und befindet sich in einem Umstrukturierungsprozess. Derzeit dürfte es Mankos im Bereich „menschlicher Quellen“ geben, also beim Einschleusen von Informanten. Auch die Überwachung der „Rückkehrer“ ist ressourcentechnisch schwer zu bewerkstelligen – eine Rundumüberwachung eines Verdächtigen benötigt 20 Personen. Es ist auch möglich, dass künftig verstärkter Fahndungsdruck zu „Gegenreaktionen“ oder verstärktem Abtauchen in den „Untergrund“ führt.
- In unmittelbarer geografischer Nähe zu Österreich befindet sich ein „Hotspot“ des Jihadismus – der Westbalkan. Im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, Albanien und in Mazedonien bilden sich vermehrt Netzwerke für die Auseinandersetzungen in Syrien und im Nordirak. Im bosnischen Gornja Maoca sowie in Dörfern bei Zenzia, Bihac und Brcko sollen Freiwillige auch militärisch unterwiesen worden sein. Einmal soll sogar ein Waldstück nahe dem slowenischen Hauptstadt Ljubljana für Schusswaffen-Übungen genutzt worden sein. Aufgrund der offenen Schengen-Grenze war es für mehrere kampfbereite Männer aus Österreich einfach, in solche Ausbildungszentren am Balkan zu reisen. Die bosnische Grenzregion um Velika Kladusa wiederum ist dabei, sich zu einem "Brückenkopf für islamistische Terroristen auf dem Weg nach Norden zu entwickeln - vor allem mithilfe in Österreich, Deutschland oder Italien radikalisierter Gastarbeiter" (vgl. Der Spiegel, Nr. 14/2016, S. 95 f.).
Gegen
eine unmittelbare Bedrohung spricht:
- Als neutrales Land ist Österreich nicht an den westlichen Militäreinsätzen in Syrien beteiligt. Das Bundesheer beteiligte sich bis Ende 2009 an der humanitären Mission der UNO im Tschad – nur eine Handvoll von Personal befindet sich derzeit im Nahen Osten. Allerdings wurde Anfang 2015 eine Anschlagsdrohung per Video gegen Österreich ausgesprochen – und zwar von dem österreichischen Jihadisten Mohamed Mahmoud, der den Führungszirkeln des IS in Syrien zugerechnet wird. Im Unterschied zu Österreich weist das besonders betroffene Frankreich einen großen (und teils marginaliserten) muslimischen Bevölkerungsteil auf. Es wiegt das koloniale Erbe (Algerienkrieg) sowie das militärische Engagement in West- und Zentralafrika und in Syrien. In Belgien wiederum war es lange Zeit verhältnismäßig ruhig - aber die sehr hohe Zahl an Jihad-Freiwilligen, die Funktion als Basis nahe Frankreich und die Zersplitterung des Sicherheitsapparats sind nicht folgenlos geblieben. Freilich richten sich die Drohungen des IS jüngst generell gegen Europa - so hieß es kürzlich: "Today it is Brussels and [its] airport, and tomorrow it might be Portugal and Hungary." Hier dürfte gelten: Je mehr der IS militärisch unter Druck gerät, umso wahrscheinlicher sind vermehrte Terroranschläge im europäischen "Hinterhof".
- Österreich ist bislang kein „Aktionsraum“ für Terroristen, sondern ein „Ruheraum“ mit günstiger geografischer Lage, diskreten Banken und schwach ausgebildeten nachrichtendienstliche Strukturen. Terroristen machen sich das für Vorbereitungen von Operationen anderenorts zunutze. Oder sie tauchen hierzulande einfach unter oder nutzten in der Vergangenheit nachweislich den Finanzplatz.
- Besonders wichtig ist die Rolle als Transitland: Eine wichtige Route führt Jihad-Freiwillige über Bosnien und die Türkei, um dann dort entlang der 800 km langen Grenze in Syrien einzusickern. Genauso funktioniert es in die andere Richtung: Aktuell sitzen in Salzburg sechs Männer ein, die als Flüchtlinge getarnt nach Österreich kamen. Zwei der sechs U-Häftlinge stehen unter dringendem Verdacht der IS-Mitgliedschaft. Auch sollen sie in Kontakt mit der Terrorzelle in Brüssel gestanden haben. Ebenso hielt sich der Paris-Attentäter Salah Abdeslam in Österreich auf. Am 9. September 2015 geriet er im Gemeindegebiet von Aistersheim (Oberösterreich) in eine Verkehrskontrolle – diese galt möglichen Schleppern. Zwei Männer waren bei Abdeslam im Auto, das Richtung Wien weiterfahren durfte. Sie waren in die Anschläge von Paris und Brüssel involviert: Najim Laachraoui und Mohamed Belkaid.
Eine Kellerlokal-Moschee in der Wiener Venediger Au galt als ein Zentrum islamistischer Radikalisierung |
Das
Anschlagsrisiko im Kontext vergangener Ereignisse
Im historischen
Rückblick ist terroristische Gewalt in Österreich bislang eine Seltenheit. Eine
statistische Auswertung des Kriminalisten Richard Benda und der
„Kurier“-Journalistin Ingrid Gabriel für das Buch „Terror rot/weiss/rot“ ergab
für die Jahre 1959-1988 16 Todesopfer und 112 Verletzte. Bei den Toten handelte
es sich um einen Politiker, den Wiener Stadtrat Heinz Nittel, drei Diplomaten,
sechs Unbeteiligte, drei Polizisten und zwei Täter. In den knapp drei
Jahrzehnten fanden außerdem insgesamt 113 Bombenanschläge statt, deren
Hauptschauplatz eindeutig in Wien (64), gefolgt von Kärnten (20) und der
Steiermark (9) lag.
Nicht in dieser
Statistik erfasst sind jene drei kurdischen Politiker, die 1989 von iranischen
Agenten in Wien ermordet wurden. Einen weiteren Fall von Staatsterrorismus
stellt der Fall von Umar Israliov dar: Der 27jährige Tschetschene war am 13.
Jänner 2009 vor einem Wiener Supermarkt mit zwei Schüssen ermordet worden. Nach
Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz hatte der tschetschenische
Präsident Ramsan Kadyrov den Auftrag zur Ermordung seines ehemaligen
Leibwächters angeordnet. 1995 starben zwei Linksradikale bei einem missglückten
Sprengstoffanschlag gegen einen Strommasten im niederösterreichischen
Ebergassing. Weiters forderten sechs rechtsextreme Briefbombenserien zwischen
1993 und 1996 vier Todesopfer und 15 Verletzte, ehe der später als Einzeltäter
verurteilte Franz Fuchs 1997 bei einer Routinekontrolle verhaftet werden
konnte. Als im Sommer 2007 ein 44jähriger Arzt einen Jugendlichen mit einem
Pistolenschuss schwer verletzte, weil er sich von diesem angeblich bedroht
fühlte, stellte sich in der Folge heraus, dass der Täter für einen Anschlag auf
die Wiener Osmanli-Moschee am 15. November 2005 verantwortlich war. Die
Detonation des Sprengsatzes hatte damals Sachschaden in der Höhe von 5.260 Euro
verursacht. In der Gerichtsverhandlung bezeichnete sich der Arzt selbst als
„Terrorist“. 2009 wurden dann bei einer Schießerei in einem indischen Tempel in
Wien ein Prediger getötet und 15 Menschen verletzt. Die Auseinandersetzung
dürfte „ausschließlich religiös motiviert“ gewesen sein, dennoch scheint sie als
Exkurs im BVT-Jahresbericht auf.
Nimmt
man all diese Opfer in die Statistik auf, dann handelt es sich um insgesamt 27
Tote und 141 Verletzte durch terroristische Gewalt in den vergangenen 50 Jahren. Zieht man nach diesem historischen
Vergleich noch andere Länder heran, so kommt man zum Schluss, dass Österreich
tatsächlich relativ „glimpflich“ davon gekommen ist: So forderte alleine der
jahrzehntelange Terror der Roten Armee Fraktion in der BRD 67 Tote, 230
Verletzte, 230 Millionen Euro Sachschaden. In Italien wurden bei acht größeren
Sprengstoffanschlägen zwischen 1969 und 1987 419 Menschen getötet und 1.181
verletzt.
Die
Gründe, warum Österreich von terroristischer Gewalt relativ verschont geblieben
ist, sagen viel über die Verfasstheit des politischen Systems aus: Gesellschaftliche Konfliktfelder,
die anderswo einen Nährboden für terroristische Gewalt darstellten, wurden
durch von oben vorangetriebene Reformen in den 1970er Jahren entschärft. Zündstoff
für Terrorismus bildeten vor allem die Auseinandersetzung um
Minderheitenrechte: In den 1960er Jahren unterstützen Neofaschisten die
Anschlagswelle in Südtirol, während es in den 1970er Jahren in Kärnten zu 19
Sprengstoffattentaten gegen Denkmäler, Bahngleise, Strommasten und das
Heimatmuseum von Völkermarkt kam. Ansonsten war Terrorismus vor allem das Werk
ausländischer Akteure auf österreichischem Boden: Getroffen wurden Vertretungen
(des Iran, der Türkei oder des Irak) sowie in drei Fällen türkische Diplomaten.
Auch die OPEC-Geiselnahme 1975 hatte mit Österreich nichts zu tun, sondern
richtete sich primär gegen Saudi-Arabien und den vorrevolutionären Iran. Von
der Intensität her war der Nahostterrorismus überhaupt die bedeutendste
Herausforderung. Zwischen 1973 und 1985 war Österreich (und hier besonders
Wien) ein Nebenschauplatz des Konfliktes zwischen Israel und den
Palästinensern, vor allem aber zwischen arabischen Gruppen untereinander. In
diese Zeitspanne fallen die Geiselnahme von Marchegg (1973), der Mord an Heinz
Nittel (1981), der Wiener Synagogenanschlag (1981) und das Flughafenattentat in
Schwechat (1985).
Solange
die Lage in Österreich ruhig blieb, hatten Terroristen wenig zu befürchten. Offiziell hat es eine solche Strategie
zur Terrorvermeidung freilich nie gegeben, inoffiziell aber sehr wohl: Um nach
einer Anschlagsserie der Abu Nidal-Organisation (ANO) Anfang der 1980er Jahre
weitere Gewalt zu verhindern, ließ man zwischen 1988 und 1993 wechselnde
Angehörige der ANO in Wien wohnen und stellte medizinische Hilfsgüter bereit.
Darüber hinaus konnten sich Familienangehörige von Abu Nidal, einem der
gefährlichsten palästinensischen Terroristen, im Wiener Allgemeinen Krankenhaus
(AKH) Operationen unterziehen. Obgleich dieser „Waffenstillstand“ brüchig war,
kam es zu keinem weiteren Terroranschlag Abu Nidals in Österreich.
Während
sich die ANO-Mitglieder mit Wissen der Behörden in Wien aufhielten und hier
Gelder investierten, wurde die Anwesenheit anderer Terroristen spät oder erst
gar nicht erfasst.
Mitglieder der RAF hielten sich in den 1980er Jahren und Anfang der 1990er
Jahre immer wieder in Wien auf. Österreich fungierte als Transitland, um nach
Anschlägen in der BRD nach Skandinavien, in Ost-Blockstaaten oder in den
Libanon weiterzureisen – je nachdem, wo sich die Gruppe gerade besonders sicher
fühlte. Nur einmal kam es zu einer größeren Operation westdeutscher Terroristen
in Österreich selbst – die Entführung des Fabrikanten Walter Palmers durch die
„Bewegung 2. Juni“ 1977, die später in der RAF aufging.
Mit
dem Ende des Kalten Krieges (1989) änderte sich die strategische Bedeutung
Österreichs: Ab diesem Zeitpunkt begann der radikale Islamismus die vorher
dominanten säkularen terroristischen „Player“ abzulösen. Das geschah im Zuge des
jugoslawischen Bürgerkriegs, als Wien zur Schaltstelle für illegale
Waffenlieferungen nach Bosnien wurde. Dort kämpften zwischen 1991 und 1995
tausende Freiwillige aus arabischen Ländern und dem Iran auf Seiten der
muslimisch-nationalistischen Regierung von Präsident Alija Izetbegović gegen
Serben und Kroaten. Auch Osama Bin Ladens Al-Qaida stellte Kämpfer. Es war das
wichtigste Operationsfeld des Jihad nach dem Kampf gegen die Rote Armee in
Afghanistan in den 1980er Jahren. Laut westlichen Geheimdienstkreisen erfüllte
die in Wien-Wieden angesiedelte Third World Relief Agency (TWRA) eine
Schlüsselrolle, wenn es darum ging, die radikal-islamistischen Kräfte
finanziell und logistisch zu unterstützen.
Neben dem neutralen
Status und der großzügigen Handhabung des Bankgeheimnisses eröffnete auch die
tolerante Haltung gegenüber allen Religionsgemeinschaften radikalen Islamisten
hierzulande zahlreiche Möglichkeiten: „Weitgehend unbehelligt von der Exekutive
können Kontakte geknüpft, Gefolgsleute angeworben oder versteckt und Gelder
geparkt werden.“ Die Gefahr von Attentaten wurde lange als gering eingestuft.
„Man will sich den Ruhe- und Planungsraum nicht durch Anschläge gefährden und
die Aufmerksamkeit der Politik auf sich ziehen. Österreich sendet quasi stille
Signale an die Extremisten, das Land außen vor zu lassen“, meinte 2004 der
deutsche Terrorismus-Experte Rolf Tophoven. Otmar Höll vom Zentrum für
internationale Politik pflichtete diesem Befund bei: „Österreich war nie eine
Kolonialmacht, man muss hier keine außenpolitischen Abhängigkeiten fürchten,
wir haben keine Interessen im arabischen Raum, daher ist Österreich aus Sicht
von Terroristen ein akzeptables Land.“
Ab Ende der 1990er
Jahre wurde festgestellt, dass die Predigten in gewissen Moscheen radikaler
wurden und die Stimmung aggressiver. In strafrechtlich relevanter Hinsicht
verhielten sich islamistische Kräfte aber großteils „unauffällig“, womit für
polizeiliches Einschreiten die Grundlage fehlte. Während nach 2001 in anderen
westlichen Ländern aktiv an der Identifizierung und Zerschlagung
radikal-islamistischer Netzwerke gearbeitet wurde, blieb es in Österreich bei
stiller Beobachtung – „nach dem Motto: Die Aktivisten sollen sich anständig
benehmen und die Alpenrepublik mit Anschlägen verschonen, dafür stellen die
Behörden ihren Vereinen nicht nach“, meinte „profil“ 2004.
Tatsächlich
hatten sich in Wien, Oberösterreich, der Steiermark und in Salzburg
radikal-islamistische Milieus verfestigt. Diese waren laut dem deutschen Experten Guido
Steinberg auch über den österreichischen Kontext hinaus einflussreich. So sollen
die afghanischen Brüder Jamaluddin Qarat und Farhad Qarat, in Wien lebende
Österreicher afghanischer Herkunft, die Ersten gewesen sein, die den
salafistischen Jihadismus öffentlich vertraten und bei dessen Transfer nach
Deutschland eine wichtige Rolle spielten. Beide standen in engem Kontakt zu dem
bosnischen Imam Nedzad Balkan, der ebenso wie der einflussreiche Prediger Abu
al-Khattab in der Sahaba-Moschee in der Lindengasse Nr. 1, unweit der Wiener
Stiftskaserne, wirkte. Die Sahaba-Moschee besuchte auch Mohamed Mahmoud, ein
1985 geborener Österreicher mit ägyptischen Wurzeln, der nach Verbüßung einer
Haftstrafe 2011 in Berlin „Millatu Ibrahim“ gründete, die erste Jihad-Bewegung
in Mitteleuropa. Großen Einfluss hatte auch der Prediger Mirsad O. als „Vordenker“
des Jihadismus innerhalb der Wiener Szene. Darüber hinaus war er eng mit
bosnischen Salafisten vernetzt.
Eine
besorgniserregende Entwicklung stellt der „Jihad-Tourismus“ dar, der seit dem
Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs (2011) und dem Erstarken des IS im Irak und
in Syrien eingesetzt hat: Von Österreich ist es verhältnismäßig einfach, in die
Konfliktgebiete im Nahen Osten zu gelangen. Andererseits weisen die
österreichischen Jihad-Freiwilligen eine spezifische Zusammensetzung auf: „Bei
einem wesentlichen Teil der aus Österreich nach Syrien reisenden Personen
handelt es sich um österreichische Staatsangehörige, deren Familien aus
Südosteuropa und der Westbalkan-Region stammen. Personen mit fremder
Staatsbürgerschaft (insbesondere Personen aus der Kaukasus-Region), welche über
einen gültigen Aufenthaltstitel in Österreich verfügen, stellen den größten
Anteil.“ Hierbei handelt es sich vor allem um Tschetschenen. Erklärt wird
dieser Umstand mit traumatisierenden Erfahrungen infolge von zwei Kriegen, dem
Erstarken des radikalen Islamismus in der autonomen russischen Teilrepublik, sozialen
Problemen und der „Macht des Internets“. Österreich ist eines der Zentren der
tschetschenischen Diaspora: Laut Schätzungen (2014) leben 30.000 Flüchtlinge
hier.
Zweifellos
stellt der radikal-islamistische Terrorismus eine für Österreich neuartige
Bedrohung dar, wo althergebrachten Mechanismen nicht mehr greifen. Gezeigt hat sich, wie der
Terrorismusforscher Peter R. Neumann betont, dass es „keiner monatelangen
Planung, keiner explodierenden Busse und fallender Türme“ bedarf, „um die ganze
Welt zu terrorisieren“. Vor allem in Paris und Brüssel wurden 2015/16 Menschenansammlungen
(Bars, Restaurants, Konzerthalle, Flughafen-Checkin, U-Bahn) zum Ziel
konzertierter Attacken mit der Absicht wahllose Massenverluste anzurichten. Das
Risiko, dass auch Österreich vom „Ruheraum“ zum „Aktionsraum“ wird, ist
wahrscheinlich noch nie so hoch wie heute.